Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 20.01.2022, Az. IX ZB 60/20

9. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 2724

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung des Lugano-Übereinkommens: Klageschrift einer Forderungsklage nach vorangegangenem Erlass eines schweizerischen Zahlungsbefehls als verfahrenseinleitendes Schriftstück


Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem [X.] wird gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) folgende Frage vorgelegt:

Ist Art. 34 Nr. 2 des [X.] Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 ([X.]) dahin auszulegen, dass es sich bei der Klageschrift einer Forderungsklage, die nach vorangegangenem Erlass eines [X.] Zahlungsbefehls ohne den Antrag erhoben wird, den gegen den Zahlungsbefehl eingelegten Rechtsvorschlag zu beseitigen, um das verfahrenseinleitende Schriftstück handelt?

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt, eine Entscheidung eines [X.] Gerichts in [X.] für vollstreckbar zu erklären. Auf seinen Antrag erließ das Betreibungsamt [X.] gegen den Antragsgegner, der seinen Wohnsitz in [X.] hat, wegen Mietforderungen einen Zahlungsbefehl, der ihm am 19. Januar 2013 zugestellt wurde. Der Antragsgegner erhob gegen den Zahlungsbefehl gemäß Art. 74 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889 (SchKG) am 28. Januar 2013 Rechtsvorschlag.

2

Im Folgenden reichte der Antragsteller gegen den Antragsgegner vor dem Gericht für Pacht- und Mietsachen des Kantons [X.] Klage ein, ohne eine Aufhebung des [X.] zu beantragen. Das Gericht versuchte, die Klageschrift in [X.] an den Antragsgegner an seinem [X.] Wohnsitz zuzustellen. Dieser verweigerte die Annahme der Zustellung, weil keine [X.] Übersetzung beigefügt war. In der weiteren Folge des Prozesses erhielt der Antragsgegner keine weiteren Informationen über das Verfahren. Das Gericht verurteilte den Antragsgegner mit Urteil vom 30. Januar 2014 zur Zahlung von insgesamt 4.120,70 [X.] nebst Zinsen. Der Rechtsvorschlag gegen den Zahlungsbefehl wurde nicht beseitigt. Das Urteil wurde öffentlich zugestellt.

3

Der Antragsteller beantragte nach dem Erlass des Urteils einen neuen Zahlungsbefehl, der am 5. März 2015 erlassen wurde. Der Antragsgegner erhob auch dagegen fristgerecht Rechtsvorschlag.

4

Der Antragsteller hat die Vollstreckbarerklärung des Urteils in [X.] nach Art. 38, 53 [X.] beantragt und hierzu beglaubigte und übersetzte Abschriften des Urteils vom 30. Januar 2014 und der Bescheinigung nach Art. 54 [X.] vorgelegt. Das [X.] hat dem Antrag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat das [X.] zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Antragsgegner weiter gegen die Vollstreckbarerklärung.

II.

5

Der Erfolg der Rechtsbeschwerde hängt von der Auslegung des Art. 34 Nr. 2 [X.] ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen.

6

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß Art. 44 [X.] iVm § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig, weil ihr aufgrund der Vorlagepflicht des [X.] als letztinstanzliches Gericht eine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zukommt.

7

2. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Einer Anerkennung des Urteils stehe Art. 34 Nr. 2 [X.] nicht entgegen. Dem Antragsgegner sei das verfahrenseinleitende Schriftstück in einer den Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 [X.] ausschließenden Weise zugestellt worden. Als verfahrenseinleitendes Schriftstück sei der Zahlungsbefehl, der dem Antragsgegner am 19. Januar 2013 zugestellt wurde, anzusehen. Aufgrund dieses Zahlungsbefehls sei der Antragsgegner davon unterrichtet gewesen, dass der Antragsteller gegen ihn Mietforderungen geltend mache, und er habe sich - wie sich durch den Rechtsvorschlag vom 28. Januar 2013 gezeigt habe - auch in einer seine Rechte wahrenden Weise an dem Verfahren beteiligen können. Die Anerkennung des Urteils verstoße im Übrigen auch nicht gegen Art. 34 Nr. 1 [X.]. Auch wenn die Zustellung der Klageschrift nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, komme in Betracht, dass der Antragsgegner aufgrund der Kenntnis des Zahlungsbefehls eine Mitwirkungsobliegenheit gehabt habe. Ein Verstoß gegen den ordre public sei aber jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil der Antragsgegner nicht vorgetragen habe, mit welchen Einwendungen er sich gegen die geltend gemachten Ansprüche verteidigt hätte.

