Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.02.2018, Az. VI ZR 156/17

6. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 13297

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rechtsstreit um Schadensersatzansprüche einer GmbH aus angeblich unrichtiger Drittschuldnererklärung: Pflicht des Gerichts zur Kenntnisnahme und Berücksichtigung tatsächlicher und rechtlicher Ausführungen der Beteiligten


Leitsatz

Zur Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (hier: zum Bestehen von Vergütungsansprüchen eines "faktischen Geschäftsführers").

Tenor

1. Dem Beklagten wird als Beschwerdeführer für die Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung gewährt und Rechtsanwalt Dr. von [X.] beigeordnet.

2. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 8. März 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

3. Der Streitwert wird auf bis 22.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer ihrer Behauptung nach unrichtigen Drittschuldnererklärung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin, ein in [X.] ansässiges Speditionsunternehmen, erwirkte am 7. Februar 2013 ein mittlerweile in Rechtskraft erwachsenes Versäumnisurteil gegen die [X.] und deren Geschäftsführer [X.]. über einen Betrag von 108.552,28 €. Mit Beschluss vom 2. Oktober 2013 wurde über das Vermögen der [X.] das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Aufgrund des rechtskräftigen Versäumnisurteils gegen [X.]. ließ die Klägerin der ehemaligen Beklagten zu 1, der [X.], und dem Beklagten, der auch Geschäftsführer der [X.] war, die Benachrichtigung zustellen, dass die Pfändung von Ansprüchen des [X.]. gegen beide bevorstehe (Vorpfändung). Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 mit: "Zunächst informiere ich Sie darüber, dass [X.]. keine Ansprüche/Forderungen gegen die [X.] hat. ... Ergänzend teile ich mit, dass sämtliche Geschäftsbeziehungen mit [X.]. bereits vor längerer [X.] gekündigt bzw. aufgelöst wurden. [X.]. hat und hatte keine Ansprüche gegen die Firma oder den Geschäftsführer. Einen Lohn hat [X.]. zu keinem [X.]punkt bezogen, da er nie in der Firma angestellt war. Es ist daher kein Rechtsgrund ersichtlich, weswegen hier ein begründeter Anspruch als Drittschuldner gegen die [X.] vorliegen soll."

3

Ein Schreiben gleichen Inhalts übersandte der Beklagte am 30. Oktober 2013 an das Amtsgericht und legte Beschwerde gemäß § 793 ZPO gegen die Benennung der [X.] und seiner Person als Drittschuldner ein. Am 19. November 2013 wurde der [X.] und dem Beklagten ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betreffend angebliche Gehaltsansprüche des [X.]. gegen die [X.] aus dem [X.] und Ansprüche des [X.]. gegen den Beklagten aus einem Treuhändervertrag zugestellt. Hintergrund war eine am 10. September 2012 zwischen dem Beklagten als Treuhänder und [X.]. als Treugeber geschlossene notarielle Treuhandvereinbarung über zwei das gesamte Gesellschaftsvermögen darstellende Geschäftsanteile der [X.]. Diese Anteile hatte zunächst der Beklagte für sich gehalten und sollte sie von nun an für [X.]. halten. Nach dem Vertrag sollte nach außen hin der Beklagte als Gesellschafter auftreten, während im Innenverhältnis [X.]. als Treugeber als Gesellschafter behandelt werden und auf ihn auch der Gewinn entfallen sollte. Darüber hinaus war der Beklagte als Treuhänder verpflichtet, dem Treugeber alles herauszugeben, was er als Inhaber der Geschäftsanteile erhalten hatte. Am 14. Januar 2013 hatte der Beklagte als Geschäftsführer der [X.] [X.]. eine schriftliche Handlungsvollmacht erteilt, wonach dieser berechtigt war, "die selbständige Zweigniederlassung der [X.] in [X.], [X.]" in allen Geschäften mit Dritten zu vertreten. Nach der Behauptung des Beklagten kam es am 15. Januar 2013 zu einer schriftlichen Vereinbarung, wonach das Treuhandverhältnis aufgehoben sei. Eine Kopie der Vertragsurkunde liegt vor. Die Klägerin macht geltend, diese sei gefälscht.

4

Mit der Klage hat die Klägerin die [X.] und den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Nachdem über das Vermögen der [X.] mit Beschluss vom 9. April 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, ist der Rechtsstreit gegen diese abgetrennt worden. Das [X.] hat die gegen den Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 19.200 € nebst Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass der Beklagte zur Zahlung aufgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung verpflichtet sei. Es hat weiter festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin den aus der Nichterfüllung der Auskunftsverpflichtung der [X.] gemäß § 840 Abs. 1 ZPO entstandenen Schaden zu ersetzen. Die weitergehende Berufung hat das [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

6

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte hafte der Klägerin wegen einer unrichtigen Drittschuldnerauskunft sowohl aus § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1, § 27 StGB auf Schadensersatz. Die Angaben des Beklagten in seinen Schreiben vom 17. und 30. Oktober 2013 seien falsch gewesen. [X.] sei insbesondere die Auskunft gewesen, [X.]. stünden keine Ansprüche gegen die [X.] zu. Denn [X.]. sei als faktischer Geschäftsführer der [X.] aufgetreten und habe als solcher Gehaltsansprüche gegen diese Gesellschaft gehabt; er allein sei berechtigt gewesen, über ihr Geschäftskonto bei der [X.] zu verfügen. Hätte der Beklagte den wahren Sachverhalt dargelegt, wäre der Klägerin aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ein Zugriff auf die auf die Gehaltsansprüche des [X.]. entfallenden, von diesem vom Konto der [X.] vorgenommenen Abhebungen möglich gewesen. Die Höhe des dadurch entstandenen Schadens schätze der Senat auf vier Monatsgehälter zu je 4.800 € brutto, d.h. insgesamt 19.200 €.

