Bundessozialgericht, Urteil vom 19.06.2012, Az. B 4 AS 163/11 R

4. Senat | REWIS RS 2012, 5549

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Absetzbarkeit von berufsbezogenen Aufwendungen bzw Werbungskosten - vermögenswirksame Leistungen - Streitgegenstand


Leitsatz

Eine bei der Einkommensberücksichtigung über die steuerrechtliche Sichtweise hinausgehende Berücksichtigung von berufsbezogenen Aufwendungen ist nur geboten, wenn dies durch das Ziel des SGB 2, den Leistungsberechtigten in das Erwerbsleben einzugliedern, geboten ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 9. Februar 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden [X.] im Zeitraum vom 1.6.2008 bis 30.11.2008.

2

Die Klägerin bezog bis zum [X.] als Versicherungsleistung. Sie beantragte für sich und ihren [X.] Leistungen nach dem [X.] ab dem 1.6.2008. Ebenfalls ab dem 1.6.2008 übte die Klägerin an fünf Tagen in der Woche eine Halbtagsbeschäftigung als Sekretärin bei der [X.] mit einem Bruttogehalt in Höhe von 1066 [X.] zuzüglich eines Arbeitgeberanteils zu den vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 40 [X.], netto 829,98 [X.] aus.

3

Mit den Bescheiden vom 23.7.2008 und 17.9.2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen von Juni bis November 2008 in Höhe von 675,89 [X.] für Juni, 107,28 [X.] für Juli und jeweils 108,66 [X.] für die Monate August bis November 2008. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2008 zurück.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Hinsichtlich der geltend gemachten Ausgaben für Bekleidung und Kosmetika fehle es - unter Anwendung der steuerrechtlichen Grundsätze - an der [X.] als Werbungskosten. Diesbezüglich ergäben sich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

5

Das L[X.] hat den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide und des Urteils des [X.] verpflichtet, bei der Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin den Anteil des Arbeitgebers zu den vermögenswirksamen Leistungen abzuziehen. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 9.2.2011). Das L[X.] hat zur Begründung ausgeführt: Streitgegenstand sei nur noch die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum von Juni bis November 2008. Zwar könnten betreuungsbedingte Aufwendungen wie diesbezügliche Fahrkosten einer alleinstehenden Mutter oder Betreuungskosten selbst unter Umständen berücksichtigt werden, jedoch seien die von der Klägerin erst nachträglich geltend gemachten Ansprüche bzw [X.] nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Es sei von einem Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von 1093,89 [X.] monatlich auszugehen. Nach Abzug der zu berücksichtigenden Beträge einschließlich des Freibetrags nach § 30 [X.] errechne sich ein bereinigtes Erwerbseinkommen in Höhe von 576,97 [X.]. Als Einkommen anzurechnen seien ferner das Kindergeld in Höhe von 154 [X.] und der Unterhalt in Höhe von 257 [X.] monatlich. Unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots stelle sich nur noch die Frage, ob auch die Aufwendungen für vermögenswirksame Leistungen als Einkommen auf den Bedarf der Klägerin und ihres [X.] anrechenbar seien und zum anderen die Frage der höheren Werbungskosten. Bei vermögenswirksamen Leistungen handele es sich - soweit der Arbeitgeberanteil betroffen sei - um eine zweckbestimmte Einnahme, die nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei. Hingegen könne die von der Klägerin erbrachte Eigenleistung in Höhe von 40 [X.] nicht vom Einkommen abgesetzt werden. Hinsichtlich der höheren Werbungskosten habe die Klägerin höhere Aufwendungen als die durch die Kilometerpauschale berücksichtigten Fahrkosten nicht nachweisen können. Zudem seien hinsichtlich der Aufwendungen für Kleidung sowie der Hygieneartikel und Kosmetika die Aufwendungen - mit Ausnahme einer Friseurquittung über 92,65 [X.] sowie Quittungen für Textilien - nicht näher beziffert worden.

