Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.06.2015, Az. III R 38/14

3. Senat | REWIS RS 2015, 9325

SOZIALRECHT STUDIUM BUNDESFINANZHOF (BFH) KINDERGELD AUSLANDSAUFENTHALTE

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kindergeld - Beibehaltung des Wohnsitzes - mehrjähriger Auslandsaufenthalt - Auslandsstudium


Leitsatz

1. Während eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts zum Zwecke einer Berufsausbildung behält ein Kind seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland im Regelfall nur dann bei, wenn es diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzt (Bestätigung des Senatsurteils vom 25. September 2014 III R 10/14, BFHE 247, 239). Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Kind den weit überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbringt.

2. Bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten zum Zwecke einer Berufsausbildung unterscheiden sich die Anforderungen an das Innehaben der inländischen Wohnung nicht danach, ob es sich um die Anfangsphase der Berufsausbildung oder eine spätere Phase handelt.

3. Für die Frage, ob das Kind während des Auslandsaufenthalts einen inländischen Wohnsitz beibehalten oder begründet hat, können auch außerhalb des jeweiligen kindergeldrechtlichen Streitzeitraums liegende tatsächliche Umstände berücksichtigt werden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 23. Oktober 2014  6 K 441/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist [X.] [X.]taatsangehöriger mit [X.] Herkunft. Er ist der Vater seines im Februar 1994 geborenen [X.] ([X.]). [X.] beendete seine schulische Ausbildung im Juli 2012. In der [X.] vom 10. [X.]eptember 2012 bis 15. Juli 2013 absolvierte er einen einjährigen [X.]prachkurs in [X.]. Nach dessen Ende entschied sich [X.] für ein im [X.]eptember 2013 beginnendes und voraussichtlich bis Juli 2017 andauerndes Bachelorstudium in [X.].

2

Während des Bachelorstudiums wohnte [X.] in einem [X.]tudentenwohnheim. Dort stand ihm nur ein Platz zur Unterbringung der notwendigsten Kleidungsstücke und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. [X.] Beziehungen bestanden am [X.]tudienort nicht. Aus vom Kläger vorgelegten Flugtickets und -buchungen ergaben sich [X.] des [X.] vom 15. Juli 2013 bis 30. August 2013 und vom 10. Juli 2014 bis 28. August 2014. Ein weiterer Flug nach [X.] war für den 11. Januar 2015 geplant. Während der [X.] war [X.] in der elterlichen Wohnung in seinem Kinderzimmer untergebracht. In der Wohnung lebt auch der Bruder des [X.].

3

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 22. Januar 2014 ab [X.]eptember 2013 auf und forderte das bereits ausbezahlte Kindergeld vom Kläger zurück. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 7. März 2014).

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2015, 233 veröffentlichten Gründen statt und hob den Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf.

5

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.

6

Die Familienkasse beantragt, das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet. Das [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der [X.] des [X.] im [X.]treitzeitraum [X.]eptember 2013 bis März 2014 seinen inländischen Wohnsitz beibehalten hat.

9

1. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der [X.] oder in einem [X.]taat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.[X.]. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (E[X.]tG) leben, wird nach § 63 Abs. 1 [X.]atz 3 E[X.]tG (in der im [X.]treitzeitraum geltenden Fassung) kein Kindergeld gewährt. Die Grundsätze, nach denen sich beurteilt, ob ein Kind, das sich zum Zwecke einer Berufsausbildung mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen [X.] (§ 8 der Abgabenordnung --AO--) beibehält, hat der [X.]enat in dem zum Zeitpunkt des [X.] der angegriffenen Entscheidung noch nicht veröffentlichten Urteil vom 25. [X.]eptember 2014 III R 10/14 ([X.], 239) im Einzelnen dargelegt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

2. Die angegriffene Entscheidung entspricht diesen Grundsätzen zwar nur zum Teil. Die vom [X.] festgestellten tatsächlichen Umstände reichen dennoch aus, um in ihrer Zusammenschau die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes zu begründen.

