Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2019, Az. 1 StR 8/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 7590

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Gegenstand

Einschleusen von Ausländern auf der Ladefläche eines Sattelzuges: Vorliegen der Qualifikationsmerkmale einer Gefahr für das Leben der Geschleusten und der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung; Möglichkeit einer die Qualifikation entfallen lassenden Einwilligung des Geschleusten in die Gefährdung seiner Person


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. September 2018 im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem und lebensgefährdendem Einschleusen von Ausländern schuldig ist; die erlittene Auslieferungshaft wird im Verhältnis 1 : 2 auf die erkannte Strafe angerechnet.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem und lebens- und gesundheitsgefährdendem Einschleusen von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Nach den Urteilsfeststellungen fasste der Angeklagte vor dem [X.] den Entschluss, sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Gewicht dadurch zu verschaffen, dass er wiederholt Ausländern gegen Entgelt dazu verhalf, ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel nach [X.] und insbesondere in das [X.] einzureisen. In zwei Fällen beauftragte er den anderweitig Verfolgten [X.]    mit der Durchführung folgender Schleusungsfahrten:

3

1. Anfang des Jahres 2016 verbrachte [X.]    im Auftrag des Angeklagten 14 Personen [X.] und [X.] Staatsangehörigkeit in einem Lkw von [X.]([X.]) in die Nähe von [X.]. Der Angeklagte, der mehr als 10.000 Euro für seine Tätigkeit erhielt, entlohnte [X.]    für dessen Fahrertätigkeit mit 10.000 Euro (Fall II.2. der Urteilsgründe).

4

2. Am 6./7. Februar 2017 beförderte [X.]     im Auftrag des Angeklagten mindestens 35 Personen [X.], [X.] und [X.] Staatsangehörigkeit ohne erforderlichen Aufenthaltstitel für die [X.] auf der Ladefläche eines [X.], das ihm der Angeklagte zur Verfügung gestellt hatte, von [X.]([X.]) über [X.] und [X.] nach [X.]. Die Fahrt dauerte etwa 20 Stunden, während derer die Personen die Ladefläche des Lkw nicht verlassen durften. Während der Fahrt herrschten durchgehend Außentemperaturen um oder unter dem Gefrierpunkt. Die Ladefläche war nicht beheizt. Sie verfügte nicht über eine feste Außenkonstruktion und war nur durch eine Plane vor Fahrtwind und Außentemperaturen geschützt. Obwohl sich die [X.] alle verfügbaren Kleidungsstücke anzogen, froren viele von ihnen „extrem“. Ihre Notdurft mussten sie in Plastikflaschen oder -tüten verrichten. Auf der Ladefläche befand sich zudem ungesicherte Fracht in Form von Paletten mit Möbelstücken und Kisten. Die [X.] hielten sich ungesichert zwischen der Fracht oder auf ihr auf (Fall [X.] der Urteilsgründe).

II.

5

1. Der [X.] ändert den Schuldspruch ab, da sich im Fall [X.] der Urteilsgründe die Tat entgegen der Auffassung des [X.]s lediglich als gewerbsmäßiges und lebensgefährdendes Einschleusen von Ausländern darstellt. Der [X.] der Herbeiführung der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 3. Alt. [X.]) ist nicht erfüllt.

6

a) Das [X.] hat im Fall [X.] der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei die [X.] der Gewerbsmäßigkeit (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]) sowie der Aussetzung einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, [X.]. [X.]) als verwirklicht angesehen.

7

Das Merkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung entspricht der Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, so dass die dazu geltenden Grundsätze zur Auslegung herangezogen werden können (vgl. MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 96 [X.] Rn. 36). Das Merkmal ist erfüllt, wenn die Behandlung, der der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt ist, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen; eine konkrete Gefährdung des Lebens muss noch nicht eingetreten sein (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 2004 - 4 StR 43/04 Rn. 16; MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 96 [X.] Rn. 36; [X.], Ausländerrecht [Stand: August 2012], § 96 [X.] Rn. 32; [X.] in [X.]/[X.], Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Juli 2014], § 96 [X.] Rn. 27). Angesichts der festgestellten Außentemperaturen und des Transports zwischen ungesichertem, sperrigem Frachtgut hat das [X.] ohne Rechtsfehler in den konkreten Bedingungen der Beförderung eine Gefahr für das Leben der [X.] angenommen.

8

b) [X.] einer schweren Gesundheitsschädigung im Sinne von § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 3. Alt. [X.] wird von den Feststellungen hingegen nicht getragen. Denn diese [X.] setzt anders als das Merkmal einer lebensgefährdenden Behandlung eine konkrete Gefahr voraus.

9

Der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung wird ein Ausländer ausgesetzt, wenn er während der Schleusung in die konkrete Gefahr gebracht wird, dass eine der in § 226 Abs. 1 StGB genannten schweren Folgen oder eine diesen nahekommende Schädigung eintritt (vgl. BeckOK [X.]/Hohoff, [X.]., § 96 [X.] Rn. 20; GK-[X.]/[X.] [Stand: Juli 2008], § 96 Rn. 44; [X.], StGB, 66. Aufl., § 225 Rn. 18). Dieses Merkmal entspricht den Qualifikationen unter anderem in § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB und § 330 Abs. 2 Nr. 1 StGB (vgl. MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 96 [X.] Rn. 38). Für eine konkrete Gefahr ist erforderlich, dass die Sicherheit des [X.] nach objektiv-nachträglicher Prognose so stark beeinträchtigt ist, dass das Eintreten oder Ausbleiben einer schweren Gesundheitsschädigung nur noch vom Zufall abhängt (vgl. zu § 306a StGB [X.], Beschluss vom 10. Oktober 2013 - 2 StR 64/13 Rn. 8; [X.], StGB, 66. Aufl., § 306a Rn. 10). Den Eintritt einer konkreten Gefahr in diesem Sinne hat das [X.] nicht festgestellt. Weitergehende Feststellungen dazu sind nicht zu erwarten. Die vom [X.] tenorierte [X.] entfällt daher.

c) Soweit die [X.] im Fall [X.] der Urteilsgründe nicht geprüft hat, ob eine - von wesentlichen [X.] freie - Einwilligung der [X.] mit der Art und Weise ihrer Beförderung die Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] entfallen lassen kann, begründet dies keinen Rechtsfehler.

