Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.05.2013, Az. VII B 195/12

7. Senat | REWIS RS 2013, 6091

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Schuldner einer wegen Entziehens aus zollamtlicher Überwachung entstandenen Zollschuld


Leitsatz

NV: Die Person, welche i.S. des Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK die sich aus der vorübergehenden Verwahrung ergebenden Verpflichtungen einzuhalten hat, ist diejenige, in deren Besitz sich einfuhrabgabenpflichtige Waren nach ihrer Gestellung befinden .

Tatbestand

1

I. In direkter Vertretung für die [X.] gab die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) im September 2006 eine Zollanmeldung zur Überführung bestimmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr in das Zollabfertigungssystem [X.] ein. Am folgenden Tag gestellte der LKW-Fahrer des mit der Warenbeförderung beauftragten Transportunternehmens die Waren dem [X.] des Beklagten und Beschwerdeführers (Hauptzollamt --[X.]--). Dort fand aber lediglich eine veterinärrechtliche Kontrolle anderer auf dem LKW befindlicher Waren statt, während eine zollamtliche Abfertigung der seitens der Klägerin angemeldeten Waren unterblieb. Gleichwohl verließ der Fahrer den Zollplatz mit dem LKW unter Umständen, die nicht näher geklärt werden konnten.

2

Mit der Begründung, sie sei am Entziehen der Waren aus zollamtlicher Überwachung beteiligt gewesen und schulde die Abgaben gemeinsam mit der [X.] als Gesamtschuldner, setzte das [X.] die Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) gemäß Art. 203 des Zollkodex ([X.]) gegen die Klägerin mit einem Bescheid fest, der kein Leistungsgebot enthielt. Der entsprechende an die [X.] gerichtete Abgabenbescheid enthielt dagegen ein Leistungsgebot. Den hiergegen erhobenen Einspruch nahm die [X.] später zurück.

3

Unter Hinweis auf den an die [X.] ergangenen Bescheid zahlte die Klägerin den festgesetzten [X.], beantragte aber wenige Wochen später dessen Erstattung gemäß Art. 239 [X.] und berief sich auf das dem [X.] vorliegende [X.] Ursprungszeugnis und die danach zu gewährende Zollpräferenz. Das [X.] lehnte den Antrag ab, da es von offensichtlicher Fahrlässigkeit der [X.] ausging.

4

Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage verpflichtete das Finanzgericht ([X.]) das [X.], den gezahlten Zoll zu erstatten. Die Klägerin sei gemäß Art. 878 Abs. 1 der Zollkodex-Durchführungsverordnung ([X.]DVO) antragsberechtigt und der Antrag sei auch (falls nicht gemäß Art. 236 [X.]) jedenfalls gemäß Art. 239 [X.] i.V.m. Art. 899 Abs. 1 Anstrich 1, Art. 900 Abs. 1 Buchst. o [X.]DVO begründet. Offensichtliche Fahrlässigkeit der [X.] liege nicht vor und diese müsse sich auch nicht offensichtlich fahrlässiges Verhalten anderer Beteiligter wie z.B. dasjenige des [X.] zurechnen lassen.

5

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.], welche es auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Gestalt der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) stützt. Soweit das [X.] die Auffassung vertreten habe, bei der Frage der offensichtlichen Fahrlässigkeit eines Beteiligten komme eine Zurechnung des Verhaltens anderer Beteiligter nicht in Betracht, weiche es von Entscheidungen des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) ab.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ob hinsichtlich der Frage der Zurechnung fahrlässigen Verhaltens Dritter die geltend gemachte Divergenz vorliegt, kann offenbleiben, weil das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis richtig ist (vgl. zur entsprechenden Anwendung des § 126 Abs. 4 [X.]O im [X.]: Senatsbeschluss vom 8. Januar 1998 VII B 102/97, [X.] 1998, 729, m.w.N.).

7

Wie das [X.] zutreffend ausführt, ist die Klägerin nach Art. 878 Abs. 1 ZKDVO berechtigt, den Erstattungsantrag zu stellen, weil sie gemäß Art. 231 ZK den gegen die [X.] festgesetzten [X.] entrichtet hat (vgl. Senatsurteil vom 3. November 2010 VII R 20/09, [X.], 421, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2010, 325).

8

Der Antrag ist auch nach Art. 236 Abs. 1 ZK begründet, weil der Einfuhrabgabenbetrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Nach den Feststellungen des [X.] ist zwar davon auszugehen, dass die Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK entstanden ist, weil die zollamtlich nicht abgefertigten Waren mit ihrem Entfernen vom [X.] der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind. Die [X.] ist jedoch nicht Schuldner des [X.]s.

