Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.09.2011, Az. VII B 73/11

7. Senat | REWIS RS 2011, 3459

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Gegenstand

Kein Recht auf Einsicht in dem FG unaufgefordert vorgelegte, den Streitfall nicht betreffende Verwaltungsakten


Leitsatz

NV: Übersendet das FA dem FG auf dessen Aufforderung, die den Streitfall betreffenden Akten zu übermitteln, Akten, welche diese Voraussetzung nicht erfüllen, besteht kein diese Akten betreffendes Einsichtsrecht der übrigen Beteiligten, es sei denn, das FG behält die unaufgefordert übersandten Verwaltungsakten bei der Gerichtsakte, weil es sie als möglicherweise bedeutsam für die Entscheidung des Rechtsstreits ansieht .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem über das Vermögen eines eingetragenen Vereins (Schuldner) eröffneten Insolvenzverfahren. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) hat Steuerforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet.

2

Anträge des [X.] auf Erteilung das Steuerkonto des Schuldners betreffender Auszüge für das Jahr der Insolvenzeröffnung und das vorangegangene Jahr, auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids sowie auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 364 der Abgabenordnung ([X.]) lehnte das [X.] ab. Ein Anspruch auf Auskunftserteilung durch Überlassung eines Speicherkontoauszugs bestehe nicht. Hinsichtlich der Erteilung eines Abrechnungsbescheids sei nicht konkret dargelegt, welche Zahlungen nach Höhe und Zeitpunkt nicht zugeordnet werden könnten. Ein besonderes Akteneinsichtsrecht stehe dem Kläger nicht zu.

3

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat der Kläger beim Finanzgericht ([X.]) eine auf Überlassung von [X.], auf Erteilung von Auskunft durch Erlass eines Abrechnungsbescheids sowie auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen gerichtete Klage erhoben. Er hat zugleich Einsicht in die Steuerakten des Schuldners in seiner Kanzlei, hilfsweise beim [X.] N, beantragt. Daraufhin forderte der seinerzeit zuständige Senat des [X.] die den Streitfall betreffenden Akten vom [X.] an. Auf diese Anforderung übersandte das [X.] neben der Rechtsbehelfsakte "Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters" neun weitere den Schuldner betreffende Steuerakten, widersprach aber einer Einsichtnahme durch den Kläger, da hiermit dem Klageantrag bereits entsprochen würde.

4

Das [X.] hat dem Kläger daraufhin durch Beschluss Einsicht in die Akte "Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters" sowie in die Gerichtsakte in den Räumen des [X.] N gewährt, hat aber die beantragte Akteneinsicht in die übrigen neun Steuerakten abgelehnt. Jene Akte und die Gerichtsakte dürfe der Kläger gemäß § 78 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) einsehen, allerdings bestehe kein Anspruch auf Aktenübersendung in sein Büro. Mit der Übersendung der Akten an das von seinem Büro nur 20 km entfernte [X.] N werde seinem Interesse ausreichend Rechnung getragen. Die Gewährung der beantragten Einsichtnahme in die übrigen Steuerakten des Schuldners käme einer weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache gleich und sei deshalb abzulehnen. Sie komme darüber hinaus nicht in Betracht, weil insoweit nicht der [X.] gegeben sei. Es handele sich vielmehr um eine insolvenzrechtliche Streitigkeit, weshalb der Kläger seine Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg verfolgen müsse.

5

Mit seiner hiergegen erhobenen Beschwerde, der das [X.] nicht abgeholfen hat, macht der Kläger geltend, er begehre in der Hauptsache die Überlassung der Speicherkontoauszüge und die Erteilung eines Abrechnungsbescheids; das [X.] solle verpflichtet werden, eine Übersicht der [X.] in aufgearbeiteter Form zu erstellen und zu übersenden. Dieses Klagebegehren werde mit der Gewährung der beantragten Akteneinsicht nicht erfüllt und deshalb die Hauptsache nicht vorweggenommen. Der Anspruch auf Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 [X.]O könne auch nicht davon abhängig sein, ob das [X.] in der Hauptsache Zweifel an der [X.] habe.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das [X.] hat die Einsichtnahme in die neun den Schuldner betreffenden Steuerakten durch den Kläger im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

7

Nach § 78 Abs. 1 [X.]O können die Beteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Das Recht auf Akteneinsicht ist Ausdruck des in § 96 Abs. 2 [X.]O normierten prozessrechtlichen Grundsatzes, wonach das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden kann, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten, und dient damit der Verwirklichung des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (vgl. Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 78 Rz 1a).

8

Die dem Gericht vorgelegten Akten sind die den Streitfall betreffenden Akten, welche die beteiligte Finanzbehörde dem [X.] gemäß § 71 Abs. 2 [X.]O übermittelt, sowie ggf. weitere vom [X.] gemäß § 86 [X.]O beigezogene Akten (Gräber/[X.], a.a.[X.], § 78 Rz 3). Die den Streitfall betreffenden Akten i.S. des § 71 Abs. 2 [X.]O sind diejenigen, welche für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage erheblich und für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sein können (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 28. Februar 2007 [X.]/06, [X.], 1169, m.w.N.).