In Rechtsprechung und Literatur ist bislang nicht abschließend geklärt, ob eine - von wesentlichen [X.] freie - Einwilligung des [X.] mit der Art und Weise seiner Behandlung die Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] entfallen lassen kann. Während der [X.] die Frage bislang nicht entschieden hat (offen gelassen [X.], Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 1 [X.] Rn. 11), wird in der Literatur eine rechtfertigende Einwilligung mit dem Argument als wirksam angesehen, dass das Ausländerstrafrecht eine Einschränkung der Verfügungsbefugnis über die höchstpersönlichen Rechtsgüter Leib und Leben über die allgemeinen Vorschriften des Strafgesetzbuchs (§§ 216, 228 StGB) hinaus nicht bezweckt (vgl. [X.] in [X.], Ausländerrecht, 2. Aufl., § 96 [X.] Rn. 74; [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl., § 96 Rn. 64; GK-[X.]/[X.] [Stand: Juli 2008], § 96 Rn. 47 f.).

Die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung ist ausgehend von dem durch die Schleusungstatbestände in §§ 96, 97 [X.] geschützten Rechtsgut zu beantworten. Die Vorschriften in §§ 96, 97 [X.] dienen primär der Bekämpfung der [X.] und damit der Kontroll- und Steuerungsfunktion des ausländerrechtlichen Genehmigungsverfahrens (MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 96 [X.] Rn. 1) und somit einem nicht disponiblen Allgemeininteresse. Zudem dienen die Strafvorschriften - auch im Grundtatbestand des § 96 Abs. 1 [X.] - dem Schutz der Migranten (vgl. Art. 2 des Zusatzprotokolls gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der [X.] gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität vom 15. November 2000, [X.] II 2005, S. 1007, 1008). Dafür, dass durch den Grundtatbestand bereits Individualinteressen (mit-)geschützt werden, spricht auch die Erfolgsqualifikation in § 97 [X.], die - entsprechend allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen - gerade einen gefahrspezifischen Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt des § 96 [X.] und der besonderen Folge voraussetzt (vgl. BeckOK [X.]/Hohoff, [X.]., § 97 [X.] Rn. 3 unter Hinweis auf [X.], StGB, 66. Aufl., § 18 Rn. 2; [X.] in [X.], StGB, 29. Aufl., § 18 Rn. 8 jeweils mwN). Damit dient der [X.] insgesamt dem kumulativen Schutz eines indisponiblen und eines disponiblen Rechtsguts. Die [X.] in die Gefährdung individueller Rechtsgüter kann in derartigen Konstellationen nicht abstrakt festgelegt werden, sondern ist im Sachzusammenhang des jeweiligen Normenbereichs zu bestimmen (vgl. grundlegend [X.], [X.] der Einwilligung im Strafrecht, 1997, [X.] ff.). Maßgeblich ist insoweit, dass § 96 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] vorrangig ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützt, das ebenfalls geschützte Individualinteresse des [X.] sich lediglich als sekundäres Teilunrecht, also als bloße Steigerung des Unrechts darstellt (vgl. [X.] aaO S. 100 f.). Vor diesem Hintergrund wäre eine Einwilligung des betroffenen Ausländers in eine Gefährdung seiner Person unwirksam. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass - wie Art. 2 des Zusatzprotokolls zeigt - nach Auffassung des nationalen Gesetzgebers und der internationalen Staatengemeinschaft mit einer Schleusung typischerweise Gefahren für Leib und Leben der [X.] verbunden sind und im Fall illegaler Migration typischerweise eine Schwächesituation des [X.] gegenüber dem Schleuser gegeben ist.

2. Einer Aufhebung der im Fall [X.] der Urteilsgründe verhängten [X.] und der Gesamtstrafe bedarf es nicht. Der [X.] kann angesichts der bei der konkreten Strafzumessung im Fall [X.] der Urteilsgründe aufgeführten Erwägungen ausschließen, dass das [X.] bei zutreffender rechtlicher Beurteilung dieser Tat eine geringere Einzelfreiheitsstrafe verhängt hätte, da die [X.] auf das Vorliegen mehrerer [X.] des § 96 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht strafschärfend abgestellt hat.

3. Die Revision des Angeklagten hat - entsprechend dem Antrag des [X.] - zudem insoweit Erfolg, als die vom Angeklagten in [X.] erlittene Freiheitsentziehung im Maßstab 1 : 2 auf die Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB). Das [X.] hat den Anrechnungsmaßstab in den Urteilsgründen angeführt, diesen aber nicht im [X.] aufgenommen. Der [X.] holt dies entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nach.

4. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Jäger     

        

Bellay     

        

Hohoff

        

Leplow     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 8/19

07.05.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hof, 28. September 2018, Az: 354 Js 3002/18 - 5 KLs

§ 95 Abs 1 Nr 3 AufenthG, § 96 Abs 1 AufenthG, § 96 Abs 2 S 1 Nr 5 Alt 1 AufenthG, § 96 Abs 2 S 1 Nr 5 Alt 3 AufenthG, § 97 AufenthG, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 226 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2019, Az. 1 StR 8/19 (REWIS RS 2019, 7590)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7590

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