Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.12.2011, Az. 4 StR 581/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 66

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Gegenstand

Betäubungsmitteldelikte als Serienstraftaten: Verminderung des Schuldgehalts der Folgetaten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten H.     wird das Urteil des [X.] vom 6. Juli 2011, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) im Ausspruch über die in den Fällen 11 bis 22 verhängten Einzelstrafen,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 12 Fällen, unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Bestimmens einer Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahre zur Förderung des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und eine Verfallsanordnung getroffen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die in den Fällen 11 bis 22 verhängten Einzelstrafen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

3

a) Nach den Feststellungen veranlasste der zu diesem Zeitpunkt noch 20 Jahre alte Angeklagte den zunächst 16 und später 17 Jahre alten [X.]in 10 Fällen dazu, für ihn in Aluminiumfolie verpackte Amphetaminzubereitungen in die [X.] von [X.] zu verbringen und dort unbekannten Abnehmern zu übergeben. Dabei nahm der Angeklagte jeweils kurzfristig zu dem [X.]Kontakt auf und gab ihm entsprechende Anweisungen. Für seine Dienste erhielt der Zeuge [X.]von dem gewerbsmäßig Betäubungsmittel verkaufenden Angeklagten jeweils einen Kurierlohn in Höhe von 20 Euro. Teilweise nahm der Zeuge [X.]bei der Rauschgiftübergabe auch das für den Angeklagten bestimmte Kaufgeld entgegen und leitete es an diesen weiter (Fälle 1 bis 10 der Urteilsgründe). Nachdem der Angeklagte das 21. Lebensjahr vollendet hatte, war der Zeuge [X.]noch in 12 weiteren Fällen in gleicher Weise für den Angeklagten tätig (Fälle 11 bis 22 der Urteilsgründe). Die Amphetaminzubereitungen waren von „mindestens mittlerer Qualität“. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass das [X.] davon ausgegangen ist, dass bei jeder Gelegenheit wenigstens 20 Gramm Amphetaminzubereitung mit einem Amphetaminbaseanteil von 8 bis 10 % umgesetzt wurden.

4

Auf Grund dieser Feststellungen hat das [X.] den Angeklagten in den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach Erwachsenenstrafrecht zu [X.] von jeweils einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. In den Fällen 11 bis 22 der Urteilsgründe hat es ihn wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahre zur Förderung des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln für schuldig befunden und für jede Tat eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten festgesetzt. Die Annahme eines minder schweren Falls nach § 30a Abs. 3 BtMG hat das [X.] mit der Erwägung verneint, dass es sich um „normale“ Fälle der Übergabe von „jedenfalls nicht als geringgradig gefährlich zu bezeichnenden“ Betäubungsmitteln an einen Kurier gehandelt habe. Der Umstand, dass der Zeuge [X.]bereits 17 Jahre alt und aufgrund seiner Aktivität in der [X.] grundsätzlich tatbereit gewesen sei, reiche für die Annahme eines minder schweren Falles nicht aus.

5

b) Die Verneinung der Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG in den Fällen 11 bis 22 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6

Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des [X.] in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Dabei sind alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der außerordentliche Strafrahmen anzuwenden ist ([X.], Urteil vom 19. März 1975 – 2 StR 53/75, [X.]St 26, 97, 98; Beschluss vom 19. Juli 2002 – 2 [X.], [X.], 329). Die Ausführungen des [X.]s zur Strafrahmenwahl lassen besorgen, dass das Gericht die erforderliche Gesamtwürdigung nicht in [X.] Weise vorgenommen hat, weil ein wesentlicher die Tat prägender Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 14.05.1993 - 2 StR 127/93, [X.] 1994, 17).

7

Das [X.] hat ersichtlich nicht in seine Bewertung eingestellt, dass die in den Fällen 11 bis 22 rechtsfehlerfrei nach § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG abgeurteilten Taten Bestandteil einer Tatserie waren, die von dem Angeklagten bereits vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres und damit zu einem Zeitpunkt begonnen wurde, als er selbst noch Heranwachsender war und noch nicht Täter dieses Delikts sein konnte. Werden Taten gleichförmig in Serie begangen, kann sich daraus eine Verminderung des [X.] der Folgetaten ergeben, wenn auf Grund des inneren Zusammenhangs auf eine herabgesetzte Hemmschwelle geschlossen werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 15. Mai 1991 - 2 StR 130/91, [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 8; MünchKomm-StGB/[X.] § 46 Rn. 36 m.w.N.).

8

Der Senat kann angesichts der Höhe der betroffenen Einzelstrafen nicht ausschließen, dass deren Bemessung auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Strafausspruch bedarf deshalb in den Fällen 11 bis 22 der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Dadurch verliert auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe seine Grundlage.

[X.]                                     Mutzbauer

                          Bender                                          [X.]

Meta

4 StR 581/11

22.12.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dessau-Roßlau, 6. Juli 2011, Az: 2 KLs 636 Js 3627/10

§ 46 StGB, § 30a Abs 3 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.12.2011, Az. 4 StR 581/11 (REWIS RS 2011, 66)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 66

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