a) Im Einklang mit der vorgenannten [X.]enatsentscheidung (in [X.], 239, Rz 32, m.w.[X.]) ist das [X.] davon ausgegangen, dass der nur vorübergehende, weniger als einjährige Aufenthalt in [X.] zum Zwecke des Besuchs eines [X.]prachkurses noch nicht zu einer Aufgabe des Wohnsitzes durch [X.] geführt hat.

b) Im Ergebnis zu Recht hat das [X.] weiter angenommen, dass der inländische Wohnsitz des [X.] während des [X.]treitzeitraums auch durch das auf mehrere Jahre angelegte Bachelorstudium in [X.] nicht aufgegeben worden ist.

aa) Dabei hat das [X.] in seine Gesamtwürdigung zu Recht der Dauer der [X.]en und der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte maßgebliche Bedeutung beigemessen. Hinsichtlich der Dauer der Inlandsaufenthalte ist der [X.]enat im Leitsatz 1 und unter den Rz 21 und 22 der vorgenannten Entscheidung (in [X.], 239) davon ausgegangen, dass das zu berücksichtigende Kind die [X.]en im Regelfall zumindest überwiegend im Inland verbringen muss.

[X.]oweit die Familienkasse mit ihrer Forderung nach einer "weit überwiegend" im Inland verbrachten [X.] auf die Formulierung unter Rz 30 der vorgenannten Entscheidung anknüpfen sollte, übersieht sie, dass es sich insoweit nur um fallbezogene Ausführungen des [X.]enats handelte, aus denen keine Verschärfung der allgemein aufgestellten Anforderungen abgeleitet werden kann.

Dass [X.] die [X.]en "überwiegend" in [X.] verbracht hat, ergibt sich aus der unter [X.] der Entscheidungsgründe getroffenen Feststellung des [X.], wonach [X.] "die länger dauernden [X.]ommerferien bei seinen Eltern verbracht" hat. [X.] war daher mehr als 50 % und damit den überwiegenden Teil der [X.] im Inland. Von einem überwiegenden Aufenthalt des [X.] im Inland während der [X.] geht im Übrigen auch die Familienkasse auf [X.]. 6 f. ihrer Revisionsbegründung aus.

Unschädlich ist insoweit, dass der Inlandsaufenthalt während der [X.]ommerferien 2014 erst außerhalb des [X.]treitzeitraums stattgefunden hat. Für die Frage, ob der Wohnsitz beibehalten wird, können auch außerhalb des kindergeldrechtlichen [X.]treitzeitraums liegende tatsächliche Umstände berücksichtigt werden, da es sonst [X.] vergleichbarer [X.]achverhaltskonstellationen-- von den verfahrensmäßigen Zufälligkeiten abhinge, ob die Beibehaltung eines Wohnsitzes zu bejahen oder zu verneinen wäre.

Zu keiner anderen Beurteilung führt der Hinweis der Familienkasse, wonach der erkennende [X.]enat im Urteil vom 28. April 2010 III R 52/09 ([X.], 270, B[X.]tBl II 2010, 1013) eine Aufenthaltsdauer von jährlich fünf Monaten in der Wohnung der Eltern habe genügen lassen, um einen inländischen Wohnsitz beizubehalten. Dem ist zwar beizupflichten. [X.]oweit die Familienkasse daraus jedoch den Umkehrschluss ziehen wollte, dass in jedem Fall ein Aufenthalt von mindestens fünf Monaten zu fordern sei, hat dies der [X.]enat im Urteil in [X.], 270, B[X.]tBl II 2010, 1013 ausdrücklich abgelehnt (s.a. [X.]enatsbeschluss vom 12. Februar 2009 III B 100/08, nicht veröffentlicht).

bb) Zu Unrecht hat das [X.] in seine Abwägung zwar den Umstand einbezogen, dass für den unterbliebenen Inlandsaufenthalt während der [X.] 2014 finanzielle Gründe maßgeblich waren. Insofern hat der [X.]enat unter Rz 26 der vorgenannten Entscheidung (in [X.], 239) ausgeführt, dass für das Innehaben einer Wohnung allein auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für die fehlenden Inlandsaufenthalte abzustellen ist. Entsprechend kommt es für die Frage der [X.] auch nicht auf die vom [X.] angeführten Beweggründe der großen Entfernung und der damit verbundenen langen Reisedauer an. Die insoweit zu Unrecht angestellten Erwägungen des [X.] sind in der Gesamtwürdigung aber unschädlich, weil sich bereits aus den unter I[X.] aa erörterten Gründen ergibt, dass [X.] die ausbildungsfreie Zeit überwiegend im Inland verbracht hat.

