Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2016, Az. B 14 AS 53/15 R

14. Senat | REWIS RS 2016, 3765

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Kindergeld - Auszahlung an den kindergeldberechtigten Großelternteil - Nichtvorliegen einer Bedarfsgemeinschaft - verfassungskonforme Auslegung


Leitsatz

Leben ein Großvater und sein Enkel in einem Haushalt, ist das an den Großvater gezahlte Kindergeld dem Enkel nicht unmittelbar als Einkommen zuzurechnen, unbeschadet der Berücksichtigung allgemeiner Zuwendungen des Großvaters an den Enkel.

Tenor

Auf die Revision des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2015 und der Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2010 aufgehoben und im Übrigen die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Berücksichtigung von an den Großvater gezahltem Kindergeld beim Enkel als Einkommen für die [X.] vom 27.12.2009 bis zum [X.].

2

Der am 27.12.1994 geborene Kläger lebte im Haushalt des Großvaters, der sein alleiniger Vormund war und für ihn Kindergeld erhielt (für Dezember 2009 164 Euro, ab Januar 2010 184 Euro). Auf Antrag des [X.] bewilligte die beklagte Stadt M., die im eigenen Namen anstelle des als Optionskommune zugelassenen Kreises M. diese Aufgabe wahrnimmt, ihm mit Bescheiden vom 15.12.2009 und 18.12.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die [X.] vom 27.12.2009 bis zum [X.] Dabei berücksichtigte sie die von dem Kläger bezogene Halbwaisenrente sowie das an den Großvater gezahlte Kindergeld als Einkommen. Gegen beide Bescheide legte der Kläger ua wegen der Anrechnung des Kindergelds als Einkommen Widerspruch ein. Mit Bescheiden vom [X.] und [X.] erhöhte die Beklagte die an den Kläger zu zahlenden Leistungen für Februar und März 2010 aufgrund einer Reduzierung des [X.]. Auch gegen diese Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein. Weitere Änderungsbescheide ergingen für die Folgemonate. Mit Widerspruchsbescheid vom [X.] wies der Kreis den Widerspruch des [X.] gegen den Bescheid vom 15.12.2009 als unbegründet zurück, und mit weiterem Widerspruchsbescheid vom [X.] wies er den Widerspruch gegen den Bescheid vom [X.] zurück.

3

In dem vom Kläger angestrengten Klageverfahren hat das [X.] die [X.] ab dem [X.] abgetrennt und das vorliegende Verfahren auf die [X.] vom 27.12.2009 bis zum [X.] beschränkt. Unter Abweisung der Klage im Übrigen hat das [X.] den "Bescheid vom 15.12.2009 und 18.12.2009 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.]" geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger höhere Leistungen nach dem [X.]B II für die [X.] vom 27.12.2009 bis 31.1.2010 zu gewähren (Urteil vom 19.5.2015). [X.] hat es ausgeführt, dass das an den Großvater gezahlte Kindergeld als Einkommen des [X.] zu berücksichtigen sei. Dies folge zwar nicht unmittelbar aus § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II, weil der Kläger und sein Großvater keine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 [X.]B II bilden würden. Dennoch könne das Kindergeld beim Kläger als tatsächliches Einkommen angerechnet werden, weil der Kläger mit seinem Großvater in einem Haushalt lebe und dieser das für den Kläger gezahlte Kindergeld für diesen verwendet habe. Ob die Verwendung für von der Regelleistung umfasste oder für andere Bedarfe erfolgt sei, sei unerheblich. Entscheidend sei, dass geeignetes Einkommen vorhanden gewesen sei, um den grundsicherungsrechtlichen Bedarf zu decken. Auf Antrag des [X.] unter Vorlage der Zustimmung der Beklagten hat das [X.] mit Beschluss vom 10.9.2015 die Sprungrevision gegen das Urteil zugelassen, "soweit die Klage auf die Gewährung von weiteren Leistungen nach dem [X.]B II für die Regelleistung gerichtet ist."