6

Mit der vom B[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 11 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs 1 Nr 2 [X.]-V. Sie müsse zur Wahrnehmung ihrer Termine einen Aufwand an Kleidung und Kosmetik betreiben. Im Regelsatz für 2008 seien für Bekleidung und Schuhe monatlich 34,84 [X.] enthalten. Für den Zeitraum vom 1.6.2008 bis zum 30.11.2008 habe der Klägerin also ein Satz von 209,04 [X.] zur Verfügung gestanden. Die Klägerin gebe in sechs Monaten 452 [X.] für Kleidung aus, davon seien 246 [X.] berufsbedingt. Es bleibe kein Spielraum für berufsbedingte Kleidung. Außerdem gehe die Klägerin [X.] im Jahr zum Friseur. Damit sei der [X.] an Gesundheitspflege komplett aufgebraucht. Wenn das L[X.] darauf hinweise, dass die steuerrechtlichen Regelungen für einen Erwerbstätigen keine Absetzungsmöglichkeit für [X.] und Kosmetik/Friseur vorsehe, stelle sich die Frage, ob diese Regelung auf einen [X.]-Bezieher anwendbar sei, der aufgrund seines geringen Einkommens keine steuerlichen [X.] habe und insoweit für die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auf sein Existenzminimum zurückgreifen müsse. Bei der Klägerin liege im Hinblick auf den Eingriff in das Existenzminimum eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips vor, da mit dem Existenzminimum auch noch berufsbedingte Aufwendungen finanziert werden müssten.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 14. Mai 2009 und das Urteil des [X.] vom 9. Februar 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Bescheide vom 23. Juli 2008 und 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2008 aufzuheben und der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juni 2008 bis 30. November 2008 für berufsbedingte Aufwendungen für Kleidung und Schuhe 246 [X.] und 83 [X.] für Friseurbesuch auszuzahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der Beklagte ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe gerade auf die steuerrechtlichen Vorschriften abgestellt. Die gleichartige Beurteilung im Steuerrecht und im [X.] sei vor dem Hintergrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung geboten.

Der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung verpflichtet, hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen noch eine Verwaltungsentscheidung auf der Grundlage von Eingliederungsleistungen nach den §§ 16 ff [X.] zu treffen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] begründet. Der [X.] vermochte über die Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin nicht abschließend zu entscheiden. Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] konnte der [X.] nicht beurteilen, ob vom Einkommen der Klägerin zusätzliche Beträge abzusetzen waren, die aus der Kinderbetreuung resultieren.

1. Streitgegenstand ist die Höhe der durch die Bescheide vom 23.7.2008 und vom 17.9.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2008 für den Zeitraum vom 1.6.2008 bis 30.11.2008 festgesetzten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin. Im Revisionsverfahren nicht mehr zu prüfen ist die durch das [X.] erfolgte Verurteilung des Beklagten zur Zahlung höherer Leistungen (unter Abzug des Anteils des Arbeitgebers zu den vermögenswirksamen Leistungen), weil nur die Klägerin sich gegen das Urteil des [X.] gewandt hat.

Das [X.] hat den Streitgegenstand allerdings verkannt, soweit es davon ausgegangen ist, dass die von der Klägerin erst "nachträglich" geltend gemachten Aufwendungen für die Betreuung ihres [X.] und die dazu notwendigen Fahrkosten nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits geworden seien. Diese Aufwendungen betreffen, soweit sie vom zu berücksichtigenden Einkommen abzusetzen sind, als bloßer Berechnungsfaktor lediglich die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Derartige Berechnungsfaktoren bilden keinen eigenen materiell-rechtlichen Streitgegenstand. Dies kann mit dem [X.] lediglich hinsichtlich weitergehender Ansprüche auf Eingliederungsleistungen nach dem [X.] angenommen werden ([X.] 102, 73 = [X.]-4200 § 16 [X.], [X.] zum Anspruch auf eine Mehraufwandsentschädigung bei einer Arbeitsgelegenheit; [X.] 107, 97 = [X.]-4200 § 11 [X.]4, Rd[X.] 18 zum Anspruch auf kommunale Eingliederungsleistungen).

2. Dem Leistungsanspruch der Klägerin im streitigen Zeitraum liegen die von der Klägerin zu beanspruchende Regelleistung in Höhe von 347 bzw 351 Euro, ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung in Höhe von 42 Euro sowie die anteiligen tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 218,75 Euro für die Miete und von 26,20 Euro für laufende Heizungskosten abzüglich der Kosten für die Warmwasserpauschale zugrunde.

