Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.09.2023, Az. 2 BvR 1082/23

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2023, 6173

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerde gegen künftige Mitwirkung der Bundesrepublik an geplanten Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften 2005 und an einem internationalen Pandemievertrag unzulässig - kein tauglicher Beschwerdegegenstand - zudem unzureichende Beschwerdebegründung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Entscheidungsgründe

1

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die zukünftige Zustimmung zu den geplanten Änderungen der [X.] und zu einem internationalen Pandemievertrag beziehungsweise gegen den zukünftigen Erlass eines entsprechenden Ratifikationsgesetzes.

I.

2

1. [X.]m 1. Dezember 2021 einigten sich die Mitgliedstaaten der [X.] (im Folgenden: [X.]) im Rahmen einer Sondersitzung auf den Beginn des Prozesses der [X.]usarbeitung und [X.]ushandlung eines Übereinkommens, einer Vereinbarung oder eines anderen internationalen Instruments zur Stärkung der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion ([X.] convention, [X.], preparedness and response - [X.] C[X.]+). Für die Durchführung der Verhandlungen wurde ein zwischenstaatliches Verhandlungsgremium ([X.], im Folgenden: [X.]) eingesetzt. Dieses veröffentlichte auf seiner vierten Sitzung am 1. Februar 2023 einen ersten Entwurfstext für ein internationales [X.]bkommen als Grundlage für die weiteren Verhandlungen (siehe Zero Draft of the [X.] C[X.]+ for the consideration of the [X.] at its fourth meeting, 1. Februar 2023, [X.]/[X.]/4/3). [X.]m 2. Juni 2023 gab das [X.] eine überarbeitete Entwurfsfassung (siehe [X.] text of the [X.] convention, [X.], preparedness and response <[X.] C[X.]+>, 2. Juni 2023, [X.]/[X.]/5/6) heraus. Nach den Entwürfen sollen insbesondere bei zukünftigen [X.] Forschungsmaßnahmen sowie die Verteilung von Impfstoffen koordiniert und Informationen unter den Vertragsstaaten rascher ausgetauscht werden. [X.]uch sollen entsprechend einem [X.]berichtssystem die Implementierung der Konvention überwacht und Empfehlungen für eine verbesserte Umsetzung ausgesprochen werden können. Einzelne mögliche Sanktionen gegen Vertragsstaaten beziehungsweise die Einführung eines Sanktionssystems sind den [X.]n nicht zu entnehmen. Der derzeitige Zeitplan sieht vor, dass bis Mai 2024 ein unterschriftsreifer Vertragstext ausgehandelt sein soll. Im Zusammenhang mit dem möglichen [X.]bschluss eines [X.] sollen auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften der [X.] von 2005 ("[X.] 2005") überarbeitet werden. Die Mitgliedstaaten haben hierzu mehr als 300 Änderungsvorschläge eingereicht (siehe Report of the Review Committee regarding amendments to the [X.]s <2005>, 6. Februar 2023, [X.]/[X.]/2/5, S. 10).

3

2. [X.]m 12. Mai 2023 nahm der [X.] einen [X.]ntrag der Koalitionsfraktionen vom 9. Mai 2023 (BTDrucks 20/6712) an, wonach die Bundesregierung aufgefordert wird, sich unter anderem bei der [X.]usarbeitung eines Pandemieabkommens oder -instruments sowie der Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften aktiv zu beteiligen und darauf hinzuwirken, dass die [X.] im Bereich der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion eine zentrale Rolle einnimmt.

4

3. Mit der am 29. Juni 2023 eingegangenen Verfassungsbeschwerde, die mit einem [X.]ntrag auf Erlass einer einstweiligen [X.]nordnung verbunden ist, rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen, dass die [X.] aufgrund der derzeit verhandelten Regelungen legislative und exekutive Gewalt erhalten solle und hierdurch die Souveränität der Mitgliedstaaten aufgehoben werde. Die [X.] und deren Generaldirektor könnten in selbst ausgerufenen [X.] und Gesundheitsnotständen verbindliche [X.]nordnungen treffen und Entscheidungen souveräner [X.] über Gesundheitsmaßnahmen außer [X.] setzen. Die geplanten Regelungen des [X.] und der reformierten Internationalen Gesundheitsvorschriften führten zur Einschränkung von Grund- und Menschenrechten und verletzten das Demokratieprinzip, das Wahlrecht der Beschwerdeführerin und die Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Die Bundesregierung dürfe ihnen daher nicht zustimmen.

