Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.05.2011, Az. VII B 132/10

7. Senat | REWIS RS 2011, 6537

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Gegenstand

(Revisionszulassung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung - Entstehung von Säumniszuschlägen bei Haftung nach § 69 AO)


Leitsatz

1. NV: Eine objektiv willkürliche Entscheidung, die eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO rechtfertigt, liegt nicht bereits dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung im Ergebnis Zweifeln begegnet oder sogar eindeutig fehlerhaft ist.

2. NV: Für die Zulässigkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Erfüllung des Haftungstatbestands des § 69 AO an, sondern auf die Nichtentrichtung des angeforderten Haftungsbetrags.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) wegen rückständiger Lohnsteuern einer AG, deren Vorstand sie angehörte, nach § 69 der Abgabenordnung ([X.]) als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen. Gegen den Haftungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung ([X.]), die das [X.] bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gewährte. Mit Bescheid vom 28. Juli 1998 wies das [X.] den Einspruch als unbegründet zurück und teilte der Klägerin mit, dass die [X.] am 31. August 1998 beendet sei. Am 27. August 1998 erhob die Klägerin Klage. Eine erneute [X.] beantragte sie nicht. Die Klage wurde vom [X.] ([X.]) als unbegründet zurückgewiesen. Nach Zustellung des Urteils zahlte die Klägerin zwar die Gerichtskosten, nicht jedoch die Haftungssumme. Zunächst blieb das [X.] untätig. Erst im Dezember 2002 unternahm es [X.], die schließlich dazu führten, dass die Klägerin die Haftungsschuld in zwei Raten vollständig beglich. Die vom [X.] geltend gemachten Säumniszuschläge zahlte sie nicht, sondern verwies darauf, dass ihr das Urteil nicht zugestellt worden sei. Mit [X.] vom 14. Oktober 2004 stellte das [X.] Säumniszuschläge in Höhe von 1.634,84 € fest. Dabei ging es davon aus, dass die Haftungsschuld mit Ablauf des 31. August 1998 fällig gewesen sei. Der [X.] ist inzwischen bestandskräftig geworden. Den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge wegen verspäteter Vollstreckung lehnte das [X.] ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie die Verpflichtung des [X.] begehrte, ihr zumindest die Hälfte der Säumniszuschläge zu erlassen.

2

Das [X.] wies die Klage mit der Begründung ab, dass das [X.] das ihm zustehende Ermessen zutreffend ausgeübt habe. Ein Anspruch der Klägerin auf Erlass der Säumniszuschläge bestehe nicht. Auf die Einleitung der Vollstreckung stelle das Gesetz in § 240 [X.] nicht ab. In zulässiger Weise habe das [X.] die Aussetzungsverfügung mit einer Nebenbestimmung in Form einer Befristung versehen. Für die Klägerin habe zweifelsfrei festgestanden, dass sie die Haftungsschuld mit Ablauf des 31. August 1998 hätte begleichen müssen. Einen erneuten Antrag auf [X.] habe die Klägerin nicht gestellt, vielmehr sei sie untätig geblieben. Mit der zunächst unterbliebenen Vollstreckung habe das [X.] keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Da die Säumniszuschläge durch bestandskräftigen [X.] festgestellt worden seien, könne die Klägerin das Bestehen der Säumniszuschläge im Rahmen eines Erlassverfahrens nach § 227 [X.] nicht mehr in Frage stellen. Im Übrigen sei keine Zahlungsverjährung eingetreten.

3

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines gravierenden [X.]s und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der [X.]sordnung --[X.]O--). Das [X.] habe in der Urteilsbegründung lediglich auf § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] Bezug genommen. Unberücksichtigt habe es dabei gelassen, dass der Gesetzgeber § 240 Abs. 1 Satz 2 [X.] --als Reaktion auf das Urteil des [X.] ([X.]) vom 25. Februar 1997 [X.] ([X.]E 182, 480, [X.] 1998, 2)-- mit Wirkung zum 1. August 1998 geändert und den Anwendungsbereich der Vorschrift u.a. auf [X.] ausgedehnt habe. Nach § 240 Abs. 1 [X.] a.F. hätten bei nicht rechtzeitiger Entrichtung von [X.] keine Säumniszuschläge erhoben werden dürfen. Gemäß Art. 97 § 16 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung 1977 (EG[X.]) sei § 240 Abs. 1 [X.] i.d.F. des Art. 5 des Gesetzes vom 23. Juni 1998 ([X.], 1496) erstmals auf Säumniszuschläge anzuwenden, die nach dem 31. Juli 1998 entstanden seien. Im Streitfall sei die Klägerin vor diesem Datum als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden, so dass die Erhebung von Säumniszuschlägen eine Rückwirkung entfalte. Die Nichtberücksichtigung der ursprünglichen Fassung des § 240 Abs. 1 [X.] --die eine Erhebung von Säumniszuschlägen bei [X.] nicht zuließ-- stelle einen qualifizierten [X.] dar. Durch die Nichtzahlung auf die Haftungsschuld habe die Klägerin eine schutzwürdige Disposition getroffen. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung sei der haftungsbegründende Tatbestand bereits erfüllt gewesen, weshalb von einer unzulässigen echten Rückwirkung auszugehen sei. Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung habe das [X.] die Verletzung des [X.] und das Vorliegen von sachlichen Billigkeitsgründen unberücksichtigt gelassen und eine objektiv willkürliche Entscheidung getroffen. Zudem habe es dem Fehlverhalten des [X.] keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Schließlich weiche das erstinstanzliche Urteil von der Entscheidung des [X.] in [X.]E 182, 480, [X.] 1998, 2 ab.