3. Das neben dem Unterhaltsanspruch und dem Kindergeld als Einkommen zu berücksichtigende Erwerbseinkommen der Klägerin hat die Beklagte jeweils monatlich um einen Pauschalbetrag in Höhe von 15,33 Euro (= 1/60 der steuerrechtlichen Werbungskostenpauschale, § 6 Abs 1 [X.]), Fahrkosten in Höhe von 59,22 Euro (21 Tage x 14,1 km x 0,20 Euro, § 6 Abs 1 [X.] b Alg II-V), die anteiligen Ausgaben für die Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 15,90 Euro und die [X.] in Höhe von 30 Euro (§ 6 Abs 1 [X.]) vermindert. Schließlich ist ein Freibetrag bei Erwerbstätigkeit nach § 30 [X.] in Höhe von 170,60 Euro berücksichtigt worden. Hinsichtlich dieser Abzugsposten sind Fehler des Beklagten, die sich negativ auf den Leistungsanspruch der Klägerin auswirken würden, nicht ersichtlich.

a) Keine Einwände ergäben sich zunächst gegen die Auffassung des [X.], dass die von der Klägerin erbrachten Eigenleistungen im Rahmen von vermögenswirksamen Leistungen nicht vom Einkommen abzusetzen seien (vgl schon [X.] vom 27.2.2008 - [X.]/7b [X.], [X.] 100, 83 = [X.]-4200 § 20 [X.], Rd[X.] 50). Die Eigenleistungen zu vermögenswirksamen Leistungen werden nicht in den in § 11 Abs 2 [X.] aufgeführten [X.] genannt. Dies ist mit Rücksicht darauf nicht zu beanstanden, dass der Vermögensaufbau nicht zu den Zielen des [X.] rechnet.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann ein über die zugebilligten Pauschalen hinausgehender Betrag für [X.] sowie für Kosmetik und Friseur nicht vom Einkommen in Abzug gebracht werden.

Vom zu berücksichtigenden Einkommen sind nach § 11 Abs 2 [X.] 5 [X.] (in der bis zum [X.] unveränderten Fassung durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.]) die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen. Mit dieser Vorschrift knüpft der Gesetzgeber schon ihrem Wortlaut nach nicht unmittelbar an die in § 9 EStG zu Werbungskosten getroffene Regelung an. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen besteht eine Identität zwischen den mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben und den Werbungskosten iS des § 9 EStG deshalb nur insoweit, als nicht der Zweck der Leistungen nach dem [X.] Differenzierungen gebietet ([X.] in [X.]/[X.], [X.], § 11 Rz 462, Stand VI/10).

Hinsichtlich des Verhältnisses zu den steuerrechtlichen Werbungskosten ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Absetzungsmöglichkeit durch § 11 Abs 2 [X.] 5 [X.] insofern ein engerer Rahmen gesetzt wird, als im [X.] eine kausale Verknüpfung allein zwischen den fraglichen Aufwendungen und der "Erzielung des Einkommens" gefordert wird, während § 9 Abs 1 S 1 EStG hinsichtlich der steuerrechtlichen Werbungskosten auf die "Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen" abstellt. Die Regelungen unterscheiden sich weiter dadurch, dass im Recht der Grundsicherung - ebenso wie im Sozialhilferecht (§ 82 Abs 2 [X.], vgl zum Verhältnis dieser [X.] zu den steuerrechtlichen Werbungskosten [X.] in [X.] § 82 Rz 60) - nur notwendige Ausgaben als Abzugsposten berücksichtigt werden können, während es das Steuerrecht genügen lässt, wenn die Aufwendungen durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind (stRspr: [X.] Urteil vom 23.3.2011 - VI R 175/99 - juris-Rd[X.] 12 mwN). Ist der Begriff der Werbungskosten danach grundsätzlich weiter als die durch § 11 Abs 2 [X.] 5 [X.] eröffneten [X.], kann sich anderseits gleichwohl im Einzelfall ein weiteres Verständnis dadurch ergeben, dass dies durch ein zentrales Anliegen des Gesetzes, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen (§ 1 Abs 1 S 3 [X.] aF bzw § 1 Abs 2 S 3 [X.] nF), gefordert wird. Es ist deshalb ein nicht zu beanstandendes Vorgehen, zur Beurteilung der Frage, ob Aufwendungen mit der Erzielung des Einkommens notwendig verbunden sind, in einem ersten Schritt die steuerrechtlichen Grundsätzen heranzuziehen (vgl etwa Söhngen in jurisPK-[X.], 3. Aufl 2012, § 11b Rd[X.]0) und in einem zweiten Schritt zu hinterfragen, ob sich aus den vorstehenden Grundsätzen ein abweichendes Verständnis ergibt.

