Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.11.2017, Az. 5 C 15/16

5. Senat | REWIS RS 2017, 1751

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Keine Anrechnung von Pflegeversicherungsgeld auf das Pflegegeld nach § 39 SGB 8


Leitsatz

1. Pflegegeld der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 37 SGB XI (juris: SGB 11) kann nicht auf das nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII (juris: SGB 8) für die Kosten für die Pflege und Erziehung des Pflegekindes zu gewährende Pflegegeld angerechnet werden.

2. § 37 Abs. 2a SGB VIII verpflichtet den Jugendhilfeträger nicht, aus Gründen der Hilfekontinuität bei der Bemessung des Pflegegeldes gemäß § 39 SGB VIII den pauschalierten Satz des Grundbetrags für Pflege und Erziehung des zuvor zuständigen Jugendhilfeträgers zugrunde zu legen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des gemäß § 39 [X.] für Pflege und Erziehung eines Kindes zu gewährenden Pflegegeldes.

2

Die Kläger sind die personensorgeberechtigten Pflegeeltern des am 17. Mai 2005 geborenen ..., der seit dem 17. Mai 2008 bei ihnen in Vollzeitpflege lebt. ... leidet an einem fetalen Alkoholsyndrom und ist mit einem Grad von 80 % als schwerbehindert anerkannt. Seit 2009 erhält er Pflegegeld der Stufe 1 gemäß § 37 [X.], das zum Zeitpunkt des [X.] der streitigen Bescheide 235 € monatlich betrug.

3

Die bis November 2010 jugendhilferechtlich zuständige [X.] ... hatte für ... als Teil des Pflegegeldes nach § 39 [X.] den dreifachen Satz der Kosten für Pflege und Erziehung in Höhe von insgesamt 744 € bewilligt und dabei einen einfachen Satz von 248 € zugrunde gelegt. Nach Übergang der jugendhilferechtlichen Zuständigkeit auf den [X.]n gewährte dieser den Klägern zunächst Pflegegeld für die Kosten für Pflege und Erziehung gemäß § 39 [X.] befristet bis zum 29. Februar 2012 in der von der [X.] ... bewilligten Höhe weiter. Im Januar 2012 ergab eine vom [X.]n durchgeführte Bewertung des [X.] eine Punktzahl, die nach den Richtlinien des [X.]n dem dreifachen Satz für Pflege und Erziehung entsprach. Gleichwohl bewilligte der [X.] mit Bescheid vom 9. Februar 2012 für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis zum 28. Februar 2015 lediglich den zweifachen Satz der Kosten der Pflege und Erziehung. Bei der Bewertung des Mehrbedarfs seien die dem Kind gewährten Pflegeversicherungsleistungen gemäß § 37 [X.] zu berücksichtigen, was zu einer Anerkennung nur des zweifachen Satzes der Kosten für Pflege und Erziehung gemäß § 39 [X.] geführt habe. Der Bewilligung legte der [X.] seinen Richtlinien entsprechend einen einfachen Satz für Pflege und Erziehung von lediglich 227 € zugrunde. Den mit dem Ziel einer Weitergewährung des Pflegegeldes für Pflege und Erziehung in der bis Februar 2012 bewilligten Höhe erhobenen Widerspruch wies der [X.] mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2012 zurück.

4

Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage mit der Begründung abgewiesen, die Rückstufung vom dreifachen auf den zweifachen Satz wegen des Erhalts von Leistungen der Pflegeversicherung sei nicht ermessensfehlerhaft. Unter Bezugnahme auf diese Begründung hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen und ergänzend ausgeführt, gemäß § 39 Abs. 4 Satz 3 [X.] könne auch die Berücksichtigung von Bedarfslagen, die - wie hier - erhöhte Erziehungsleistungen erforderlich machten, pauschal erfasst und abgegolten werden. Es begegne keinen rechtlichen Bedenken, wenn der [X.] dabei berücksichtige, dass das Kind zugleich Pflegeversicherungsleistungen nach dem [X.] erhalte, und er deshalb das anhand des Bedarfs im Einzelfall ermittelte Pflegegeld nach § 39 [X.] pauschal um je einen Satz für jede nach dem [X.] zuerkannte Pflegestufe kürze. [X.] seien im Sozialleistungsrecht grundsätzlich ausgeschlossen, so dass eine Anrechnung vorgenommen werde dürfe. Ein Vergleich zwischen beiden Pflegegeldleistungen ergebe hier, dass jedenfalls überwiegende [X.] bestehe.

