Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.04.2009, Az. V ZR 177/08

V. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 4137

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[X.]BESCHLUSS [X.] 177/08 vom 2. April 2009 in dem Rechtsstreit
- 2 -Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 2. April 2009 durch den [X.] [X.] Dr. [X.], [X.] [X.], die Richterin Dr. [X.] und [X.] Czub und Dr. [X.] beschlossen: Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 11. Juli 2008 auf-gehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulas-sungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 102.936,23 •. Gründe: [X.] Die Kläger erwarben im Mai 1998 eine vermietete Eigentumswohnung von der [X.]n und traten zugleich in einen von dieser abgeschlossenen Generalübernehmervertrag über die Durchführung von Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten ein. Der Kaufpreis für die Wohnung betrug 118.440 DM, der von den Klägern zu übernehmende Werklohnanteil 46.060 DM. 1 Dem Vertragsabschluss vorausgegangen waren Beratungsgespräche, bei denen den Klägern anhand einer Beispielsrechnung unter Berücksichtigung 2
- 3 -von Mieteinnahmen, Darlehenskosten und Steuervorteilen ihr monatlicher [X.] erläutert worden war. Die Kläger, die sich falsch beraten fühlen, verlangen die Rückabwicklung des Kaufvertrages sowie die Feststellung, dass die [X.] zum Ausgleich auch des weiteren aus dem Erwerb der Eigentumswohnung folgenden [X.] verpflichtet ist. 3 In erster Instanz haben die Kläger ferner vorgetragen: 4 "Der Kaufpreis war auch bereits im Zeitpunkt des Verkaufs an die Kläger sittenwidrig überhöht. Legt man ein Ertragswertverfahren zugrunde, so kommt man unter Berücksichtigung eines realisti-schen Vervielfältigers von 14 nach der [X.] und unter Zugrundelegung des seinerzeitigen Mietzinses von DM 5,50 pro m² auf einen Wert von 60.600,00 und stellt man die-sen Wert dem vereinbarten Kaufpreis [X.] Werklohnanteil von insgesamt DM 164.500 gegenüber, dann kommt man zu einer 100 %igen Überhöhung des Verkaufspreises. Beweis: wie vor [Sachverständigengutachten] Bei einem auffälligen Missverhältnis von mehr als 100 %, wie hier, werden die subjektiven Merkmale des § 138 BGB vermutet (vgl. [X.], 597; 1984, 874 f.; NJW-RR 1991, 589; [X.], [X.], 08.11.1991; [X.] 11.U.122/01; [X.] Ol-denburg 15.U.15/02, 17.06.2002)." Das [X.] hat der Klage wegen Verletzung der aus einem Bera-tungsvertrag folgenden Pflichten überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der [X.]n hat das [X.] sie insgesamt abgewiesen und die Revi-sion nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Kläger. 5
- 4 -I[X.] Das Berufungsgericht, das Beratungsfehler für nicht gegeben hält, meint, den Klägern stehe auch kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ge-mäß § 812 BGB zu. Sie hätten sich erstmals in zweiter Instanz unter Vorlage eines Sachverständigengutachtens darauf berufen, dass der Kaufvertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei. Dieser Vortrag sei nach § 531 Abs. 2 ZPO ausge-schlossen. Es handele sich dabei nicht lediglich um die weitere Substantiierung einer bereits erstinstanzlich aufgestellten schlüssigen Behauptung. Der erstin-stanzliche Vortrag der Kläger zum Wert der Wohnung sei vielmehr gänzlich [X.] gewesen. Zur Darlegung einer sittenwidrigen Kaufpreisüberhöhung gehöre zudem die Behauptung, dass die subjektive Tatbestandsseite erfüllt sei; eine solche sei in erster Instanz nicht aufgestellt worden. 6 II[X.] Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht die Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO, nach der neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz grundsätzlich ausgeschlossen sind, offenkundig unrichtig angewendet und damit den [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ver-letzt hat. 7 Präklusionsvorschriften haben wegen ihrer das rechtliche Gehör be-schränkenden Wirkung Ausnahmecharakter (vgl. [X.] 75, 302, 312). Die Auslegung und Anwendung solcher Vorschriften unterliegt deshalb in verfas-sungsrechtlicher Hinsicht einer strengeren Kontrolle, als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht. Art. 103 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn die Anwendung einer Präklusionsvorschrift offenkundig un-8
