Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.11.2016, Az. VI ZR 533/15

6. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 2048

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Gegenstand

Haftung bei Kfz-Unfall: Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis bei berührungslosem Unfall


Leitsatz

Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (Festhaltung, Senatsurteil vom 21. September 2010, VI ZR 263/09, NJW-Spezial 2010, 681).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.] vom 7. August 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die [X.] nach einem Verkehrsunfall auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung bei einer Haftungsquote von 75 % in Anspruch.

2

Am 10. April 2011 fuhr der Kläger auf seiner [X.] auf der [X.] von [X.] Richtung [X.], wobei er dem bei der [X.] zu 2 haftpflichtversicherten Motorrad der [X.] zu 1 folgte. Die Beklagte zu 1 überholte unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn den Pkw des [X.] Der Kläger wollte sowohl die Beklagte zu 1 als auch den Pkw überholen. Er fuhr weiter außen auf der Gegenfahrbahn und geriet, ohne dass es zu einer Fahrzeugberührung gekommen wäre, in das Bankett. Dort verlor er die Kontrolle, stürzte und verletzte sich schwer.

3

Der Kläger behauptet, er habe die noch hinter dem Pkw des [X.] fahrende Beklagte zu 1 fast schon überholt gehabt, als diese plötzlich ohne Schulterblick und [X.] nach links ausgeschert sei, und den Kläger zu einem kontinuierlichen Ausweichen nach links gezwungen habe. Die [X.] tragen vor, die Beklagte zu 1 habe ordnungsgemäß den Pkw des [X.] überholt und sei kurz vor dem [X.] nach rechts von dem Kläger in zweiter Reihe verkehrsordnungswidrig überholt worden. Dabei sei er dem linken Fahrbahnrand zu nahe gekommen, ohne dass die Fahrweise der [X.] zu 1 dazu Veranlassung gegeben habe.

4

Das [X.] hat durch Grund- und Teilurteil die Haftung der [X.] dem Grunde nach zu 50 % festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil auf die Berufung der [X.] aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Anschlussberufung des [X.] hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG, weil sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lasse, dass der ihm entstandene Schaden dem Betrieb des Motorrads der [X.] zu 1 zuzurechnen sei. Ein offenes Beweisergebnis gehe hierbei zu Lasten des [X.]. Er habe nicht den Beweis geführt, dass ein Sach- und Personenschaden adäquat kausal "bei dem Betrieb" des Motorrads der [X.] zu 1 entstanden sei.

6

Nach der Rechtsprechung des [X.] sei das [X.] "bei dem Betrieb" zwar grundsätzlich weit auszulegen und umfasse alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Ausreichend sei, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr verwirklicht habe und das [X.] durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden sei. Erforderlich sei aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt werde, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handele, hinsichtlich derer der Verkehr schadlos gehalten werden müsse. Die Schadensfolge müsse in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sei. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr komme es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe.  

7

Ausgehend von diesen Grundsätzen könne die Betriebsgefahr des Motorrads der [X.] zu 1 nicht dem Schadensereignis zugerechnet werden. Die Zurechnung scheitere zwar nicht schon daran, dass sich die beiden Motorräder nicht berührt hätten. Es lasse sich aber nicht feststellen, dass die Fahrweise der [X.] zu 1 in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang auf die Schadensentstehung hingewirkt habe. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte zu 1 wegen ihres eigenen Überholmanövers überhaupt auf der Gegenfahrbahn aufgehalten habe, habe keine Reaktion des [X.] im Sinne der angeführten Rechtsprechung ausgelöst.