aa) Den Vorinstanzen ist darin zuzustimmen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für [X.] und Schuhe anknüpfend an die steuerrechtliche Sichtweise nicht zu den mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben gehören. Dem Begriff der Werbungskosten unterfällt nach § 9 Abs 1 S 3 [X.] EStG nur die "typische Berufskleidung", die von der "bürgerlichen Kleidung" abgegrenzt wird. Hierbei hat der [X.] darauf hingewiesen, dass die steuerrechtliche Regelung zur Berufskleidung zum Teil rechtsbegründenden Charakter hat, weil auch die Berufskleidung getragen wird um bekleidet zu sein und insoweit grundsätzlich den Kosten für die allgemeine Lebensführung zuzuordnen ist (vgl [X.] Urteil vom 20.11.1979 - VI R 143/77, juris-[X.] zu einem im [X.] Stil gehaltenen Trachtenanzug des Geschäftsführers eines [X.] Lokals; vgl auch Loschelder in [X.], EStG, 31. Aufl 2012, § 9 Rz 171). Typische Berufskleidung ist steuerrechtlich also nur solche, die ihrer Beschaffenheit nach objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmt und wegen der Eigenart des Berufes nötig ist ([X.] Urteil vom 20.11.1979 - VI R 143/77, [X.]). In ihrer Beschaffenheit kommt die funktionale Bestimmung beruflicher Bekleidung entweder in ihrer Unterscheidungsfunktion oder ihrer Schutzfunktion zum Ausdruck ([X.] in Küttner, Personalbuch, 19. Aufl 2012, Arbeitskleidung Rz 17 mwN).

Die Abgrenzung zwischen beruflich veranlassten Aufwendungen und dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden Ausgaben stellt sich im Recht der Grundsicherung in vergleichbarer Weise, weil dort die Regelleistung der Sicherung des typischerweise zu deckenden Bedarfs des Leistungsberechtigten dient. Vor dem Hintergrund der gleichermaßen bestehenden Erforderlichkeit einer klaren Abgrenzung zur Privatsphäre können Kleidungsstücke nur dann als Abzugsposten anerkannt werden, wenn es sich um der Eigenart des Berufes entsprechende spezifische Kleidung handelt, die wegen der Eigenart der beruflichen Anforderungen nötig ist. Hingegen wird "bürgerliche" Kleidung auch bei der Anwendung des § 11 Abs 2 [X.] 5 [X.] nicht schon dadurch zur Ausübung des Berufes notwendigen Bekleidung, dass sie aufgrund einer Weisung oder Anforderung des Arbeitgebers getragen wird (zum Steuerrecht: Loschelder in [X.], EStG, 31. Aufl 2012, § 9 Rz 171).

Die Aufwendungen für die hier in Frage stehende [X.] kann nach den vorstehenden Ausführungen nicht als für die Erzielung des Einkommens notwendig angesehen werden. Es handelt sich schon nach dem Vortrag der Klägerin um Kleidung, die in erster Linie im Kundenkontakt ein seriöses und verkaufsförderndes Erscheinungsbild vermitteln sollte. Eine nicht nur ausnahmsweise private Nutzung derartiger Kleidung ist keinesfalls ausgeschlossen. Das Ziel einer Eingliederung in Arbeit und das Verfassungsrecht gebieten hier keine andere Beurteilung (s unten cc).

bb) Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für [X.] sind unter Zugrundelegung der bisherigen Ausführungen ebenfalls nicht als notwendige Aufwendungen zur Erzielung von Einkommen iS des § 11 Abs 2 [X.] 5 [X.] absetzungsfähig. Auch bei diesen Ausgaben handelt es sich um gemischte Aufwendungen, die zugleich dem privaten und beruflichen Lebensbereich zugeordnet werden können und die grundsätzlich durch die Regelleistung gedeckt werden. Allein der Umstand, dass die Klägerin hierfür möglicherweise überdurchschnittlich hohe Aufwendungen getätigt hat, die oberhalb des in der Regelleistung hierfür abgebildeten Satzes lagen, führt noch nicht zur ihrer Berücksichtigungsfähigkeit.