- 5 -richtig ist (vgl. [X.] NJW 2001, 1565 m.w.[X.] sowie [X.], [X.]. v. 23. Mai 2007, [X.], NJW-RR 2007, 1253). So liegt es hier. 1. Das Berufungsgericht geht im Ausgangspunkt zwar zutreffend davon aus, dass Vorbringen einer [X.] neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO ist, wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert, nicht jedoch, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich kon-kretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird ([X.], Urt. v. 21. Dezember 2006, [X.], [X.], 1531, 1532 m.w.[X.]). Seine Annahme, das zweit-instanzliche Vorbringen der Kläger zu einer sittenwidrigen Kaufpreisüberhöhung sei neuer Vortrag im Sinne des § 531 Abs. 1 ZPO, ist hingegen offenkundig un-richtig. Die Kläger haben die Voraussetzungen eines wucherähnlichen Rechts-geschäfts im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO schon in erster Instanz schlüssig [X.]. 9 a) Mit der erstinstanzlich aufgestellten Behauptung, die Wohnung sei im Zeitpunkt des Verkaufs nur 60.600 DM wert gewesen, haben die Kläger die ob-jektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB dargetan. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist ein Vortrag schlüssig und [X.] substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit ei-nem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen (vgl. Senat, [X.]. v. 12. Juni 2008, [X.], [X.], 2068 Rdn. 6 m.w.[X.]). Dies trifft auf die genannte Behauptung der Kläger zu. War die von ihnen [X.] Wohnung im Zeitpunkt des Erwerbs nur 60.600 DM wert, bestand ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, welches bei Hinzutreten einer verwerflichen Gesinnung des Begünstigten einen Verstoß ge-gen die guten Sitten begründet (Senat, [X.]Z 146, 298, 301 f.; Urt. v. 5. Okto-ber 2001, [X.] 237/00, NJW 2002, 429, 430). 10
- 6 -Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mussten die Kläger nicht näher begründen, wie sich der behauptete Verkehrswert von 60.600 DM errechnete. Eine [X.] darf nämlich Tatsachen behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich hält. Kommt es auf den Verkehrswert einer Sache an, ist es deshalb grundsätz-lich ausreichend, wenn die darlegungspflichtige [X.] einen bestimmten Wert behauptet und durch Sachverständigengutachten unter Beweis stellt (vgl. [X.], Senat, Urt. v. 5. Oktober 2001, [X.] 237/00, NJW 2001, 429, 431, [X.]; Urt. v. 13. Dezember 2002, [X.] 359/01, NJW-RR 2003, 491 f., [X.]). [X.] ist eine solche Behauptung nur dann, wenn sie ohne greifbare Anhalts-punkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich aufs Gera-tewohl, gleichsam "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist; bei der Annahme eines solch rechtmissbräuchlichen Verhaltens ist allerdings Zurückhaltung ge-boten (Senat, Urt. v. 13. Dezember 2002, [X.] 359/01, aaO, S. 491; [X.]. v. 12. Juni 2008, [X.], [X.], 2068, 2069). 11 Die Kläger waren auch nicht deshalb gehalten, den behaupteten [X.] der Wohnung näher zu begründen, weil die [X.] ihn bestritten hat. Der Grundsatz, dass sich der Umfang der Darlegungslast nach der [X.] richtet, besagt lediglich, dass der Tatsachenvortrag der dar-legungspflichtigen [X.] der Ergänzung bedarf, sofern er infolge dieser [X.] wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des Rechts oder der geltend gemachten Einwendung zulässt (vgl. Senat, [X.]. v. 12. Juni 2008, [X.], aaO, m.w.[X.]). Die Angabe näherer Einzelheiten ist dage-gen nicht erforderlich, wenn sie für die Rechtsfolge ohne Bedeutung sind. [X.] gilt für Details, die die Plausibilität der Behauptung belegen sollen, denn der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Sachverhaltsschilderung ist für den Umfang der Darlegungslast ohne Bedeutung (Senat, Urt. v. 5. Oktober 2001, [X.] 237/00, aaO). 12
