Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.05.2021, Az. VII B 13/21 (AdV)

7. Senat | REWIS RS 2021, 5528

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Gegenstand

Aussetzung der Vollziehung: Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen


Leitsatz

NV: Gegen die Höhe der nach § 240 AO zu entrichtenden Säumniszuschläge bestehen für Jahre ab 2012 jedenfalls insoweit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des [X.] vom 29.05.2020 - 12 V 901/20 AO und der ablehnende Bescheid des Antragsgegners vom 24.03.2020 aufgehoben.

Die Vollziehung des Abrechnungsbescheids vom 10.03.2020 wird in Höhe der hälftigen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 bezogen auf den Zeitraum vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018 --mithin in Höhe von X €-- rückwirkend ab Fälligkeit aufgehoben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem [[X.].] ausgewiesenen Säumniszuschläge.

2

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) erließ am 10.03.2020 einen (geänderten) [[X.].], der zulasten des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) neben weiteren Steuerforderungen auch Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 für den Zeitraum vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018 in Höhe von Y € auswies. Die in dem [[X.].] aufgeführten Forderungen wurden durch Aufrechnung vollständig beglichen.

3

Der Antragsteller legte gegen den [[X.].] Einspruch ein und machte geltend, dass die darin aufgeführten Säumniszuschläge, soweit sie einen Betrag von [X.] € überstiegen, verfassungswidrig seien. Säumniszuschläge wiesen einen Druck- und einen Zinscharakter auf. Um den [X.] gehe es ihm hier nicht. Soweit jedoch in den Säumniszuschlägen ein Zinsanteil enthalten sei, werde dieser von den verfassungsrechtlichen Zweifeln des [X.] ([X.]) zur Höhe des gesetzlich vorgegebenen Zinssatzes von 6 % erfasst. Insoweit sei ihm daher Aufhebung der Vollziehung (AdV) der hälftigen Säumniszuschläge zu gewähren.

4

Über den Einspruch des Antragstellers hat das [X.] bislang noch nicht entschieden. Den [X.] lehnte es jedoch mit Entscheidung vom 24.03.2020 mit der Begründung ab, die Rechtsprechung habe bestätigt, dass der Säumniszuschlag in Höhe von 1 % je angefangenem Monat der Säumnis dem Grunde nach verfassungsgemäß sei und dass Säumniszuschläge insbesondere keinen --auch keinen verdeckten-- Zinsanteil enthielten.

5

Mit Beschluss vom 29.05.2020 hat das Finanzgericht ([X.]) einen dort gestellten Antrag auf AdV ebenfalls abgelehnt; der Beschluss ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1053, veröffentlicht. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss hat das [X.] nachträglich mit Beschluss vom 27.01.2021 zugelassen.

6

Gegen die Ablehnung des [X.]s wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zulässige Beschwerde ist begründet.

8

1. Nach der im vorläufigen Verfahren gemäß § 69 [X.]O gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge ernstliche Zweifel bestehen, so dass der angefochtene Beschluss des [X.] zusammen mit der Entscheidung des [X.] vom 24.03.2020 aufzuheben und dem [X.] des angefochtenen [X.] in dem tenorierten Umfang stattzugeben war.

9

a) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 [X.]O). Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 [X.]O).

Nach der Rechtsprechung des [X.] bestehen ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen, wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. [X.]-Beschluss vom 15.04.2020 - IV B 9/20 (AdV), [X.]/NV 2020, 919, m.w.N.). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Beschluss vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, [X.]/NV 2019, 1060, m.w.N.).

Vollzogen i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 7 [X.]O ist ein Verwaltungsakt auch im Falle einer Aufrechnung. Diese ist nach Anordnung einer Aufhebung der Vollziehung vorläufig rückgängig zu machen (vgl. Senatsbeschluss vom 24.10.1996 - VII B 122/96, [X.]/NV 1997, 257, unter 2.b bb; s.a. [X.]-Beschluss vom 15.03.1999 - I B 95/98, [X.]/NV 1999, 1205, unter [X.], m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 69 Rz 175).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist dem Antragsteller die begehrte Aufhebung der Vollziehung der streitgegenständlichen Säumniszuschläge in der beantragten Höhe zu gewähren.

Der [X.] hat wiederholt entschieden, dass gegen die Höhe der in § 233a der Abgabenordnung ([X.]) und in § 238 Abs. 1 Satz 1 [X.] normierten Zinssätze ab dem [X.] erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, die eine Aussetzung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 [X.]O geboten erscheinen lassen (s. vor allem [X.]-Beschluss vom 25.04.2018 - IX B 21/18, [X.]E 260, 431, [X.] 2018, 415; ebenso [X.]-Beschlüsse vom 11.02.2020 - VIII B 131/19, [X.]/NV 2020, 507, Rz 29; in [X.]/NV 2019, 1060, Rz 16, und vom 03.09.2018 - VIII B 15/18, [X.]/NV 2018, 1279, jeweils m.w.N.).

Der beschließende Senat wiederum hat bereits festgestellt, dass unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] bestehen (s. Senatsbeschluss vom 14.04.2020 - VII B 53/19, [X.]/NV 2021, 177, Rz 3; vgl. auch Senatsurteil vom 30.06.2020 - VII R 63/18, [X.]E 270, 7, [X.] 2021, 191, Rz 23). Dies gilt jedenfalls insoweit, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 21.10.2020 - VII B 121/19, [X.]/NV 2021, 326, Rz 33; zur Einordnung von Säumniszuschlägen als Druckmittel mit Zinscharakter s.a. [X.]-Urteil vom 29.08.1991 - V R 78/86, [X.]E 165, 178, [X.] 1991, 906, unter [X.], m.w.N., und Senatsurteil vom 25.02.1997 - VII R 15/96, [X.]E 182, 480, [X.] 1998, 2, unter 2.b cc; ebenso: [X.]/Rüsken, [X.], 15. Aufl., § 240 Rz 1). Ob und inwieweit der weitere Zweck, den Verwaltungsaufwand auszugleichen, hier ebenfalls zu berücksichtigen ist, ist bislang nicht entschieden (s. hierzu die Argumente von [X.], [X.] Steuer-Zeitung 2019, 143).

Vor diesem Hintergrund war die Vollziehung des angefochtenen [X.] hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 in der beantragten hälftigen Höhe aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VII B 13/21 (AdV)

26.05.2021

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 29. Mai 2020, Az: 12 V 901/20 AO, Beschluss

§ 240 Abs 1 S 1 AO, § 69 FGO, § 69 Abs 2 S 7 FGO, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.05.2021, Az. VII B 13/21 (AdV) (REWIS RS 2021, 5528)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5528

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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