Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.01.2016, Az. 4 B 21/15

4. Senat | REWIS RS 2016, 17859

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Gegenstand

Überleitung von landesrechtlichen Vorschriften und Plänen nach Inkrafttreten des BauGB; Beachtlichkeit eines Abwägungsmangels nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 29. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 897 120 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

3

a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, wie der Begriff der "Vergnügungsstätten und Ähnliches" in § 7 Nr. 9 Satz 1 Buchst. c der [X.] (in der Fassung vom 21. November 1958, GVBl. S. 1087 - [X.] -) zu verstehen ist und ob hierunter auch eine "prostitutive" Einrichtung fällt.

4

Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.

5

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier. Die von der Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Fragen zur Auslegung und Anwendung des § 7 Nr. 9 Satz 1 Buchst. c der [X.] vom 21. November 1958, GVBl. S. 1087 - [X.] - betreffen nicht revisibles Recht.

6

Das Oberverwaltungsgericht ([X.] f.) hat angenommen, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans 7-50B am Maßstab des [X.] 1958/1960 zu beurteilen wäre, der aufgrund der bauplanungsrechtlichen Vorschriften der [X.] sowie der Überleitungsbestimmungen des [X.] und des Baugesetzbuchs als übergeleiteter Bebauungsplan fortgelte. Das Vorhaben widerspreche der im [X.] 1958/1960 für das [X.] getroffenen Festsetzung eines gemischten Gebiets (§ 7 Nr. 9 [X.]).

7

Zu Unrecht geht die Beschwerde davon aus, dass § 7 Nr. 9 [X.] durch § 173 Abs. 3 BBauG (vom 23. Juni 1960, [X.]) in [X.] übergeleitet worden sei und damit revisibles Recht darstelle. Nach dieser Vorschrift gelten bei Inkrafttreten des [X.] bestehende baurechtliche Vorschriften und festgestellte städtebauliche Pläne als Bebauungspläne, soweit sie verbindliche Regelungen der in § 9 bezeichneten Art enthalten. Übergeleitet wurden hierdurch mithin nur landesrechtliche Vorschriften und Pläne, die Festsetzungen enthalten, die auch Inhalt eines Bebauungsplans sein können. Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich des [X.] 1958/1960 ausgegangen, der als übergeleiteter Bebauungsplan fortgalt. Das ändert aber nichts daran, dass der [X.] 1958/1960 - nicht anders als Bebauungspläne, die auf der Grundlage des [X.]/Baugesetzbuchs erlassen worden sind - Bestandteil des nicht revisiblen Landesrechts ist (vgl. z.B. [X.], Urteil vom 23. April 2009 - 4 CN 5.07 - [X.]E 133, 377 Rn. 13; zu § 173 Abs. 3 BBauG bereits [X.], Beschluss vom 4. Dezember 1968 - 4 B 167.68 - [X.] 406.11 § 173 BBauG Nr. 6 und Urteil vom 17. Dezember 1998 - 4 C 16.97 - [X.]E 108, 190 <195>). Die [X.], auf deren Grundlage der [X.] 1958/1960 erlassen wurde, enthält selbst keine bauleitplanerischen Festsetzungen. § 173 Abs. 3 BBauG 1960 ist hierauf nicht anwendbar (vgl. auch [X.], Beschluss vom 23. Dezember 2015 - 4 [X.] -). Die somit insgesamt auf nicht revisibles Recht bezogenen Darlegungen der Beschwerde sind deshalb nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu begründen.

