Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.06.2002, Az. VI ZR 136/01

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2002, 2774

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]/01Verkündet am:18. Juni 2002Böhringer-Mangold,[X.] Geschäftsstellein dem [X.]:ja[X.]Z: jaBGB § 249 [X.] den Voraussetzungen, unter denen das auf einem ärztlichen Behandlungsfehlerberuhende Unterbleiben eines nach den Grundsätzen der medizinischen Indikationgemäß § 218a Abs. 2 StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs die Pflicht desArztes auslösen kann, den Eltern den [X.] für ein Kind zu ersetzen,das mit schweren Behinderungen zur Welt kam.[X.], Urteil vom 18. Juni 2002 - [X.]/01 - [X.] LG [X.]- 2 -Der VI. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] 18. Juni 2002 durch die Vorsitzende Richterin [X.], [X.]Dressler, [X.], die Richterin [X.] und [X.] Recht erkannt:Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] in [X.] vom 15. [X.] wird zurückgewiesen.Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.Von Rechts wegen- 3 -Tatbestand:Die klagenden Eheleute sind die Eltern des am 24. Oktober 1996 gebo-renen [X.], der mit schweren körperlichen Fehlbildungen zur Welt kam:Beide Oberarme waren nicht ausgebildet; der rechte Oberschenkel war [X.], der linke fehlte; an beiden Beinen fehlte das Wadenbein; beide Füße wie-sen eine Knick-Hackfußstellung auf. Die Kläger nehmen die beklagte Frauen-ärztin auf Schadensersatz in Anspruch, weil diese während der von ihr durch-geführten Schwangerschaftsbetreuung die Fehlbildungen des Kindes pflichtwid-rig nicht erkannt habe und deshalb eine rechtlich zulässige Abtreibung unter-blieben sei. Gegenstand der Klage ist außer der Feststellung der Schadenser-satzpflicht der Beklagten auch die Zahlung eines Schmerzensgeldes, weil dieKlägerin zu 1 seit der Geburt des Kindes an einem psychischen Trauma leide.Im Verlauf der Schwangerschaft nahm die Beklagte bei der Klägerin zu 1insgesamt elf [X.] vor. Der bei diesen [X.] anwesende Kläger zu 2 fragte wiederholt, ob mit dem Kind alles [X.] sei, was die Beklagte bejahte. Bei der Untersuchung am 20. Juni 1996(Schwangerschaftswoche 20/5) maß die Beklagte einen biparietalen Durch-messer von 4,4 bis 4,7 cm und eine Femurlänge von 2,9 cm. Die Kläger werfender Beklagten vor, daß sie nicht spätestens anläßlich der Ergebnisse dieserUltraschalluntersuchung die Klägerin zu 1 wegen des Verdachts auf eine Fehl-bildung des Oberschenkels des Kindes in eine Spezialsprechstunde überwie-sen habe, wo erfahrene Sonografiker diese Fehlbildung erkannt hätten; beirechtzeitiger Aufklärung hätte sich die Klägerin zu 1 für einen [X.] -Die Beklagte stellt die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers undeines erlaubten Schwangerschaftsabbruchs in Abrede, zumal das Kind im [X.]-punkt einer denkbaren Abtreibung bereits lebensfähig gewesen wäre.Das [X.] hat unter Klageabweisung im übrigen die [X.] Beklagten für die den Klägern aus fehlerhafter ärztlicher Beratung durch [X.] und der damit zusammenhängenden Geburt des behinderten [X.] entstandenen und noch entstehenden materiellen Schäden [X.]; darüber hinaus hat es die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldesvon 20.000 DM an die Klägerin zu 1 verurteilt. Das [X.] hat dieBerufung der Beklagten mit einer Neufassung des [X.] zurückgewiesen, daß die Verpflichtung der Beklagten festgestellt werde,den Klägern nach Maßgabe der Rechtsprechung des [X.] Er-satz für den entstandenen und künftigen Unterhaltsbedarf ihres Kindes Sebas-tian, geboren am 24. Oktober 1996, zu leisten. Mit ihrer Revision verfolgt [X.] ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.Entscheidungsgründe:[X.] Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch der Kläger aufErsatz des [X.] aus positiver Verletzungeines ärztlichen Behandlungsvertrages für begründet erachtet.Der zwischen der Klägerin zu 1 und der Beklagten geschlossene Vertragzur Schwangerschaftsbetreuung, in dessen Schutzbereich auch der Kläger zu 2eingeschlossen sei, habe die Beratung über eine erkennbare Gefahr durchSchädigungen der Leibesfrucht mit umfaßt. Die Beklagte habe ihre [X.] 5 -pflicht bereits dadurch schuldhaft verletzt, daß sie anläßlich der [X.] vom 20. Juni 1996 nur zwei Werte statt der erforderlichen vierWerte ermittelt habe. Entscheidend und als grober Diagnosefehler (mit [X.] in der [X.]) sei ihr anzulasten, daß sie die gemes-sene Femurlänge von 29 mm nicht als viel zu niedrig und hochgradig auffälligerkannt und sie dies weder zum Anlaß genommen habe, die Ultraschallunter-suchung auch auf die oberen Extremitäten auszudehnen, noch die Klägerin zurnäheren Abklärung in eine Spezialsprechstunde zu überweisen; denn dort [X.] Fehlbildung beim Stand der Ultraschalldiagnostik im Jahre 1996 erkanntworden.Bei entsprechender pflichtgemäßer Aufklärung hätte sich die [X.] zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 2 [X.]. Dessen Voraussetzungen hätten vorgelegen, da angesichts derschweren Behinderung des Kindes nach ärztlicher Prognose auch bei einer bisdahin psychisch gesunden Frau sowohl eine Suizidgefahr als auch eineschwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes [X.] zu befürchten gewesen wäre. Dies werde hier auch dadurch bestätigt,daß die Geburt des behinderten Kindes tatsächlich zu einer entsprechendenschwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin zu 1 geführthabe. Denn diese leide seit der Geburt an einer depressiven Störung, [X.] erreiche, wobei jedenfalls in den ersten Monaten eine mittel-schwere Depression und während der ersten Wochen eine zumindest latenteSelbstmordgefahr vorgelegen habe, während der Zustand danach als leichtere,aber sicher behandlungsbedürftige depressive Verstimmung zu bezeichnen seiund voraussichtlich noch sehr lange [X.] fortbestehen werde.Das vom [X.] der Klägerin zuerkannte Schmerzensgeld [X.] DM sei im Hinblick auf die erlittenen psychischen Beeinträchtigungen- 6 -angemessen, wobei nicht unberücksichtigt bleibe, daß der Klägerin die [X.] durch einen Abtreibungseingriff erspart worden sei.I[X.] Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand. Den [X.] die geltend gemachten Schadensersatzansprüche auf der Grundlageeiner schuldhaften Verletzung des ärztlichen Behandlungsvertrages durch [X.] zu.1. Rechtlich beanstandungsfrei geht das Berufungsgericht davon aus,daß der zwischen der Klägerin zu 1 und der Beklagten geschlossene Vertragüber die Schwangerschaftsbetreuung, in dessen Schutzbereich auch der [X.] Elternteil, hier also der Ehemann als Kläger zu 2, einbezogen war, auch [X.] der Beklagten zur Beratung der Eltern über die erkennbare Gefahr einerSchädigung der Leibesfrucht mit umfaßte (vgl. hierzu z.B. [X.]surteile [X.]Z89, 95, 98; 143, 389, 393 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat insoweit zu Rechtdarauf hingewiesen, daß der bei den [X.] anwesendeVater wiederholt nachgefragt habe, ob mit dem Kind alles in Ordnung sei; dieszeigt das besondere Interesse, das die Eltern einer Information über eventuelleSchädigungen des Kindes beigemessen haben. Die Verletzung der [X.] einem ärztlichen Behandlungsvertrag, der in dieser Weise auch auf diepränatale Untersuchung in der Schwangerschaftsbetreuung zwecks Vermei-dung der Geburt eines schwer vorgeschädigten Kindes gerichtet war, kannGrundlage für den Anspruch gegen den Arzt auf Erstattung des (gesamten)Unterhaltsbedarfs des Kindes sein, das mit schweren Behinderungen zur Weltkommt (st.Rspr., vgl. z.B. [X.]surteile vom 4. März 1997 - [X.] -- 7 -VersR 1997, 698, 699 und vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - [X.], 233 f., jew.m.w.N.).2. Frei von Rechtsfehlern sind auch die Überlegungen, mit denen [X.] seine Beurteilung begründet hat, der Beklagten sei hier eineschuldhafte Verletzung ihrer Pflichten anzulasten, die pränatale [X.] Kindes auf Schädigungen ordnungsgemäß vorzunehmen, diagnostischauszuwerten und die Eltern hinsichtlich der Ergebnisse in gebotener Weise zuberaten. Im Berufungsurteil ist auf der Grundlage der Ausführungen des ge-richtlichen Sachverständigen beanstandungsfrei dargelegt, daß die [X.] die bei der Ultraschall-Untersuchung am 20. Juni 1996 [X.] von 29 mm als "viel zu niedrig" und "hochgradig auffällig" hätteerkennen und hieraus die gebotenen Konsequenzen für die Veranlassung wei-terer Untersuchungen und eine entsprechende Beratung der Eltern hätte [X.]. Die der Beklagten insoweit unterlaufenen Versäumnisse konnte [X.] zu Recht als Behandlungsfehler ansehen, auch wenn grund-sätzlich im Bereich der [X.] Zurückhaltung bei der Bewertung alsärztliche Pflichtverletzung zu üben ist. Letztlich stellt auch die Revision einen(einfachen) Behandlungsfehler der Beklagten insoweit nicht in Abrede, wendetsich vielmehr ersichtlich nur gegen dessen Bewertung als grob.3. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet die Feststellung im Beru-fungsurteil, daß sich die Klägerin zu 1, wäre sie - nach einer gebotenen weite-ren Abklärung der Untersuchungsbefunde - über die zu erwartenden Fehlbil-dungen des Kindes rechtzeitig informiert und entsprechend beraten worden, zueinem Abbruch der Schwangerschaft entschlossen hätte. Ein schuldhafter ärzt-licher Behandlungsfehler, wie er hier vorliegt, kann allerdings - davon geht auchdas Berufungsgericht aus - nur dann zu einer vertraglichen Haftung auf [X.] hier in Rede stehenden Schadens führen, wenn ein Abbruch der [X.] 8 -gerschaft rechtlich zulässig gewesen wäre. Eine auf der Verletzung des [X.] beruhende Vereitelung eines möglichen Schwanger-schaftsabbruchs kann nämlich nur dann Ansatz dafür sein, die Eltern im Rah-men eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Arzt auf [X.] von der Unterhaltsbelastung durch das Kind freizu-stellen, wenn der Abbruch rechtmäßig gewesen wäre, also der Rechtsordnungentsprochen hätte und von ihr nicht mißbilligt worden wäre (st.Rspr., vgl. insbe-sondere [X.]Z 129, 178, 185 und [X.]surteile vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - aaO, [X.] sowie vom 19. Februar 2002 - [X.]/01 - NJW 2002,1489, 1490). Entgegen der Auffassung der Revision weist die Beurteilung [X.], unter den vorliegend gegebenen Umständen wäre [X.] nach der medizinischen Indikation des § 218 aAbs. 2 StGB rechtlich zulässig gewesen, keine Rechtsfehler auf.a) Zutreffend hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer Indi-kation für einen Eingriff, der zur Abwendung der gesundheitlichen Gefahren [X.] im Hinblick auf die Belastung mit einem schwerbehinderten Kind in [X.] kam, anhand des § 218 a Abs. 2 StGB in der Fassung des Schwangeren-und Familienhilfeänderungsgesetzes vom 21. August 1995 ([X.] [X.]) ge-prüft. Aufgrund dieser gesetzlichen Neufassung ist der mit Einwilligung [X.] von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch dannnicht rechtswidrig, wenn er unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zu-künftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis an-gezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder das Risiko einer schwerwiegen-den Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandesder Schwangeren abzuwenden und die Gefahr nicht auf andere, für sie zumut-bare Weise abgewendet werden [X.] 9 -In dieser gesetzlichen Neufassung ist die früher in § 218 a Abs. 2 [X.]