Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2020, Az. AK 1/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1588

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Gegenstand

Mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung: Syrische Kampfgruppe "Liwa Al-Izza Lil-lah"; Tateinheit mit Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Der Angeklagte wurde am 15. Juli 2019 festgenommen und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 10. Juli 2019 (2 [X.] 468/19), nunmehr aufgrund des durch das [X.] neu gefassten Haftbefehls vom 2. Januar 2020 (4 StS 1/19).

2

Gegenstand des letztgenannten Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich im Zeitraum zwischen Februar 2013 und Anfang 2014, längstens bis zum 22. Februar 2014, in [X.], [X.], als Mitglied an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung beteiligt, nämlich der Gruppierung "[X.] [X.]" und ihrer Vorgängervereinigung "[X.]", deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3 KrWaffKG zu begehen, und er habe durch dieselbe Handlung ohne die erforderliche Genehmigung bzw. ohne Erstattung einer Anzeige die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKG in Verbindung mit Teil B, Abschnitt V, Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG, § 52 StGB).

3

Der [X.] hat unter dem 6. Dezember 2019 wegen dieses [X.] Anklage zum [X.] erhoben, welches das Hauptverfahren mit Beschluss vom 16. Januar 2020 eröffnet und die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen hat. Der dort zuständige Strafsenat hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

6

a) Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7

aa) Bei der "[X.] [X.]" handelte es sich um eine syrische Kampfgruppe mit [X.], dschihadistischer Ausrichtung. Sie verfolgte das Ziel, gewaltsam das Regime des [X.] Präsidenten [X.] zu stürzen und in [X.] einen [X.] Staat zu errichten. Dazu trat sie im Rahmen des [X.] Bürgerkriegs in Kampfhandlungen mit der staatlichen Armee ein und tötete Anhänger des [X.]-Regimes, Polizisten und Soldaten mittels Waffengewalt, wobei sie zivile Opfer in Kauf nahm. Die "[X.] [X.]" (wörtlich: "Ehre sei [X.]") gründete sich vor Februar 2013, möglicherweise bereits im Jahr 2011. Sie ging aus einer kleineren Kampfeinheit, der "[X.]" (wörtlich: "Bataillon der Märtyrer von [X.]"), hervor, die sich mit weiteren lokalen Gruppen verbündet hatte. Anführer der "[X.] [X.]" war [X.], genannt [X.], damals ein bekannter und einflussreicher Einwohner der [X.] [X.] [X.]. [X.], genannt [X.], fungierte in der Gruppe als militärischer Kommandant.

8

Die etwa 50 bis 75 Mitglieder der "[X.] [X.]" waren mit Schnellfeuergewehren vom Typ [X.] bewaffnet. Überdies verfügte die Organisation über diverse Fahrzeuge, teilweise mit aufmontierten Flugabwehrraketen und schweren Maschinengewehren vom Typ "[X.]", sowie weitere schwere Waffen. Eine Medienabteilung erstellte und veröffentlichte [X.] über die Gruppe. Diese thematisierten ihre Gründung, ihre religiösen und politischen Botschaften sowie ihre Waffen und ihre Kampfhandlungen. In den [X.] und auf ihren Fahrzeugen zeigte die Vereinigung ihr Logo. Die "[X.] [X.]" finanzierte sich aus dem Verkauf von Öl und aus Plünderungen.

9

Teilweise koalierte die "[X.] [X.]" in militärischen Zweckbündnissen mit anderen Kampfgruppen, u.a. mit der "[X.]", der "[X.]" sowie der "[X.]". Ab November 2013 agierte sie als eine von vielen Widerstandsgruppen als Teil der "[X.]lamischen Front", einem Dachverband islamistischer und dschihadistischer Vereinigungen. Dabei behielt die "[X.] [X.]" aber stets ihre organisatorische Selbständigkeit.

Räumlich und militärisch trat die "[X.] [X.]" vor allem bei der Eroberung der [X.] [X.] Anfang Februar 2013 in Erscheinung. Sie war neben anderen Gruppen in die lokale kriegerische Auseinandersetzung mit den Regierungstruppen involviert, bei der eine Vielzahl von Regimeanhängern ums Leben kam. Die "[X.] [X.]" selbst war für den Tod von mindestens fünf Soldaten des [X.]-Regimes verantwortlich. Ihre Kämpfer nahmen das örtliche Medienzentrum und das Gebäude des [X.] ein. Bei der anschließenden Siegesfeier der aufständischen Einheiten fuhren sie mit ihren Fahrzeugen in die [X.] ein.

