Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2004, Az. VI ZR 196/03

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 78

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] ZR 196/03 Verkündet am: 21. Dezember 2004 [X.] als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

BGB § 823 Aa

Die mit der Geburt eines durch eine Erkrankung der Mutter an Röteln schwer [X.] Kindes verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, sind nicht allein des-halb Gegenstand des jeweiligen Behandlungsvertrages mit dem Hausarzt oder des-sen niedergelassenem Urlaubsvertreter, weil die Mutter diese Ärzte zur Abklärung und Behandlung eines [X.] aufgesucht und im Laufe der Behandlung ihre Schwangerschaft erwähnt hatte.

[X.], Urteil vom 21. Dezember 2004 Π[X.] ZR 196/03 ΠKG Berlin
LG Berlin

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Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Dezember 2004 durch die Vorsitzende Richterin [X.], den Richter [X.], die Richterin [X.] und [X.] und Zoll für Recht erkannt: Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 2. Juni 2003 auf-gehoben und das Urteil des [X.] vom 19. Juli 2001 im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist. Die Klage der Klägerin zu 2 wird abgewiesen. Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten, sowie den Kosten der Streithelfer in der ersten Instanz tragen der Kläger zu 1 91% und die Klägerin zu 2 9%.

Von den Gerichtskosten der zweiten Instanz tragen der Kläger zu 1 67% und die Klägerin zu 2 33%. Von den außergerichtlichen Kosten beider Beklagten sowie den Kosten der Streithelfer in der zweiten Instanz tragen der Kläger zu 1 54% und die Klägerin zu 2 46%. Die Gerichtskosten der Revisionsinstanz sowie die außergerichtli-chen Kosten beider Beklagten und der Streithelfer in der [X.] trägt die Klägerin zu 2. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst. Von Rechts wegen - 5 -

Tatbestand: Die Klägerin zu 2 (im weiteren: die Klägerin) verlangt von den Beklagten Ersatz von [X.] für ihren [X.], den Kläger zu 1 (im weite-ren: der Kläger). Der inzwischen verstorbene frühere Beklagte zu 1 (im weiteren: der [X.]), dessen alleinige Erbin die jetzige Beklagte zu 1 ist, war der langjährige Hausarzt der Klägerin. Die Beklagte zu 2 (im weiteren: die Beklagte) nahm in der [X.] vom 24. Juli 1996 bis zum 2. August 1996 seine Urlaubsvertretung wahr. Am 24. Juli 1996 begab sich die Klägerin wegen eines deutlichen Haut-ausschlags in die Praxis der Beklagten. Diese diagnostizierte eine allergische Reaktion auf ein Medikament, das der Klägerin von ihrem Orthopäden verord-net worden war, und verschrieb der Klägerin das Medikament Z.. Da das [X.] sich nicht besserte, stellte die Beklagte die Medikation zwei Tage später um. Bei einer erneuten Vorstellung am 1. August 1996 war wiederum keine Besserung festzustellen. An diesem Tag teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß möglicherweise eine Schwangerschaft bestehe. Da der Hautausschlag noch nicht abgeklungen war, schrieb die Beklagte die Klägerin bis zum 5. August 1996 krank und wies sie an, den Beklagten nach dessen Urlaubs-rückkehr an diesem Tag aufzusuchen. In einem Bericht an den medizinischen Dienst vom 16. August 1996 hielt die Beklagte als Diagnose fest: "Ekzem unkla-rer Genese". Am 2. August 1996 begab sich die Klägerin zu dem Streithelfer zu 1, einem Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der eine Schwan-gerschaft in der sechsten Woche feststellte. Am 5. August 1996 suchte die Klägerin den Beklagten auf, den die [X.] bereits telefonisch über die Krankheit der Klägerin und deren mögliche - 6 -

Schwangerschaft informiert hatte. Am 15. August 1996 veranlaßte der Streithel-fer zu 1 einen Rötelntest, der von der Streithelferin zu 2 vorgenommen wurde und einen HAH-Titer von mehr als 1:32 ergab. Am 10. April 1997 wurde der Kläger mit einer Rötelnembryopathie gebo-ren. Er leidet u.a. unter allgemeiner Entwicklungsretardierung, [X.], offenem ductus arteriosus [X.], Sehbehinderungen und Schwer-hörigkeit. Der Grad seiner Behinderung beträgt 100. Die Klägerin wirft den Beklagten vor, eine bestehende Rötelnerkrankung nicht erkannt zu haben. Bei Kenntnis des Vorliegens einer Rötelninfektion zu Beginn der Schwangerschaft und des sich daraus ergebenden hohen Mißbil-dungsrisikos für das Kind würde sie sich zu einer Abtreibung entschlossen ha-ben, da sie ihre [X.] Situation als problematisch angesehen habe. Das [X.] hat die Klage des [X.] auf Schadensersatz und Schmerzensgeld abgewiesen, der Klage der Klägerin auf Zahlung von [X.] in Höhe des jeweils geltenden doppelten [X.] jedoch stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufungen der Beklagten zurück-gewiesen. Der Kläger hatte seine Berufung bereits zuvor zurückgenommen. Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Beklagten ihre Anträge auf Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hat Behandlungsfehler beider Beklagten bejaht. Sie hätten es fehlerhaft unterlassen, die Klägerin darauf hinzuweisen, daß sie - 7 -