5

Mit der Revision begehren die Kläger, ihnen für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis zum 28. Februar 2015 monatlich Pflegegeld für Pflege und Erziehung ihres Pflegekindes in Höhe der bis Ende Februar 2012 gewährten 744 €. Sie machen im Wesentlichen geltend, für eine Anrechnung zweckidentischer Leistungen im Rahmen des § 39 [X.] fehle es an der dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Der Ausschluss zweckidentischer Leistungen sei ausschließlich im Rahmen des [X.] über § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] sicherzustellen. Zur Bestimmung der [X.] sei dem Zweck der jeweiligen Leistung der Zweck der konkret in Frage stehenden Sozialleistung gegenüberzustellen. Danach sei eine "überwiegende" [X.] nicht belegt. Die Beurteilung, ob eine Reduzierung des eigentlich ermittelten dreifachen Pflegesatzes nach § 39 Abs. 4 [X.] zulässig sei, stehe nicht im Ermessen des [X.]n. Sowohl die Reduzierung der Anzahl der Sätze als auch die Bemessung des Pflegegeldes nach dem niedrigeren Satz von 227 € verstießen außerdem gegen den Grundsatz der Hilfekontinuität gemäß § 37 Abs. 2a [X.].

6

Der [X.] verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

7

Der Senat kann ohne erneute mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten nach Schluss der am 26. Oktober 2017 in dieser Sache durchgeführten mündlichen Verhandlung dazu ihr Einverständnis erteilt (§ 101 Abs. 2 VwGO) und damit auf Durchführung eines erneuten Termins verzichtet haben. In einem solchen Fall bedarf es nicht der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1988 - 7 NB 3.88 - BVerwGE 81, 139 <143>).

8

Die auf die Gewährung eines Pflegegeldes gemäß § 39 Sozialgesetzbuch ([X.]) - Achtes Buch ([X.]) - Kinder- und Jugendhilfe - in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 11. September 2011 ([X.]), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 ([X.] [X.]), in Höhe von monatlich insgesamt 744 € gerichtete Revision der Kläger ist teilweise begründet. Den Klägern steht für den streitgegenständlichen Zeitraum Pflegegeld in Höhe von monatlich insgesamt 681 € zu. Das angefochtene Urteil des [X.] verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit es davon ausgeht, dass bei der Bestimmung der Höhe des Pflegegeldes für die Pflege und Erziehung eines Pflegekindes gemäß § 39 [X.] [X.] das diesem nach § 37 Sozialgesetzbuch ([X.]) - [X.] ([X.]) - Soziale Pflegeversicherung vom 26. Mai 1994 ([X.] I S. 1014) in der Fassung des [X.] ([X.] I S. 579) gewährte Pflegegeld der gesetzlichen Pflegeversicherung anzurechnen ist (1.). Dagegen haben die Kläger keinen Anspruch darauf, dass das Pflegegeld nach § 39 [X.] [X.] auf der Grundlage eines den Betrag von 227 € übersteigenden Pflegesatzes berechnet wird (2.).

9

1. [X.] vom 9. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit darin nur der zweifache Satz der Kosten für die Pflege und Erziehung ihres Pflegekindes bewilligt wird. Die Kläger haben gemäß § 39 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.] Anspruch auf Berücksichtigung des dreifachen Satzes der Kosten für Pflege und Erziehung, weil die Behinderung ihres Pflegekindes nach den für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des [X.] entsprechend der Bewertung des [X.] durch das Jugendamt des [X.]n einen in entsprechender Weise erheblich erhöhten Pflege- und Erziehungsbedarf begründet.

Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] ist der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des [X.] unter anderem dann sicherzustellen, wenn wie hier gemäß § 33 [X.] [X.] Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gewährt wird. Dieser umfasst gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 [X.] [X.] neben den Kosten für den Sachaufwand auch die Kosten für Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen. Dabei soll der gesamte wiederkehrende Bedarf durch laufende Leistungen gedeckt werden (§ 39 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.]), die unter anderem im Rahmen der Hilfe in Vollzeitpflege gemäß § 33 [X.] [X.] nach § 39 Abs. 4 bis 6 [X.] [X.] zu bemessen sind (§ 39 Abs. 2 Satz 4 [X.] [X.]).

Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass die Kläger gemäß § 39 Abs. 1 [X.] [X.] dem Grunde nach einen Anspruch auf Sicherstellung des notwendigen Unterhalts für ihr Pflegekind haben und dass die Behinderung ihres Pflegekindes einen erheblich erhöhten Pflege- und Erziehungsbedarf begründet, für den nach der Richtlinie des [X.]n grundsätzlich der dreifache Satz der Kosten für Pflege und Erziehung gewährt wird. Streitig ist insoweit nur, ob der den Klägern nach den Richtlinien des [X.]n zustehende maximale dreifache Pflegesatz unter Anrechnung des ihrem Pflegekind gewährten [X.] gemäß § 37 [X.] [X.] pauschal um einen Pflegesatz gekürzt werden kann. Dies ist nicht der Fall. Eine Anrechnung des [X.] mindert das den Kläger zustehende Pflegegeld und bedarf deshalb einer gesetzlichen Grundlage. An dieser fehlt es.

a) Entgegen der Auffassung des [X.] vermag ein etwa bestehender allgemeiner Grundsatz der Vermeidung staatlicher Doppelleistungen die Anrechnung nicht zu rechtfertigen. Ein solches Prinzip wäre nicht die dem Bestimmtheitsgebot genügende gesetzliche Grundlage für die hier in Rede stehende Minderung des Pflegegeldes. Ein allgemeines Gebot der Vermeidung staatlicher Doppelleistungen mag in einer die Anrechnung legitimierenden Norm ihren Ausdruck finden (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1980 - 5 [X.] 73.79 - BVerwGE 60, 6 <8>), verleiht für sich hingegen nicht das Recht zur Einschränkung einer Leistung.

b) Eine Rechtsgrundlage für eine Anrechnung des [X.] findet sich entgegen der Auffassung des [X.] nicht in § 39 Abs. 4 Satz 3 [X.] [X.]. Die Norm regelt nicht die Ermittlung der Höhe der zu gewährenden laufenden Leistungen, sondern mit der Verpflichtung, das Pflegegeld in einem monatlichen Pauschalbetrag zu gewähren, soweit nicht im Einzelfall abweichende Leistungen geboten sind, die Art und Weise, wie dies zu gewähren ist.

c) Eine Ermächtigung zur Anrechnung des Pflegegeldes aus der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 37 [X.] [X.] auf das Pflegegeld gemäß § 39 [X.] [X.] ergibt sich auch nicht aus § 39 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.].

