Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.07.2016, Az. 2 AZR 746/14 (B)

2. Senat | REWIS RS 2016, 7415

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Gegenstand

Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederverheiratung - Aussetzung aufgrund Vorabentscheidungsersuchens


Tenor

Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des [X.] über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die [X.] ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen. Das [X.] hat die Entscheidung des Senats vom 8. September 2011 (- 2 [X.] - [X.] 139, 144), mit welcher die Revision der [X.]n zurückgewiesen worden war, durch [X.]eschluss vom 22. Oktober 2014 (- 2 [X.]vR 661/12 - [X.] 137, 273) aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

2

II. Das Revisionsverfahren war gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom heutigen Tag ([X.] 28. Juli 2016 - 2 [X.] (A) -) auszusetzen. Die Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof ist für die Entscheidung über die Revision vorgreiflich. Zwar hat der Senat aufgrund der innerprozessualen [X.]indungswirkung analog § 563 Abs. 2 ZPO die verfassungsrechtliche [X.]eurteilung durch das [X.] in der zurückverweisenden Entscheidung vom 22. Oktober 2014 (- 2 [X.]vR 661/12 - [X.] 137, 273) zugrunde zu legen (vgl. [X.]/Schmidt-[X.]leibtreu/[X.]/[X.] [X.]G 46. Aufl. § 31 Rn. 39). Damit steht aber noch nicht fest, ob diese ggf. mangels Vereinbarkeit mit Unionsrecht unberücksichtigt bleiben muss ([X.] 28. Juli 2016 - 2 [X.] (A) - Rn. 35 ff.). Dagegen erwiese sich die Revision, unterstellt, das Unionsrecht stünde dem nationalen Verständnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht entgegen, als begründet und führte zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Die Voraussetzungen des § 563 Abs. 3 ZPO für eine eigene Sachentscheidung des Senats lägen auch unter [X.]erücksichtigung des von den Parteien im fortgesetzten Revisionsverfahren gehaltenen Vorbringens nicht vor. Es bedürfte ergänzender Feststellungen zu den nach den Vorgaben des [X.]s im [X.]eschluss vom 22. Oktober 2014 (- 2 [X.]vR 661/12 - aaO) im Rahmen der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls auf Seiten des [X.] zu beachtenden Interessen.

3

1. Der Kläger hätte gegen eine Loyalitätsanforderung verstoßen, die ihm nach dem Verständnis des [X.]s zulässigerweise auferlegt war und an die er sich freiwillig durch den Abschluss des Arbeitsvertrags mit der [X.]n gebunden hatte. Diese wöge bei ihm als iSd. § 5 Abs. 3 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (- [X.] 1993 - Amtsblatt des [X.]) leitenden Mitarbeiter nach dem zu beachtenden Selbstbestimmungsrecht der [X.] besonders schwer. Es handelte sich nicht um ein bloß einmaliges - überwundenes - Fehlverhalten, sondern die [X.] wäre bei einer Weiterbeschäftigung des [X.] voraussichtlich dauerhaft mit seinem illoyalen Verhalten, dem Leben in einer kirchlich ungültigen Ehe, konfrontiert gewesen ([X.] 22. Oktober 2014 - 2 [X.]vR 661/12 - Rn. 182, [X.] 137, 273).

4

2. Soweit der Kläger die „Vertragsgestaltung“ hinsichtlich der Geltung der in der [X.] 1993 bestimmten [X.] für unklar hält, vermöchte dies nicht zu einer abweichenden [X.]eurteilung zu führen.

5

a) Der Kläger macht nicht geltend, die Unklarheit ergebe sich schon aus der isolierten [X.]etrachtung seines Arbeitsvertrags. Dafür gibt es auch objektiv keine Anhaltspunkte.

6

b) Soweit er darauf abstellen will, die Unklarheit folge daraus, dass die [X.] vom Wortlaut her identische [X.] ebenso mit [X.] Chefärzten geschlossen, diesen aber im Falle einer Wiederheirat nicht gekündigt habe, gibt es zum konkreten Vertragswortlaut bei anderen Chefärzten bislang keine Feststellungen. Das Vorbringen des [X.] ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unschlüssig. Zum einen hat er - bis auf den Fall des schon bei seiner Einstellung durch die [X.] zum [X.] verheirateten Dr. [X.] - weder dargelegt, um die Verträge welcher Chefärzte es sich handeln soll, noch hat er behauptet, dass er den Inhalt der fraglichen Verträge bereits vor seiner Wiederverheiratung gekannt habe. Zum anderen wäre bei identischem Vertragswortlaut auch die [X.] 1993 jeweils in [X.]ezug genommen, die aber hinsichtlich der Loyalitätserwartungen gerade zwischen [X.] und nicht[X.] Mitarbeitern unterscheidet.