8

3. Das würde der rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten, sofern die Vorlagefrage bejaht wird.

9

a) Von der Beantwortung der Frage hängt ab, ob die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Gerichts für Pacht- und Mietsachen des Kantons [X.] vom 30. Januar 2014 gemäß Art. 45 Abs. 1, Art. 34 Nr. 2 [X.] zu versagen ist.

aa) Nach Art. 34 Nr. 2 [X.] ist die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen, wenn dem [X.]n, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte. Dem Antragsgegner wurde zunächst der Zahlungsbefehl vom 19. Januar 2013 zugestellt, gegen den er sich mit dem Rechtsvorschlag vom 28. Januar 2013 zur Wehr gesetzt hat. Am 11. September 2013 wurde versucht, dem Antragsgegner die Klageschrift des [X.] zuzustellen. Da diese in [X.] verfasst und keine Übersetzung beigefügt war, verweigerte der Antragsgegner die Annahme des Schriftstücks.

(1) Hinsichtlich des Zahlungsbefehls ist zwischen den [X.]en unstreitig, dass von einer ordnungsgemäßen Zustellung auszugehen ist. Dementsprechend hat der Antragsgegner gegen die Entscheidung auch einen Rechtsvorschlag erhoben, woraufhin das Betreibungsverfahren eingestellt wurde.

(2) Hinsichtlich der Zustellung der Klageschrift wurden die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 des [X.] über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 ([X.] Zustellungsübereinkommen; [X.]) hingegen nicht eingehalten.

Die Art der Zustellung der Klageschrift richtete sich nach den Regelungen des [X.] Zustellungsübereinkommens, dem sowohl die Bundesrepublik [X.] als auch die [X.] beigetreten sind. Die Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 1393/2007 des [X.] und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1348/2000 des Rates ([X.]) sind nicht anzuwenden, da die [X.] dieser Verordnung nicht beigetreten ist. Die förmliche Zustellung erfolgte gemäß Art. 5 Abs. 1 [X.]. Nach § 3 des Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember 1977 ([X.] I S. 3105) ist eine förmliche Zustellung in [X.] nur zulässig, wenn das zuzustellende Schriftstück in [X.]r Sprache abgefasst oder in diese Sprache übersetzt ist. Die Zustellung der Klageschrift am 11. September 2013 entsprach nicht diesen Voraussetzungen, da diese nur in [X.] vorlag. Eine [X.] Übersetzung war nicht beigefügt.

(3) Bei einer fehlenden Übersetzung ist die Zustellung nicht in einer Weise erfolgt, dass sich der [X.] verteidigen konnte. Anders als im [X.] vom 16. September 1988 kommt es nicht mehr allein auf die Ordnungsgemäßheit der Zustellung an, vielmehr ist zu prüfen, ob durch den Zustellungsmangel das Verteidigungsrecht des [X.]n erheblich beeinträchtigt worden ist. Schwerwiegende Zustellungsmängel sind regelmäßig ein starkes Indiz dafür, dass dem Schuldner kein ausreichendes rechtliches Gehör bei der Verfahrenseinleitung gewährt wurde ([X.], Beschluss vom 12. Dezember 2007 - [X.], [X.] 2008, 251 Rn. 28). Die fehlende Übersetzung wird grundsätzlich als ein solcher schwerwiegender Zustellungsmangel angesehen, wenn der [X.] den Empfang dieses Schriftstücks aufgrund des Zustellungsmangels verweigert hat ([X.], Urteil vom 8. November 2005 - [X.]/03, [X.], [X.]. 2005, [X.] Rn. 68; [X.]/Schütze/[X.], ZPO, 4. Aufl., Art. 45 [X.] Rn. 162; [X.]/[X.], 6. Aufl., Art. 45 [X.] Ia-VO Rn. 29).