. 3 StGB in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom27. Juli 1992 ([X.] I 1398) in Verbindung mit dem Urteil des [X.] vom 28. Mai 1993 ([X.] I 820) enthaltene eigenständige Rege-lung der sogenannten embryopathischen Indikation entfallen; damit sollte klar-gestellt werden, daß eine Behinderung des Kindes als solche niemals zu einerMinderung des Lebensschutzes führen kann ([X.]. 13/1850, [X.]), vielmehrentscheidend für die Zulässigkeit einer Abtreibung stets nur sein kann, ob [X.] des Kindes zu unzumutbaren Belastungen für die gesundheitlicheSituation der Mutter führt, denen anders als durch einen Abbruch nicht wirksambegegnet werden kann. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen die Fall-konstellationen der früheren "embryopathischen Indikation" nunmehr der [X.] von der medizinischen Indikation (auch als "medizinisch-soziale [X.]" bezeichnet, vgl. z.B. [X.] in: [X.]/[X.], 26. Aufl., Rdn. 26 zu§ 218 a StGB) des nunmehrigen § 218 a Abs. 2 StGB aufgefangen werden ([X.]. 13/1850 aaO). Dies entspricht auch der herrschenden Meinung in derrechtswissenschaftlichen Literatur (vgl. dazu [X.] in: [X.]/[X.],26. Aufl., Rdn. 34, 42 zu § 218 a StGB; [X.]/[X.], 50. Aufl., Rdn. 21 zu§ 218 a StGB; [X.]/Kühl, 24. Aufl., Rdn. 22 vor § 218 StGB; [X.], [X.], 24, 27; einschränkend [X.] in: [X.], Rdn. 8 zu § 218 a StGB).Daher ist bei den Fallgestaltungen, die nach der bisherigen rechtlichenRegelung der "embryopathischen Indikation" unterfielen, nunmehr im [X.] § 218 a Abs. 2 StGB zu prüfen, ob sich für die Mutter aus der Geburt desschwerbehinderten Kindes und der hieraus resultierenden besonderen Lebens-situation Belastungen ergeben, die sie in ihrer Konstitution überfordern und [X.] einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres insbesondere auch see-lischen Gesundheitszustandes als so drohend erscheinen lassen, daß bei der- 10 -gebotenen Güterabwägung das Lebensrecht des Ungeborenen dahinter zu-rückzutreten hat.b) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht ohneRechtsfehler im vorliegenden Fall für die Klägerin zu 1 die [X.] nach diesen Grundsätzen rechtlich zulässigen [X.]s bejaht. Bei der gebotenen Prognose aus ärztlicher Sicht wäre, wie imBerufungsurteil auf der Grundlage der Anhörung des medizinischen Sachver-ständigen festgestellt ist, angesichts der zu erwartenden sehr schweren Behin-derungen des Kindes sowohl die Gefahr eines Suizidversuchs als auch einerschwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes [X.] zu befürchten gewesen. Daß bei der Klägerin zu 1 nach der Geburt tat-sächlich Depressionen auftraten, die deutlich Krankheitswert erreichten, wobeizumindest in den ersten Wochen auch eine latente Selbstmordgefahr vorlag,stützt diese Prognosebeurteilung. Unter den hier gegebenen, in der Beweisauf-nahme hervorgetretenen Umständen konnte das Berufungsgericht in [X.] nicht zu beanstandender Weise von einer anders als durch den [X.] nicht abzuwendenden schwerwiegenden gesund-heitlichen Gefährdung der Mutter ausgehen und einen derartigen mit dem Toddes ungeborenen Kindes verbundenen Eingriff für rechtlich zulässig erachten.c) Entgegen der Auffassung der Revision wäre im vorliegenden Fall einbei gebotener ärztlicher Information und Beratung der Klägerin zu 1 im Rahmender Schwangerschaftsbetreuung in Betracht zu ziehender Schwangerschafts-abbruch auch nicht wegen des fortgeschrittenen Entwicklungsstandes [X.] unzulässig gewesen. Die Revision will im Hinblick auf insoweit in derjuristischen Literatur diskutierte mögliche Überlebensraten ungeborener [X.] der 22. Schwangerschaftswoche (vgl. dazu etwa [X.]