Auch an der Belagerung des Flughafens von [X.] im Jahr 2013 war die Gruppe beteiligt. Ihre Mitglieder unterhielten um den Flughafen herum Militärstützpunkte, von denen aus sie die im Flughafen stationierten [X.] mit verschiedenen Waffensystemen beschossen.

Um ihren territorialen Macht- und Kontrollanspruch nach der Eroberung [X.]s zu sichern, gründete die "[X.] [X.]" gemeinsam mit anderen Vereinigungen eine sog. "[X.]". Fortan übernahm die Gruppe in der [X.] ordnungspolizeiliche Aufgaben. Unter anderem patrouillierten die Mitglieder der "[X.] [X.]" mit ihren Fahrzeugen durch die Straßen und unterhielten Checkpoints. Ihre Kämpfer waren auch hierbei mit Sturmgewehren vom Typ [X.] bewaffnet.

Ende 2013 bis Anfang 2014 lieferte sich die "[X.] [X.]" gemeinsam mit anderen Gruppen schwere gewaltsame Auseinandersetzungen mit Anhängern des sich ausbreitenden "[X.] im [X.] und Großsyrien" ([X.]) - später umbenannt in "[X.]" ([X.]). Diese militärischen Kämpfe endeten in einer Niederlage. Der "[X.]" übernahm die Kontrolle in der Region, und die überlebenden Mitglieder der "[X.] [X.]" sowie ihr Anführer [X.] flohen aus der [X.].

Im November 2015 wurde [X.] in der Nähe von [X.] getötet. Spätestens mit diesem Ereignis löste sich die Gruppe auf.

bb) Der Angeklagte schloss sich zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, spätestens im Februar des Jahres 2013, der "[X.] [X.]" an. Dabei wusste er um die Strukturen der Vereinigung sowie ihr Ziel, gewaltsam die [X.]-Regierung zu stürzen und durch eine [X.] Führung zu ersetzen. Der Angeklagte billigte und unterstützte dieses Vorhaben. Er unterwarf sich der Befehlsstruktur der Gruppe und beteiligte sich bis Anfang 2014 an ihren Aktivitäten.

So eroberte er gemeinsam mit anderen Kämpfern der "[X.] [X.]" zwischen dem 7. und dem 11. Februar 2013 die Residenz des [X.] [X.] in [X.]. Bei diesem Angriff führte der Angeklagte sein Schnellfeuergewehr vom Typ [X.] bei sich. Nach der Einnahme der [X.] beteiligte er sich an den dargelegten "polizeilichen Aktivitäten" der Gruppe. Bei mindestens vier Gelegenheiten zwischen August 2013 und Anfang 2014 patrouillierte der Angeklagte für die "[X.] [X.]" mit seiner Waffe in der [X.] [X.].

Spätestens am 22. Februar 2014, kurz vor der Einnahme der [X.] durch den "[X.]" im März 2014, floh er in die [X.] und setzte sich von der Gruppe ab.

b) Der dringende Tatverdacht im Hinblick auf die Gründung der "[X.] [X.]", ihre Ziele, ihre Beteiligung an Kampfhandlungen und ihre sonstigen Aktivitäten beruht weitgehend auf Sachverständigengutachten, den im [X.] öffentlich zugänglichen [X.] der Gruppe sowie auf den Aussagen mehrerer Zeugen. Der Umstand, dass der zuständige Strafsenat mit Beschluss vom 2. Januar 2020 einen weiteren Sachverständigen mit der Erstattung eines islamwissenschaftlichen Gutachtens zur [X.] [X.]" beauftragt hat, steht dem sich bereits aus dem aktuellen Ermittlungsstand ergebenden dringenden Tatverdacht nicht entgegen.

In Bezug auf die dem Angeklagten zur Last gelegten Tathandlungen ergibt sich der dringende Tatverdacht zunächst aus seiner teilgeständigen Einlassung vom 15. Juli 2019 sowie aus dem [X.] "                                      ", in dem er zu sehen ist. Er hat sich selbst in dem Clip erkannt und eingeräumt, im Tatzeitraum über ein Sturmfeuergewehr vom Typ [X.] verfügt und mit diesem an den [X.] [X.]s teilgenommen zu haben. Die [X.]equenz sei im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen um den Stützpunkt des [X.] entstanden und zeige den Zeitpunkt unmittelbar nach der Erstürmung des Gebäudes. Es habe Tote auf beiden Seiten gegeben. Der Angeklagte hat ferner gestanden, nach der Eroberung [X.]s mit seinem Gewehr bewaffnet in einer schwarzen Limousine in der [X.] umhergefahren zu sein.