8

Der Kläger habe nicht den Beweis geführt, dass er nur deshalb auf der Gegenfahrbahn weiter zum Fahrbahnrand geraten sei, weil er dabei auf eine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung der [X.] zu 1 reagiert und neben dem eigentlichen Überholmanöver eine zusätzliche Ausweich- oder Abwehrreaktion vorgenommen habe. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Fahrlinie des [X.] allein auf seinem aktiven Entschluss beruht habe, die bereits im Gegenverkehr befindliche Beklagte zu 1 in einem Bogen zu umfahren, womit das Motorrad der [X.] zu 1 ebenso wie das überholte Fahrzeug des [X.] einfach nur auf der Straße gewesen wären. Die erstinstanzlich vernommenen Zeugen hätten weder die Darstellung des [X.] noch diejenige der [X.] bestätigt. Sie hätten die beiden Motorräder erst zur Kenntnis genommen, als sie bereits nebeneinander auf Höhe des Fahrzeugs des Zeugen gewesen seien. Die Einleitung des jeweiligen Überholmanövers hätten sie daher nicht beschreiben können. Der vom Kläger behauptete Unfallhergang sei auch nicht durch das eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten bewiesen. Die zeitliche Abfolge der Fahrmanöver habe sich mangels aussagekräftiger Unfallspuren nicht näher aufklären lassen, so dass sich zwar der Unfall dargestellt haben könne wie vom Kläger geschildert, aber die ebenfalls mögliche Unfallvariante der [X.] nicht ausgeschlossen sei.

II.

9

Das hält den [X.] der Revision im Ergebnis nicht stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG nicht eingreifen, wenn ein in Betrieb befindliches Kraftfahrzeug lediglich an der Unfallstelle anwesend ist, ohne dass es durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.

a) Das [X.] "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung des [X.] entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das [X.] in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (Senatsurteil vom 26. April 2005 - [X.], [X.], 992, 993 unter II 1 a mwN).

Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat, und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO mwN).

Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz - erlaubterweise - eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den Kfz- Verkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO mwN).

Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Insbesondere bei einem sogenannten "Unfall ohne Berührung" ist daher Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat (Senatsurteile vom 22. Oktober 1968 - [X.], [X.], 58; vom 29. Juni 1971 - [X.], [X.], 1060; vom 11. Juli 1972 - [X.], NJW 1972, 1808 unter [X.]), mithin, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (Senatsurteile vom 19. April 1988 - [X.], [X.], 641 unter 1 a; vom 21. September 2010 - [X.], [X.], 1614 Rn. 5; [X.], [X.], 2, 5, 63; Laws/[X.][X.] in [X.][X.], [X.] 2016, § 7 StVG Rn. 37; [X.], [X.], 11, 13; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Straßenverkehr, Stand April 2016, § 7 StVG Rn. 173; Burmann in Burmann/[X.]/[X.]/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 7 Rn. 13; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Auflage, § 2 A Rn. 77 ff.; [X.] in [X.]/[X.]/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 7 StVG Rn. 10).

b) So liegt es - jedenfalls nach den bisher von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen - hier aber nicht. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht - anders als das Berufungsgericht in der der Senatsentscheidung vom 21. September 2010 ([X.], aaO) zugrundeliegenden Fallgestaltung - nicht feststellen können, dass der Unfall - auch nur mittelbar - durch die Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) des Motorrads der [X.] zu 1 verursacht worden ist. Entgegen der Ansicht der Revision genügt dafür der Umstand, dass die Beklagte zu 1 zeitlich parallel zu dem Unfallgeschehen ein Überholmanöver vorgenommen hat und der Kläger selbst nach dem Vorbringen der [X.] einen Bogen gefahren ist, um in zweiter Reihe zu überholen, allein nicht.

aa) Jedes im Betrieb befindliche und an der Unfallstelle (lediglich) anwesende Fahrzeug nimmt parallel zu dem Unfallgeschehen ein - wie auch immer geartetes Fahrmanöver - vor. Aus diesem Grund kann der Unfall immer auch auf die Verkehrssituation in ihrer Gesamtheit zurückgeführt werden. Hier wäre der Unfall zwar auch nach dem Vorbringen der [X.] ohne das Überholmanöver der [X.] zu 1 nicht geschehen, weil die Fahrlinie des [X.] dann möglicherweise eine andere gewesen wäre. Das reicht indes für den gemäß § 7 Abs. 1 StVG erforderlichen Zurechnungszusammenhang nicht aus, weil die Zurechnung von dem Unfallgeschehen selbst nicht gelöst werden kann.