/[X.], 50. Aufl.,Rdn. 22 zu § 218 a StGB m.w.N.) eine Abtreibung in Fällen wie dem [X.] aus verfassungsrechtlichen Gründen generell ausschließen. Dieser [X.] vermag sich der [X.] nicht anzuschließen.aa) Allerdings enthält die Regelung der medizinischen Indikation des§ 218 a Abs. 2 StGB - anders als die früher selbständige "embryopathische [X.]" des § 218 a Abs. 3 StGB a.F., die einen Abbruch nur bis zur22. Schwangerschaftswoche zuließ - keine zeitliche Befristung. Der Rechtspre-chung des [X.] (insbesondere in den Entscheidungen[X.] 39, 1 ff. und [X.] 88, 203 ff.) ist indessen kein Anhaltspunkt dafürzu entnehmen, daß eine derartige Befristung in Fällen der medizinischen Indi-kation aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten wäre. Einerseits ist [X.] des ungeborenen Kindes grundsätzlich während der gesamtenDauer der Schwangerschaft zu gewährleisten; andererseits kann von der [X.], wenn schwerwiegende Gefahren für ihr Leben oder ihre Gesundheit drohenund nicht anders abgewendet werden können, ebenfalls während der gesamtenDauer der Schwangerschaft grundsätzlich nicht verlangt werden, daß sie ihreeigenen existentiellen Belange und Rechtspositionen denen des Kindes aufop-fert. Dies hat auch dann zu gelten, wenn die schwerwiegende Gefährdung [X.] nicht aus zu befürchtenden physischen Beeinträchtigungen während [X.] oder der Geburt resultiert, sondern eine relevante - nicht [X.] abwendbare - Bedrohung ihres Lebens oder ihrer seelischen [X.] zu erwarten ist, weil sie konstitutionell nicht in der Lage ist, währendder Schwangerschaft und nach der Geburt eines schwerbehinderten Kindes diedamit verbundenen Belastungen und Verantwortlichkeiten psychisch zu bewäl-tigen.bb) Allerdings setzt die Entscheidung, ob im Einzelfall die insoweit zuziehende Opfergrenze für den Ausnahmetatbestand der Rechtfertigung der mitdem Tode des Embryos verbundenen Abtreibung aus medizinischer Indikation- 12 -überschritten ist (vgl. zu diesen Erfordernissen z.B. [X.]surteile [X.]Z 129,178, 183 f. und vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - aaO [X.] mit [X.] auf [X.] 88, 203, 272 ff.), eine Güter- und Interessenabwägung [X.]. Das gilt gerade in den Fällen, in denen es nicht um eine unmittelbare phy-sische Lebensbedrohung der Schwangeren geht, sondern um aus den darge-legten psychischen Belastungen - insbesondere für die [X.] nach der Geburt -zu befürchtende Beeinträchtigungen. Diese Abwägung muß den [X.] sowohl des Embryos als auch der Mutter soweit wie möglich gerecht wer-den. Auch wenn das Lebensrecht des Kindes dem Grunde nach eine zeitlicheDifferenzierung der Schutzpflicht nicht zuläßt (vgl. [X.] 88, 203, 254, 257),kann doch bei dieser Abwägung zur Bestimmung der Voraussetzungen dermedizinischen Indikation auch die Dauer der Schwangerschaft und die darausresultierende besondere Situation für Mutter und Kind Berücksichtigung finden(vgl. dazu etwa [X.]/[X.], 50. Aufl., Rdn. 26 zu § 218 a StGB; [X.]in: [X.], Rdn. 28 zu § 218 a StGB; a.[X.], [X.], 82, 83). In [X.] der medizinischen Indikation soll der Schwangerschaftsabbruch sowohlaus dem gesundheitlichen Interesse der Frau als auch im Hinblick auf [X.] des sich weiter entwickelnden ungeborenen Lebens so [X.] möglich vorgenommen werden. Im Rahmen dieser Prüfung kann den [X.], der zu einer immer weiteren Vorver-lagerung der extrauterinen Lebensfähigkeit des Embryos führen mag, ihre [X.]) Es braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, ob undunter welchen Umständen unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die Zuläs-sigkeit einer "Spätabtreibung" in den letzten Schwangerschaftswochen, die aufdie Abwehr von Gefahren für den psychischen Gesundheitszustand der [X.] voraussichtlich behinderten Kindes gerichtet ist, rechtlichen Bedenkenbegegnen könnte. Denn hier geht es nicht um das Problem einer derartigen- 13 -"Spätabtreibung". Nach den [X.] Feststellungen des Berufungsge-richts, die insoweit auch von der Revision nicht in Abrede gestellt werden, hättebei gehöriger Untersuchung und Beratung der Klägerin zu 1 ein Schwanger-schaftsabbruch jedenfalls noch in der 22. Schwangerschaftswoche durchgeführtwerden können - also sogar noch innerhalb der Frist, die nach der früheren Re-gelung des § 218 a Abs. 3 StGB a.F. als Befristung der "embryopathischen [X.]" vorgesehen war. In Rede steht unter diesen Umständen also nicht [X.] in den letzten Schwangerschaftswochen, in denen der Übergang zwi-schen Abtreibung und Einleitung einer Frühgeburt fließend sein mag. Wie imBerufungsurteil dargelegt ist, hat der gerichtliche Sachverständige hier sogardie Auffassung vertreten, in diesem möglichen Abbruchszeitpunkt wäre [X.] kein lebensfähiges Kind geboren worden. Mag dies, wovon das [X.] ausgeht, im Hinblick auf Äußerungen in der medizinischen Litera-tur zu den Möglichkeiten des Beginns der extrauterinen Lebensfähigkeit auchletztlich offen sein, geboten es die hier festgestellten Umstände doch [X.], bei der im Rahmen der Indikationsfeststellung erforderlichen Güterabwä-gung die Interessen der Mutter hintanzusetzen, die - wie bereits erörtert - auspsychischen Gründen schwerwiegenden Gefahren für ihr Leben und ihre Ge-sundheit ausgesetzt war.4. Im Ergebnis ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die Kausali-tät des der Beklagten anzulastenden Behandlungsfehlers und der hierauf beru-henden Nichtdurchführung eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs fürden seitens der Kläger geltend gemachten [X.] bejaht. Der [X.] der Revision, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der fehlerhaftenDiagnose und der Belastung der Kläger mit dem [X.] für ihr [X.] deswegen nicht vor, weil das Kind auch bei einem [X.] möglicherweise überlebt hätte, greift nicht [X.] 14 -a) Allerdings hat das Berufungsgericht trotz der Bekundungen des ge-richtlichen Sachverständigen, bei einer möglichen Abtreibung innerhalb [X.] als einer Woche ab dem 20. Juni 1996, also noch innerhalb der22. Schwangerschaftswoche, wäre mit Sicherheit kein lebendes Kind geborenworden, hierzu keine endgültigen Feststellungen getroffen. Es ist daher revisi-onsrechtlich vom Vorbringen der Beklagten auszugehen, daß bereits Kinder miteinem Geburtsgewicht von 500 Gramm bei einem Schwangerschaftsalter vonetwa 22 bis 24 Wochen überleben können; die Chancen für eine extrauterineÜberlebensfähigkeit eines Embryos dieses Alters möchte die Revision mit 30 %ansetzen.b) Im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht erachtetauch der [X.] die Beklagte für beweisbelastet dafür, daß sich im vorliegendenFall für das Kind eine derartige Überlebenschance trotz eines rechtmäßigenSchwangerschaftsabbruchs realisiert hätte. Dabei kann offenbleiben, ob sich- was das Berufungsgericht bejaht, die Revision jedoch als fehlerhaft angreift -für die Klägerin eine entsprechende Beweiserleichterung zu Lasten der [X.] daraus herleiten läßt, daß deren Behandlungsfehler als grob einzustu-fen ist. Zwar spricht vieles dafür, daß die dahingehende Beurteilung des [X.]s den Angriffen der Revision standzuhalten vermag; diese Fragemuß jedoch nicht abschließend entschieden werden, da für die hier in Redestehende [X.] auch dann eine Beweisbelastung der Beklagten zubejahen ist, wenn ihr nur ein einfacher Behandlungsfehler