Danach hat der zuständige Jugendhilfeträger zur Sicherstellung des notwendigen Unterhalts Pflegegeld in angemessenem Umfang zu gewähren. Die Bestimmung, die dem Jugendhilfeträger entgegen der Auffassung des [X.] kein Ermessen einräumt, lässt eine Anrechnung nicht zu.

aa) Der Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] bietet keine Anhaltspunkte für eine Befugnis zur Anrechnung von Leistungen. Der Begriff "notwendiger Unterhalt" wird in § 39 Abs. 1 Satz 2 [X.] [X.] definiert und umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung. Daraus folgt nach dem Wortsinn nichts für die Frage, ob und in welcher Weise anderweitige finanzielle Zuwendungen, namentlich Leistungen von dritter Seite unmittelbar an das Kind oder den Jugendlichen, bei der Bestimmung des notwendigen Unterhalts zu berücksichtigen sind. Das Gleiche gilt für das Verb "sicherstellen". Ebenso wenig sagt der Begriff "angemessener Umfang" in § 39 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 [X.] [X.], auf den die gemäß § 39 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 [X.] [X.] auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten zu gewährenden laufenden Leistungen zu beschränken sind, etwas darüber aus, ob dieser objektiv oder subjektiv unter Einbeziehung finanzieller Leistungen Dritter zu beurteilen ist.

[X.]) Sowohl aus der Binnensystematik des § 39 [X.] [X.] (1) als auch aus dessen systematischem Verhältnis zu den §§ 91 ff. [X.] [X.] (2) folgt, dass eine Anrechnung des [X.] gemäß § 37 [X.] [X.] auf das Pflegegeld gemäß § 39 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.] ausgeschlossen ist.

(1) Mit § 39 Abs. 4 Satz 4 und § 39 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] hat der Gesetzgeber für Fälle, in denen die Pflegeperson in gerader Linie mit dem Kind oder Jugendlichen verwandt und diesem gegenüber deshalb selbst unterhaltspflichtig ist oder in denen das Pflegekind im Rahmen des Familienlastenausgleichs nach § 31 des Einkommensteuergesetzes bei der Pflegeperson berücksichtigt wird, ausdrückliche [X.] bzw. Anrechnungsregelungen geschaffen. Bereits das spricht mit ganz erheblichem Gewicht dafür, dass in anderen Fällen - und so auch hier - eine Anrechnung von Leistungen Dritter bei der Bestimmung der Höhe des Pflegegeldes nach der Konzeption des Gesetzes gerade nicht erfolgen soll.

(2) Das Ergebnis der binnensystematischen Auslegung wird [X.] durch die §§ 91 ff. [X.] [X.] bestätigt, die den Jugendhilfeträger zur Erhebung eines [X.] für stationäre und teilstationäre sowie vorläufige Maßnahmen ermächtigen. Zu den Leistungen, für die ein Kostenbeitrag erhoben wird, gehört gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a i.V.m. Abs. 3 [X.] [X.] auch die Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege einschließlich der Aufwendungen für den notwendigen Unterhalt gemäß § 39 [X.] [X.]. Die Einbeziehung der Regelungen über die Kostenbeteiligung ist geboten, weil die dort geregelten Fallkonstellationen wirtschaftlich betrachtet deutliche Parallelen zu der hier streitigen Anrechnung des [X.] gemäß § 37 [X.] [X.] aufweisen. In beiden Fällen erfolgt im Zusammenhang mit einer Jugendhilfemaßnahme eine finanzielle Inanspruchnahme, durch die die Leistung - entweder durch Anrechnung oder durch Heranziehung - im Ergebnis gemindert wird.

(a) Bereits der in § 91 Abs. 5 [X.] [X.] normierte Grundsatz der erweiterten Hilfe spricht mit besonderem Gewicht dagegen, Leistungen Dritter im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung nach § 39 [X.] [X.] zu berücksichtigen. Danach tragen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für alle in § 91 Abs. 1 und 2 [X.] [X.] genannten Leistungen und vorläufigen Maßnahmen die Kosten unabhängig von der Erhebung eines [X.]. Sie haben demnach die Leistungen unabhängig davon zu gewähren, ob und in welchem Umfang Kostenbeiträge erhoben werden können oder geleistet werden. Die Beteiligung an den Kosten der Hilfemaßnahme erfolgt in der Regel nicht schon bei der Leistungsgewährung, sondern in einem davon unabhängigen Verfahren durch Heranziehung zu einem Kostenbeitrag aus dem Einkommen nach den §§ 91 ff. [X.] [X.].

