Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2018, Az. 4 StR 446/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 10993

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:110418B4STR446.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 446/17

vom
11. April
2018
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] am 11.
April 2018 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12.
Mai 2017 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objekti-ven Tatgeschehen der ausgeurteilten Taten zu
II.
2
b) und c) der Urteilsgründe
aufrecht
erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine Jugendkammer des [X.] ver-wiesen.
2.
Die weiter
gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen
Rechts gestützten
Revision. Die
Verfahrensbeanstandungen bleiben ohne [X.]
-
3
-
folg, jedoch führt das Rechtsmittel mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang; im Übrigen ist es
unbe-gründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
1.
Nach den Feststellungen des [X.]s
lockte der im [X.] aufge-wachsene Angeklagte, der Mitte des Jahres 2016
im Alter von 24
Jahren ge-meinsam mit seinen Eltern als Flüchtling nach [X.] gekommen und in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht war,
zwischen Mitte September und Anfang Oktober 2016 in zwei Fällen den damals neunjährigen, ebenfalls mit seiner Familie dort untergebrachten Nebenkläger in einen Duschraum der Un-terkunft und vollzog an ihm

in einem Fall unter Anwendung von Gewalt

je-weils den analen Geschlechtsverkehr.
Zur Person des Angeklagten
hat das [X.] weiter
festgestellt, dass er etwa ab dem Alter von 17
Jahren unter nächtlichen [X.] litto-bei diese möglicherweise auch lediglich das Resultat häufigen Masturbierens wadeswegen im [X.] einem Arzt vorgestellt, der eine Hyper-sexualität
diagnostizierte
und dem Angeklagten das Medikament [X.] mit dem Wirkstoff Cyproteronacetat
verordnete, das die Bildung von [X.] unterdrückt. Weil der Vorrat des Angeklagten an [X.] während seiner Flucht nach [X.] aufgebraucht war, nahm
er dieses Medikament seither nicht mehr ein.
2.
Das [X.] hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähig-keit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. 2
3
4
-
4
-
Dieser hat ausgeführt, der Angeklagte weise eine leichte Intelligenzminderung

Medikation mit Cyproteronacetat und der fremdanamnestischen Angaben der hierauf keine Hinweise, dies sei aber durch Schamgefühle und die Tabuisierung dieses Themenkreises im [X.] erklärbar. Diesen Diagnosen folgend hat die [X.] angenommen, dass dbestehende und nun nicht mehr medikamentös regulierte starke Sexualtrieb auf infolge der intellektuellen Minderbegabung ohnehin herabgesetzte [X.] dem Angeklagten liege eine schwere andere seelische Abartigkeit vor, durch welche seine Steue-rungsfähigkeit im Zeitpunkt der Taten im Sinne des §
21 StGB erheblich ver-mindert, aber nicht gemäß §
20 StGB aufgehoben gewesen sei.
II.
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des [X.]s begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon dadurch werden auch die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psy-chiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
1.
Die Ausführungen des [X.]s zur strafrechtlichen [X.] des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat we-der die Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten ausgeschlossen hat, noch ob es zu
Recht
eine erheb-liche Verminderung der Schuld bejaht hat.
5
6
-
5
-
a)
Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten
zur Tatzeit aus einem der in §
20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von §
21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. [X.], Urteil vom 1.
Juli 2015

2
StR
137/15, NJW
2015, 3319; Beschlüsse vom 12.
März 2013

4
StR
42/13, [X.], 519; vom 14.
Juli 2016

1
StR 285/16, juris Rn.
7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen [X.]e des §
20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des [X.] zu unter-suchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträch-tigt worden sein. Hierzu ist das Gericht
jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der [X.]e des §
20 StGB bei ge-sichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der
aufgehobenen
oder
erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Ange-klagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisie-rende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die fest-gestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglich-keiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Ein-sichts-
und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. [X.],
Beschlüsse vom 19.
Dezember 2012

