Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.03.2019, Az. 4 BN 28/18

4. Senat | REWIS RS 2019, 8845

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Gegenstand

Änderung eines Bebauungsplans im beschleunigten Verfahren


Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die [X.]eschwerde beimisst (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

3

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

4

Die [X.]eschwerde formuliert als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige Frage,

ob eine Teilaufhebung eines bereits bestehenden [X.]ebauungsplans im Wege des beschleunigten Verfahrens nach § 13a [X.]auG[X.] zulässig ist.

5

Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren allenfalls dann stellen, wenn sich die Antragsgegnerin auf die Aufhebung des [X.]ebauungsplans "[X.] (beiderseits [X.])" im [X.]ereich des Grundstücks der [X.]eigeladenen im beschleunigten Verfahren beschränkt hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach den für den [X.] bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat die Antragsgegnerin den genannten [X.]ereich mit dem angefochtenen vorhabenbezogenen [X.]ebauungsplan neu überplant. Wie der [X.] bereits entschieden hat ([X.], Urteil vom 10. August 1990 - 4 C 3.90 - [X.]E 85, 289 <292>), verliert ein alter [X.]ebauungsplan seine frühere rechtliche Wirkung, wenn eine Gemeinde diese [X.]auleitplanung ändert, insbesondere einen [X.]ebauungsplan durch einen neuen ersetzt. Das folgt über § 10 [X.]auG[X.] aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtssatz, dass die spätere Norm die frühere verdrängt (s. auch [X.], [X.]eschlüsse vom 19. April 2010 - 4 VR 2.09 - juris Rn. 2 und vom 1. Juli 2010 - 4 CN 2.09 - juris Rn. 3). Eines ausdrücklichen Aufhebungsbeschlusses bedarf es nicht. Wird ein solcher gleichwohl gefasst, kommt ihm rechtliche Wirkung nur dann zu, wenn die Gemeinde hierdurch vermeiden möchte, dass im Falle der Unwirksamkeit der späteren Norm die frühere Norm unverändert fort gilt (vgl. zusammenfassend [X.], [X.]eschluss vom 16. Mai 2017 - 4 [X.] - [X.] 2017, 682 Rn. 4); andernfalls wirkt der Aufhebungsbeschluss nur deklaratorisch. Der Verwaltungsgerichtshof ist - auch mit [X.]lick auf das beschleunigte Verfahren - von einer rechtswirksamen Überplanung ausgegangen. [X.] sind nicht vorgetragen. Die aufgeworfene Frage stellt sich deshalb nicht.

6

2. Die geltend gemachte Abweichung von den [X.]eschlüssen des [X.]s vom 11. Mai 1999 - 4 [X.] 15.99 - ([X.] 406.12 § 1 [X.] Nr. 27) und vom 30. Dezember 2009 - 4 [X.] 13.09 - ([X.]auR 2010, 569) liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat diese [X.]eschlüsse seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde gelegt ([X.]). Soweit die [X.]eschwerde beanstandet, das Normenkontrollgericht habe in den Urteilsgründen diese Maßstäbe jedoch verkürzt und unvollständig und im Ergebnis damit gerade abweichend wiedergegeben, macht sie der Sache nach eine unterbliebene oder fehlerhafte Rechtsanwendung geltend, die nicht auf eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Rechtssatzdivergenz führt ([X.], [X.]eschluss vom 27. Dezember 2017 - 2 [X.] 18.17 - NVwZ-RR 2018, 439 = juris Rn. 16).

8

3. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Anspruch der Antragsteller auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht verletzt.

9

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet jedem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Das Gericht darf bei seiner Entscheidung nur solche Teile des [X.] berücksichtigen, zu denen sich die [X.]eteiligten äußern konnten. Dies setzt deren Kenntnis vom [X.] voraus. Darüber hinaus darf das Gericht seine Entscheidung nicht ohne einen vorherigen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein sorgfältiger Verfahrensbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa [X.], Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 34 sowie [X.]eschlüsse vom 5. Juni 2014 - 5 [X.] 75.13 - juris Rn. 12 und vom 8. Juli 2016 - 2 [X.] 64.15 - juris Rn. 19, jeweils m.w.N.). Gemessen daran ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht dargelegt.

aa) Soweit die Antragsteller vortragen, dass weder das im Urteil in [X.]ezug genommene, mehrere hundert Seiten umfassende "Handlungsprogramm Wohnen" der Antragsgegnerin noch die "Wohnungsbedarfsprognose für das Jahr 2030" in den Verfahrensakten enthalten oder in der mündlichen Verhandlung verlesen worden seien und sie daher keine Möglichkeit gehabt hätten, sich hierzu zu äußern, führt dies auf keinen Gehörsverstoß. Das "Handlungsprogramm Wohnen", zu welchem auch die Wohnungsbedarfsprognose 2030 gehört, wurde von den Antragstellern selbst in das Verfahren eingeführt (vgl. Schriftsatz vom 20. Oktober 2016, [X.] sowie Anlage [X.] "Vorhabenbezogener [X.]ebauungsplan '[X.], 5. Änderung'"; Schriftsatz vom 26. März 2018, [X.]). Es nahm zudem in den Erwiderungen der Antragsgegnerin breiten Raum ein und wurde von dieser auszugsweise vorgelegt (Anlage AG 1 zum Schriftsatz vom 14. Dezember 2016). Das "Handlungsprogramm Wohnen" war damit Gegenstand des Normenkontrollverfahrens. Einer gesonderten Einbeziehung oder Verlesung durch den Verwaltungsgerichtshof bedurfte es nicht.