den Gynäkologen von der Hautreaktion unterrichten und ihm insbesondere mit-teilen solle, daß die von den Beklagten gestellte Diagnose einer Medikamen-tenallergie nicht gesichert sei. Mit dem Sachverständigen sei davon auszugehen, daß die Klägerin eine Rötelnerkrankung durchgemacht habe, deren Beginn auf den 22. Juli 1996 zu datieren sei. Es sei davon auszugehen, daß der Gynäkologe bei [X.] therapeutischer Aufklärung der Klägerin die dann gebotene erweiterte Titerbestimmung vorgenommen hätte. Daß die Klägerin abgetrieben hätte, wenn sie gewusst hätte, welches [X.] eine Rötelninfektion für den Fötus bedeute und mit welchen schweren Miß-bildungen der Kläger geboren werden könnte, sei ohne weiteres nachvollzieh-bar und bedürfe keiner besonderen Begründung, weil hierfür eine tatsächliche Vermutung streite. Die gesetzliche Beseitigung der eugenischen Indikation ab dem 1. Oktober 1995 ergebe nichts anderes, weil es hier nicht um pränatale Diagnostik, sondern um das erhebliche Risiko eines durch Rötelninfektion schwerstbehinderten Kindes gehe. I[X.] Das hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. 1. a) Das Berufungsgericht hat eine Pflicht der Beklagten zur therapeuti-schen Aufklärung der Klägerin darüber angenommen, diese müsse den die Schwangerschaft begleitenden Frauenarzt von ihrer Hautreaktion und insbe-sondere davon unterrichten, die Diagnose einer allergischen Reaktion sei nicht gesichert, ohne sich dazu auf ein Gutachten eines medizinischen Sachverstän-digen stützen zu können. Das beanstandet die Revision der Beklagten [X.] 8 -

drücklich. Es bedarf jedoch keiner Abklärung durch das Gutachten eines Sach-verständigen, denn ein Schadensersatzanspruch der Klägerin besteht schon aus anderen Gründen nicht. Der geltend gemachte Schaden einer Unterhalts-belastung der Klägerin durch die Existenz des [X.] ist entgegen der [X.] geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts nicht vom Schutzzweck des [X.] umfaßt. b) Zutreffend weisen beide Revisionskläger darauf hin, daß nach ständi-ger Rechtsprechung des erkennenden Senats eine Haftung des behandelnden Arztes für den durch die Geburt eines Kindes verursachten Vermögensschaden nur dann in Betracht kommt, wenn sich dabei ein Risiko verwirklicht hat, auf dessen Vermeidung die Behandlung der Mutter durch die behandelnden Ärzte im Rahmen eines bestehenden Behandlungsvertrages gerichtet war. [X.] es bei der Behandlung nicht um die Abwendung einer Belastung der Patientin durch ein Kind, dann darf auch nicht angenommen werden, daß die Bewahrung vor den [X.] infolge der Geburt des Kindes zum [X.] gehörte (vgl. Senatsurteile [X.] 124, 128, 137 f.; 143, 389, 393 ff.; 151, 133, 136; vom 25. Juni 1985 - [X.] ZR 270/83 - [X.], 1068, 1069). Anders als in dem der Senatsentscheidung vom 18. Januar 1983 ([X.] ZR 114/81 - [X.] 86, 240 ff.) zugrundeliegenden Sachverhalt hatten im hier zu entscheidenden Fall beide Beklagte keinen derartigen ärztlichen Auftrag erhalten. Unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Abklärung der Ursache des Ekzems we-gen befürchteter Auswirkungen auf die der Klägerin und beiden Beklagten nach Beginn der Behandlung bekannt gewordene Schwangerschaft erfolgen sollte. - 9 -

