Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.07.2023, Az. 2 StR 46/22

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5411

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Gegenstand

Spezialitätsgrundsatz im Rahmen des Europäischen Haftbefehls


Leitsatz

1. Spezialitätsgrundsatz

2. Einbeziehung in Gesamtfreiheitsstrafe.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. August 2021 – soweit es ihn betrifft – im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „unerlaubter“ Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (Taten [X.]) bis d)) sowie wegen Beihilfe zur „unerlaubten“ Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier weiteren Fällen (Taten [X.]) bis i)) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt und eine Anrechnungsentscheidung für die in [X.] vollzogene Auslieferungshaft getroffen. Außerdem hat das [X.] gegen den Angeklagten als Gesamtschuldner die Einziehung „von [X.]“ in Höhe von 14.000 € angeordnet und näher bezeichnete Betäubungsmittel eingezogen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch, zu den Einzelstrafaussprüchen sowie zum Ausspruch über die Anrechnung von erlittener Auslieferungshaft keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3

2. [X.] hält dagegen revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das [X.] über die Einzelstrafen für die Taten [X.]) und c) der Urteilsgründe hinaus die weiteren Einzelstrafen für die Taten [X.]), d) sowie f) bis i) der Urteilsgründe einbezogen hat.

4

a) Der Einbeziehung für die Taten [X.]), d) sowie f) bis i) der Urteilsgründe steht der das [X.] beherrschende Grundsatz der Spezialität (Art. 14 des [X.], § 83h Abs. 1 [X.]) entgegen.

5

[X.] ist aufgrund [X.] Haftbefehls vom 21. Februar 2019, der Bezug nimmt auf den Haftbefehl des [X.] vom 14. Februar 2019, von der Republik [X.] ausgeliefert worden, nachdem das Bezirksgericht [X.] mit Entscheidung vom 3. April 2019 die Auslieferung bewilligt hatte. Der vorgenannte [X.] Haftbefehl erfasst lediglich die Taten [X.]) und c) der Urteilsgründe des hiesigen Verfahrens. Nur zur Verfolgung dieser Straftaten ist der Angeklagte, der auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes auch nicht verzichtet hatte, von der Republik [X.] ausgeliefert worden. Ein [X.] wurde bislang nicht gestellt.

6

Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes für die Taten [X.]), d) sowie f) bis i) der Urteilsgründe bewirkt nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ein Vollstreckungshindernis (Senat, Beschluss vom 16. November 2016 – 2 [X.], [X.], 116; [X.], Beschluss vom 11. Mai 2016 - 1 [X.], [X.], 290, 291 und vom 25. Juni 2014 – 1 [X.], [X.], 590 unter Bezugnahme auf das Urteil des [X.] vom 1. Dezember 2008 - [X.]. [X.]/08 [[X.] und [X.]], NStZ 2010, 35, 38 f.).

7

Der [X.] hat sich – soweit ersichtlich – in zahlreichen Entscheidungen bisher nur mit der Konstellation befasst, dass unter Nichtbeachtung des Spezialitätsgrundsatzes aus einer an sich nachträglich einzubeziehenden Vorstrafe rechtsfehlerhaft eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wurde ([X.], Beschlüsse vom 1. Februar 2023 – 5 StR 498/22, juris Rn. 3; vom 24. Februar 2022 – 6 StR 48/22, NStZ-RR 2022, 154; Senat, Beschluss vom 28. August 2019 – 2 StR 25/19, juris Rn. 6; [X.], Beschlüsse vom 3. März 2015 – 3 StR 40/15, juris Rn. 5; vom 25. Juni 2014 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 83h Abs. 1 Nr. 1 Spezialitätsgrundsatz 3; vom 27. Juli 2011 – 4 StR 303/11, [X.], 100). In diesen Fällen durfte eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Vorstrafe nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden.