4
StR
417/12, [X.], 145, 146; vom 28.
Januar 2016

3
StR 521/15, [X.], 135, 136).
b)
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht, da das Vorliegen eines [X.]s im Sinne des §
20 StGB bereits nicht hin-reichend belegt ist.
7
8
-
6
-
aa)
Soweit das [X.] bei dem Angeklagten das [X.] einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in einer Kombination des nicht mehr medikamentös regulierten Sexualtriebs und einer intellektuellen Minder-begabung begründet sieht, bleibt bereits unklar, welches konkrete Krankheits-bild es
mit dem Begriff der Hypersexualität
verbindet.
Darüber hinaus
lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht
entnehmen, welche Symptome einer Hypersexualität der Angeklagte aufweist und welchen Schweregrad diese besitzen.
Die Ausführungen des [X.]s zum Vorliegen einer Hypersexualität des Angeklagten halten aber auch deshalb revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Sachver-ständigen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht so wiedergegeben hat, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüs-sigkeit erforderlich ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6.
April 2011

2
StR
72/11, [X.], 241; vom 8.
April 2003

3
StR
79/03, NStZ-RR 2003,
232). Der Umstand, dass dem Angeklagten in der Vergangenheit
triebdämpfende
Medi-kamente
gegeben worden waren, vermag weder die Darlegung des konkreten Krankheitsbilds der Hypersexualität noch ihrer Symptomatik beim Angeklagten zu ersetzen.
bb)
Zudem widersprechen sich die Ausführungen der [X.]
zum Krankheitsbild des
Angeklagten. Während sie im Rahmen der [X.] sowie die Intelligenzminderung des Angeklagten zurückgeführt
hat, hat sie
bei der Prüfung der [X.] für die Maßregel nach §
63 StGB festgestellt, dass die Taten

9
10
11
12
-
7
-
einer Hypersexualität aufgesattelten Paraphilie im Sinne einer Pädophilie vom reg

25).
Angesichts dieser widersprüchlichen Ausfüh-rungen erschließt sich nicht, von welchem konkreten Krankheitsbild die [X.] letztlich ausgegangen ist.
cc)
Schließlich bleibt auch die Diagnose einer Intelligenzmin-derung

des Angeklagten
unklar.
Der Senat kann anhand des
angefochtenen Urteils insbesondere nicht nachvollziehen, welches
konkrete Ausmaß die dia-gnostizierte
Intelligenzminderung hat. Angaben dazu, wie sie ermittelt wurde, fehlen. Im Übrigen sind die Angaben zur [X.] des Angeklagten auch teilweise widersprüchlich. So teilt das Urteil im Rahmen der Feststellun-gen zur Person des Angeklagten mit, dass er -reicht habe
(UA
3). Allerdings stellt die [X.] auch fest, (UA
4).
Dazu, wie sz-

vereinbaren lässt, verhält sich das Urteil nicht.
2.
Mit Blick auf die
unklaren und teilweise widersprüchlichen Ausführun-gen des Urteils zum Krankheitsbild des Angeklagten vermag der Senat einer-seits nicht
auszuschließen, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähig-keit und nicht nur
im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, anderer-seits ist auch das Vorliegen eines überdauernden, die Schuldfähigkeit [X.] Zustands im Sinne des §
63 StGB nicht tragfähig begründet. [X.] muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat einschließlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.] neu verhandelt und entschieden werden.
13
14
-
8
-
3.
Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der ausgeurteilten Ta-ten sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und können [X.] bleiben. Der Senat hat von der Möglichkeit des §
354 Abs.
2 Satz
1 Halb-satz
2 StPO Gebrauch gemacht und die Sache an das [X.] Hagen ver-wiesen. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, einen Sachverständigen mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet krankhafter Störungen des Sexual-triebs hinzuzuziehen.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Bender
Feilcke
15

Meta

4 StR 446/17

11.04.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2018, Az. 4 StR 446/17 (REWIS RS 2018, 10993)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10993

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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