4

Mit seiner Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 11 [X.]B II wegen der Anrechnung des an seinen Großvater gezahlten Kindergelds als Einkommen. Eine solche Anrechnung komme nach § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II nicht in Betracht, weil danach nur Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder diesen als Einkommen zuzurechnen sei und der Kläger und sein Großvater keine Bedarfsgemeinschaft bilden würden. Ohne weitere Rechtsgrundlagen zu nennen, stelle das [X.] in seinem Urteil dar, dass das Kindergeld bei ihm - dem Kläger - tatsächlich als Einkommen angerechnet werden könne, weil das Kindergeld für ihn verwendet worden sei. Auf die allgemeine Anrechnungsregel des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II könne nicht zurückgegriffen werden, weil diese durch die speziellere Regelung des § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II zur Anrechnung des Kindergelds verdrängt werde. Im Übrigen sei das Kindergeld nie an ihn ausgezahlt oder auf ein Konto von ihm überwiesen worden, sodass § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II schon tatbestandlich nicht einschlägig wäre.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2015 sowie die Bescheide des Beklagten vom 15. Dezember 2009 und vom 9. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2010 zu ändern, den Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 27. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 höheres [X.] - ohne Berücksichtigung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung - zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Sprungrevision des [X.] ist insofern begründet, als das Urteil des [X.] vom 19.5.2015 und der Widerspruchsbescheid vom [X.] (siehe speziell dazu unter 3.) aufzuheben sind und im Übrigen die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 [X.]G). Eine endgültige Entscheidung seitens des B[X.] ist mangels ausreichender Feststellungen nicht möglich.

8

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind neben dem Urteil des [X.] der Bescheid der Beklagten vom 15.12.2009 in der Fassung des ihn ändernden Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] und der ebenfalls hinsichtlich des Bescheides vom [X.] ergangene Widerspruchsbescheid vom [X.] sowie die vom Kläger begehrten höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II - ohne solche für die Unterkunft und Heizung - für die [X.] vom 27.12.2009 bis zum [X.].

9

2. Die beklagte [X.] M. ist die richtige Beklagte, auch wenn sie nicht Träger der geltend gemachten Leistungen ist, sondern der als Optionskommune zugelassene [X.] M., dem sie angehört, weil ihr die Aufgaben des Trägers zur Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen sind (Wahrnehmungszuständigkeit) und sie daher im Außenverhältnis verpflichtet ist (vgl nur B[X.] Urteil vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 117, 186 = [X.] 4-4200 § 7 [X.], RdNr 9 mwN).

3. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war der [X.], der die Widerspruchsbescheide erlassen hat, nicht notwendig beizuladen (B[X.] Urteil vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 117, 186 = [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.]0 mwN).

Die Sprungrevision des [X.] ist zulässig (vgl § 161 Abs 1 [X.]G). Dies gilt auch hinsichtlich ihrer Beschränkung auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II - ohne solche für die Unterkunft und Heizung -, weil der Beschluss des [X.] über die Zulassung der Sprungrevision vom [X.] in diesem Sinne zu verstehen ist, wie die weitere Formulierung in ihm zeigt, die Zulassung werde "abgelehnt, soweit die Klage auf die Gewährung von weiteren Leistungen nach dem [X.]B II für die Kosten der Unterkunft und Heizung gerichtet ist". Ebenso wie eine Klage kann eine Sprungrevision auf die Geltendmachung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne solche für die Unterkunft und Heizung einerseits und auf höhere Leistungen für die Unterkunft und Heizung andererseits zulässigerweise beschränkt werden (stRspr, grundlegend B[X.] Urteil vom 7.11.2006 - [X.]b [X.] - B[X.]E 97, 217 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.]8 ff; zuletzt B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/13 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.]0 ff).

Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1, 4 [X.]G). Mit dieser wendet er sich nach wie vor zu Recht gegen den ersten Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 15.12.2009, mit dem ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die [X.] vom 27.12.2009 bis 31.12.2010 bewilligt wurden. Der nachfolgende mit "Duplikat" überschriebene "Bescheid" vom 18.12.2009 hatte denselben Inhalt und war nur eine wiederholende Verfügung ohne eigenen Regelungsinhalt und demgemäß kein Verwaltungsakt gemäß § 31 [X.]B X (vgl nur [X.] in von [X.]/Schütze, [X.]B X, 8. Aufl 2014, § 31 Rd[X.]2). Der Bescheid vom [X.], mit dem die Beklagte die an den Kläger zu zahlenden Leistungen für Februar und März 2010 aufgrund einer Reduzierung des [X.] erhöhte, war nach seinem Inhalt eine umfassende Neubewilligung der Leistungen des [X.] ab dem 1.2.2010 und ersetzte damit ab diesem [X.]punkt den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 15.12.2009 (§ 39 Abs 2 [X.]B X). Der nachfolgende, mit "Duplikat" überschriebene "Bescheid" vom [X.] hatte denselben Inhalt und war - ebenfalls - nur eine wiederholende Verfügung. Die anschließend ergangenen Bescheide der Beklagten gegenüber dem Kläger sind für das vorliegende Verfahren unbeachtlich, weil sie keine Regelungen in Bezug auf die vorliegend strittige [X.] enthalten.

Das hinsichtlich des angefochtenen Bescheides vom 15.12.2009 notwendige Vorverfahren nach § 78 [X.]G ist durch den Widerspruchsbescheid des [X.]es M. vom [X.] abgeschlossen worden. Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens (§ 86 [X.]G) - und von diesem Widerspruchsbescheid umfasst - ist auch der Bescheid vom [X.] geworden, weil er den zuvor genannten Bescheid ab 1.2.2010 ersetzt hat. Der weitere vom [X.] gegenüber dem Kläger erlassene Widerspruchsbescheid vom [X.] wegen des Bescheides vom [X.], der aufgrund des Begehrens des [X.] Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, ist aufzuheben, weil es für diesen Widerspruchsbescheid nach der zuvor aufgezeigten Einbeziehung des Bescheides vom [X.] in das schon laufende Widerspruchsverfahren, das zum Widerspruchsbescheid vom [X.] führte, keinen Rechtsgrund gab.

4. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des [X.] gegenüber der beklagten [X.] auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - ohne solche für die Unterkunft und Heizung - vom 27.12.2009 bis zum [X.] sind die §§ 19 ff iVm §§ 7 ff [X.]B II, das vor dem streitbefangenen [X.] zuletzt geändert worden war durch das Gesetz vom 17.7.2009 ([X.] 1990). Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen [X.]punkt geltende Recht anzuwenden.

Zwar ist eine frühere, durch eine Änderung des Gesetzes abgelöste alte Fassung des Gesetzes kein aktuell geltendes Recht mehr, aufgrund der gesetzlichen Konzeption der [X.] im [X.]B II (vgl zB dessen § 66), die Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 [X.] folgenden Grundsatz des Vertrauensschutzes auch bei Rechtsänderungen sind, ist jedoch im [X.]B II vom sog [X.] auszugehen, nach dem das Recht anzuwenden ist, das zu der [X.] galt, in der die maßgeblichen Rechtsfolgen eingetreten sind, wenn es an einer speziellen Regelung mangelt (vgl B[X.] Urteil vom 12.5.2011 - [X.] AL 24/10 R - [X.] 4-1300 § 107 [X.] Rd[X.]2; [X.] in Eicher, [X.]B II, 3. Aufl 2013, § 66 Rd[X.] ff; [X.] in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, § 33 [X.]B II RdNr 96 f, Stand der Einzelkommentierung 3/2016; vgl zum [X.]B III: B[X.] Urteil vom 6.2.2003 - [X.] AL 72/01 R - [X.] 4-4100 § 119 [X.] Juris-Rd[X.]4). Denn das [X.]B II dient der Deckung einer aktuellen Bedarfslage im jeweiligen [X.]punkt, wie zahlreiche Regelungen belegen (vgl zB § 11 Abs 2, §§ 37, 41 [X.]B II).

Der Kläger erfüllte die Voraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.], 2, 4 [X.]B II als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, weil er nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) am 27.12.1994 geboren ist, erwerbsfähig war und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] hatte, und die Voraussetzungen von § 7 Abs 1 Satz 2, Abs 4, 4a oder 5 [X.]B II nicht vorlagen.