5

4. Beim [X.] sind zahlreiche nahezu identische Verfassungsbeschwerden eingegangen, deren Inhalt sich - wie hier - an einem im [X.] frei zugänglichen Muster orientiert.

II.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.]nnahmegründe im Sinne des § 93a [X.]bs. 2 [X.] liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. Es liegt bereits kein tauglicher Beschwerdegegenstand vor (1.). Im Übrigen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den aus § 23 [X.]bs. 1 Satz 2, § 92 [X.] folgenden Substantiierungsanforderungen (2.).

7

1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich nicht gegen einen tauglichen Beschwerdegegenstand.

8

a) Nach [X.]rt. 93 [X.]bs. 1 Nr. 4a [X.] und § 90 [X.]bs. 1 [X.] kann mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden, durch die öffentliche Gewalt in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichem Recht verletzt zu sein. Die Mitwirkung der Bundesregierung an dem [X.]bschluss eines völkerrechtlichen Vertrags auf [X.] eignet sich nicht als Beschwerdegegenstand, weil sie noch keine innerstaatlichen Rechtswirkungen auszulösen vermag; derartige Rechtswirkungen werden vielmehr erst durch ein Zustimmungsgesetz bewirkt (vgl. [X.] 1, 281 <283>; 77, 170 <209 f.>; 143, 65 <89 Rn. 42>; 160, 208 <269 Rn. 153> - CET[X.] - Vorläufige [X.]nwendung). Zwar können Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen angesichts der völkerrechtlichen Bindung, die mit der Ratifikation eintritt, schon vor ihrem Inkrafttreten vor dem [X.] angegriffen werden. Die zu überprüfende Norm muss jedoch bereits erlassen - wenn auch nicht notwendigerweise schon in [X.] getreten - sein (vgl. [X.] 10, 20 <54>; 104, 23 <29>; 123, 267 <329>; 153, 74 <132 Rn. 94> - Einheitliches Patentgericht; 160, 208 <269 Rn. 155>). Dies setzt voraus, dass sich [X.] und Bundesrat abschließend mit dem Gesetz befasst haben, das Gesetz also nur noch der [X.]usfertigung durch den Bundespräsidenten und der Verkündung bedarf (vgl. [X.] 1, 396 <414>; 153, 74 <132 Rn. 94>; 160, 208 <269 Rn. 155>). Ein Zustimmungsgesetz kann mit der Verfassungsbeschwerde daher erst ab dem Zeitpunkt seiner Verabschiedung angegriffen werden (vgl. [X.] 24, 33 <53 f.>; 123, 267 <329>; 153, 74 <132 Rn. 94>; 160, 208 <269 f. Rn. 155>).

9

b) [X.]usgehend hiervon ist die angegriffene zukünftige Mitwirkung der [X.] an dem (erst zukünftig) geplanten [X.]bschluss eines Pandemieabkommens und der zeitgleich geplanten Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften kein tauglicher Beschwerdegegenstand der Verfassungsbeschwerde, denn sie löst keine innerstaatlichen Rechtswirkungen aus, die geeignet wären, die Beschwerdeführerin in ihren (Grund)Rechten zu verletzen. Da die Verhandlungen auf [X.] noch andauern, liegt folglich schon kein Zustimmungsgesetz vor, welches Gegenstand einer abschließenden Befassung von [X.] und Bundesrat gewesen ist.

2. Im Übrigen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den aus § 23 [X.]bs. 1 Satz 2, § 92 [X.] folgenden Substantiierungsanforderungen.

a) Eine § 23 [X.]bs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügende Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. [X.] 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen bereits Rechtsprechung des [X.]s vor, so ist der behauptete [X.] in [X.]useinandersetzung mit den vom [X.] entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>; 130, 1 <21>).

b) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt eine mögliche Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 [X.]bs. 1 [X.] inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Insbesondere soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Verfassungsidentität und ihres Wahlrechts infolge einer beabsichtigten Hoheitsrechtsübertragung rügt, setzt sie sich nicht detailliert und nachvollziehbar mit den einzelnen [X.]rtikeln der [X.] hinsichtlich möglicher konkreter innerstaatlicher Rechtswirkungen auseinander und zeigt nicht auf, dass die derzeitigen [X.] auf eine mit den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbare Hoheitsrechtsübertragung abzielen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d [X.]bs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1082/23

15.09.2023

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, IGV

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.09.2023, Az. 2 BvR 1082/23 (REWIS RS 2023, 6173)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6173

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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