Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2021, Az. StB 32/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 8033

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Gegenstand

Strafverfahren: Anfechtbarkeit der erstinstanzlichen Kostenentscheidung eines Oberlandesgerichts nach Revisionsrücknahme


Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung im Urteil des [X.] vom 11. Juli 2018 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den zur Tatzeit heranwachsenden Verurteilten der Beihilfe zu neun Fällen des Mordes schuldig gesprochen und deswegen auf eine Jugendstrafe von drei Jahren erkannt. Zugleich hat es ihm die Kosten des Verfahrens, die wegen der Taten angefallen sind, derentwegen er als Gehilfe verurteilt worden ist, sowie die notwendigen Auslagen auferlegt, die im Tenor namentlich benannten - von diesen Taten betroffenen - Nebenklägern entstanden sind. Das [X.] hat es abgelehnt, nach § 109 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 74 J[X.] von der Auferlegung der Kosten und Auslagen und nach § 472 Abs. 1 Satz 3 [X.] von der Auferlegung der notwendigen Auslagen der Nebenkläger abzusehen.

2

Der Verurteilte hat fristgerecht Revision gegen das Urteil eingelegt und sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung erhoben. Seine Revision hat er zwischenzeitlich zurückgenommen, bevor sie dem [X.] vorgelegen hat. Seine Kostenbeschwerde erhält der Verurteilte aufrecht. Er hat sie mit Verteidigerschriftsätzen vom 3. Juni 2020 und vom 12. November 2020 begründet.

II.

3

Die sofortige Beschwerde ist nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] nicht statthaft und damit unzulässig.

4

1. Zwar eröffnet § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] grundsätzlich die sofortige Beschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen. Hat jedoch ein [X.] die Entscheidung in erster Instanz getroffen, kann sie nicht isoliert angefochten werden. Dem steht § 304 Abs. 4 Satz 2 [X.] entgegen; da der in dessen zweitem Halbsatz normierte Katalog die Kosten- oder Auslagenentscheidung nicht beinhaltet, findet nach seinem ersten Halbsatz die sofortige Beschwerde nicht statt. Eine Anfechtungsmöglichkeit ist gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 [X.] nur dann vorgesehen, wenn und solange der [X.] mit der Revision des Beschwerdeführers befasst ist. In diesem Fall ist der [X.] kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung aufgrund seiner Zuständigkeit für die Revisionsentscheidung ebenso zur Entscheidung über die damit eng und unmittelbar zusammenhängende Kosten- und Auslagenfolge berufen; eine originäre Kompetenz als Beschwerdegericht hat er dagegen nicht (s. [X.], Beschlüsse vom 9. Dezember 1975 - StB 28/75, [X.]St 26, 250, 252 ff.; vom 5. Januar 1977 - 3 [X.], [X.]St 27, 96, 97).

5

Die Kostenbeschwerde ist nicht nur dann unzulässig, wenn der Beschwerdeführer gegen das Urteil keine Revision eingelegt hat, sondern insbesondere auch dann, wenn er sie zurückgenommen hat. Dies gilt zumindest für den Fall, dass sie dem [X.] noch nicht vorgelegt worden ist (s. [X.], Beschluss vom 5. August 1988 - 2 [X.] 355/88, [X.]R [X.] § 304 Abs. 4 Kostenbeschwerde 1). Ob über die Kostenbeschwerde in der Sache zu entscheiden ist, wenn die Rücknahme der Revision erst nach deren Vorlage erklärt worden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 5. August 1988 - 2 [X.] 355/88, aaO unter Verweis auf [X.], Beschluss vom 14. August 1975 - 3 StR 239/75, juris, wonach bei erstinstanzlichen landgerichtlichen Entscheidungen von einer fortbestehenden Annexkompetenz auszugehen ist; gegen eine solche Kompetenz [X.], Beschlüsse vom 3. März 2009 - 1 [X.], juris; vom 11. September 2018 - 4 StR 406/18, juris mwN), kann hier dahinstehen. Ebenso wenig kommt es darauf an, inwieweit andere Verfahrensbeteiligte das Urteil in der Hauptsache angefochten haben (vgl. [X.], [X.], 26. Aufl., § 464 Rn. 67 mwN).

6

Hinsichtlich der Kosten- und Auslagenentscheidung ist kein Raum für eine Analogie zu den in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] geregelten Ausnahmetatbeständen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 5. November 1999 - StB 1/99, [X.]R [X.] § 304 Abs. 4 Kostenbeschwerde 2): Nur in den im dortigen Katalog aufgeführten typischerweise schwerwiegenden Fällen hat der Gesetzgeber wegen des Rechtsschutzinteresses des Betroffenen, des öffentlichen Interesses an einer Überprüfung im Einzelfall oder des allgemeinen Interesses an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Zulässigkeit der Beschwerde für geboten angesehen. Die Vorschrift ist deshalb eine den Grundsatz der Unanfechtbarkeit oberlandesgerichtlicher Entscheidungen durchbrechende, die Anfechtungsmöglichkeit abschließend regelnde Ausnahmevorschrift, die restriktiv auszulegen ist. Mit denjenigen Fallgruppen, für die der Senat eine analoge Anwendung bislang im engsten Rahmen für möglich erachtet hat, weil sie besonders nachteilig in die Rechtssphäre des Betroffenen, namentlich das Grundrecht auf die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 [X.]), eingreifen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. Juli 1981 - StB 31/81, [X.]St 30, 168, 171: Strafaussetzung zur Bewährung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung; vom 3. Mai 1989 - StB 15 u. 16/89, [X.]St 36, 192, 195: Anordnung der Erzwingungshaft [zu § 304 Abs. 5 [X.]]; vom 4. August 1995 - StB 46/95, [X.]R [X.] § 304 Abs. 4 Untersuchung 1: mit längerdauernder Unterbringung verbundene Anordnung nach § 81a [X.]), ist die Kosten- und Auslagenfolge nicht vergleichbar (s. [X.], Beschluss vom 5. November 1999 - StB 1/99, aaO; ferner - zur Kostenauferlegung nach § 145 Abs. 4 [X.] - [X.], Beschluss vom 5. September 2019 - StB 22/19, juris Rn. 4). Für die Frage einer fallgruppenbezogenen Analogie ist dabei - entgegen dem Beschwerdevorbringen - eine generalisierende Betrachtung unabhängig von der Höhe der Zahlungsverpflichtung im Einzelfall geboten.