8

Soweit sich die vorliegende Fallgestaltung – gleichzeitige Aburteilung mehrerer, von der [X.] bzw. dem [X.] Haftbefehl nur teilweise umfasster Taten – in früheren Verfahren stellte, konnte der [X.] diese nach entsprechender Einstellung der insoweit betroffenen Taten noch offenlassen (vgl. [X.], Urteile vom 13. August 2020 – 1 [X.], juris Rn. 10 ff.; vom 9. Mai 2019 – 4 [X.], juris Rn. 7 ff.).

9

Sinn und Zweck des vorgenannten Grundsatzes der Spezialität, Schutz der Souveränität des um Rechtshilfe (hier: Auslieferung im Rahmen der Vollstreckung eines [X.] Haftbefehls) ersuchten Staates (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Mai 2016 – 1 [X.], [X.], 290, 293), bedingen es, die vorgenannte Rechtsprechung des [X.] zur nachträglichen Einbeziehung von Vorstrafen auf die vorliegende Konstellation zu übertragen, in der hinsichtlich der Gesamtstrafensituation eine vergleichbare Verfahrenslage in Rede steht. Der Unterschied zur bisher entschiedenen Fallgruppe besteht lediglich darin, dass keine nachträgliche Gesamtstrafe mit einer dem Spezialitätsschutz unterfallenden Vorstrafe zu bilden war, sondern mehrere Taten zur gleichzeitigen Aburteilung anstanden, von denen ein Teil von der [X.] bzw. von dem [X.] Haftbefehl nicht umfasst war. Um dem Spezialitätsschutz hinreichend Rechnung zu tragen, darf eine Gesamtstrafe in dieser Konstellation (erst recht) nicht gebildet werden.

Zwar käme vorliegend – wie der [X.] in seiner Zuschrift ausführt und auch im Schrifttum vertreten wird (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.] in Strafsachen, 2. Aufl., [X.], § 83h Rn. 1052) – eine vollständige oder mit Blick auf die [X.] von zwei Jahren und zehn Monaten im Fall [X.]) der Urteilsgründe teilweise Zurückstellung der Vollstreckung bis zur Durchführung des [X.]s in Betracht, zumal vorliegend bislang nur geringfügig Untersuchungshaft vollstreckt wurde und ein [X.] aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird. Diese Vorgehensweise könnte aber in anderen Konstellationen, vor allem bei niedrigeren Einsatz- und Einzelstrafen, in der [X.] zu uneinheitlichen oder unbilligen Ergebnissen führen.

b) Das [X.] wird somit aus den für die abgeurteilten Verstöße gegen das [X.] rechtsfehlerfrei bestimmten Einzelstrafen von zwei Jahren und zehn Monaten (Tat [X.]) der Urteilsgründe) und zwei Jahren und zwei Monaten (Taten [X.]) der Urteilsgründe) unter Beachtung des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden haben. Dies kann im [X.] nach den §§ 460, 462 StPO erfolgen (§ 354 Abs. 1b StPO). Sollten aufgrund einer nachträglichen Zustimmung der Republik [X.] oder nach einem jederzeit möglichen Verzicht des Angeklagten auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes die übrigen Einzelstrafen vollstreckbar werden, wäre – ebenfalls gemäß § 460 StPO – nachträglich eine (neue) Gesamtstrafe zu bilden (Senat, Urteil vom 28. August 2019 – 2 StR 25/19, juris Rn. 11). Im Rahmen der nachträglichen gerichtlichen Entscheidung wird auch Gelegenheit bestehen zu prüfen, ob angesichts der Tätigkeit des Angeklagten als internationaler Speditionsfahrer (vgl. [X.]) der Spezialitätsschutz nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 [X.] oder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b) des [X.] möglicherweise entfallen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 1 [X.], juris Rn. 8 ff.; vom 9. Februar 2012 – 1 [X.], [X.]St 57, 138, 143).

[X.]     

      

Appl     

      

Zeng   

      

Grube     

      

Schmidt     

      

Meta

2 StR 46/22

19.07.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 19. April 2023, Az: 2 StR 46/22, Beschluss

§ 83h Abs 1 IRG, Art 14 EuAuslfÜbk, § 460 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.07.2023, Az. 2 StR 46/22 (REWIS RS 2023, 5411)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5411

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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