Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.10.2014, Az. V ZB 64/14

5. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 1915

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Gegenstand

Abschiebungshaftverfahren zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger: Überprüfung der Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung eines unerlaubt aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingereisten Drittstaatsangehörigen in einem Übergangsfall; Haftgrund der unerlaubten Einreise


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 2. April 2014 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist [X.] Staatsbürger und war im Jahr 2002 in die [X.] abgeschoben worden. Zu einem unbekannten Zeitpunkt reiste er ohne Reisepass und ohne Visum wieder nach [X.] ein. Am 12. März 2014 wurde er im Rahmen einer Überprüfung nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz festgenommen. Die beteiligte Behörde ordnete mit [X.] vom gleichen Tag die Abschiebung des Betroffenen an.

2

Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. März 2014 gegen den Betroffenen Sicherungshaft für den Zeitraum bis zum 4. Juni 2014 angeordnet. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] die Haftdauer auf den Zeitraum bis zum 24. April 2014 verkürzt, das weitergehende Rechtsmittel jedoch zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit welcher er nach seiner Abschiebung in die [X.] die Feststellung beantragt, durch die Haftanordnung und ihre teilweise Aufrechterhaltung in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

3

Das Beschwerdegericht bejaht die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 [X.]. Lediglich die Haftdauer sei zu verkürzen, da für den 24. April 2014 bereits ein Rückflug gebucht sei.

III.

4

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG mit einem Antrag nach § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - [X.], [X.] 2010, 150, 151) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre teilweise Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht sind nicht zu beanstanden.

5

1. Der Haftanordnung liegt ein zulässiger Haftantrag zugrunde.

6

a) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens auch ohne eine Rüge des Betroffenen von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den [X.], zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des [X.]. Zu den gemäß § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG darzulegenden [X.] gehört die nach § 59 [X.] erforderliche Abschiebungsandrohung. Fehlt es an einer für die Vollstreckung der Abschiebung notwendigen Voraussetzung, darf auch eine [X.] Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 [X.]) vollziehbare Ausreisepflicht nämlich nicht ohne weiteres durchgesetzt werden (zum Ganzen: Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013 - [X.], [X.] 2013, 229 Rn. 9).

7

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag. Ausführungen zu einer Abschiebungsandrohung oder dazu, dass es einer solchen ausnahmsweise nicht bedurfte (z.B. nach § 59 Abs. 1 Satz 3 [X.] oder nach § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG), enthält er selbst zwar nicht. Mit dem Antrag wurde jedoch die Abschiebungsanordnung vom 12. März 2014 übersandt, welche Ausführungen zur Entbehrlichkeit einer Abschiebungsandrohung enthielt. Auf diese Anordnung nimmt die beteiligte Behörde in dem Antrag Bezug. Sie ist dem Betroffenen nach dem Inhalt des Protokolls bei der persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht ausgehändigt worden. Mehr war nicht erforderlich (Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013 - [X.], [X.] 2013, 229 Rn. 15).

8

2. Zu Recht haben das Amtsgericht und das Beschwerdegericht auch den Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.] angenommen.

9

a) Im Ansatz zutreffend macht der Betroffene allerdings geltend, dass bei Bestehen eines auf Grund von § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF erlassenen unbefristeten Einreiseverbots gemäß § 11 Abs. 1 [X.] nF nachträglich von Amts wegen einzelfallbezogen über eine Befristung befunden werden muss, sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen, und dass ohne eine solche nachträgliche Entscheidung eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden darf. Das ergibt sich aus Art. 11 Abs. 2 der sog. Rückführungsrichtlinie 2008/115/[X.], der ein über fünf Jahre hinausgehendes Einreiseverbot nur im Einzelfall und bei Vorliegen besonderer Gründe zulässt und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] auch für „die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts" anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Rechtslage entstanden ist ([X.], Urteil vom 19. September 2013, [X.]. 297/12 - [X.] und [X.], [X.]:[X.]:C:2013:569 = NJW 2014, 527 Rn. 40; Senat, Beschluss vom 8. Januar 2014 - [X.] 137/12, NVwZ 2014, 1111 Rn. 8). Dies hat die Behörde übersehen, die in ihrem Antrag von einem nach wie vor geltenden Einreiseverbot nach § 11 Abs. 1 [X.] ausgeht. Das nimmt auch das Beschwerdegericht an.

b) Auf diesem Fehler beruht aber weder die Haftanordnung des Amtsgerichts noch die Beschwerdeentscheidung.

aa) Die Annahme, der Betroffene sei unerlaubt in das [X.] eingereist, stützt das Amtsgericht ausschließlich und das Beschwerdegericht in erster Linie darauf, dass er weder einen gültigen Pass noch einen Aufenthaltstitel bei sich führte. Das ist zutreffend. Nach § 14 Abs. 1 [X.] ist die Einreise eines Ausländers in das [X.] nicht nur dann unerlaubt, wenn er wegen eines Einreiseverbots nicht einreisen darf (Nummer 3 der Vorschrift), sondern auch dann, wenn er den erforderlichen Pass oder Passersatz (Nummer 1 der Vorschrift) oder das erforderliche Visum (Nummer 2 der Vorschrift) nicht besitzt, was bei sich führen bedeutet (Senat, Beschluss vom 12. Juli 2013 - [X.] 224/12, juris Rn. 17). So lag es hier. Der Betroffene führte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] keinen Pass oder Passersatz bei sich, sondern nur einen [X.] Personalausweis (Nüfus). Zudem verfügte er auch nicht über das für [X.] Staatsbürger, die, wie der Betroffene, im [X.] kein Aufenthaltsrecht haben, nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] erforderliche und unionsrechtlich zulässige (vgl. [X.], Urteil vom 24. September 2013, [X.]/11 - Demirkan, [X.]:[X.]:[X.] = NVwZ 2013, 1465 Rn. 53 f.) Einreisevisum.

bb) Ist die Einreise eines Ausländers aus anderen Gründen unerlaubt, darf der Haftgrund der unerlaubten Einreise auch angenommen werden, wenn eine nachträgliche Entscheidung über die Befristung eines bestehenden altrechtlichen unbefristeten Einreiseverbots nicht getroffen worden ist. Diese ist nur, aber auch stets erforderlich, wenn sich die unerlaubte Einreise gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 [X.] allein aus dem Verstoß gegen das Einreiseverbot ergibt. Nur dann ist die Anordnung von Abschiebungshaft eine an dieses Verbot anknüpfende Maßnahme.

3. Weitere Einwände gegen die Haftanordnung und ihre Verlängerung erhebt der Betroffene nicht. Sie sind auch nicht ersichtlich.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des [X.] auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann                              Schmidt-Räntsch                              Czub

                       Weinland                                          Kazele

Meta

V ZB 64/14

22.10.2014

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Stade, 2. April 2014, Az: 9 T 24/14

Art 11 Abs 1 AufenthG vom 30.07.2004, Art 11 Abs 1 AufenthG vom 22.11.2011, § 14 Abs 1 AufenthG, § 62 Abs 3 S 1 Nr 1 AufenthG, § 62 Abs 3 S 1 Nr 5 AufenthG, Art 11 Abs 2 EGRL 115/2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.10.2014, Az. V ZB 64/14 (REWIS RS 2014, 1915)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1915

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