Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2022, Az. 1 StR 483/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 2544

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Gegenstand

Einschleusen von Ausländern: Qualifikationsmerkmal der lebensgefährdenden Behandlung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. September 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „Einschleusens von Ausländern in acht Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s hielt sich der Angeklagte von Juni bis August 2015 in [X.]     auf und unterstützte in insgesamt acht Fällen Gruppen von [X.], Irakern und [X.] bei der unerlaubten Einreise nach [X.]. Er war als Mitglied einer größeren [X.] für den Transport der Flüchtlinge im Abschnitt von [X.] nach [X.] zuständig und erhielt für seine Tätigkeit 1.000 € monatlich.

3

1. Für zwei kleinere Gruppen (Fälle III. 1. und III. 8. der Urteilsgründe) „organisierte“ der Angeklagte den Transport von [X.] nach [X.], wobei das [X.] nicht mitteilt, was genau der Angeklagte tat. Von diesen Gruppen nahm er zudem Bargeld entgegen, das er an andere Mitglieder der [X.] weitergab. Für sechs größere Gruppen zwischen 14 und 49 Personen stellte er den Kontakt zu gesondert verfolgten Fahrern her, welche die Gruppen nach [X.] brachten, erteilte den Fahrern die Fahraufträge und unterstützte sie zudem, indem er bei der Beschaffung der Fahrzeuge mitwirkte und Navigationsgeräte in den Fahrzeugen einstellte (Fälle III. 2. bis III. 7. der Urteilsgründe). Die Angehörigen dieser sechs Gruppen saßen während der Fahrten ungesichert eng beieinander im Laderaum von Kleintransportern, verfügten allerdings über ausreichend Atemluft und konnten die Laderaumtüren von innen öffnen. Bei einem Verkehrsunfall oder bereits bei einem stärkeren Bremsmanöver war aber aufgrund der konkreten [X.] mit tödlichen Verletzungen der [X.] zu rechnen. Das [X.] hat bei der Strafzumessung für diese sechs Fälle angenommen, der Angeklagte habe jeweils sowohl den [X.] des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]) als auch den [X.] des lebensgefährdenden Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Alternative 1 [X.]) verwirklicht.

4

2. Danach hielt der Angeklagte sich in [X.] auf und schleuste von Ende Dezember 2016 bis Ende Januar 2017 sechs Personengruppen durch [X.] nach [X.]. Deswegen und wegen einer im gleichen Zeitraum begangenen Hehlerei wurde er in [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, drei Monaten und zehn Tagen sowie einer Geldstrafe in Höhe von 472.677 € verurteilt. Diese Verurteilung ist seit dem 7. Februar 2020 rechtskräftig. Der Angeklagte befand sich in [X.] ein Jahr und 25 Tage in Untersuchungshaft; im Übrigen ist die in [X.] verhängte Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt. Um die fehlende Möglichkeit zur Gesamtstrafenbildung auszugleichen, berücksichtigte das [X.] die in [X.] verhängte Strafe, indem es die Gesamtstrafe um ein Jahr reduzierte.

II.

5

Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das [X.], weil die bisherigen Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen.

6

1. Die Feststellungen zu den [X.] 1. und III. 8. der Urteilsgründe lassen nicht erkennen, wodurch der Angeklagte zu den Taten der [X.] Hilfe leistete (§ 96 Abs. 1 [X.]). Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann. Nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 337 StPO; zum Ganzen [X.], Beschlüsse vom 24. Mai 2017 – 1 StR 176/17 Rn. 4 und vom 8. Oktober 2019 – 4 [X.] Rn. 6 jeweils mwN). Dem angefochtenen Urteil ist aber nicht zu entnehmen, mit welchen konkreten Handlungen der Angeklagte den [X.] Zugang zu welchen konkreten Hilfsmitteln oder Dienstleistungen verschaffte und wie er dadurch ihre Einreise in das Bundesgebiet erleichterte.