8

Soweit die Beschwerde auf das Urteil des Senats vom 17. Dezember 1998 - 4 C 16.97 - ([X.]E 108, 190 <195>) hinweist und meint, das Revisionsgericht habe § 7 Nr. 9 [X.] als landesrechtliche Vorschrift daraufhin zu überprüfen, ob deren Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht bundesrechtliche Vorschriften entgegenstehen, verkennt sie, dass Landesrecht auch dann, wenn es Begriffe verwendet, die auch das [X.] kennt, mag sich ihr Inhalt mit dem [X.] decken oder davon abweichen, nicht zum revisiblen [X.] wird ([X.], Beschlüsse vom 29. Dezember 2009 - 8 B 46.09 - juris Rn. 2 und vom 17. März 2015 - 4 [X.] 29.14 - juris Rn. 7, jeweils m.w.N.). Im Übrigen legt sie nicht dar, gegen welchen bundesrechtlichen Rechtsanwendungsbefehl die Auslegung des [X.] verstoßen haben soll und inwieweit diese bundesrechtlichen Maßstäbe grundsätzlich klärungsbedürftig sind.

9

b) [X.] Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde auch nicht mit der Frage auf,

ob bei Vorliegen eines Fehlers im Vorgang der Ermittlung und Bewertung der Belange nach § 2 Abs. 3 BauGB bzw. im [X.] nach § 1 Abs. 7 BauGB allein aus dem Ausschluss bestimmter Vorhaben durch textliche Festsetzung im Bebauungsplan (hier: Spielhallen) ohne weiteres auf einen Ausschluss weiterer Nutzungsarten geschlossen werden kann.

Die Frage zielt auf die in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB für die Beachtlichkeit eines Fehlers bei der Ermittlung und Bewertung des [X.] nach § 2 Abs. 3 BauGB formulierte Voraussetzung, dass der Mangel auf das Ergebnis des Verfahrens "von Einfluss gewesen" ist. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass diese Voraussetzung dann vorliegt, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre (stRspr, z.B. [X.], Urteile vom 9. April 2008 - 4 CN 1.07 - [X.]E 131, 100 Rn. 20 ff. und vom 13. Dezember 2012 - 4 CN 1.11 - [X.]E 145, 231 Rn. 16 m.w.N.). Eine solche konkrete Möglichkeit besteht immer dann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände die Möglichkeit abzeichnet, dass der Mangel im [X.] von Einfluss auf das [X.] gewesen sein kann; hat sich der Planungsträger von einem unzutreffend angenommenen Belang leiten lassen und sind andere Belange, die das [X.] rechtfertigen könnten, weder im Bauleitplanverfahren angesprochen noch sonst ersichtlich, so ist die unzutreffende Erwägung "auf das [X.] von Einfluss gewesen" ([X.], Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 57.80 - [X.]E 64, 33 <39 f.> - zu § 155b Abs. 2 Satz 2 BBauG -).

In Anwendung dieser Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht ([X.]) die konkrete Möglichkeit, dass die Planung ohne den Fehler bei der Bewältigung der Nutzungskonflikte zwischen Wohnnutzung und Prostitutionsgewerbe anders ausgefallen wär, bejaht. Anhaltspunkte hierfür hat es dem Ausschluss von Spielhallen im Kerngebiet entnommen, der zur Erhaltung der Nutzungsvielfalt unter Ausschluss städtebaulich unerwünschter Nutzungen festgesetzt worden sei. Dieser Ausschluss lege es nahe, dass der [X.] eine gleichlautende Ausschlussregelung in Bezug auf Prostitutionsgewerbe und gegebenenfalls sonstige Gewerbebetriebe und Vergnügungsstätten mit sexuellem Bezug getroffen hätte, wenn er die Möglichkeit der Ansiedlung derartiger Betriebe in dem für das [X.] ausgewiesenen Kerngebiet berücksichtigt hätte. Diese anhand der Planunterlagen vorgenommene Würdigung des Sachverhalts bezieht sich auf die Umstände des Einzelfalles und ist nach § 137 Abs. 2 VwGO einer revisionsgerichtlichen Klärung entzogen. Der von der Beschwerde in diesem Zusammenhang behauptete Verstoß gegen die Eigentumsgarantie lässt eine substantiierte Begründung vermissen.