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Das [X.] ist der Beschwerde entgegengetreten. Es ist der Auffassung, dass die Klägerin einen qualifizierten [X.] nicht schlüssig dargelegt habe. Denn aus der Sicht des [X.] habe sich ihm die Anwendung der ursprünglichen Fassung des § 240 Abs. 1 [X.] nicht aufdrängen müssen. Art. 97 § 16 Abs. 4 EG[X.] stelle nicht auf die Fälligkeit der Haftungsschuld, sondern auf die Entstehung der Säumniszuschläge ab. Diese Zuschläge entstünden allein durch Zeitablauf bei Eintritt der Säumnis. Im Streitfall sei die Fälligkeit der Haftungsschuld mit Ablauf des 31. August 1998 eingetreten. Erst ab diesem Zeitpunkt schulde die Klägerin Säumniszuschläge. Die geänderte Fassung des § 240 Abs. 1 [X.] sei nach dem 31. Juli 1998 anzuwenden gewesen, weshalb das [X.] § 240 Abs. 1 [X.] a.F. zu Recht unberücksichtigt habe lassen dürfen. Zudem liege die behauptete Divergenz nicht vor.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das [X.] bei seiner Entscheidungsfindung keinen schwerwiegenden Rechtsfehler begangen, der das Urteil als greifbar gesetzwidrig erscheinen lässt. Auch die behauptete Divergenz liegt nicht vor.

6

1. Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung kann dann in Betracht kommen, wenn das angefochtene Urteil auf einem so schweren Rechtsfehler beruht, dass sein Fortbestand das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte (Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 [X.], [X.], 226, [X.], 896). Das ist der Fall, wenn sich die Entscheidung als objektiv willkürlich darstellt oder greifbar gesetzwidrig ist. Dafür reicht es jedoch nicht aus, dass sie im Ergebnis Zweifeln begegnet oder sogar eindeutig fehlerhaft ist ([X.] vom 4. November 2004 [X.], [X.], 707, m.w.N.). Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn das Urteil unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht ([X.] vom 13. Oktober 2003 [X.]/02, [X.], 404, [X.], 25).

7

Im Streitfall weist das Urteil des [X.] einen solch schwerwiegenden Rechtsfehler nicht auf. Vielmehr beruht es auf nachvollziehbaren Erwägungen und Schlussfolgerungen, die rechtlich vertretbar sind und sachfremde Überlegungen nicht erkennen lassen. Dies trifft insbesondere auf den Vorwurf der Klägerin zu, das [X.] habe die Änderung des § 240 Abs. 1 [X.] unberücksichtigt gelassen. Ausweislich der Urteilsbegründung hat das [X.] § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] auf den Streitfall angewandt, ohne ausdrücklich auf die in Art. 97 § 16 Abs. 4 EG[X.] getroffene Regelung Bezug zu nehmen. Dazu bestand aber auch keine Veranlassung. Für die Zulässigkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Erfüllung des Haftungstatbestands des § 69 [X.] an, sondern auf die Nichtentrichtung des Haftungsbetrags. Nach der --zutreffenden-- materiell-rechtlichen Auffassung des [X.] war die Klägerin verpflichtet, die Haftungsschuld spätestens am 31. August 1998 zu begleichen, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem die Neuregelung des § 240 Abs. 1 [X.] bereits in [X.] getreten war. Im Übrigen hat das [X.] zutreffend ausgeführt, dass § 240 Abs. 1 [X.] nicht auf die Einleitung der Vollstreckung abstellt.

8

Selbst wenn aber dem [X.] der Vorwurf gemacht werden könnte, es habe die Problematik gänzlich übersehen oder in den Urteilsgründen nicht aufgearbeitet, die sich aus der Anwendung der geänderten Vorschrift des § 240 Abs. 1 [X.] auf den Streitfall ergeben könnte, würde darin kein solch schwerwiegender Rechtsanwendungsfehler liegen, der zwingend eine Zulassung der Revision erfordern würde.

9

2. Die von der Klägerin behauptete Divergenz zur Senatsentscheidung in [X.], 480, [X.] 1998, 2 liegt deshalb nicht vor, weil das [X.] keinen Rechtssatz aufgestellt hat, der von dieser Entscheidung abweicht. Dort hatte der Senat zu § 240 Abs. 1 [X.] a.F. die Rechtsansicht vertreten, dass der Begriff "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht Geldbeträge erfasst, die in einem Haftungsbescheid gegen den [X.] festgesetzt worden sind. Ausweislich der Urteilsbegründung hat sich das [X.] mit der alten Fassung des § 240 Abs. 1 [X.] überhaupt nicht befasst. Auch bestand aus seiner Sicht kein Anlass, sich mit der genannten Senatsentscheidung näher auseinanderzusetzen und etwaige abweichende Rechtsmeinungen zu bilden.

Meta

VII B 132/10

18.05.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 25. März 2010, Az: 6 K 3467/06, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 240 Abs 1 AO, Art 97 § 16 Abs 4 AOEG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.05.2011, Az. VII B 132/10 (REWIS RS 2011, 6537)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6537

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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