cc) Eine über die steuerrechtlichen Grundsätze hinausgehende Berücksichtigung von Aufwendungen ist allerdings im Einzelfall nach der Überzeugung des [X.]s geboten, wenn dies durch das zentrale Anliegen des [X.], den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen, geboten wird. Im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das übergreifende Ziel des [X.], die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von den Leistungen der Grundsicherung unabhängig zu machen, in erster Linie Gegenstand des Grundsatzes des Förderns (§ 14 [X.]) und der in den §§ 16 ff [X.] geregelten Eingliederungsleistungen ist. Insoweit kam für die von der Klägerin geltend gemachten Bedarfe im streitigen Zeitraum grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen nach § 16 Abs 2 S 1 [X.] (idF des [X.], [X.] 3024) in Betracht. Nach dieser Vorschrift können von den Agenturen für Arbeit über die in Abs 1 genannten Leistungen hinaus weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Es handelt sich um eine Generalklausel für ergänzende, dem individuellen Bedarf angepasste Eingliederungsleistungen, die dem Träger einen breiten Handlungsspielraum eröffnet (BSG [X.]-4200 § 16 [X.] 1; vgl auch [X.] in [X.]/Spellbrink, [X.], 2. Aufl 2008, § 16 Rd[X.] 173; [X.] in jurisPK-[X.], 2. Aufl 2007, § 16 Rd[X.]9). Die Leistungsgewährung auf der Grundlage dieser "Öffnungsklausel" war nicht auf die Arbeitsaufnahme beschränkt, sondern es kam auch eine Unterstützung bei der Fortführung einer ausgeübten Tätigkeit in Betracht. Festzustellen war jedoch jeweils die Erforderlichkeit der Leistungsgewährung für die berufliche Eingliederung.

Ob und in welchem Umfang die Klägerin auf der Grundlage des § 16 Abs 2 S 1 [X.] einen Leistungsanspruch im streitigen Zeitraum hat, war vom [X.] im Revisionsverfahren nicht zu entscheiden. Insoweit mangelt es bereits an einer vorhergehenden Verwaltungsentscheidung des Beklagten (vgl hierzu [X.] 99, 67 = [X.]-4200 § 7 [X.]; [X.] 107, 97 = [X.]-4200 § 11 [X.]4). Die einen selbstständigen Streitgegenstand bildenden Eingliederungsleistungen waren auch nicht von den Anträgen der Klägerin im Gerichtsverfahren umfasst. Eine verfassungsrechtliche Prüfung der von der Klägerin geltend gemachten Verletzung ihres Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG) kann nur unter Einbeziehung der Entscheidung über möglicherweise bestehende Ansprüche auf Eingliederungsleistungen vorgenommen werden.

c) Der [X.] kann auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob vom Einkommen weitere Absetzungen, die aus der Erforderlichkeit der Kinderbetreuung während der von der Klägerin ausgeübten Erwerbstätigkeit resultieren, zu tätigen sind. Der [X.] hat bereits entschieden, dass eine Absetzbarkeit von Kosten der Kinderbetreuung vom zu berücksichtigenden Einkommen nach § 11 Abs 2 [X.] 5 [X.] gegeben ist, wenn die Betreuungsaufwendungen infolge der Erwerbstätigkeit entstanden sind ([X.] 107, 97 = [X.]-4200 § 11 [X.]4, jeweils Rd[X.] 17; vgl auch schon zur Arbeitslosenhilfe BSG [X.]-4300 § 194 [X.]). Dies gilt insbesondere für die mit der Kinderbetreuung unmittelbar zusammenhängenden Fahrkosten. Ob der Klägerin insoweit zusätzliche Aufwendungen entstanden sind und ob diese notwendig iS des § 11 Abs 2 [X.] 5 [X.] waren, hat das [X.] - ausgehend von seiner Auffassung, diese seien nicht Gegenstand des Streitverfahrens geworden - ausdrücklich nicht geprüft. Dies wird es im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 4 AS 163/11 R

19.06.2012

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Marburg, 14. Mai 2009, Az: S 5 AS 258/08, Urteil

§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 05.12.2006, § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB 2 vom 05.12.2006, § 11b Abs 1 S 1 Nr 5 SGB 2 vom 13.05.2011, § 6 AlgIIV 2008 vom 17.12.2007, § 1 Abs 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 1 Abs 2 SGB 2 vom 13.05.2011, § 16 Abs 2 S 1 SGB 2 vom 19.12.2007, § 9 Abs 1 S 1 EStG, § 9 Abs 1 S 3 Nr 6 EStG, § 95 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.06.2012, Az. B 4 AS 163/11 R (REWIS RS 2012, 5549)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5549

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