Der Kläger und sein Großvater bildeten, obwohl sie in einem gemeinsamen Haushalt lebten, keine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 [X.]B II, weil die dort enumerativ aufgezählten Konstellationen nicht das Zusammenleben nur der Großeltern oder eines Großelternteils mit ihrem oder seinem Enkelkind erfassen (zu einer [X.]: B[X.] Urteil vom 17.7.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 116, 200 = [X.] 4-4200 § 7 [X.]). Wegen der Verwandtschaft zwischen ihnen lag jedoch eine [X.] nach § 9 Abs 5 [X.]B II vor.

Der Kläger hatte einen Bedarf an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - ohne solche für Unterkunft und Heizung - in Höhe der Regelleistung von 359 [X.] 20 Abs 1, 2 Satz 1 [X.]B II iVm der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs 2 Satz 1 des [X.] für die [X.] ab 1. Juli 2009 vom [X.], [X.] 1342), Anhaltspunkte für einen anderen einzubeziehenden Bedarf bestehen nicht.

Ob und in welchem Umfang der Kläger hilfebedürftig nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.], §§ 9 ff [X.]B II war, kann aufgrund der Feststellungen des L[X.] nicht beurteilt werden. Als Einkommen nach § 11 [X.]B II zu berücksichtigen ist die von ihm bezogene Halbwaisenrente, zu deren Höhe im Urteil des [X.] unterschiedliche Angaben gemacht werden ([X.] Abs 3: 187,77 [X.], [X.]: 169,28 [X.]), was im wiedereröffneten erstinstanzlichen Verfahren zu klären ist.

Von dem Einkommen des [X.] ist die [X.] in Höhe von 30 [X.] (§ 6 Abs 1 [X.] der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim [X.]/Sozialgeld vom [X.], [X.] 2340 ) abzusetzen, weil der Kläger nach den bindenden Feststellungen des [X.] über entsprechende eigene Versicherungen verfügte.

Nicht als Einkommen des [X.] zu berücksichtigen ist das an den Großvater für den Kläger gezahlte Kindergeld (dazu 5.). Aufgrund der nicht näher konkretisierten Feststellung des [X.], der Großvater habe das Kindergeld für den Kläger verwandt, kommt jedoch eine Berücksichtigung des Geldes als (allgemeine) Einnahme des [X.] nach § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II in Betracht (dazu 6.). Zudem hat das [X.] nicht beachtet, dass der Kläger und sein Großvater eine [X.] bilden (vgl § 9 Abs 5 [X.]B II) und aus diesem Grund eine weitere Sachaufklärung, insbesondere hinsichtlich des Einkommens und der zu vermutenden Leistung des Großvaters an den Kläger, notwendig ist (dazu 7.).

5. Das an den Großvater gezahlte Kindergeld kann nicht als Einkommen des [X.] nach § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II (heute § 11 Abs 1 Satz 5 [X.]B II in der Fassung des 9. [X.]B II-Änderungsgesetzes vom [X.], [X.] 1824 - im Folgenden 9. [X.]B II-ÄndG) berücksichtigt werden.

Kindergeld ist grundsätzlich Einkommen des [X.]en (B[X.] Urteil vom 7.11.2006 - [X.]b [X.] - B[X.]E 97, 254 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.]5). [X.] sind außer den Eltern ua die Großeltern, wenn sie - neben weiteren Voraussetzungen - ihren Enkel in ihren Haushalt aufgenommen haben (vgl §§ 62, 63 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] ; §§ 1, 2 Abs 1 [X.] Bundeskindergeldgesetz <[X.] > ). Abweichend hiervon wird im [X.]B II das Kindergeld in bestimmten Fällen dem Kind und nicht dem [X.]en als Einkommen zugerechnet: Satz 2 des § 11 Abs 1 [X.]B II bestimmt, dass der Kinderzuschlag nach § 6a [X.] als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen ist, nach dessen Satz 3 gilt dies auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Eine weitere - vorliegend nicht einschlägige - Sonderregelung enthält § 1 Abs 1 [X.], wonach Kindergeld für Kinder des Hilfebedürftigen nicht als dessen Einkommen zu berücksichtigen ist, soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende Kind weitergeleitet wird.

a) Eine Zurechnung des an den Großvater für den Kläger gezahlten Kindergelds als Einkommen des [X.] nach § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II scheidet bereits tatbestandlich aus. Der Kläger und sein Großvater bildeten - wie schon ausgeführt - in der hier maßgeblichen [X.] keine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 [X.]B II.

b) Für eine erweiternde Auslegung des § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art, wie sie die Beklagte vertritt, ist kein Raum.