9

Danach sind die Steuerakten des Schuldners, in welche der Kläger Einsicht begehrt, nicht die den Streitfall betreffenden Akten, denn ihr Inhalt ist für die Entscheidung in der Hauptsache nicht erheblich. Für die Entscheidung des [X.], ob der Kläger gegen das [X.] einen Anspruch auf Überlassung von [X.], auf Erteilung von Auskunft durch Erlass eines Abrechnungsbescheids (ohne dass das Bestehen bzw. Nichtbestehen konkreter Zahlungsansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis geltend gemacht worden ist) oder auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 364 AO hat, ist der Inhalt der den Schuldner betreffenden Umsatzsteuer-, Körperschaftsteuer- oder Vollstreckungsakten erkennbar ohne Bedeutung. Die den Streitfall betreffende Akte i.S. des § 71 Abs. 2 [X.]O ist vielmehr nur die Akte "Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters".

Das [X.] hat dies nicht anders gesehen und hat nicht etwa die neun den Schuldner betreffenden Steuerakten für erheblich gehalten und als Grundlage für die zu treffende Entscheidung in der Hauptsache vom [X.] angefordert. Es hat mit seiner Eingangsverfügung vom … das [X.] lediglich aufgefordert, die --wie es auch der Gesetzestext ausdrückt-- den Streitfall betreffenden Akten zu übersenden. Wenn das [X.] daraufhin neben der Akte "Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters" neun weitere, den Streitfall nicht betreffende Steuerakten übersandt hat, so hat es mehr Akten als vom [X.] gefordert und andere als für die Entscheidung in der Hauptsache erforderlich übermittelt. Solche ohne gerichtliche Anforderung übermittelte Akten des [X.] könnten allenfalls dann als i.S. des § 78 Abs. 1 [X.]O vorgelegte Akten angesehen werden, wenn das [X.] die ihm unaufgefordert zugesandten Akten nachträglich als möglicherweise entscheidungserheblich ansieht und deshalb bei sich behält, wofür vorliegend allerdings nichts ersichtlich ist.

Von einem solchen Fall abgesehen hat ein Beteiligter ebenso wenig einen Anspruch nach § 78 Abs. 1 [X.]O auf Einsichtnahme in vom [X.] übermittelte Akten, die das [X.] --weil den Streitfall nicht betreffend-- nicht angefordert hat, wie er einen aus § 71 Abs. 2 [X.]O folgenden Anspruch auf Verpflichtung des [X.] zur Übersendung von Akten an das [X.] hat, die für die Entscheidung in der Hauptsache ohne Bedeutung sind (vgl. [X.] in [X.], 1169).

Die dem [X.] im vorliegenden Fall übersandten neun Steuerakten sind somit allein Gegenstand des streitigen Akteneinsichtsbegehrens, über das zu entscheiden ist, nicht aber die dem [X.] i.S. des § 78 Abs. 1 [X.]O für sein Urteil in der Hauptsache vorgelegten Akten, welche den im Klageverfahren verfolgten Anspruch des [X.] betreffen, Grundlage für die Entscheidung des [X.] über diesen Anspruch sein können und deshalb dem Kläger zur Einsichtnahme zur Verfügung stehen müssen, damit ihm --wie ausgeführt-- rechtliches Gehör gewährt wird. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem mit Beschluss des [X.] vom 13. April 2010  1 BvR 3515/08 ([X.], 862) entschiedenen Fall, in dem es um die Einsicht in vom [X.] für seine Entscheidungen herangezogene Akten ging.

Nur falls das [X.] die neun ohne Anforderung übermittelten Steuerakten weiterhin bei der Gerichtsakte behielte und damit zum Ausdruck brächte, dass es sie als für die Entscheidung im Klageverfahren möglicherweise von Bedeutung ansähe --wofür sich allerdings weder der Gerichtsakte noch den Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss etwas entnehmen lässt--, bestünde ein Einsichtsrecht des [X.] gemäß § 78 Abs. 1 [X.]O.

Auf die Bedenken des [X.], ob für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch des [X.] der [X.] gegeben ist (vgl. dazu: Senatsbeschluss vom 10. Februar 2011 [X.]/10, [X.], 992), kommt es nicht an.

Die Übersendung der Akte "Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters" und der Gerichtsakte in das Büro des [X.] hat das [X.] ermessensfehlerfrei abgelehnt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass mit der Übersendung dieser Akten an das [X.] N die Einsichtnahme in nicht zumutbarer Weise erschwert wird.

Meta

VII B 73/11

09.09.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 24. Februar 2011, Az: 6 K 440/10, Beschluss

§ 71 FGO, § 78 Abs 1 FGO, § 86 FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.09.2011, Az. VII B 73/11 (REWIS RS 2011, 3459)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3459


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VII S 36/11

Bundesfinanzhof, VII S 36/11, 29.11.2011.


Az. VII B 73/11

Bundesfinanzhof, VII B 73/11, 09.09.2011.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Akteneinsicht in Gerichtsakte und Verwaltungsakte


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1 BvR 3515/08

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