(b) Gegen ein Recht zur Anrechnung spricht, dass das Pflegeversicherungsgeld nach § 37 [X.] [X.] gemäß § 93 Abs. 1 Satz 4 [X.] [X.] nicht als Einkommen des Pflegekindes zu berücksichtigen ist, aus dem dieses gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a [X.] [X.] zu Kostenbeiträgen herangezogen werden könnte. Nach § 93 Abs. 1 Satz 4 [X.] [X.] sind Kindergeld und Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Das ist hier der Fall. Das gemäß § 37 [X.] [X.], also aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften geleistete Pflegeversicherungsgeld dient, wie von § 93 Abs. 1 Satz 4 [X.] [X.] gefordert, einem ausdrücklich genannten ((aa)) anderen (([X.])) Zweck als das jugendhilferechtliche Pflegegeld.

(aa) Ein ausdrücklich genannter Zweck im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 4 [X.] [X.] erfordert nicht, dass dieser in dem jeweiligen Gesetz ausdrücklich geregelt wird. Vielmehr genügt es, wenn sich eine Zwecksetzung eindeutig dem Gesetz entnehmen lässt (BVerwG, Urteil vom 12. Mai 2011 - 5 [X.] 10.10 - BVerwGE 139, 386 Rn. 13 m.w.[X.]). So liegt es hier. Das Pflegeversicherungsgeld gemäß § 37 [X.] [X.] ist ein Surrogat für die Pflegesachleistungen durch häusliche Pflegehilfe gemäß § 36 [X.] [X.] und dient wie diese der Sicherstellung der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung. Es soll die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen stärken und ihm ermöglichen, seine Pflegehilfen selbst zu gestalten. Dabei stellt es kein Entgelt für die von der Pflegeperson oder den Pflegepersonen erbrachten Pflegeleistungen dar, sondern soll den Pflegebedürftigen in den Stand versetzen, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen und so einen Anreiz zur Erhaltung der Pflegebereitschaft zu bieten (vgl. [X.]. 12/5617, [X.]. 12/5262 S. 112).

([X.]) § 93 Abs. 1 Satz 4 [X.] [X.] verlangt über die geschriebenen Voraussetzungen hinaus, dass zwischen dem Pflegeversicherungsgeld und der Jugendhilfeleistung keine [X.] im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] [X.] besteht und das Pflegeversicherungsgeld deshalb nicht nach dieser Vorschrift einzusetzen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Mai 2011 - 5 [X.] 10.10 - BVerwGE 139, 386 Rn. 17 m.w.[X.]). Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] [X.] zählen Geldleistungen, die dem gleichen Zweck dienen wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe, nicht zum Einkommen und sind unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen. [X.] ist nicht bereits dann gegeben, wenn die Gewährung der einen Leistung Aufwendungen erspart, die sonst aus der anderen Leistung erbracht werden müssten, oder wenn mit den beiden zu vergleichenden Leistungen faktisch der gleiche Bedarf abgedeckt wird. Maßgeblich ist vielmehr, dass mit der Gewährung der Leistungen dasselbe Ziel erreicht werden soll. Ob dies der Fall ist, kann sich jeweils nur aus den [X.] selbst ergeben, sei es, dass der [X.] ausdrücklich genannt wird, sei es, dass er aus den gesetzlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung erschlossen werden kann (BVerwG, Urteil vom 11. März 1993 - 3 [X.] 18.90 - [X.] 436.0 § 43 [X.] Nr. 6 S. 3).