Nach Sinn und Zweck zielt die Zurechnungsregelung in § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II darauf ab, durch das Kindergeld ggf zusammen mit dem Kinderzuschlag nach § 6a [X.] und möglichen weiteren Leistungen Hilfebedürftigkeit des Kindes nach dem [X.]B II zu vermeiden (BT-Drucks 15/1516, [X.]; B[X.] Urteil vom [X.] - [X.]b [X.] - [X.] 4-4200 § 11 [X.]0 Rd[X.]6; Strnischa in [X.], [X.]B II/[X.]B XII, § 11 [X.]B II RdNr 63, Stand der Einzelkommentierung März 2016; [X.] in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, § 11 [X.]B II Rd[X.]8, Stand der Einzelkommentierung Dezember 2015). Bereits der Wortlaut ("ist … zuzurechnen") macht deutlich, dass diese Vorschrift lediglich die normative Zurechnung erzielten Einkommens betrifft, ohne die Einkommensqualität oder den Zufluss des Kindergelds selbst regeln zu wollen, zumal die Zurechnung (zunächst) beim Kind nur soweit erfolgt, wie es zur Deckung seines Bedarfs benötigt wird, und nichts daran ändert, dass das Kindergeld dem Grunde nach Einkommen des [X.]en bleibt (B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]3 Rd[X.]0).

Bei § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II handelt es sich nicht um eine dem grundsicherungsrechtlichen [X.] zuwiderlaufende fiktive Berücksichtigung tatsächlich nicht vorhandenen Einkommens. Die Regelung gründet vielmehr auf der gesetzlichen Vermutung, dass das den Eltern zufließende Kindergeld in einer familiären Gemeinschaft, die ihren Gesamtbedarf aus Einkommen und Vermögen nicht vollständig decken kann und deshalb - im familienrechtlichen Sinne - eine [X.] bildet, tatsächlich auch den Kindern zur Deckung ihres Bedarfs zugute kommt (B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]3 Rd[X.]0). Bildet der [X.]e - wie hier - mit dem Kind dagegen keine Bedarfsgemeinschaft, weil kein [X.] besteht, ist dieser Vermutung die Grundlage entzogen, sodass eine Zurechnung des Kindergelds an das Kind fiktiv wäre.

Aus der Entstehungsgeschichte der Norm lässt sich ebenfalls nicht ableiten, dass das Kindergeld im [X.]B II stets dem Kind als Einkommen zugerechnet werden soll, wenn es das Kindergeld zur Existenzsicherung benötigt. In der Ursprungsfassung des § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II war das Erfordernis "Bedarfsgemeinschaft" noch nicht enthalten. Ursprünglich sah der Gesetzestext die Zurechnung des Kindergelds als Einkommen "bei dem minderjährigen Kind" vor, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird (BT-Drucks 15/1516, [X.]), ohne auf die Bedarfsgemeinschaft überhaupt Bezug zu nehmen oder die Zugehörigkeit des Kindes zur Bedarfsgemeinschaft des kindergeldberechtigten Elternteils ausdrücklich zur Tatbestandsvoraussetzung zu machen. Erst durch das Gesetz zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom [X.] ([X.] 558) wurde in § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II das Wort "minderjährige" durch die Wörter "zur Bedarfsgemeinschaft gehörende" ersetzt. Dadurch sollte ausweislich der Begründung des [X.], auf dessen Vorschlag die Änderung des § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II zurückgeht, der Änderung der Formulierung in § 7 Abs 3 [X.]B II zur Einbeziehung von im Haushalt lebenden Kindern, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in eine Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern Rechnung getragen werden (BT-Drucks 16/688 S 14). Die Gesetzesbegründung bezeichnet die Änderung des § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II daher auch nur als "Folgeänderung" zu dieser Einbeziehung der unter 25-Jährigen (BT-Drucks 16/688 S 14).