7

Die Ansicht des Beschwerdeführers, es bestehe deshalb eine planwidrige Regelungslücke, weil die Regelung des § 74 J[X.] anders als die Kostenvorschriften der Strafprozessordnung dem erkennenden Gericht ein Ermessen einräumte, trifft nicht zu. Denn etwa § 467 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 sowie § 472 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 [X.] sehen ebenfalls eine gerichtliche Ermessensausübung vor. Für den Gesetzgeber des in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] normierten Katalogs war dies ersichtlich nicht maßgebend.

8

Ohne Erfolg beruft sich der Beschwerdeführer auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 [X.] und den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 [X.]). Weder gewährleistet Art. 19 Abs. 4 [X.] oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 [X.]) einen Instanzenzug, noch handelt es sich bei § 304 Abs. 4 Satz 2 [X.] um eine systemwidrige gesetzliche Regelung. Diese Vorschrift fügt sich nahtlos in das strafprozessuale Gefüge der Bestimmungen über die Anfechtbarkeit obergerichtlicher Entscheidungen ein; sie trägt einerseits dem Rang, der den [X.]en und ihren Entscheidungen zukommt, andererseits dem Bedürfnis nach einer Entlastung des [X.]s Rechnung (zum Ganzen [X.], Beschluss vom 21. Juni 1977 - 2 BvR 308/77, [X.]E 45, 363, 375). Dass die Vorschrift auch im Fall der Anwendung von Jugendstrafrecht gilt, führt nicht zu ihrer Systemwidrigkeit.

9

2. Nach den aufgezeigten rechtlichen Maßstäben ist die sofortige Beschwerde nicht statthaft. Der Verurteilte hat die Revision zurückgenommen, noch bevor sie dem [X.] vorgelegen hat.

Der Senat hat erwogen, ob im Fall eines Grundrechtsverstoßes eine ausdehnende Interpretation des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] möglich wäre (vgl. - für den Fall einer Verletzung der Unschuldsvermutung - [X.], Beschluss vom 5. November 1999 - StB 1/99, [X.], 1427, 1429 [in [X.]R [X.] § 304 Abs. 4 Kostenbeschwerde 2 nicht abgedruckt]; ferner [X.], Beschluss vom 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08, [X.], 2175, 2176; [X.], Beschluss vom 18. August 2020 - StB 25/20, NJW 2020, 3331 Rn. 11). Ein solcher Verstoß könnte hier nur in Betracht kommen, wenn die Kosten- und Auslagenentscheidung des [X.]s als objektiv willkürlich zu beurteilen wäre. Dann könnte der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 [X.]) in seiner Ausprägung als Willkürverbot betroffen sein (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 2011 - 1 BvR 367/11, NJW 2011, 3217 Rn. 9; [X.]/[X.], [X.], 12. Aufl., Art. 3 Rn. 5, jeweils mwN).

Indes hat die Nachprüfung der Kosten- und Auslagenentscheidung auf der Grundlage des Urteils eine solche grob fehlerhafte Rechtsanwendung nicht ergeben. Insbesondere erweist es sich jedenfalls nicht als rechtlich unvertretbar, dass das [X.] im Rahmen seines Ermessens das - durch die Urteilsfeststellungen belegte (s. [X.] ff.) - Gewicht der abgeurteilten Tat und ihrer Folgen mitberücksichtigt hat (vgl. [X.]/Dölling, J[X.], 13. Aufl., § 74 Rn. 4 mwN). Demgegenüber kann der Erziehungsgedanke, dessen Missachtung die Beschwerde beanstandet, für den zum Urteilszeitpunkt 38-jährigen Verurteilten allenfalls eine geringe Bedeutung haben (vgl. - für die Sanktionsbemessung - [X.], Beschluss vom 20. August 2015 - 3 [X.], [X.], 101 f. mwN; Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 [X.], [X.], 660, 661); dies hat das [X.] ersichtlich im Blick gehabt (vgl. UA S. 3024).

Schäfer                     Berg                      Anstötz

Meta

StB 32/20

10.03.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 304 Abs 4 S 2 Halbs 1 StPO, § 304 Abs 4 S 2 Halbs 2 StPO, § 464 Abs 3 S 3 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2021, Az. StB 32/20 (REWIS RS 2021, 8033)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8033

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zitiert

1 BvR 3276/08

1 BvR 367/11

3 StR 214/15

3 StR 189/18

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