Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.12.2010, Az. VII R 20/10

7. Senat | REWIS RS 2010, 574

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Gegenstand

Keine Erstattung der irrtümlich vom Vertreter des Zollschuldners gezahlten Einfuhrumsatzsteuer - Zahlung in der irrigen Annahme einer eigenen Zahlungsverpflichtung - Maßgeblichkeit des objektiven Empfängerhorizonts


Leitsatz

1. NV: Ein Anspruch auf Erstattung von Einfuhrumsatzsteuer richtet sich nach Art. 236 Abs. 1 Zollkodex, § 14 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung. Durch diese Regelung wird die Erstattungsnorm des § 37 Abs. 2 AO überlagert .

2. NV: Hat der Vertreter des Zollschuldners der Zahlungsaufforderung des an ihn - mit der ausdrücklichen Bezeichnung als Vertreter - adressierten Einfuhrumsatzsteuerbescheids "aus der eigenen Tasche" Folge geleistet, kommt eine Erstattung nicht in Betracht. Ob die Zahlung in der irrigen Annahme einer eigenen Zahlungsverpflichtung geschehen ist, ist für die Frage, welcher Art die Schuld war, auf die geleistet worden ist, unbeachtlich .

3. NV: Wenn die Vorstellungen der Beteiligten darüber, welche Leistung mit der Zahlung erbracht worden ist, nicht übereinstimmen, kommt es nicht auf den inneren Willen des Leistenden an, sondern es greift eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers Platz; maßgebend ist mithin der objektive Empfängerhorizont .

Tatbestand

1

I. Aufgrund einer Zollanmeldung, die die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als Vertreterin einer GmbH & Co. [X.] ([X.]) eingereicht hatte, setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --[X.]--) Einfuhrumsatzsteuer gegen die [X.] fest. Der Bescheid war adressiert an die Klägerin als Vertreterin der [X.]. Die Klägerin entrichtete die geforderten Abgaben.

2

Knapp drei Monate später bat die Klägerin um Erstattung des Betrages, weil sie die Zahlung in der Annahme, selbst zahlungspflichtig zu sein, irrtümlich geleistet habe. Das [X.] lehnte die Erstattung ab. Einspruch und Klage, mit der die Klägerin geltend machte, das [X.] habe dadurch, dass es den Bescheid an sie, die Klägerin, adressiert habe, den Eindruck erweckt, sie selbst sei Abgabenschuldnerin, blieben erfolglos.

3

Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, die Voraussetzungen der allein für die begehrte Erstattung in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des Art. 236 des Zollkodex ([X.]) lägen nicht vor, da der [X.] im Zeitpunkt der Zahlung aufgrund des bestandskräftigen Bescheids gesetzlich geschuldet gewesen sei. Wenn die Klägerin irrtümlich auf die Schuld der vertretenen [X.] gezahlt habe, führe das weder zur Unwirksamkeit noch zur Anfechtbarkeit der Leistung. Umstände, aus denen das [X.] habe entnehmen können, dass die Klägerin nicht auf die Abgabenschuld der [X.] habe leisten wollen, seien nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen. Ein "Widerruf" beziehungsweise die Anfechtung einer Zahlung als Erfüllungsleistung sei gesetzlich nicht vorgesehen; die Zahlung sei keine Willenserklärung i.S. des § 119 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ([X.]). Der Bescheid sei auch zutreffend an die Klägerin "als Vertreterin für ..." (die [X.], bezeichnet mit voller Anschrift) gerichtet gewesen. Wenn die Klägerin die Schuld der Vertretenen durch Zahlung zum Erlöschen bringe, so liege darin keine Leistung ohne Rechtsgrund, ein Irrtum der Klägerin über das Bestehen einer eigenen Schuld sei unbeachtlich. Da nach dem für das [X.] erkennbaren Willen der zahlenden Klägerin die Zahlung für die Steuerschuldnerin, die [X.], vorgenommen worden sei, folge, dass nur dieser, nicht aber der Klägerin, ein Erstattungsanspruch bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen zustehen könne.

4

Mit der dagegen eingelegten Revision macht die Klägerin geltend, dass die Vorschriften des [X.] für das vorliegende Erstattungsbegehren keine abschließende Regelung träfen, sondern der Anspruch der Klägerin sich aus den nationalrechtlichen Vorschriften des § 37 der Abgabenordnung ([X.]) und des § 812 [X.] ergebe. Die im [X.] getroffenen Regelungen seien nicht anwendbar, denn die irrtümliche Zahlung der Klägerin auf eine vermeintlich bestehende eigene Abgabenschuld habe die der [X.] nicht tilgen können. Daran ändere nichts, dass nach Art. 231 [X.] ein Dritter berechtigt sei, den [X.] für den Zollschuldner zu zahlen, denn die Norm setze einen [X.] voraus. Dementsprechend habe der [X.] in seiner Entscheidung vom 18. Juni 1986 II R 38/84 ([X.], 519, [X.] 1986, 704) im umgekehrten Fall einer fehlgeleiteten Zahlung des Finanzamts an einen am Steuerschuldverhältnis unbeteiligten [X.] einen Anspruch auf Rückerstattung gemäß § 37 Abs. 2 [X.] bejaht. Die irrtümliche Zahlung der Klägerin sei daher nicht den Vorschriften des [X.] über die Rückerstattung unterworfen. Das habe das [X.] verkannt. Dem Begehren der Klägerin sei zu entsprechen. Das [X.] habe die Zahlung der Klägerin ohne rechtlichen Grund erlangt, die Voraussetzungen der §§ 37 [X.], 812 [X.] seien erfüllt.