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör im Hinblick auf die Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans [X.] u-1 aus dem Jahre 2006 verletzt.

Die Voraussetzungen einer das rechtliche Gehör verletzenden Überraschungsentscheidung (zu den Voraussetzungen vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 23. Dezember 1991 - 5 B 80.91 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 241 S. 91) sind schon deshalb nicht schlüssig dargetan, weil die Beschwerde selbst vorträgt, dass das Oberverwaltungsgericht in der erneuten Berufungsverhandlung klargestellt habe, dass es nunmehr von einem beachtlichen Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB ausgehe und den Bebauungsplan insgesamt für nichtig erachte.

Entgegen der Annahme der Beschwerde war das Oberverwaltungsgericht auch nicht nach § 86 Abs. 3 VwGO gehalten, die Klägerin im Vorfeld der mündlichen Verhandlung auf diese (vorläufige) Rechtsauffassung hinzuweisen oder ihr in der mündlichen Verhandlung hierzu eine Frist zur weiteren Stellungnahme einzuräumen. Ein Gericht verstößt dann gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 12. November 2014 - 2 [X.] - [X.] 235.2 LDisziplinarG Nr. 30 Rn. 10). Auf unvorhersehbare rechtliche Gesichtspunkte hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht abgestellt. Zu Recht hat es die Ablehnung der seitens der Klägerin beantragten [X.] darauf gestützt, dass die Klägerin selbst mit der Unwirksamkeit des Bebauungsplans 7-50B argumentiert hat und es deshalb bereits nach der eigenen Auffassung der Klägerin auf die Rechtswirksamkeit der Vorgänger-Bebauungspläne ankam.

Dass es auf die Wirksamkeit des Änderungs-Bebauungsplans aus dem [X.] ankommen konnte, ergab sich zudem aus dem in dieser Sache ergangenen Senatsurteil vom 12. September 2013 - 4 C 8.12 - ([X.]E 147, 379 Rn. 14). Schon deswegen fehlt für das Vorliegen einer das Gebot rechtlichen Gehörs verletzenden Überraschungsentscheidung jeder Anhaltspunkt.

b) Gleiches gilt, soweit die Beschwerde einen Gehörsverstoß ferner "im Hinblick auf die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 7 Nr. 9 Buchst. c [X.]" rügt. Nachdem die Klägerin - wie dargelegt - damit rechnen musste, dass das Oberverwaltungsgericht die Bebauungspläne [X.] u-1 aus dem Jahre 2006 und [X.] u aus dem Jahre 1993 für unwirksam hält, hatte sie auch Anlass, sich mit der davor liegenden Rechtslage auseinanderzusetzen. Auch hierauf hat der Senat in seinem Revisionsurteil (Urteil vom 12. September 2013 - 4 C 8.12 - [X.]E 147, 379 Rn. 14) hingewiesen. Die Beschwerde kann sich deshalb nicht darauf berufen, dass weder die Klägerin noch der Beklagte die [X.] in ihrem schriftsätzlichen oder mündlichen Vortrag je erwähnt und die Bevollmächtigten der Klägerin die [X.] im Termin zur mündlichen Verhandlung auch nicht parat gehabt hätten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 21/15

13.01.2016

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 29. Januar 2015, Az: OVG 2 B 1.14, Urteil

§ 7 Nr 9 S 1 Buchst c BauO BE vom 21.11.1958, § 173 Abs 3 BauGB vom 23.06.1960, § 2 Abs 3 BauGB, § 1 Abs 7 BauGB, § 214 Abs 1 S 1 Nr 1 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.01.2016, Az. 4 B 21/15 (REWIS RS 2016, 17859)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17859

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Referenzen
Wird zitiert von

15 N 23.83

1 C 11757/17

9 N 14.2525

9 N 12.2648

9 N 12.1003

9 N 15.2011

9 N 13.1408

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