cc) Letzteres gilt auch, soweit das [X.] davon ausgeht, dass für die Anfangsphase eines [X.]tudiums andere Anforderungen an die Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte gelten könnten als für spätere Phasen. Da die Wohnsitzdefinition des § 8 AO auch bei einem auf einen mehrjährigen Zeitraum ausgerichteten Auslandsaufenthalt erfordert, dass das Kind die Wohnung tatsächlich innehat, kann auch ein fehlendes Innehaben in der Anfangsphase eines Auslandsstudiums zum Verlust des Wohnsitzes führen. Hierauf kommt es jedoch im [X.]treitfall nicht entscheidend an, da der vom [X.] festgestellte Inlandsaufenthalt während der [X.]ommerferien ausreicht, um dem Kriterium der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der [X.]en im [X.]inne einer [X.] zu genügen.

dd) Zu Recht hat das [X.] auch die Art der Unterbringung am Ausbildungsort und in der elterlichen Wohnung in seine Gesamtwürdigung miteinbezogen (s. hierzu [X.]enatsurteil in [X.], 239, Rz 20, m.w.[X.]).

ee) [X.] nicht zu beanstanden ist ferner, dass das [X.] den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits Bedeutung beigemessen hat (s. hierzu [X.]enatsurteil in [X.], 239, Rz 20, m.w.[X.]). Es konnte daher als für die [X.] sprechendes Indiz berücksichtigen, dass im Elternhaus weiterhin persönliche Beziehungen nicht nur zu den Eltern, sondern auch zum Bruder des [X.] bestanden, während am Ausbildungsort keine verwandtschaftlichen Beziehungen vorhanden waren.

ff) Rechtsfehlerfrei hat das [X.] schließlich die Herkunft des [X.] und damit indirekt die Herkunft des [X.] nicht in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Dies entspricht der Einordnung des Merkmals der [X.]taatsangehörigkeit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ([X.]enatsurteil in [X.], 239, Rz 25, m.w.[X.]; ablehnend gegenüber einem Abstellen auf die Herkunft der Eltern und das Heimatland des Kindes auch Reuß, E[X.] 2015, 235 f.). Anders als die --gegebenenfalls durch die Herkunft begründeten-- persönlichen Beziehungen am Ausbildungsort, vermag die Herkunft regelmäßig nichts darüber auszusagen, ob das Kind seinen bisherigen [X.] aufgegeben und anstelle dessen einen neuen Wohnsitz am Ausbildungsort begründet hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 38/14

23.06.2015

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Nürnberg, 23. Oktober 2014, Az: 6 K 441/14, Urteil

§ 63 Abs 1 S 3 EStG 2009, § 32 Abs 1 EStG 2009, § 32 Abs 6 EStG 2009, § 8 AO, EStG VZ 2013, EStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.06.2015, Az. III R 38/14 (REWIS RS 2015, 9325)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 1536 REWIS RS 2015, 9325

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III R 11/21 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld für ein in Australien studierendes Kind


III R 10/14 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld - Beibehaltung des Wohnsitzes - mehrjähriger Auslandsaufenthalt - Auslandsstudium


III B 92/16 (Bundesfinanzhof)

Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes durch ein im Ausland studierendes Kind - Zulassung der Revision


III R 12/20 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld; Berücksichtigung eines minderjährigen Kindes bei mehr als einjährigem Schulbesuch außerhalb des Gebietes der EU …


12 K 2061/21 (FG München)

Coronavirus, SARS-CoV-2, Bescheid, Kindergeld, Wohnung, Kindesvater, Verwaltungsakt, Kinder, Wohnsitz, Kind, Ausland, Ehescheidung, Wohnhaus, Familienkasse, Aufenthalt, …


Referenzen
Wird zitiert von

11 B 15.1350

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.