7

3. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wie ihn das [X.] bei der Interessenabwägung zugunsten des [X.] berücksichtigt hat, läge nicht vor, weil die [X.] nach nationalem Verfassungsverständnis an [X.] auch bei gleich gelagerter Tätigkeit weiter gehende [X.] als an Angehörige anderer Konfessionen oder konfessionslose Arbeitnehmer stellen darf. Ebenso darf sie das Leben in einer nach kirchlichem Recht ungültigen Ehe als gegenüber dem Zusammenleben in nichtehelicher [X.] schwerer wiegenden Verstoß werten ([X.] 22. Oktober 2014 - 2 [X.]vR 661/12 - Rn. 172 ff., [X.] 137, 273). Sie hätte daher ihr Kündigungsrecht auch nicht dadurch verwirkt, dass sie nicht schon das eheähnliche Zusammenleben des [X.] mit seiner künftigen zweiten Ehefrau zum Anlass für eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses genommen hat. Es sind auch keine Umstände festgestellt oder objektiv ersichtlich, aus denen sich ergäbe, dass die [X.] ihr Kündigungsrecht dadurch verwirkt hätte, dass sie die Kündigung erst im März 2009 erklärte, obwohl sie bereits im November 2008 Kenntnis von der zweiten Eheschließung des [X.] erlangt hatte. Das gilt sowohl für das Zeit- als auch für das Umstandsmoment. Die [X.] musste nicht nur das in der [X.] 1993 vorgeschriebene beratende Gespräch mit dem Kläger führen, sondern auch den Aufsichtsrat beteiligen und eine Stellungnahme des Generalvikars einholen. Angesichts der - auch für die [X.] und das Krankenhaus - weitreichenden Folgen des [X.] ist es nicht zu beanstanden, dass sie dabei umsichtig und ohne [X.]ast vorging (so bereits [X.] 8. September 2011 - 2 [X.] - Rn. 13, [X.] 139, 144).

8

4. Der Senat könnte die erforderliche [X.]ewertung der nach den Vorgaben des [X.]s bei der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu beachtenden Interessen des [X.] auf der [X.]asis der bisherigen Feststellungen nicht selbst vornehmen. Dafür bedürfte es weiterer Sachaufklärung.

9

a) Dies gilt zunächst für die vom [X.] verlangte [X.]ewertung, ob die Rechtspositionen des [X.] und seiner zweiten Ehefrau aus Art. 6 Abs. 1 GG und den Wertungen aus Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 12 [X.] in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des [X.] den Vorrang vor den Interessen der [X.]n einzuräumen ([X.] 22. Oktober 2014 - 2 [X.]vR 661/12 - Rn. 180, [X.] 137, 273).

aa) Soweit der Kläger im Personalgespräch am 25. November 2008 mitgeteilt haben soll, mit Rücksicht auf seine beiden Kinder von einer kirchlichen Annullierung der ersten Ehe abgesehen zu haben, bevor er standesamtlich die zweite Ehe geschlossen habe, ist dies nicht geeignet, besondere Interessen an seiner Wiederheirat zu begründen. Nach dem kirchlichen Selbstverständnis ist es - solange die Annullierung nicht feststeht - unerheblich, ob diese bereits beantragt war oder aus welchen Gründen zunächst nicht. Zudem ist weder vom Kläger dargelegt noch objektiv ersichtlich, dass die kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Annullierung seiner ersten Ehe gegeben gewesen wären.

bb) Dass die Schließung der zweiten Ehe nach dem Vorbringen des [X.] möglicherweise kein öffentliches Ärgernis ausgelöst hat, ist nach der hier noch maßgeblichen [X.] 1993 ebenfalls unerheblich für die kündigungsrechtliche Sanktion eines leitenden Mitarbeiters.

cc) Soweit der Kläger behauptet hat, er sei von seiner ersten Ehefrau böswillig verlassen worden, ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass dies - ggf. unter [X.]erücksichtigung weiterer Umstände - für ein besonderes Interesse am Eingehen einer zweiten Ehe sprechen könnte. Ein solcher Sachverhalt ist aber bislang vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen worden.

dd) Soweit das [X.] ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen hat, ist ebenfalls denkbar, dass sich aus dem damit in [X.]ezug genommenen Vorbringen besondere Interessen des [X.] an der zweiten Eheschließung ergeben könnten. Es fehlt aber auch insoweit bislang an Feststellungen.

(1) Der Kläger hat behauptet, seine erste Ehefrau habe sich nicht nur von ihm, sondern auch von den Kindern getrennt. Es habe für ihn auch mit Rücksicht auf seine Kinder eine moralische Verpflichtung zur Legitimierung der zweiten [X.]eziehung bestanden. Im Interesse einer intakten Familie habe der illegitime Zustand beendet werden sollen. Diesem Vortrag ist die [X.] in den Vorinstanzen entgegengetreten.