7

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass diese Beurteilung auf einer Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG beruht.

8

a) Die Bestimmung in Art. 103 Abs. 1 GG hat den Zweck, einen angemessenen Ablauf des Verfahrens zu sichern (vgl. [X.] 119, 292, 296). Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. [X.] 84, 188, 190; 86, 133, 144  ff.). Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. [X.] 19, 32, 36; 49, 325, 328; 55, 1, 6; 60, 175, 210; 64, 135, 143 f.) sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (vgl. [X.] 6, 19, 20; 15, 303, 307; 36, 85, 87). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. [X.] 60, 1, 5; 65, 227, 234; 84, 188, 190; 86, 133, 144 ff.; [X.], Beschluss vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14, [X.], 3218 Rn. 47 mwN).

9

b) Mit diesen Grundsätzen steht die angefochtene Entscheidung nicht im Einklang. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Beklagten in der Klageerwiderung und in der [X.] übergangen hat, wonach [X.]. ohne einen Anstellungsvertrag oder ein ähnliches Schuldverhältnis mit der [X.] keine Gehaltsansprüche, insbesondere kein Anspruch auf Zahlung einer Geschäftsführervergütung zustehe. In der Berufungsbegründung hat die Beklagte ausdrücklich auf die Feststellung im landgerichtlichen Urteil unter 2.4 verwiesen, wonach weder seitens der [X.] noch seitens der einvernommenen Zeugen vertragliche Unterlagen zwischen [X.]. und der [X.] vorgelegt worden seien, die entsprechende Zahlungsansprüche des [X.]. begründen könnten. Mit diesem rechtlichen Gesichtspunkt, den der Beklagte ausdrücklich aufgeworfen und auf den sich auch das [X.] gestützt hatte, hätte sich das Berufungsgericht auseinandersetzen müssen. Das ist nicht geschehen. Aus dem Berufungsurteil ist nicht ersichtlich, woraus sich der angenommene Vergütungsanspruch ergeben soll.

c) Der eben dargestellte Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens Vergütungsansprüche des [X.]. gegen die [X.] und damit jedenfalls einen gemäß § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. § 823 Abs. 2 i.V.m. § 288, 27 StGB ersatzfähigen Schaden verneint hätte (vgl. zum Schaden i.S.d. § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO: [X.], Urteil vom 25. September 1986 - [X.], [X.]Z 98, 291, juris Rn. 15; vom 10. Oktober 1977 - [X.], [X.]Z 69, 328, juris Rn. 25; [X.], Urteil vom 28. November 1995 - 4 U 222/94, [X.], 705, juris Rn. 16, 19).

III.

Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen. Es wird dabei insbesondere zu berücksichtigen haben, dass den Beklagten zu dem [X.]punkt, als er seine Angaben gemacht hat, mangels Zustellung des erst später erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses noch keine Verpflichtung zur Auskunftserteilung im Sinne des § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO traf (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 1977 - [X.], [X.]Z 68, 289 Rn. 11 f.; [X.], Urteil vom 28. November 1995 - 4 U 222/94, [X.], 705; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 840 Rn. 5; [X.], ZPO, 23. Aufl., § 840 Rn. 3; derselbe, § 845 Rn. 15).

Das Berufungsgericht wird weiter zu berücksichtigen haben, dass eine Haftung des Beklagten wegen Beihilfe zur Vollstreckungsvereitelung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 288, 27 StGB) voraussetzt, dass der Haupttäter den Straftatbestand des § 288 StGB vorsätzlich und rechtswidrig verwirklicht hat, d.h. bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens veräußert oder beiseite geschafft hat (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. November 1990 - [X.], [X.], 674; [X.], Urteil vom 10. Februar 1953 - 1 [X.], NJW 1953, 1152, 1153; [X.], 208, 210; [X.] in [X.] Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 288 Rn. 20). Auch hierzu fehlt es bislang an Feststellungen.

[X.]     

      

von [X.]     

      

Offenloch

      

Oehler     

      

Müller     

      

Meta

VI ZR 156/17

27.02.2018

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 8. März 2017, Az: 3 U 3199/16

Art 103 Abs 1 GG, § 840 Abs 2 S 2 ZPO, § 27 StGB, § 288 StGB, § 823 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.02.2018, Az. VI ZR 156/17 (REWIS RS 2018, 13297)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 884-885 WM2018,863 REWIS RS 2018, 13297


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZR 156/17

Bundesgerichtshof, VI ZR 156/17, 27.02.2018.


Az. 3 U 3199/16

OLG München, 3 U 3199/16, 08.03.2017.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 156/17 (Bundesgerichtshof)


3 U 3199/16 (OLG München)

Haftung des Drittschuldners wegen falscher Auskunft


5 Sa 110/16 (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern)


11 Sa 462/15 (Landesarbeitsgericht Köln)


4 O 293/14 (LG Traunstein)

Schadensersatz aufgrund einer abgebenen Drittschuldnererklärung


Referenzen
Wird zitiert von

VI ZR 156/17

Zitiert

2 BvR 3068/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.