vorgeworfen [X.].Der Abbruch einer Schwangerschaft ist auf deren Beendigung gerichtetund hat im Regelfall den Tod des ungeborenen Kindes zur Folge. Gerade ausdiesem Grund sind zum Schutze des Lebensrechts des Embryos aus verfas-sungsrechtlichen Gründen wirksame Maßnahmen, darunter auch die strafrecht-- 15 -lichen Abtreibungsvorschriften der §§ 218 ff. StGB, geboten, die eben deswe-gen rechts- und gesetzessystematisch unter den Straftaten gegen das [X.] sind. Der strengen Indikationsstellung, insbesondere des § 218 aAbs. 2 StGB für eine Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs, bedarf esgerade deshalb, weil der Eingriff regelmäßig in die existentiellen verfassungs-rechtlich geschützten Rechtspositionen des ungeborenen Kindes eingreift,nämlich sein Leben vernichtet. Davon ist insbesondere auch bei Fallkonstellati-onen der hier vorliegenden Art auszugehen, in denen mit der [X.] § 218 a Abs. 2 StGB zwangsläufig der Schutz des ungeborenen Lebenshintangesetzt wird, um einer nicht anders abzuwendenden, dem Leben und derseelischen Gesundheit der Mutter drohenden Gefahr zu begegnen, die geradefür die [X.] nach einer Geburt des Kindes zu prognostizieren ist.[X.] aber in dieser Weise nach den der gesetzlichen Regelung zugrunde-liegenden Vorstellungen der grundsätzlich der Rechtsordnung [X.], in bestimmten Ausnahmefällen von ihr erlaubte Abbruch einer Schwanger-schaft in der Regel die Beendigung des Lebens des Embryos zur Folge, sospricht für den Eintritt dieser Folge bei den dem [X.] eine Vermutung.Gewiß gibt es Ausnahmefälle, in denen ein Schwangerschaftsabbruchzur Folge hat, daß ein extrauterin bereits lebensfähiges Kind zur Welt kommt.Es liegt nahe, daß derartige Fälle mit fortschreitender Dauer der Schwanger-schaft eher vorkommen; sie mögen im Rahmen des medizinischen Fortschrittsweiter zunehmen, wenn es gelingt, immer kleinere und unreifere Embryonenauch außerhalb des [X.] am Leben zu erhalten. Daß im Einzelfall einederartige Ausnahme gegeben sei, hat jedoch - in Widerlegung der dargestelltenVermutung - die [X.] zu [X.] 16 -c) Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daßder Beklagten hier diese Beweisführung - die es im Hinblick auf den von ihmbejahten groben Behandlungsfehler der Beklagten auferlegt hat - nicht gelun-gen ist. Abgesehen davon, daß bereits die im Berufungsurteil dargelegten Be-kundungen des gerichtlichen Sachverständigen gegen eine mögliche [X.] Lebensfähigkeit des Kindes sprechen, wäre die von der Revision aufge-zeigte allgemeine Möglichkeit, daß auch Kinder mit einem Geburtsgewicht von500 Gramm und einem Schwangerschaftsalter von 22 bis 24 Wochen überle-ben könnten, wobei von einer Überlebensrate von 30 % ausgegangen werdenkönne, nicht geeignet, den Nachweis zu führen, daß im vorliegenden Fall [X.] der Kläger tatsächlich überlebt hätte, wäre der in Betracht [X.] durchgeführt worden.5. Der den Klägern wegen der erörterten Verletzung des [X.] durch die Beklagte zu ersetzende Schaden erfaßt die demnach kau-sal auf den unterbliebenen Schwangerschaftsabbruch zurückzuführenden Be-lastungen mit dem [X.] des Kindes. Denn auch dieser Schadenist unter den hier gegebenen Umständen vom Schutzzweck des [X.] mit umfaßt.a) Allerdings erstreckt sich, soweit ein Schwangerschaftsabbruch ausmedizinischer Indikation zur Abwehr einer schweren Gefahr für die Gesundheitder Schwangeren in Betracht kommt, der Schutzumfang des Vertrages im [X.] nicht auf die Bewahrung vor belastenden [X.]für das Kind (vgl. [X.]surteile vom 25. Juni 1985 - [X.]/83 -, [X.], 1068, 1071; vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - aaO, [X.] undvom 19. Februar 2002 - [X.]