Die Klageschrift wurde mangels Übersetzung nicht in einer Weise zugestellt, dass sich der Antragsgegner dagegen verteidigen konnte. Unstreitig war er der [X.] selbst nicht mächtig. Er hat zudem die Annahme des Schriftstücks verweigert.

(4) Aufgrund dieses Zustellungsmangels könnte die Anerkennung gemäß Art. 34 Nr. 2 [X.] zu versagen sein, wenn die Klageschrift als verfahrenseinleitendes Schriftstück angesehen wird. Sollte das Verfahren hingegen bereits durch den Zahlungsbefehl eingeleitet worden sein, wären die Voraussetzungen des Art. 34 Nr. 2 [X.] nicht gegeben. In jedem Verfahren kann es nur ein verfahrenseinleitendes Schriftstück geben (vgl. [X.]/Schütze/[X.], ZPO, 4. Aufl., Art. 45 [X.] Ia-VO Rn. 122).

[X.]) Die Frage, ob im [X.] Klageverfahren das verfahrenseinleitende Schriftstück der Zahlungsbefehl ist oder die Klageschrift, ist bisher nicht entschieden.

(1) Der [X.] hat sich bisher lediglich mit der Frage befasst, ob der Zahlungsbefehl verjährungshemmende Wirkung hat ([X.], Urteil vom 17. April 2002 - [X.], NJW-RR 2002, 937, 938). Es wurde festgestellt, dass der [X.] Zahlungsbefehl funktional dem Mahnbescheid nach § 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB aF gleichwertig sei und ebenso wie der [X.] Mahnbescheid die Verjährung unterbreche. Im Übrigen sind zum [X.] Zahlungsbefehl im Rahmen der Vollstreckbarerklärung keine Entscheidungen ergangen.

(2) Die Funktion des Zahlungsbefehls als verfahrenseinleitendes Schriftstück wird primär in der [X.] Literatur diskutiert. Teilweise wird vertreten, dass es sich bei dem Zahlungsbefehl nicht um eine Entscheidung gemäß Art. 32 [X.] handele, weil sich seine Rechtskraft auf den rein vollstreckungsrechtlichen Inhalt beschränke ([X.], Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 3. Aufl., Rn. 506). Andere hingegen klassifizieren den Zahlungsbefehl als anerkennungsfähige Entscheidung ([X.], ZZPInt 2008, 167, 173 ff; [X.], Internationaler Zivilprozess, 2011, 35 ff; [X.], [X.], S. 657 ff).

(3) Hinsichtlich der Klageschrift stellt sich nicht die Frage, ob der Zahlungsbefehl generell als verfahrenseinleitendes Schriftstück angesehen werden kann. Entscheidend ist vielmehr, ob in dem Prozess, der auf einen Zahlungsbefehl folgt, die Klageschrift als ein separates verfahrenseinleitendes Schriftstück einzuordnen ist, weil das Betreibungsverfahren und das Klageverfahren kein einheitliches Verfahren bilden.

(aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] bezeichnet der Begriff des verfahrenseinleitenden oder eines diesem gleichwertigen Schriftstücks im Sinne des Art. 45 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO das oder die Schriftstücke, deren ordnungsgemäße und rechtzeitige Zustellung den Antragsgegner in die Lage versetzt, seine Rechte vor Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung im Urteilsstaat geltend zu machen ([X.], Urteil vom 13. Juli 1995 - [X.]/93, [X.], [X.] 1995, 803 Rn. 19 zu Art. 27 Abs. 2 EuGVÜ).Unter dieser Prämisse hat der Gerichtshof den [X.] Mahnbescheid ("decreto ingiuntivo") in Verbindung mit der Antragsschrift als verfahrenseinleitendes Schriftstück angesehen([X.], Urteil vom 13. Juli 1995, aaO Rn. 20 f). Gleiches hatte er bereits für den [X.] Zahlungsbefehl (den Vorläufer des Mahnbescheids) entschieden ([X.], Urteil vom 16. Juni 1981 - Rs. 166/80, Klomps, [X.] 1981, 1593 Rn. 9).

([X.]) Das [X.] System der Schuldbetreibung unterscheidet zwischen dem Einleitungsverfahren und dem Fortsetzungsverfahren (ausführlich dazu [X.], Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 3. Aufl., Rn. 484 ff). Der Zweck des [X.] besteht darin, Bestand, Umfang und Vollstreckbarkeit der in Betreibung gesetzten Forderung abzuklären. Das Verfahren wird dadurch eingeleitet, dass der Gläubiger beim Betreibungsamt des Betreibungsortes ein Betreibungsbegehren einreicht (Art. 67 SchKG). Dabei sind die Forderungssumme und der [X.] anzugeben, wenn dieser sich nicht aus einer einzureichenden Urkunde unmittelbar ergibt (Art. 67 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SchKG). Entspricht das Betreibungsbegehren den formellen Anforderungen, erlässt das Betreibungsamt einen Zahlungsbefehl (Art. 69 Abs. 1 SchKG). Mit der Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner beginnt die Schuldbetreibung (Art. 38 Abs. 2 SchKG). Der Schuldner kann dann innerhalb von 10 Tagen gegen den Zahlungsbefehl einen Rechtsvorschlag erheben (Art. 74 Abs. 1 SchKG). Durch den Rechtsvorschlag wird die Betreibung zum Stillstand gebracht und der Gläubiger auf den [X.] verwiesen ([X.], aaO Rn. 530; ebenso [X.]/[X.]/[X.], SchKG, 2. Aufl., Art. 74 Rn. 1).

Der Gläubiger hat die Möglichkeit, den Rechtsvorschlag zu beseitigen. Liegt noch kein Titel vor, muss er den Weg der Anerkennungsklage beschreiten. Gemäß Art. 79 Satz 2 SchKG kann er die Fortsetzung der Betreibung nur aufgrund eines vollstreckbaren Entscheids erwirken, der den Rechtsvorschlag ausdrücklich beseitigt ([X.], [X.]; [X.]/[X.], SchKG, 2. Aufl., Art. 79 Rn. 12). Der Gläubiger hat dann einen gewöhnlichen Forderungsprozess zu betreiben, in welchem gleichzeitig über die Aufhebung des [X.] entschieden wird ([X.], aaO Rn. 574).

Die Rechtskraft des Zahlungsbefehls beschränkt sich allerdings auf den vollstreckungsrechtlichen Inhalt ([X.], aaO Rn. 506). Er entfaltet, auch wenn er unwidersprochen bleibt, keine materielle Rechtskraft ([X.], aaO Rn. 518). Folglich kann die Forderung neben dem Zahlungsbefehl auch auf [X.] Wege geltend gemacht werden. Das Betreibungsverfahren muss nicht fortgesetzt werden.

(cc) Die Entscheidungen zum [X.] und [X.] Mahnbescheid betreffen keinen [X.]. Beim [X.] Zahlungsbefehl könnte davon ausgegangen werden, dass dieser das verfahrenseinleitende Schriftstück ist, wenn im [X.] die Aufhebung des [X.] mitbegehrt wird. In diesem Fall beabsichtigt der Gläubiger, seine Forderung feststellen und danach die Vollstreckung (Betreibung) wieder aufnehmen zu lassen. Damit es zu einer Beseitigung des [X.] kommt, muss der Gläubiger dann allerdings beantragen, dass dieser aufzuheben ist. Verzichtet er auf einen entsprechenden Antrag, kann das Prozessgericht nicht über die Aufhebung entscheiden. Gemäß Art. 58 Abs. 1 der [X.]ischen Zivilprozessordnung ([X.] ZPO) gilt der Dispositionsgrundsatz, wonach einer [X.] nicht mehr zugesprochen werden darf, als sie verlangt.