5

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung das [X.] zu verpflichten, den von ihr entrichteten [X.] zu erstatten.

6

Das [X.] beantragt unter Hinweis darauf, dass sich die Erstattung der gezahlten Einfuhrabgaben ausschließlich nach Art. 236 [X.] richten könne, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des [X.] entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

8

Das [X.] hat das Erstattungsbegehren der Klägerin zutreffend nach den Erstattungsvorschriften des [X.] geprüft und entschieden, dass die Anspruchsvoraussetzungen des allein in Betracht kommenden Art. 236 [X.] i.V.m. § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht vorliegen. Danach wird [X.] insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Art. 220 Abs. 2 [X.] buchmäßig erfasst worden ist.

9

1. Die Erstattung von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben ist in Art. 236 bis Art. 239 [X.] geregelt. Gemäß § 21 Abs. 2 UStG gelten für die [X.] --von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen-- die Vorschriften für Zölle sinngemäß. Gemäß § 14 der [X.]-Befreiungsverordnung wird die [X.] in den in den Art. 235 bis 242 [X.] bezeichneten Fällen in sinngemäßer Anwendung dieser Vorschriften erstattet (vgl. auch Senatsurteil vom 3. Mai 1990 [X.], [X.], 260). Nach Art. 236 Abs. 1 [X.], der im Streitfall allein in Betracht kommt, werden diese Abgaben insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Durch diese Regelung wird die Erstattungsnorm des § 37 Abs. 2 AO überlagert (vgl. [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 14). Für die insoweit gleichgelagerte Problematik des [X.] zwischen nationalem und Unionsrecht hinsichtlich des in Art. 236 [X.] auch geregelten Erlasses von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben hat der Senat bereits klargestellt, dass nationale Billigkeitsregelungen auf die [X.] nicht anwendbar sind (Urteil vom 17. August 2000 VII R 108/95, [X.], 140; vgl. grundsätzlich [X.]/Huchatz, Zollkodex, 5. Aufl., Vor Art. 1 Rz 11 und 16, Vor Art. 235 Rz 2 und 8).

2. Die Voraussetzungen einer Erstattung nach Art. 236 Abs. 1 [X.] sind nicht erfüllt. Denn der streitige Betrag war im Zeitpunkt der Zahlung nach den unangefochtenen Feststellungen des [X.] gesetzlich geschuldet und nach den insoweit bindenden Feststellungen des [X.] hat die Klägerin auf diese Schuld aufgrund des an sie adressierten Bescheids in der geforderten Höhe und innerhalb der gesetzten Frist geleistet. Es war für das [X.] nicht erkennbar, dass die Klägerin nicht auf die Abgabenschuld der [X.] hat leisten wollen.

Wenn mit dem Vorbringen, die Klägerin sei "Adressatin des [X.]" gewesen und hierauf sei ihr Irrtum zurückzuführen, selbst zahlungspflichtig zu sein, gemeint sein sollte, mit ihrer Zahlung sei gar nicht die [X.] entrichtet worden, so könnte dem nicht gefolgt werden. Die Klägerin bestreitet selbst nicht, dass sie mit ihrer Zahlung der Zahlungsaufforderung des [X.]bescheids, in dessen Adressfeld sie --wie sie selbst einräumt-- als Vertreterin der [X.] bezeichnet war, Folge geleistet hat. Ob dies in der irrigen Annahme einer eigenen Zahlungsverpflichtung geschehen ist, ist für die Frage, welcher Art die Schuld war, auf die geleistet worden ist, unbeachtlich. Außerdem kommt es dann, wenn die Vorstellungen der Beteiligten darüber, welche Leistung mit der Zahlung erbracht worden ist, nicht übereinstimmen, nicht auf den inneren Willen des Leistenden an, sondern es greift eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des [X.]; maßgebend ist mithin der objektive Empfängerhorizont (Senatsurteil vom 30. August 2005 [X.], [X.], 219, [X.], 353, m.w.N.). Dazu hat das [X.] für den Senat bindend festgestellt, dass keine für das [X.] erkennbaren Umstände darauf hindeuteten, dass die Klägerin eine versehentliche Zahlung ohne Zuordnung auf das zwischen der [X.] und dem [X.] bestehende Leistungsverhältnis vorgenommen hat.

3. Nach alledem geht das Vorbringen der Klägerin zur vermeintlichen Mitverursachung ihres Irrtums durch das [X.] ebenso ins Leere wie ihre Ausführungen, sie habe die Zahlung ohne Rechtsgrund geleistet.

Meta

VII R 20/10

09.12.2010

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 12. Februar 2010, Az: 4 K 81/09, Urteil

Art 220 ZK, Art 236 ZK, Art 231 ZK, Art 220 EWGV 2913/92, Art 236 EWGV 2913/92, Art 231 EWGV 2913/92, § 37 Abs 2 AO, § 812 BGB, § 21 Abs 2 UStG 2005, § 14 EUStBV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.12.2010, Az. VII R 20/10 (REWIS RS 2010, 574)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 574

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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