/01 - NJW 2002, 1489, 1491). Dies hat sei-nen Grund darin, daß im Regelfall der medizinischen Indikation (wie sie sichinsbesondere im Rahmen der Regelung des § 218 a Abs. 2 StGB a.F. darstell-- 17 -te) die Abwendung schwerer Gefahren für die Schwangere durch das Fortbe-stehen der Schwangerschaft als solcher oder die bevorstehende Geburt selbst,nicht aber durch Lebensumstände nach der Geburt des Kindes im Mittelpunktsteht. Ist letzteres der Fall, hat es der [X.] auch bisher schon für möglich er-achtet, daß sich der Schutzzweck auf die [X.] erstreckt,etwa dann, wenn sich gerade die Belastung durch den späteren Unterhalt fürdas Kind in entscheidender Weise negativ auf den Gesundheitszustand [X.] auszuwirken drohte (vgl. [X.]surteile vom 25. Juni 1985 - [X.]/83 - aaO und vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - aaO, [X.] ff.; vgl.hier auch [X.]surteil [X.]Z 143, 389, 393 f.). Ob und unter welchen Umstän-den in Fallgestaltungen wie der vorliegenden ein entsprechender Schutzumfangim Hinblick auf eine medizinische Indikation anzunehmen sein kann, hat der[X.] bisher offengelassen (vgl. [X.]surteile vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - aaO, [X.] und vom 19. Februar 2002 - [X.]/01 - aaO,S. 1491).b) Diese Frage ist nunmehr dahin zu beantworten, daß bei einem Sach-verhalt, wie er hier gegeben ist, die Schadensersatzpflicht des haftenden Arztesauch den Unterhaltsbedarf des Kindes erfaßt. Die schwerwiegenden Gefahrenfür die Mutter, die zur Erfüllung der Voraussetzungen der Indikation des § 218 aAbs. 2 StGB führen, drohten hier gerade auch für die [X.] nach der [X.] eine Selbstmordgefahr und eine erhebliche Depression von deutlichemKrankheitswert war für die Klägerin zu 1 gerade für diesen [X.]raum zu be-fürchten (und hat sich hinsichtlich der Beeinträchtigung ihrer seelischen Ge-sundheit auch verwirklicht), da sie konstitutionell den Belastungen durch [X.] für das schwerbehinderte Kind nicht gewachsen war. War [X.] der vertragliche Schutzzweck auch auf die Vermeidung dieser Gefahrendurch das "Haben" des Kindes gerichtet, so erstreckt sich die aus der Vertrags-verletzung resultierende Ersatzpflicht auch auf den Ausgleich der durch die- 18 -Unterhaltsbelastung verursachten vermögensrechtlichen Schadenspositionen.Eine dahingehende Bestimmung des vertraglichen Schutzumfangs, die bei [X.] Sachverhalten unter Geltung der früheren "embryopathischen [X.]" in der Rechtsprechung anerkannt war (vgl. z.B. [X.]surteil [X.]Z 86, 240,247 f.; [X.]surteile vom 4. März 1997 - [X.] - VersR 1997, 698, 699und vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - aaO, [X.]), nunmehr auch fürentsprechende Fallgestaltungen im Rahmen der nach der geltenden Rechtsla-ge maßgeblichen medizinischen Indikation entspricht im übrigen der - oben er-örterten - gesetzgeberischen Lösung, die bisher von § 218 a Abs. 3 StGB a.F.erfaßten Fallkonstellationen jetzt in die Indikation nach § 218 a Abs. 2 StGBeinzubeziehen.6. Soweit das Berufungsgericht - über die somit rechtlich beanstan-dungsfreie Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für den [X.] hinaus - der Klägerin zu 1 ein Schmerzensgeld in [X.] 20.000 DM zugesprochen hat, lassen die im Berufungsurteil hierzu ange-stellten Überlegungen Rechtsfehler nicht erkennen; sie werden von der [X.] auch nicht im einzelnen [X.] 19 -III.Die Revision der Beklagten war daher mit der Kostenfolge des § 97Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.[X.] Dr. Dressler [X.] [X.] Pauge

Meta

VI ZR 136/01

18.06.2002

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.06.2002, Az. VI ZR 136/01 (REWIS RS 2002, 2774)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2002, 2774

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