(2) Die neue Ehe habe er - der Kläger - auch geschlossen, um weitere Kinder zu bekommen. Unklar ist in diesem Zusammenhang, ob der Kläger mit seinem Vorbringen, die Mitarbeitervertretung habe die Geschäftsführer [X.] und [X.]r im April 2008 darüber informiert, dass seine Lebensgefährtin schwanger sei, behaupten will, es habe tatsächlich eine Schwangerschaft bestanden und auch dies sei ein Grund für die zweite Eheschließung gewesen. Die [X.] hat bestritten, dass es die behauptete Information gegeben habe.

b) Ebenso an ausreichenden Feststellungen fehlt es mit [X.]lick auf die nach der Entscheidung des [X.]s etwaig nach dem Gedanken des Vertrauensschutzes zugunsten des [X.] zu berücksichtigenden Umstände.

aa) Das [X.] hält im Streitfall die [X.]erücksichtigung des Gedankens des Vertrauensschutzes für möglich in [X.]ezug darauf, dass § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags in Abweichung von der [X.] 1993 unterschiedliche [X.]ewertungen hinsichtlich von Verstößen gegen kirchliche Grundsätze - Verstoß gegen das [X.] in kirchlich ungültiger Ehe einerseits und Verstoß gegen das [X.] in nichtehelicher [X.] andererseits - nicht vorsehe und die individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des [X.] ausgelöst haben könnte ([X.] 22. Oktober 2014 - 2 [X.]vR 661/12 - Rn. 181, [X.] 137, 273).

bb) Allerdings ist bislang nicht festgestellt, dass der Kläger Kenntnis davon gehabt hätte, zur Kündigung berechtigte Vertreter der [X.]n hätten von dem eheähnlichen Zusammenleben mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, dass sich bei ihm überhaupt ein schützenswertes Vertrauen dahingehend hätte bilden können, die [X.] werde einen solchen Verstoß gegen die [X.] und - wegen der gleichgeordneten Aufzählung beider Verstöße als Kündigungsgründe im Arbeitsvertrag - möglicherweise auch eine Wiederheirat nicht zum Anlass für eine Kündigung nehmen. Soweit der Kläger erstmalig im Revisionsverfahren behauptet, ihm sei bekannt gewesen, dass der Geschäftsführung der [X.]n Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass er eine nichteheähnliche Lebensgemeinschaft eingegangen sei, ist dieser Vortrag von der [X.]n ausdrücklich bestritten worden.

cc) Im Übrigen wird die vom [X.] gezogene Schlussfolgerung, die [X.] habe „seit [X.] 2006 von der nichteheähnlichen Lebensgemeinschaft mit der neuen Lebensgefährtin des [X.] Kenntnis“ gehabt, nicht vom wiedergegebenen Ergebnis der [X.]eweisaufnahme getragen. Die von der [X.]n erhobene Rüge einer Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO ist begründet. Das [X.] schließt die Kenntnis der [X.]n aus der Aussage des ehemaligen Geschäftsführers P, er sei gegen Ende seiner Dienstzeit von dem weiteren Geschäftsführer [X.] „über das Gerücht informiert worden, dass der Kläger eine neue Lebensgefährtin habe“. Diese Annahme ist denklogisch nicht nachvollziehbar. Wer ein Gerücht kennt, weiß deshalb nicht, dass die mit ihm verbreiteten Tatsachen wahr sind. Das [X.] begründet seine Schlussfolgerung auch nicht mit sonstigen Indizien. Soweit es auf die Angabe des [X.] verweist, man habe sich entschlossen gehabt, „diesen Gerüchten nachzugehen, was letztlich dann wohl doch unterblieben sei“, ergibt sich auch daraus nicht, dass die [X.] positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen eines eheähnlichen Zusammenlebens des [X.] mit seiner Lebensgefährtin gehabt hätte.

        

    Koch    

        

    [X.]erger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Wolf    

                 

Meta

2 AZR 746/14 (B)

28.07.2016

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZR

vorgehend BAG, 28. Juli 2016, Az: 2 AZR 746/14 (A), EuGH-Vorlage

§ 1 Abs 2 S 1 Alt 2 KSchG, Art 5 Abs 3 KathKiGrdO, § 148 ZPO, § 563 Abs 2 ZPO, Art 4 Abs 2 UAbs 2 EGRL 78/2000, Art 267 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.07.2016, Az. 2 AZR 746/14 (B) (REWIS RS 2016, 7415)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7415


Verfahrensgang

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Az. 2 AZR 746/14

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 746/14, 20.02.2019.


Az. 2 AZR 746/14 (B)

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 746/14 (B), 28.07.2016.


Az. 2 AZR 746/14 (A)

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 746/14 (A), 28.07.2016.


Az. 6 Ca 2377/09

Arbeitsgericht Düsseldorf, 6 Ca 2377/09, 30.07.2009.


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