9

Nach der insoweit im Streitfall allein in Betracht kommenden Vorschrift des Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK kann als Zollschuldner ggf. die Person in Anspruch genommen werden, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der [X.] nicht vor.

Ihr oblagen keine Verpflichtungen aus der Inanspruchnahme eines Zollverfahrens, denn wegen des unerlaubten Entfernens der Waren vom [X.] ist kein Zollverfahren eröffnet worden. Ein "Verfahren der vorübergehenden Verwahrung", von dem im [X.]-Urteil die Rede ist, gibt es nicht (Art. 4 Nr. 16 ZK).

Die [X.] hatte auch keine Verpflichtungen aus der vorübergehenden Verwahrung einzuhalten, in der sich die Waren nach ihrer Gestellung befanden (Art. 50 ZK). Nach dem EuGH-Urteil vom 15. September 2005 [X.]/04 --United [X.] und [X.] ([X.]. 2005, I-8245, [X.], 406) folgt aus Art. 51 Abs. 2 ZK und Art. 184 [X.] (im Streitfall maßgebliche Fassung), dass die Person, welche i.S. des Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK die Verpflichtungen aus der vorübergehenden Verwahrung einzuhalten hat, der Besitzer der Waren ist, der sie in seiner Obhut hat und sie auf Verlangen vorführen kann, während die Person, die die summarische Anmeldung unterzeichnet hat, zu diesem Zeitpunkt ggf. nicht mehr die Sachherrschaft über die Waren ausübt.

Im Streitfall übte die [X.] die Sachherrschaft über die der Zollstelle gestellten Waren nicht aus und war somit nicht in der Lage, diese dem Zollamt auf Verlangen vorzuführen. Sie hatte daher keine Verpflichtungen aus der vorübergehenden Verwahrung einzuhalten. Die der [X.] als Zollanmelder obliegende Verpflichtung, den in vorübergehender Verwahrung befindlichen Waren eine zollrechtliche Bestimmung innerhalb der Fristen des Art. 49 ZK zu geben, gehört nicht zu den in Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK genannten Verpflichtungen, der nur die Verpflichtungen betrifft, die mit dem Verbleib der Waren in vorübergehender Verwahrung zusammenhängen (vgl. EuGH-Urteil in [X.]. 2005, I-8245, [X.], 406).

Ist somit der gezahlte [X.] nach Art. 236 Abs. 1 ZK zu erstatten, kommt es auf das Merkmal der offensichtlichen Fahrlässigkeit sowie auf Fragen der Zurechnung fahrlässigen Verhaltens Dritter nicht an. Anhaltspunkte für ein betrügerisches Vorgehen, welches nach Unterabs. 3 dieser Vorschrift die Erstattung ausschließt, liegen nach den Feststellungen des [X.] nicht vor.

Meta

VII B 195/12

06.05.2013

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 24. Juli 2012, Az: 11 K 5876/08, Urteil

Art 50 ZK, Art 51 Abs 2 ZK, Art 203 Abs 1 ZK, Art 203 Abs 3 Ss 4 ZK, Art 236 Abs 1 ZK, Art 239 ZK, Art 184 ZKDV, Art 899 Abs 1 Ss 1 ZKDV, Art 900 Abs 1 Buchst o ZKDV, Art 50 EWGV 2913/92, Art 51 Abs 2 EWGV 2913/92, Art 203 Abs 1 EWGV 2913/92, Art 203 Abs 3 Ss 4 EWGV 2913/92, Art 236 Abs 1 EWGV 2913/92, Art 239 EWGV 2913/92, Art 184 EWGV 2454/93, Art 899 Abs 1 Ss 1 EWGV 2454/93, Art 900 Abs 1 Buchst o EWGV 2454/93

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.05.2013, Az. VII B 195/12 (REWIS RS 2013, 6091)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6091

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII R 3/12 (Bundesfinanzhof)

Zollschuldentstehung durch Entziehen von Waren aus dem Versandverfahren - Erlass bzw. Erstattung von Einfuhrabgaben aus …


VII R 60/10 (Bundesfinanzhof)

Erlass/Erstattung aus Billigkeitsgründen von Einfuhrabgaben für über Freizonengrenze verbrachte zollamtlich unbehandelt gebliebene Waren


VII R 4/17 (Bundesfinanzhof)

Entziehung vorübergehend verwahrter Waren aus der zollamtlichen Überwachung


VII R 16/09 (Bundesfinanzhof)

Entstehung der Zollschuld für verspätet abgerechnete Waren des aktiven Veredelungsverkehrs


VII R 13/10 (Bundesfinanzhof)

Vollständige oder teilweise Abgabenbefreiung für eingeführte Veredelungserzeugnisse, deren Vormaterialien nicht in die passive Veredelung übergeführt …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.