bb) Die weitere Rüge, die [X.]erechnung der [X.]ruttowohnfläche durch den Verwaltungsgerichtshof im angefochtenen Urteil sei im Vergleich zu den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung überraschend, ist unsubstantiiert. Es fehlt an jeglicher Darlegung zu den diesbezüglichen Inhalten der mündlichen Verhandlung und der behaupteten Abweichung im angefochtenen Urteil.

b) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt ferner, dass ein Gericht den Vortrag der [X.]eteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Daraus folgt jedoch nicht die Pflicht des Gerichts, jedes Vorbringen der [X.]eteiligten zu bescheiden (stRspr, z.[X.]. [X.], [X.]eschluss vom 5. August 1998 - 11 [X.] 23.98 - juris Rn. 9 unter [X.]ezugnahme auf [X.]VerfG, [X.]eschlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 [X.]vR 986/91 - [X.]VerfGE 86, 133 <145 f.> und vom 17. November 1992 - 1 [X.]vR 168, 1509/89 und 638, 639/90 - [X.]VerfGE 87, 363 <392 f.>). Allein aus dem Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des [X.] kann deshalb noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann vielmehr nur festgestellt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt (stRspr, z.[X.]. [X.], [X.]eschlüsse vom 5. Februar 1999 - 9 [X.] 797.98 - [X.] 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 und vom 10. Januar 2017 - 4 [X.] 18.16 - juris § 215 [X.]auG[X.] Nr. 19>). [X.]eurteilungsgrundlage ist dabei ausschließlich der materiell-rechtliche Standpunkt des vorinstanzlichen Gerichts, auch wenn dieser Standpunkt rechtlich verfehlt sein sollte ([X.], [X.]eschluss vom 19. August 1998 - 2 [X.] 6.98 - juris). Gemessen hieran hat der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch der Antragsteller auf rechtliches Gehör auch unter diesem Gesichtspunkt nicht verletzt.

Der Vortrag der Antragsteller, dass die Antragsgegnerin das Interesse der [X.]eigeladenen im Rahmen der Abwägung überproportional berücksichtigt habe, ist im Tatbestand des angegriffenen Urteils ([X.]) ausdrücklich erwähnt. Der Verwaltungsgerichtshof ist auf diesen Einwand auch im Rahmen der Prüfung der Wirksamkeit des angefochtenen [X.]ebauungsplans eingegangen. Unter ausführlicher Darlegung der Zielsetzungen hat er im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.]auG[X.] festgestellt, es könne keine Rede davon sein, dass der angefochtene [X.]ebauungsplan ausschließlich dazu diene, private Interessen zu befriedigen. Diesen Gedanken greift das Urteil im Rahmen der Abwägungsvorgangskontrolle wieder auf und führt aus, es könne keine Rede davon sein, dass das Planungsziel der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums und der Förderung preisgedämpften [X.] durch den angegriffenen [X.]ebauungsplan nicht erreicht werden könne. Der Verwaltungsgerichtshof stellt schließlich fest, das geplante Gebäude der [X.]eigeladenen besitze zwar eine erhebliche [X.]aumasse, die die des Gebäudes der Antragsteller weit überschreite. Das für einen innerstädtischen [X.]ereich nicht ungewöhnlich große Gebäude der [X.]eigeladenen sprenge jedoch nicht den Rahmen der Umgebungsbebauung. Im Ergebnis ist der Verwaltungsgerichtshof somit davon ausgegangen, dass das Interesse der [X.]eigeladenen aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an der Planung nicht übergewichtet worden sei. Er hat damit den gegenteiligen Vortrag der Antragsteller hinlänglich bedient.

Der weitere Einwand, das Normenkontrollgericht habe das Vorbringen zu § 9 Abs. 1 Nr. 7 und 8 [X.]auG[X.], die keine Ermächtigungsgrundlage darstellten, um unabhängig vom städtebaulichen [X.]odenrecht Investitionsförderung für private [X.]auträger via Verdreifachung der zulässigen [X.]ruttowohngeschossfläche zu betreiben, übergangen, ist unsubstantiiert. Es ist nicht dargelegt, inwiefern es hierauf für die angefochtene Entscheidung ankommen soll, denn gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 [X.]auG[X.] ist die Gemeinde bei der [X.]estimmung, welches Vorhaben zulässig ist, nicht an die Festsetzungen nach § 9 [X.]auG[X.] und der nach § 9a [X.]auG[X.] erlassenen [X.]aunutzungsverordnung gebunden. Ein wesentlicher Unterschied zum qualifizierten [X.]ebauungsplan liegt deshalb gerade in der gestalterischen [X.]reite des vorhabenbezogenen [X.]ebauungsplans (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 6. März 2018 - 4 [X.] 13.17 - [X.] 2018, 376 Rn. 31).

Unsubstantiiert ist schließlich auch die Rüge, im Urteil werde nicht auf §§ 5, 10, 19 [X.] eingegangen. Es fehlt jede Darlegung zu der aus der materiell-rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichtshofs zu beurteilenden Entscheidungserheblichkeit dieser Normen.

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 BN 28/18

27.03.2019

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 25. April 2018, Az: 3 S 1607/16, Urteil

§ 13a BauGB, § 10 BauGB, § 12 Abs 3 S 2 BauGB, § 9 BauGB, BauNVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.03.2019, Az. 4 BN 28/18 (REWIS RS 2019, 8845)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8845

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