7

2. Die Feststellungen zu den [X.] 1. bis III. 7. der Urteilsgründe belegen nicht die Voraussetzungen eines lebensgefährdenden Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Alternative 1 [X.]), das als [X.] in den Schuldspruch aufzunehmen wäre (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. November 2011 – 3 [X.] Rn. 2 und vom 7. Mai 2019 – 1 StR 8/19 Rn. 5).

8

a) Das Merkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung ist auch in der Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB enthalten, so dass es in Anlehnung an diese Vorschrift ausgelegt wird (vgl. MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 96 [X.] Rn. 36). Danach ist das Merkmal erfüllt, wenn die Behandlung, welcher der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt ist, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen; eine konkrete Gefährdung des Lebens muss noch nicht eingetreten sein ([X.], Beschluss vom 7. Mai 2019 – 1 StR 8/19 Rn. 7). Die Umstände, die eine das Leben gefährdende Behandlung des [X.] begründen, müssen dabei im Einzelnen festgestellt und belegt sein; insbesondere müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, woraus sich im konkreten Fall die Eignung der Behandlung zur Herbeiführung einer Lebensgefahr für den [X.] ergibt ([X.], Beschluss vom 4. Oktober 2019 – 1 StR 282/19, [X.]R [X.] § 96 Abs. 2 Nr. 5 Lebensgefährdende Behandlung 1 Rn. 2). Für die Erfüllung des [X.] reicht ein bloßer Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften nicht aus. Es muss vielmehr eine signifikante Gefahrerhöhung für die [X.] vorliegen, die im Übrigen in Kenntnis der konkreten Beförderungsbedingungen eingestiegen sind. Entscheidend ist die Gefährdungslage im Einzelfall.

9

b) Diese Voraussetzungen sind hier nicht ausreichend dargetan. Das [X.] hat lediglich festgestellt, dass die [X.] in den [X.] 2. bis III. 7. der Urteilsgründe eng nebeneinander ungesichert auf der Ladefläche eines Kleintransporters saßen. Zwar wird bei dem Transport ungesicherter Menschengruppen auf einer Ladefläche im Hinblick auf nicht auszuschließende Gefahrbremsungen, Ausweichmanöver oder Kollisionen die Annahme einer das Leben gefährdenden Behandlung häufig naheliegen (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 [X.] Rn. 10, insoweit in [X.]R [X.] § 96 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 2 nicht abgedruckt). Gleichwohl bedarf es auch in diesen Fällen einer Darstellung der Umstände im Einzelnen, was regelmäßig auch Angaben zu Beschaffenheit und Größe der Ladefläche und insbesondere der gefahrenen Geschwindigkeit einschließt, oder einer Erläuterung, woraus sich auch unabhängig von diesen Umständen Lebensgefahr für die [X.] ergeben konnte. Daran fehlt es in den vorliegenden Fällen.

3. Mit Aufhebung der Verurteilung entfällt auch die Grundlage für die Einziehungsentscheidung.

Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu den einzelnen Fahrten zu ermöglichen.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat hinsichtlich der notwendigen Feststellungen zu der jeweiligen unerlaubten Einreise der [X.] und zu den einzelnen Schleusungstaten auf den Beschluss des [X.] vom 23. September 2021 – 1 [X.] Rn. 13 (mwN) hin.

Im Falle einer erneuten Verurteilung wird zudem zu berücksichtigen sein, dass der Nachteilsausgleich wegen ausländischer Verurteilungen vergleichbar der Gesamtstrafenbildung nicht nur zu beziffern, sondern auch gesamtstrafenspezifisch zu begründen ist ([X.], Beschluss vom 23. April 2020 – 1 StR 15/20, [X.]St 65, 5 Rn. 18, 23 f.), hier insbesondere mit Blick auf die in [X.] verhängte hohe Geldstrafe.

Raum     

      

Fischer     

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Leplow     

      

Meta

1 StR 483/21

08.03.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Traunstein, 14. September 2021, Az: 6 KLs 270 Js 76462/16

§ 96 Abs 2 S 1 Nr 5 Alt 1 AufenthG, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2022, Az. 1 StR 483/21 (REWIS RS 2022, 2544)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2544

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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