Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.01.2012, Az. IV ZR 251/10

4. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 10269

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) VERKEHRSRECHT ALKOHOL IM STRASSENVERKEHR VERSICHERUNGSRECHT VERSICHERUNGEN

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Gegenstand

Kfz-Haftpflichtversicherung: Regressforderung bei Trunkenheitsfahrt


Leitsatz

Der Versicherer kann bei grob fahrlässiger Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen (hier: Kürzung auf null bei absoluter Fahruntüchtigkeit). Dazu bedarf es der Abwägung der Umstände des Einzelfalles (Fortführung von Senatsurteil vom 22. Juni 2011, IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037).

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] - 2. Zivilkammer - vom 18. Oktober 2010 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der klagende Kfz-Haftpflichtversicherer nimmt seinen Versicherungsnehmer in Regress, nachdem er für ihn den anlässlich einer Trunkenheitsfahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit entstandenen Schaden reguliert hatte.

2

Dem Versicherungsverhältnis liegen die [X.] 2008 zugrunde. Gemäß [X.].1 [X.] 2008 darf das Fahrzeug nicht gefahren werden, wenn der Fahrer durch den Genuss alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Unter D.3.1 [X.] 2008 ist geregelt:

"Verletzten Sie vorsätzlich eine Ihrer in [X.] und [X.] geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzten Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. …"

3

Der Beklagte fuhr am 12. April 2009 gegen 17.15 Uhr mit seinem PKW, ohne an der Einmündung am Ende der von ihm befahrenen Straße nach rechts oder nach links abzubiegen, geradeaus und durchbrach die Grundstücksmauer des anliegenden Anwesens. Eine ihm um 18.27 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine mittlere Blutalkoholkonzentration von 2,10 Promille. Die Klägerin verlangt Erstattung des von ihr ersetzten Gesamtschadens in Höhe von 4.657,17 €. In diesem Betrag sind 702,04 € Kosten des vom Grundstückseigentümer beauftragten Gutachters enthalten, der den entstandenen Sachschaden mit 3.479 € beziffert hat.

4

Vor dem Amtsgericht hat der Beklagte einen Teilbetrag von 1.877,95 € anerkannt. Die weitere Zahlung hat er abgelehnt. Ihm könne keine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt nachgewiesen werden und er habe wegen des Ausschlusses einer Leistungskürzung auf null bei § 28 Abs. 2 Satz 2 [X.] für den Schaden nur zur Hälfte einzustehen. Weiterhin sei die Bestimmung in D.3.1 [X.] 2008 intransparent. Schließlich müsse er für die Sachverständigenkosten nicht aufkommen.

5

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung in Höhe der Klageforderung verurteilt. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und Klageabweisung über den von ihm anerkannten Betrag hinaus.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat keinen Erfolg.

7

I. Das [X.]erufungsgericht hat eine Regresspflicht des [X.]eklagten in voller Höhe angenommen. Es hat in seinem Verhalten einen derart schwerwiegenden Obliegenheitsverstoß gesehen, dass ausnahmsweise eine Leistungskürzung auf null gerechtfertigt sei. Zu ersetzen seien auch die dem Geschädigten entstandenen Sachverständigenkosten.

8

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

9

1. Für § 81 Abs. 2 [X.] ist die Frage der Möglichkeit einer Leistungskürzung auf null in Ausnahmefällen durch [X.]surteil vom 22. Juni 2011 ([X.]/10, [X.], 1037) geklärt. Dort hat der [X.] entschieden, dass die in § 81 Abs. 2 [X.] geregelte Rechtsfolge, wonach der Versicherer berechtigt ist, "seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen", einer vollständigen Versagung der Leistung in Ausnahmefällen nicht entgegen steht. Es bedarf dabei stets einer Abwägung der Umstände des Einzelfalles. Weder der Wortlaut der Norm noch dessen Entstehungsgeschichte schließen eine Leistungskürzung auf null aus. Auch der mit der Abschaffung des [X.] verfolgte [X.] führt nicht zur Unzulässigkeit der vollständigen Leistungsfreiheit. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen sich der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit dem Vorsatz annähert.