Das Pflegeversicherungsgeld gemäß § 37 [X.] [X.] dient einem anderen Zweck als das Pflegegeld gemäß § 39 [X.] [X.]. Mit den Kosten der Pflege und Erziehung wird die Vergütung der entsprechenden Leistung der Pflegeperson als Teil des gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] außerhalb des [X.] [X.] notwendigen Unterhalts erfasst. Die Einbeziehung der Kosten der Pflege und Erziehung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass sich die Eltern im Falle der Unterbringung in einer Pflegefamilie zur Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben dritter Personen bedienen, die weder eine Erziehungs- noch eine Unterhaltspflicht trifft. Sie sollen die tatsächlichen Unterhaltsleistungen von Eltern a[X.]ilden und das Kind in die Lage versetzen, Personen zu finden, die bereit sind, anstelle der Eltern Erziehungsaufgaben zu übernehmen ([X.]. 11/5948 S. 75 f.). Mit dem dafür nach § 39 Abs. 4 Satz 3 [X.] [X.] zu gewährenden Pauschalbetrag sollen die laufenden "Kosten der Erziehung" im Sinne eines "Marktpreises der Erziehung" zusammengefasst werden (BVerwG, Beschluss vom 26. März 1999 - 5 [X.] - [X.] 436.511 § 39 [X.]/[X.] [X.] Nr. 1). Dagegen dient das Pflegeversicherungsgeld gemäß § 37 [X.] [X.] - wie dargelegt - der Sicherstellung der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, stellt aber gerade kein Entgelt für Pflegeleistungen dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 1991 - 5 [X.] 8.87 - BVerwGE 88, 86 <90 f.>).

cc) Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte des § 39 [X.] [X.] stehen einer Auslegung nicht entgegen, nach der das Pflegeversicherungsgeld gemäß § 37 [X.] [X.] bei der Bemessung der Höhe des notwendigen Unterhalts im Sinne des § 39 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.] nicht anzurechnen ist. Mit § 39 [X.] [X.] wollte der Gesetzgeber eine gegenüber dem Sozialhilferecht eigenständige Regelung des notwendigen Unterhalts schaffen und Bemessung und Umfang der wirtschaftlichen Jugendhilfe als ergänzende Leistung zu Hilfen, die außerhalb des [X.] gewährt werden, bereichsspezifisch regeln. Mit dem [X.] soll in diesen Fällen auch der notwendige Unterhalt des Minderjährigen einschließlich des für die Jugendhilfe spezifischen Bedarfs für Pflege und Erziehung sichergestellt werden. Die Regelung dient der Wahrung der Einheit der Hilfe in der Zuständigkeit des [X.] und soll vermeiden, dass sich der Leistungsberechtigte zur Deckung des Lebensunterhalts an das Sozialamt wenden muss. Sie trägt außerdem der seit langem bestehenden Praxis bei der Kostensatzgestaltung insbesondere in Heimen Rechnung, die keine Aufteilung in pädagogische, betreuende sowie therapeutische Leistungen und Leistungen zum Unterhalt kennt ([X.]. 11/5948 S. 75).

2. [X.] vom 9. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2012 ist dagegen nicht zu beanstanden, soweit der [X.] bei der Bemessung des Pflegegeldes einen einfachen Kostensatz in Höhe von 227 € zugrunde legt. Der [X.] war nicht nach § 37 Abs. 2a [X.] [X.] verpflichtet, insoweit den Satz für Pflege und Erziehung der bis November 2010 zuständig gewesenen Hansestadt ... in Höhe von 248 € als Grundbetrag zugrunde zu legen.

