Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.07.2011, Az. 2 AZR 355/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 5031

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - Interessenabwägung - mittelbare Diskriminierung wegen des Alters


Leitsatz

Die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des [X.] ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem [X.] und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim [X.] die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das [X.] einer außerordentlichen Kündigung des [X.] zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des [X.] vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des [X.] habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ([X.]). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden (I[X.]). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

[X.] Die Würdigung des [X.], für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.] § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 [X.] - Rn. 21 mwN, [X.] § 626 Nr. 220).

2. Die Würdigung des [X.], die Äußerungen des [X.] im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen ([X.] 24. November 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.] § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 [X.]/03 - [X.] KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; [X.]/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; [X.] in Kittner/[X.]/Zwanziger [X.] Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; [X.]S/[X.]. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/[X.] Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; [X.]/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem [X.] Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der [X.] begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer ([X.] 24. November 2005 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 [X.] - [X.] 5i 63).

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen ([X.] 24. November 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.] § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten ([X.] 24. November 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des [X.] einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen [X.] regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. [X.] 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

c) Das [X.] hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen [X.] mit Vorgehensweisen des [X.] Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. [X.] 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu [X.] 2 der Gründe, [X.]E 93, 266; [X.] 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

[X.]) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des [X.] in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im [X.] aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

3. Das [X.] ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 34, [X.] § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten [X.] und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 [X.] - Rn. 26 mwN, [X.] § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu [X.] 19. Januar 2010 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 48, Slg. 2010, [X.]; 5. Oktober 2004 - [X.]/01 bis [X.]/01 - [X.] ua.] Rn. 114, Slg. 2004, [X.]). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ([X.] 2000/78/[X.], [X.] L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 [X.]). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um [X.] iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c [X.] 2000/78/[X.].

[X.]) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a [X.] 2000/78/[X.] unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 [X.] 2000/78/[X.] genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. [X.] 2007, 199, 206; v. [X.] Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b [X.] 2000/78/[X.] vor.

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b [X.] 2000/78/[X.] eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 [X.] 2000/78/[X.] genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i [X.] 2000/78/[X.] gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. [X.] aaO S. 595; [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/Wege [X.]. § 626 BGB Rn. 48; [X.]/[X.] 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 [X.] 2000/78/[X.] kommt es nicht an.

(a) Art. 2 Abs. 2 [X.] 2000/78/[X.] unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 [X.] 2000/78/[X.] angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 [X.] 2000/78/[X.] gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b [X.] 2000/78/[X.] schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind ([X.] 5. März 2009 - [X.]/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, [X.]; vgl. auch [X.] 18. August 2009 - 1 [X.] - Rn. 31, [X.]E 131, 342; [X.] 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b [X.] 2000/78/[X.] schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 [X.] 2000/78/[X.] ([X.] 5. März 2009 - [X.]/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 [X.] 2000/78/[X.] insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( [X.] 18. August 2009 - 1 [X.] - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der [X.] vom 26. September 2000 (- [X.]/98 - [[X.]], Slg. 2000, [X.]) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i [X.] 2000/78/[X.] nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl [X.]/[X.] 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer [X.] getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 ([X.] 76/207/EWG, [X.] L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/[X.] entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i [X.] 2000/78/[X.] rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i [X.] 2000/78/[X.].

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere [X.] bewährt hatte (vgl. [X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 47, [X.] § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren [X.] beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

([X.]) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i [X.] 2000/78/[X.]. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen [X.] ausgeschlossen erscheint (vgl. [X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 27, [X.] § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine [X.] zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das [X.] einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

aa) Dieses hat zugunsten des [X.] darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

[X.]) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das [X.] unter diesen Umständen das Interesse des [X.] an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

cc) Ob das Lebensalter des [X.] sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das [X.] hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

I[X.] Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des [X.] nach § 85 SG[X.]X. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden (vgl. zu §§ 18, 19 und 21 [X.]: [X.] 16. Oktober 1991 - 2 [X.] - zu III 3 der Gründe, [X.] 6b 12).

II[X.] Als unterlegene [X.] hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

Meta

2 AZR 355/10

07.07.2011

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hildesheim, 7. Mai 2009, Az: 3 Ca 365/08, Urteil

§ 626 Abs 1 BGB, § 241 Abs 2 BGB, Art 5 Abs 1 GG, Art 1 EGRL 78/2000, Art 2 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 2 Abs 2 Buchst b EGRL 78/2000, Art 3 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000, § 85 SGB 9, § 43 Abs 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.07.2011, Az. 2 AZR 355/10 (REWIS RS 2011, 5031)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5031

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