- 7 -Da die Kläger mit der Behauptung eines Verkehrswerts der Wohnung im Zeitpunkt des Verkaufs von 60.600 DM und der Gegenüberstellung mit dem Kaufpreis von 164.500 DM ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Ge-genleistung schlüssig dargelegt haben, kommt es nicht darauf an, ob die von ihnen hinzugefügten, an sich nicht erforderlichen Erläuterungen zur Berechnung des Verkehrswerts richtig sind. Sie lassen auch nicht etwa den Schluss zu, der Betrag von 60.600 DM sei rechtsmissbräuchlich "ins Blaue hinein" genannt worden. Zwar dürfte der Mietzins von 5,50 DM/m², den die Kläger für die über-schlägige Ertragswertberechnung gewählt haben, angesichts einer von der [X.] garantierten Nettomiete von 7 DM/m² zu niedrig angesetzt sein. Ein auf-fälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ergibt sich [X.] auch auf der Grundlage einer Nettomiete von 7 DM/m². Die 14-fache [X.] beläuft sich dann auf 77.380,80 DM; auch ein hieran orientierter Verkehrswert läge mithin noch unter der Hälfte des Kaufpreises. Ob sich der Verkehrswert der Wohnung tatsächlich auf diese Weise berechnen lässt, ist dabei unerheblich. Maßgeblich ist allein, dass keine Anhaltspunkte für eine [X.] tatsächlichen Grundlage entbehrende und damit rechtmissbräuchlich auf-gestellte Behauptung der Kläger erkennbar sind. 13 b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger in erster Instanz auch ihrer Darlegungslast hinsichtlich der subjektiven Vorausset-zungen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB genügt. Sie haben nämlich - zutreffend - darauf hingewiesen, dass die zur Begründung der Sittenwidrigkeit erforderliche verwerfliche Gesinnung des [X.] vermutet wird, wenn ein besonders grobes Missverhältnis vorliegt (vgl. Senat, Urt. v. 8. November 1991, [X.], NJW 1992, 899, 900; Urt. v. 29. Juni 2007, [X.] 1/06, [X.], 2841 f., Rdn. 16 ff. m.w.[X.]). Da dies bei [X.] bereits dann anzunehmen ist, wenn der Wert der Leis-tung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (Senat, Urt. v. 14
- 8 -8. November 1991, [X.], aaO; Urt. v. 29. Juni 2007, [X.] 1/06, aaO) und die Kläger ein solches grobes Missverhältnis behaupten, konnten sie sich zur Darlegung des subjektiven Tatbestandes auf die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung der [X.]n stützen. 2. Auf die von dem Berufungsgericht erörterten Ausnahmen zu § 531 Abs. 2 ZPO kommt es nicht an. Da die Kläger die Voraussetzungen eines [X.] Rechtsgeschäfts im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB bereits in erster Instanz schlüssig vorgetragen haben, war weiterer Vortrag hierzu in der [X.] weder erforderlich noch neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO. 15 3. Die fehlerhafte Anwendung von § 531 Abs. 2 ZPO ist entscheidungs-erheblich. Sollte sich der Kaufvertrag als sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB erweisen, können die Kläger die erstrebte Rückabwicklung des Vertrages nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen (vgl. Senat, [X.]Z 146, 298, 306). Zugleich kommt unter dem Gesichtspunkt des [X.] zum Abschluss eines nichtigen Rechtsgeschäfts ein auf Ersatz des negativen Interesses gerichteter Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss in Betracht (vgl. [X.]Z 99, 101 sowie Senat, [X.]Z 160, 8, 10 f.; 146, 298, 303), der dem Feststellungsantrag ganz oder teilweise zum Erfolg verhelfen kann. 16 Das angefochtene Urteil kann daher insgesamt keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist mangels Feststellungen zu der behaupteten sittenwidrigen Kaufpreisüberhöhung nicht zur Endentscheidung reif und daher 17
- 9 -gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. [X.] [X.] [X.] Ri[X.] [X.] ist wegen [X.] Urlaubs verhindert zu unter- schreiben. [X.] Vorinstanzen: LG [X.], Entscheidung vom 05.07.2006 - 23 O 718/04 - KG [X.], Entscheidung vom 11.07.2008 - 4 U 199/06 -

Meta

V ZR 177/08

02.04.2009

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.04.2009, Az. V ZR 177/08 (REWIS RS 2009, 4137)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 4137

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