Anders als ein die Schwangerschaft begleitender Frauenarzt waren der [X.] Hausarzt und seine Urlaubsvertreterin nicht im Hinblick auf die Schwanger-schaft und nicht zu deren medizinischer Begleitung eingeschaltet worden (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1995, 1620 f.; [X.], 1771, 1772). Daran ändert sich nichts deshalb, weil jeweils beiden Beklagten vor dem Ende der [X.] das Ergebnis des Schwangerschaftstests der Klägerin bekannt ge-worden war. Auch wenn die Beklagten hiernach mit einer Schwangerschaft der Klägerin zu rechnen hatten, reicht allein dieser Umstand nicht aus, um zu einer Erweiterung des Behandlungsvertrages im Sinne einer zielgerichteten Abspra-che über eine Verhinderung der Geburt zu führen. So hat der erkennende Se-nat in einem Fall, in dem die Patientin bei der Vorbereitung auf eine orthopädi-sche Operation zur Abklärung von [X.] einem Gynäkologen vorgestellt, aber eine bestehende Schwangerschaft übersehen worden war, einen Zusammenhang zwischen dem Zweck des ärztlichen Handelns und der Geburt des Kindes verneint und die auf Ersatz des Unterhalts gerichtete Klage abgewiesen ([X.] 143, 389, 395). Dort war die Zielsetzung des ärztlichen Handelns nicht auf die Vermeidung einer Geburt gerichtet. Gleiches gilt erst recht im hier zu entscheidenden Fall, in dem die Klägerin die Beklagten aus-schließlich zur Abklärung und Behandlung eines [X.] aufsuchte. Dementsprechend war eine Beratung über Möglichkeiten zur Unterbrechung der Schwangerschaft nicht Inhalt der [X.] zwischen der Kläge-rin und den beiden Beklagten, sondern konnte nur in die Zuständigkeit des die Schwangerschaft begleitenden Facharztes fallen. d) Hatten nach allem die [X.] mit den Beklagten nicht den Zweck, die Klägerin vor den Folgen einer Unterhaltsbelastung zu bewah-ren, so hätte sich eine Beratung der Klägerin über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs allenfalls als Reflex und zudem nach der Beurtei-lung des gerichtlichen Sachverständigen nur bei einer maximalen hausärztli-- 10 -

chen Versorgung der Klägerin ergeben. Diese lediglich mittelbare Folge recht-fertigt ebenfalls nicht die Annahme einer Erweiterung des [X.]. 2. Schon deshalb kann die Klage keinen Erfolg haben. Aus diesem Grund bedarf es auch keiner abschließenden Beurteilung, ob bei einer entsprechenden Fallgestaltung ein Anspruch der Klägerin auch deshalb nicht in Betracht käme, weil keine der Voraussetzungen für eine recht-mäßige medizinische Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB (vgl. Senatsurteile [X.] 151, 133, 138 f.; vom 15. Juli 2003 - [X.] ZR 203/02 - VersR 2003, 1541 f., jeweils m.w.N.) vorgetragen oder vom Berufungsgericht festgestellt ist. Ob schließlich die schuldhafte Vereitelung eines allein auf § 218a Abs. 1 StGB gestützten Schwangerschaftsabbruchs nach der Gesetzeslage für einen Schadensersatzanspruch ausreichen könnte, ist angesichts der Recht-sprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsbeschluß vom 24. Juni 2003 - [X.] ZR 130/03 - FamRZ 2003, 1378; Senatsurteil vom 19. Februar 2002 - [X.] ZR 190/01 - [X.], 767, 768; [X.] aaO 295 f.) zweifelhaft, bedarf aber nach Lage des Falles keiner Entscheidung, weil es bereits an einem auf entsprechende Beratung gerichteten Behandlungsvertrag fehlt. Es ist deshalb nicht zu prüfen, ob sich die Klägerin unter den gegebenen Umständen darauf berufen könnte, daß die Beklagten durch ihr Fehlverhalten die Möglichkeit eines legalen straflosen Abbruchs der Schwangerschaft nach der im

Juli/August 1996 geltenden Regelung der §§ 218a Abs. 1, 219 Abs. 2 StGB in der Fassung des Art. 8 Nr. 3, 6 des Gesetzes vom 21. August 1995 ([X.]; [X.], 1055; vgl. Senatsurteile [X.] 129, 178, 184 ff.; vom 19. Februar 2002 - [X.] ZR 190/01 - [X.], 767 f.; vom 1. April 2003 - [X.] ZR 366/02 - VersR 2003, 777 f.; vom 7. Dezember - 11 -

2004 - [X.] ZR 308/03 - zur [X.] bestimmt; [X.] 88, 203, 273 ff., 279 ff.) in nicht vertretbarer Weise schuldhaft vereitelt haben und deshalb zum Ersatz der mit der Unterhaltspflicht für den Kläger verbundenen materiellen Schäden verpflichtet sein könnten.

II[X.] Nach alledem waren die Urteile der Vorinstanzen im Kostenpunkt und in-soweit aufzuheben, als sie zum Nachteil der Beklagten ergangen sind. Die [X.] war insgesamt abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 101 und 516 Abs. 3 ZPO. [X.] [X.]

Pauge Zoll

Meta

VI ZR 196/03

21.12.2004

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2004, Az. VI ZR 196/03 (REWIS RS 2004, 78)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 78

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