Zwar erfolgte die Bezugnahme auf die Bedarfsgemeinschaft in § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II entstehungsgeschichtlich damit nicht zur (ggf klarstellenden) Beschränkung der Kindergeldzurechnung auf zur Bedarfsgemeinschaft des [X.]en gehörende Kinder (B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]3 Rd[X.]0). Eine intendierte Ausweitung der Kindergeldzurechnung auf Fälle, in denen der [X.]e mit dem Kind keine Bedarfsgemeinschaft bildet, das Kindergeld aber vom Kind zur Existenzsicherung benötigt wird, lässt sich den [X.] indes nicht entnehmen. Hätte der Gesetzgeber eine derart weitreichende Zurechnung des Kindergelds beabsichtigt, hätte es nahegelegen, dies in der Gesetzesbegründung zu dokumentieren, zumal die gewählte Formulierung ("zur Bedarfsgemeinschaft gehörende") einer solchen Auslegung im Wege steht und eine andere, offenere Formulierung dann hätte erwartet werden dürfen.

c) Die Anrechnung des an den Großvater gezahlten Kindergelds als Einkommen bei dem Kläger ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aufgrund des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 [X.] geboten.

Unbeschadet der Klärung, ob überhaupt eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vorliegt, weil zwischen der Lebenssituation von Kindern, die mit zumindest einem Elternteil, und solchen, die nur mit Großeltern zusammenleben, erhebliche Unterschiede bestehen, kann die von der Beklagten angenommene Ungleichbehandlung beider Gruppen verschieden behoben werden: Die eine Gruppe kann ebenso wie die andere, die andere kann ebenso wie die eine, und beide können auf neue, dritte Weise behandelt werden ([X.]/[X.], Grundrechte, 28. Aufl 2012, § [X.] RdNr 515; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl 2016, Art 3 Rd[X.]0). Die Festlegung, wie die Ungleichbehandlung behoben wird, obliegt jedoch nicht der Verwaltung oder den Gerichten, sondern dem Gesetzgeber, wenn der Verwaltung beim Normvollzug vom geltenden Recht keine Handlungsspielräume eingeräumt worden sind - wie vorliegend. Für eine über den Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II hinausgehende, den Kläger belastende Auslegung der Norm unter Berufung auf Art 3 Abs 1 [X.] seitens der Beklagten ist insofern kein Raum.

6. In Betracht kommt hingegen eine Berücksichtigung des Kindergelds - und sei es nur zum Teil - als (allgemeine) Einnahme des [X.] nach § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II, weil nach der nicht näher konkretisierten Feststellung des [X.] der Großvater "das Kindergeld" für den Kläger verwandt hat. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme bestimmter (Sozial-)Leistungen, die hier nicht vorliegen.

a) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Anrechnung eventueller Einkommenszuflüsse nach § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II, die auf der Verwendung des dem Großvater normativ zugeordneten Kindergelds durch diesen zugunsten des [X.] beruhen, nicht durch die Vorschrift des § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II ausgeschlossen. Beide Vorschriften stehen nicht in einem sich ausschließenden Verhältnis, insbesondere ist § 11 Abs 1 Satz 3 [X.]B II nicht die speziellere Vorschrift zu § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II, die diesen verdrängt. Vielmehr ordnet der Satz 3 gerade die Zurechnung des Kindergelds in einem bestimmten Umfang als Einkommen des Kindes an, selbst wenn es nicht [X.]er ist (vgl dazu 5.), und erweitert damit das zu berücksichtigende Einkommen nach Satz 1.

b) Dass die Verwendung des Kindergelds durch den Großvater für den Kläger bei diesem zu einer Einnahme führen kann, folgt aus dem weiten Begriff der Einnahme, der auch Zuwendungen in Geldeswert damals umfasste. Die ab 1.8.2016 geltende, geänderte Rechtslage aufgrund des 9. [X.]B II-ÄndG, nach der nur noch Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundes- oder eines [X.] zufließen, zu berücksichtigen sind (vgl Neufassung des § 11 Abs 1 Satz 1, 2 [X.]B II) ist nicht anzuwenden, weil Leistungen für die [X.] vom 27.12.2009 bis zum [X.] umstritten sind und das damals geltende Recht anzuwenden ist (siehe unter 4.).