Der dringende Tatverdacht bezüglich des Anschlusses des Angeklagten an die "[X.] [X.]" und seiner für die Vereinigung geleisteten Beteiligungshandlungen folgt darüber hinaus aus den Aussagen mehrerer Zeugen, die die Aktivitäten des Angeklagten in [X.] beobachteten bzw. anderweitig davon Kenntnis erlangten. Soweit der Angeklagte eine längerfristige Eingliederung in die "[X.] [X.]" bestritten hat, stehen dem die Angaben der Zeugen entgegen. Wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht gegen den Angeklagten begründenden Beweismittel wird auf die ausführlichen Darlegungen in der Anklageschrift des [X.]s vom 6. Dezember 2019, dort insbesondere im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, sowie auf die Ausführungen des [X.] im neu gefassten Haftbefehl vom 2. Januar 2020 Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht beteiligte sich der Angeklagte danach mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2) und beging in Tateinheit (§ 52 StGB) hierzu einen Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKG in Verbindung mit Teil B, Abschnitt V, Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG.

aa) Der Angeklagte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung, nämlich der "[X.] [X.]", dringend verdächtig (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).

(1) Die Organisation erfüllte die Voraussetzungen für eine Vereinigung nach den §§ 129, 129a StGB. Das gilt sowohl unter Zugrundelegung des früher nach der Rechtsprechung des [X.] maßgeblichen Vereinigungsbegriffs (s. dazu etwa [X.], Urteil vom 14. August 2009 - 3 [X.], [X.]St 54, 69 Rn. 116 ff. [X.]) als auch nach der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung.

Bei der "[X.] [X.]" handelte es sich nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen um einen auf Dauer angelegten Zusammenschluss von über 50 Personen mit Organisationsstruktur, Vorausplanung, Koordinierung, bestimmten [X.], gegenseitigen Verpflichtungen der Mitglieder sowie einem übergeordneten gemeinsamen Interesse. Die Tätigkeit der Gruppe war - neben der Begehung vielfältiger weiterer Straftaten - darauf gerichtet, Menschen zu töten.

(2) Der Angeklagte war im Tatzeitraum in [X.] und Umgebung für die "[X.] [X.]" tätig und agierte nach den Ermittlungen als Teil der Gruppe. Er integrierte sich in das "[X.]" der Organisation, ordnete sich deren Willen unter und förderte ihr Ziel, das staatliche Regime in [X.] zu bekämpfen und dauerhaft eine [X.] Staatsmacht zu errichten. Seine Stellung innerhalb der Vereinigung, manifestiert durch den langen Tatzeitraum, seinen strategischen Kampfeinsatz bei der Schlacht um [X.] und die Patrouillen in Fahrzeugen der "[X.] [X.]", jeweils unter Mitsichführung seines Sturmgewehrs der Marke [X.], kennzeichnete ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend. Die Beteiligungshandlungen des Angeklagten waren dabei - wie vor allem seine Einbindung in das [X.] der Gruppe zeigt - von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am [X.] getragen.

(3) Ob auch die Vorgängervereinigung der "[X.] [X.]", die "[X.]", die Anforderungen erfüllt, die an eine ausländische terroristische Vereinigung zu stellen sind, kann dahinstehen. Denn nach den [X.] und den Zeugenaussagen gründete sich die "[X.] [X.]" vor der Eroberung der [X.] [X.] im Februar 2013 und damit vor dem Tatzeitraum. Zum Zeitpunkt der Stürmung des Luftwaffenstützpunktes - dies ist zeitlich die erste dem Angeklagten konkret zur Last gelegte Beteiligungshandlung - agierte die Gruppe bereits als "[X.] [X.]", mag die "[X.]" auch als dem Bündnis untergeordnete Kampfeinheit fortexistiert haben. Soweit die Anklageschrift und der Haftbefehl darauf abstellen, dass der Angeklagte bereits für die Vorgängervereinigung tätig war, also schon vor dem offiziellen Gründungsakt der "[X.] [X.]" in die Gruppierung eingebunden war, kann dies offen bleiben.

bb) Ferner ist der Angeklagte dringend verdächtig, einen Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKG begangen zu haben. Er übte während des [X.] die tatsächliche Gewalt über eine sogenannte [X.] aus, ein automatisches Sturmgewehr, bei dem es sich um eine Kriegswaffe im Sinne von Teil B, Abschnitt V, Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG handelte, ohne über eine entsprechende Genehmigung zu verfügen.

cc) Da nach dem Ergebnis der Ermittlungen von einem durchgängigen Waffenbesitz während des gesamten [X.] auszugehen ist, stehen die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und der Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz in Tateinheit gemäß § 52 StGB (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, [X.]St 60, 308 Rn. 24; vom 10. August 2017 - AK 35/17 u.a., juris Rn. 39; vom 11. Januar 2018 - AK 75/17 u.a., juris Rn. 27, 40).