(1) Es ist im Straßenverkehrsrecht anerkannt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für Ursächlichkeit und Zurechnungszusammenhang der Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage ist, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (Senatsurteile vom 25. März 2003 - [X.], [X.], 783, 784; vom 1. Dezember 2009 - [X.], [X.], 642 Rn. 16, 21). Das gilt auch für die Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG ([X.] in [X.]/[X.]/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., Einleitung Rn. 101; § 7 StVG Rn. 13; § 17 Rn. 17).

(2) Nach diesen Grundsätzen war - den Vortrag der [X.] zugrunde gelegt - eine kritische Verkehrslage durch den von der [X.] zu 1 vorgenommenen Überholvorgang (allein) noch nicht eingetreten. Eine kritische Verkehrslage entstand frühestens dann, als der Kläger sich gleichzeitig mit ihr auf die Gegenfahrbahn begab. Auch dieser Umstand kann der [X.] zu 1 indes nicht zugerechnet werden. Denn es stellt keine typische Gefahr eines Überholvorgangs dar, dass rückwärtiger Verkehr diesen seinerseits zum Überholen in zweiter Reihe nutzt und dabei - ohne dass eine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung des Überholenden dazu Anlass gegeben hätte - ins Schlingern gerät. Allein der Umstand, dass die Beklagte zu 1 überholte, reicht daher nicht aus, um eine im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG relevante Ursächlichkeit ihrer Fahrweise (oder sonstigen Verkehrsbeeinflussung) für den Unfall zu bejahen.

Wäre dies anders, würde letztlich die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle für eine Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG genügen. Dies führte zudem zu erheblichen [X.], weil nicht nur die das Überholmanöver vornehmende Beklagte zu 1, sondern auch der Zeuge B. mit seinem Kraftfahrzeug die Verkehrssituation gleichermaßen (mit-)geprägt hat. Auch diesem ist der Kläger - unter Zugrundelegung des Vortrags der [X.] - durch sein Überholmanöver letztlich "ausgewichen".

bb) Insofern liegt es hier nach den (bisherigen) Feststellungen des Berufungsgerichts anders als in den bisher von dem Senat entschiedenen Fällen, in denen stets eine Verursachung des Unfalls durch eine wie auch immer geartete Verkehrsbeeinflussung des gegnerischen Fahrzeugs festgestellt war. So geht auf einer Bundesautobahn von einem verhältnismäßig sperrigen und langsam überholenden Fahrzeug oder auch nur einem Fahrverhalten, das als Beginn des Überholvorgangs oder seine Ankündigung aufgefasst werden kann, eine typische Gefahr für auf der [X.] nachfolgende schnellere Verkehrsteilnehmer aus, die durch eine misslingende Abwehrreaktion zu Schaden kommen (Senatsurteil vom 29. Juni 1971, aaO). Eine typisch mit dem Betrieb eines Sattelschleppers verbundene Gefahr wirkt sich aus, wenn ein von diesem überholter Fahrer eines Motorfahrrades unsicher wird und deshalb stürzt (Senatsurteil vom 11. Juli 1972 - [X.], aaO unter [X.]). In zurechenbarer Weise durch ein Kraftfahrzeug (mit-)veranlasst ist ein Unfall bei seinem Herannahen an entgegenkommenden Fahrradverkehr, wenn der Verkehrsraum zu eng zu werden droht und einer der Fahrradfahrer bei einem Ausweichmanöver stürzt (Senatsurteil vom 19. April 1988 - [X.], aaO unter 1 b). Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- und Ausweichreaktion ist dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen, das diese Reaktion - im Streitfall durch einen kleinen Schlenker aus seiner Fahrspur hinaus - ausgelöst hat (Senatsurteil vom 26. April 2005 - [X.], aaO unter II 1 b). Dagegen rechtfertigt die bloße Anwesenheit eines anderen im Betrieb befindlichen Fahrzeugs an der Unfallstelle für sich allein noch nicht die Annahme, dass ein in seinem Ablauf ungeklärter Unfall bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden ist (Senatsurteil vom 22. Oktober 1968 - [X.], [X.], 58).