§ 37 Abs. 2a [X.] [X.] ist durch Art. 2 Nr. 9 Buchst. b des Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen ([X.] - [X.]) vom 22. Dezember 2011 ([X.] [X.]) in das [X.] [X.] eingefügt worden und am 1. Januar 2012 in [X.] getreten (Art. 6 [X.]). Nach § 37 Abs. 2a Satz 1 und 2 [X.] [X.] ist bei der hier streitgegenständlichen Hilfe nach § 33 [X.] [X.] unter anderem die Höhe der laufenden Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen im Hilfeplan zu dokumentieren. Von dieser Feststellung ist gemäß § 37 Abs. 2a Satz 3 [X.] [X.] eine Abweichung nur bei einer Änderung des Hilfebedarfs und einer entsprechenden Änderung des [X.] zulässig. Die Regelung soll im Interesse der Hilfekontinuität in [X.] sicherstellen, dass Änderungen im Leistungsinhalt nicht allein durch den [X.] legitimiert werden (vgl. [X.]. 17/6256 S. 23). Sie steht der Berechnung des Pflegegeldes durch den [X.]n jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil aus ihr nicht folgt, dass nach einem [X.] der zuständig gewordene Jugendhilfeträger bei der Bemessung des Pflegegeldes nach § 39 [X.] [X.] an die Höhe des pauschalierten Satzes des Grundbetrages für Pflege und Erziehung des zuvor zuständigen Jugendhilfeträgers gebunden ist.

Das ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang von § 37 Abs. 2a Satz 3 [X.] [X.] und § 39 Abs. 4 Satz 5 [X.] [X.]. Danach soll sich die Höhe des [X.] in Fällen, in denen ein Kind oder Jugendlicher im Bereich eines anderen [X.] untergebracht wird, nach den Verhältnissen richten, die am Ort der Pflegestelle gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass sich die Höhe des [X.] im Hinblick auf mitunter unterschiedliche lokale Lebensverhältnisse nach dem am Ort der Leistungserbringung entstehenden Bedarf bemisst, der höher oder niedriger sein kann als im Bereich des zuständigen Jugendamtes. Dieser Aspekt der bedarfsgerechten Leistungshöhe gilt gleichermaßen auch im Falle eines Wechsels des zuständigen Jugendhilfeträgers. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, dass mit § 37 Abs. 2a [X.] [X.] im Fall eines Wechsels der örtlichen Zuständigkeit der in einem Hilfeplan des zuvor zuständigen Trägers festgelegte Satz für Pflege und Erziehung seiner Höhe nach (und sei es auch nur vorübergehend bis zu einer Änderung des [X.]) "eingefroren" werden soll (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], FK-[X.] [X.], 7. Aufl. 2013, § 39 Rn. 22). Hierdurch würde der Gedanke bedarfsgerechter Hilfe sowohl im Falle höherer als auch niedrigerer Pauschalbeträge am Ort der Pflegestelle durchbrochen. Wie der [X.] in seiner Revisionserwiderung unwidersprochen zum Ausdruck gebracht hat (S. 4), orientiert sich der von ihm angenommene Pauschalbetrag in Höhe von 227 € an seinen Richtlinien und damit an den örtlichen Verhältnissen in seinem Zuständigkeitsbereich.

3. [X.] beruht auf § 155 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Meta

5 C 15/16

24.11.2017

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 28. Mai 2015, Az: 3 LB 14/14, Urteil

§ 37 SGB 11, § 37 Abs 2a SGB 8 vom 22.12.2011, § 39 Abs 1 S 2 SGB 8 vom 22.12.2011, § 39 Abs 4 S 3 SGB 8 vom 22.12.2011, § 91 SGB 8 vom 22.12.2011, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.11.2017, Az. 5 C 15/16 (REWIS RS 2017, 1751)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1751

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 191/19 (Bundesgerichtshof)

Verfahrenskostenhilfe: Den Pflegeeltern zufließender Erziehungsbeitrag als Einkommen


5 C 4/21 (Bundesverwaltungsgericht)

Erstattung der Kosten für die Förderung in einer Kindertagesstätte über die vom Jugendhilfeträger gewährten Unterhaltspauschalen …


2 WF 109/18 (Oberlandesgericht Hamm)


VIII R 27/11 (Bundesfinanzhof)

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 5. November 2014 VIII R 29/11 -Steuerfreie Einnahmen aus …


VIII R 9/12 (Bundesfinanzhof)

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 5. November 2014 VIII R 29/11 - Steuerfreie Einnahmen …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.