d) [X.] Strafrecht ist anwendbar. Die Tat bezieht sich auf eine außereuropäische Vereinigung und der Täter befindet sich im Inland, § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB (vgl. näher [X.], Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 34 ff.); er wohnte bei seiner Festnahme in [X.]. Die Anwendbarkeit [X.] Strafrechts ergibt sich daneben aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil die Tat auch nach syrischem Recht mit Strafe bedroht ist (vgl. generell für den Besitz von Waffen § 41 des [X.] [X.] [X.] vom 24. September 2001; für den Besitz von Waffen zur Begehung eines [X.] § 5 des [X.] Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012). Auslieferungen nach [X.] finden derzeit nicht statt.

e) Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung hat das [X.] am 4. Juli 2019 erteilt.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird. Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem hiervon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen:

Der Angeklagte hat in [X.] bisher keine gefestigten [X.] Bindungen aufbauen können. Zwar lebte er vor seiner Festnahme zusammen mit seiner [X.] Frau und den gemeinsamen zwei Kindern in einer Wohnung. Er war jedoch nicht berufstätig und verfügte nur über einen subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG. [X.] [X.] spricht außerdem dafür, dass die Ehefrau bereit wäre, ihm auch bei einer erneuten Flucht mit den Kindern zu folgen.

Hinzu kommt, dass der Angeklagte besonders mobil ist. Bereits in [X.] entzog er sich seiner Einberufung zum Militär, indem er aus D.     in die [X.] [X.] umzog. Nach seiner Flucht aus [X.] arbeitete er für sechs Monate in [X.].    , um dann in die syrische [X.] [X.]zu ziehen und fortan dort und in drei weiteren [X.] Orten zu leben und zu arbeiten. Im Oktober 2015 gelangte er über die [X.] und die sogenannte [X.] nach [X.]. Nach seiner Ankunft stellte er gegenüber den [X.] Behörden einen Asylantrag unter der [X.] "    A.     , geboren am               in    ".

Die Fortdauer der Untersuchungshaft kann im Hinblick darauf, dass der Angeklagte unter anderem der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung dringend verdächtig ist, trotz der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO ([X.], Beschlüsse vom 22. September 2016 - AK 47/16, juris Rn. 26; vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) überdies auf den Haftgrund der [X.] gestützt werden.

Der Zweck der Untersuchungshaft ist unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreichbar.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens - die Akte umfasst 26 Stehordner - haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.

Die erforderlichen Ermittlungen sind schon wegen des [X.] außerordentlich komplex gewesen, zumal über die Organisation der "[X.] [X.]" bei den Strafverfolgungsbehörden bisher wenig bekannt war. Es haben insoweit nicht nur eine Vielzahl von Zeugen vernommen, sondern auch islamwissenschaftliche Berichte verfasst und [X.]daten gesichtet werden müssen. Hinzu kommt die Auswertung der anlässlich der Festnahme des Angeklagten sichergestellten Mobiltelefone und schriftlichen Unterlagen, die allesamt Übersetzungen und eine islamwissenschaftliche Bewertung erfordert haben. Insgesamt 15 Zeugen haben zudem erst in der offenen Phase der Ermittlungen nach der Festnahme des Angeklagten vernommen werden können, weil sie eine persönliche Nähe zu ihm aufweisen. Gleichwohl hat der [X.] bereits unter dem 6. Dezember 2019 Anklage zum [X.] erhoben.

Nach Eingang des Verfahrens bei Gericht am 12. Dezember 2019 hat der zuständige Strafsenat das Verfahren beschleunigt betrieben. Noch am selben Tag hat der Vorsitzende die Zustellung der Anklage verfügt und unter Hinweis auf die besondere Eilbedürftigkeit ihre Übersetzung veranlasst. Bereits im Rahmen der Zustellverfügung hat er überdies den Prozessbeteiligten mögliche Hauptverhandlungstermine mitgeteilt. Mittlerweile sind diese fest vereinbart: Das Verfahren soll am 20. Februar 2020 beginnen und fortlaufend ganztags jeden Donnerstag und Freitag verhandelt werden. Am 16. Januar 2020 hat das [X.] die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Für den heutigen Tag ist ein Termin zur Vorbesprechung der Hauptverhandlung anberaumt.

Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

4. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer               Gericke               [X.]

Meta

AK 1/20

06.02.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 52 StGB, § 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129a Abs 2 Nr 4 StGB, § 129b Abs 1 Nr 1 StGB, § 129b Abs 1 Nr 2 StGB, § 22a Abs 1 Nr 6 KrWaffKontrG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2020, Az. AK 1/20 (REWIS RS 2020, 1588)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1588

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3 StR 537/14

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