2. Zu Recht rügt aber die Revision, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung den von den [X.] geschilderten Unfallhergang zugrunde gelegt hat, ohne sich mit den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen ausreichend auseinanderzusetzen, § 286 ZPO.

a) Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den [X.] umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., Senatsurteil vom 16. April 2013 - [X.], NJW 2014, 71 Rn. 13 mwN).

b) Einen solchen Fehler zeigt die Revisionsbegründung hier im Hinblick auf die Feststellungen des Berufungsgerichts auf. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung den von den [X.] geschilderten Unfallhergang zugrunde gelegt und gemeint, der insoweit darlegungs- und beweisbelastete (§ 7 Abs. 1 StVG) Kläger habe den von ihm behaupteten Geschehensablauf nicht beweisen können. Es ist daher davon ausgegangen, dass das Fahrverhalten des [X.] durch die Beklagte zu 1 in keiner Weise beeinflusst worden sei. Dabei hat es indes den Prozessstoff und die [X.] nicht ausgeschöpft.

aa) Zwar hatte das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision keinen Anlass, die Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO erneut zu vernehmen (vgl. [X.], Urteil vom 18. Oktober 2006 - [X.], [X.], 372, 374 mwN; [X.] in Musielak, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 529 Rn. 14 f.). Sowohl das [X.] als auch das Berufungsgericht gehen davon aus, dass die Zeugenaussagen für die maßgebliche Frage, ob der Kläger aufgrund des Fahrverhaltens der [X.] zu 1 ein Ausweichmanöver durchgeführt hatte, unergiebig sind.

bb) Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung aber - wie die Revision zu Recht rügt - eine wesentliche Aussage des Sachverständigen unbeachtet gelassen. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Spurenlage lasse ein Ausweichmanöver des [X.] aus dem linken Randbereich der linken Fahrbahn (Gegenfahrbahn) weiter nach links mit Einleitung einer Notbremsung erkennen. Das [X.] hatte, ohne dies zu hinterfragen, festgestellt, der Kläger sei durch das Fahrzeug der [X.] zu 1 zu einem Ausweichmanöver veranlasst worden.

Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht ohne ergänzende Beweisaufnahme wie etwa einer Anhörung des Sachverständigen und gegebenenfalls einer erneuten Anhörung der Parteien in Anwesenheit des Sachverständigen davon ausgehen, dass der Überholvorgang des [X.] durch den der [X.] zu 1 in keiner Weise beeinflusst worden sei (vgl. Senatsurteil vom 21. September 2010 - [X.], aaO Rn. 8). Dies gilt umso mehr, als die aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserhebliche Frage des Vorliegens eines Ausweichmanövers in erster Instanz weder für den Sachverständigen noch für das Gericht von maßgeblicher Bedeutung gewesen ist.

III.

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

[X.]        

       

Offenloch        

       

Oehler

       

Roloff        

       

Müller        

       

Meta

VI ZR 533/15

22.11.2016

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 7. August 2015, Az: I-11 U 186/14

§ 7 Abs 1 StVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.11.2016, Az. VI ZR 533/15 (REWIS RS 2016, 2048)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1173 REWIS RS 2016, 2048


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZR 533/15

Bundesgerichtshof, VI ZR 533/15, 22.11.2016.


Az. 11 U 186/14

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 186/14, 07.08.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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