Diese Grundsätze treffen ebenso auf die Regelung des § 28 Abs. 2 [X.] zu. Hinsichtlich der Rechtsfolge weisen beide Vorschriften einen identischen Wortlaut auf. Sie teilen dieselbe Entstehungsgeschichte. Der vom Gesetzgeber mit der Aufgabe des [X.] verfolgte [X.] ist bei beiden Normen der gleiche. Anhaltspunkte für den Ausschluss einer Leistungskürzung auf null gibt es nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in Rechtsprechung oder Literatur für § 28 Abs. 2 [X.] und § 81 Abs. 2 [X.] unterschiedliche Rechtsfolgen angenommen werden.

2. Der Einwand des [X.]eklagten, die vertragliche Regelung über die Leistungskürzung bei Verletzung von Obliegenheiten in [X.] 2008 sei wegen fehlender Transparenz gemäß § 307 Abs. 1 [X.]G[X.] unwirksam, greift nicht durch. Dieser [X.]estimmung, die sich im [X.] lediglich dem Gesetzeswortlaut anschließt, kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnehmen, dass eine Leistungskürzung auf null in Fällen grober Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen ist.

Zunächst bestimmt [X.] Satz 1 AK[X.] 2008, dass bei vorsätzlicher Verletzung einer der in [X.] oder [X.] 2008 geregelten Obliegenheiten kein Versicherungsschutz besteht. Nach [X.] Satz 2 AK[X.] 2008 ist der Versicherer bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer zu einer Leistungskürzung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis berechtigt. Hieraus erschließt sich, dass es gerade nicht gewollt ist, ein voller Leistungsausschluss sei nur bei Vorsatz möglich und bei grober Fahrlässigkeit müsse stets eine Restquote verbleiben, selbst wenn die Schwere der Schuld dies nicht rechtfertige. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird daher die [X.]estimmung des [X.] Satz 2 AK[X.] 2008 nicht so verstehen, dass diese die Möglichkeit einer Leistungskürzung auf null ausschließt.

3. [X.]eanstandungsfrei ist das [X.]erufungsgericht bei seiner Abwägung aller Umstände des konkreten Falles zu einer Leistungskürzung auf null gelangt. Es hat insbesondere zutreffend zugrunde gelegt, dass der [X.]eklagte deutlich über der Grenze der dafür maßgeblichen Grenze von 1,1 Promille absolut fahruntüchtig war und das Führen in einem alkoholbedingt fahruntüchtigen Zustand zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt zählt ([X.]surteil vom 22. Juni 2011 aaO Rn. 32 f.). Es hat weiterhin berücksichtigt, dass die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen des [X.]eklagten die alleinige Schadenursache waren. [X.] Momente sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

4. Ohne Rechtsfehler hat das [X.]erufungsgericht bei der Höhe der Regressforderung die Kosten für ein Sachverständigengutachten von 702,04 € berücksichtigt, die der Geschädigte zur Ermittlung seines Sachschadens aufgewendet hatte und die ihm von der Klägerin ersetzt worden waren.

a) Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 [X.]G[X.] auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die [X.]egutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist ([X.], Urteile vom 30. November 2004 - [X.], [X.], 356 unter II 5 a; vom 29. November 1988 - [X.], NJW-RR 1989, 953 unter [X.]). Dabei kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigengutachtens für geboten erachten durfte ([X.], Urteil vom 30. November 2004 aaO). Dies ist dann anzunehmen, wenn der Geschädigte nicht allein in der Lage ist, seinen Schaden zu beziffern ([X.], 211).

b) Auch der Angriff der Revision gegen die Sachverständigenkosten greift nicht durch. Zwar kann die Höhe des Sachschadens ein Gesichtspunkt bei der [X.]eurteilung der Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens sein. Der hier unstreitig eingetretene Schaden von 3.479 € bewegt sich aber außerhalb der sogenannten [X.]agatellfälle (vgl. [X.], Urteil vom 30. November 2004 aaO unter [X.]; [X.], [X.]G[X.] 13. Aufl. § 249 Rn. 99; [X.], Haftungsrecht des Straßenverkehrs 4. Aufl. § 26 Rn. 4).

Wendt                                                Felsch                                                  Dr. Karczewski

                        Lehmann                                           Dr. [X.]rockmöller

Meta

IV ZR 251/10

11.01.2012

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Ingolstadt, 18. Oktober 2010, Az: 22 S 829/10, Urteil

§ 28 Abs 2 VVG, Abschn D Nr 3.1 AKB 2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.01.2012, Az. IV ZR 251/10 (REWIS RS 2012, 10269)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10269

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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20 U 129/21 (Oberlandesgericht Hamm)


4 U 31/12 - 9 (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken)


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