Bei der Anwendung des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II wird das [X.] in den Blick zu nehmen haben, dass zwischen Bar- und Sachzuwendungen sowie Verpflegung zu differenzieren und neben § 11 Abs 3 [X.]B II insbesondere die [X.] zu beachten ist, zB wäre Verpflegung nach § 1 Abs 1 [X.]1 [X.] nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Sachleistungen in Geldeswert können nur als Einkommen berücksichtigt werden, wenn sie geeignet sind, den grundsicherungsrechtlichen Bedarf zu mindern, denn Grundlage für die Anrechnung von Einkommen und Vermögen ist, dass durch diese ein bestimmter grundsicherungsrechtlich relevanter Bedarf gedeckt werden kann, sodass zusätzliche Grundsicherungsleistungen in der entsprechenden Höhe entbehrlich sind (ebenso [X.] in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, § 11 [X.]B II Rd[X.]5, Stand der Einzelkommentierung 12/2015; [X.] in GK-[X.]B II, [X.] § 11 Rd[X.]2, Stand der Einzelkommentierung 12/2013).

Welche Barbeträge und welche Sachleistungen der Großvater dem Kläger zugewandt hat und welchen grundsicherungsrechtlichen Bedarf letztere deckten, wird das [X.] aufzuklären haben. Allgemeine Erwägungen, wie zB "dem Kläger (könne) das Kindergeld als tatsächliches Einkommen bedarfsmindernd angerechnet werden", dürfen zu Lasten des [X.] nicht berücksichtigt werden, solange nicht feststeht, dass der Großvater dem Kläger "das Kindergeld" als Geldbetrag in Höhe des jeweiligen Zahlbetrags zugewandt hat.

7. Weiteres beim Kläger zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen könnte sich aus der Vermutung des § 9 Abs 5 [X.]B II ergeben, weil er mit seinem Großvater eine [X.] bildete (vgl zur Vermutung, dass Verwandte an mit ihnen in einem Haushalt lebende Hilfebedürftige Leistungen erbringen, hinsichtlich des Einkommens § 1 Abs 2 [X.]).

Inwieweit der Großvater ein entsprechendes Einkommen oder Vermögen hatte und Leistungen gegenüber dem Kläger erbrachte, wird das [X.] aufzuklären haben (zur Auskunftspflicht des Großvaters gegenüber der Beklagten: § 60 Abs 1, 2 [X.]B II).

Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das [X.] ebenfalls zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 53/15 R

19.10.2016

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Detmold, 19. Mai 2015, Az: S 18 AS 1604/10, Urteil

§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11 Abs 1 S 2 SGB 2, § 11 Abs 1 S 3 SGB 2, § 7 Abs 3 SGB 2, § 9 Abs 5 SGB 2, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2016, Az. B 14 AS 53/15 R (REWIS RS 2016, 3765)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3765

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 4 AS 11/10 R (Bundessozialgericht)

(Arbeitslosengeld II - keine Übernahme der Kosten für Schulbücher für das Schuljahr 2006/2007 - kein …


B 4 AS 139/10 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Absetzung von Privatversicherungsbeiträgen - Angemessenheit einer privaten Unfallversicherung für …


B 14 AS 15/18 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung - Erbschaft - Zeitpunkt des Erbfalls während des …


B 14 AS 17/10 R (Bundessozialgericht)

Arbeitslosengeld II - Sozialgeld - Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung im Jahre 2005


B 14 AS 50/13 R (Bundessozialgericht)

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Abweichung vom Kopfteilprinzip bei Wegfall des Unterkunftskostenanteils eines …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.