Gegenüber dem [X.] Mahnverfahren weist das [X.] Betreibungsverfahren die Besonderheit auf, dass keine Abgabe des Verfahrens von der Stelle, die den Zahlungsbefehl erlassen hat, an das Prozessgericht erfolgt. Im [X.] Mahnverfahren wird die Verbindung des Verfahrens damit zum Ausdruck gebracht, dass gemäß § 696 Abs. 1 ZPO nach Widerspruch des Schuldners und auf dessen oder des Gläubigers Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens der Rechtsstreit von Amts wegen an das Prozessgericht abgegeben wird. Im [X.] Recht endet für das Betreibungsamt durch die Einlegung des [X.] zunächst das Verfahren, ohne dass es einer Abgabe an das Prozessgericht bedürfte.

Eine ähnliche Situation wäre im [X.] Recht möglich, wenn der Gläubiger das Mahnverfahren zunächst nicht mehr betreibt und dann später beim Prozessgericht eine Klage einreicht. Da gemäß § 696 Abs. 3 ZPO die Rechtshängigkeit des Verfahrens erst mit der Abgabe an das Prozessgericht rückwirkend auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids eintritt, besteht vor der Abgabe keine Rechtshängigkeitssperre gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Der Gläubiger ist dann nicht gehindert, noch ein weiteres Verfahren einzuleiten.

Entscheidend für den Rechtsstreit ist, ob wegen des Zusammenhangs zwischen dem vorangegangenen Einleitungsverfahren und dem danach stattfindenden Zivilprozessverfahren der Zahlungsbefehl insgesamt als verfahrenseinleitendes Schriftstück gilt. Dies ist nach Auffassung des Senats jedenfalls dann nicht der Fall, wenn im Zivilprozessverfahren nicht mehr die Aufhebung des [X.] begehrt wird, sondern die Forderung isoliert geltend gemacht wird.

So verhält es sich im Streitfall. Der Antragsteller hat vor dem Prozessgericht nicht die Beseitigung des [X.] beantragt, sondern die Verurteilung des Antragsgegners zur Zahlung. Nach dem Erlass des Urteils hat er die Vollstreckung nicht mehr auf den ursprünglichen Zahlungsbefehl gestützt, sondern einen neuen Zahlungsbefehl beantragt.

b) Die Beantwortung der Frage ist auch entscheidungserheblich. Ein weiterer Versagungsgrund liegt nicht vor. Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass sich der Antragsgegner nicht auf den Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 1 [X.] berufen kann, weil er auch im Rahmen des [X.] nicht vorgetragen hat, wie er sich inhaltlich gegenüber dem Anspruch des Antragstellers zur Wehr gesetzt hätte. Es sei nicht ersichtlich, wie sich der Antragsgegner auch bei ordnungsgemäßer Beteiligung an dem [X.] Verfahren beteiligt hätte.

Diese Auslegung des [X.] ist rechtsfehlerfrei.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob Art. 34 Nr. 1 [X.] neben Art. 34 Nr. 2 [X.] einschlägig sein kann. Es mangelt jedenfalls an einem Verstoß gegen den [X.] ordre public. Die Versagungsgründe in Art. 34 [X.] bilden in der Systematik, ebenso wie die Gründe in Art. 45 Abs. 1 EuGVVO, die Ausnahme zum Grundsatz der automatischen Anerkennung und Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten. Auch der ordre public-Einwand ist ein solcher Ausnahmetatbestand und als solcher eng auszulegen (vgl. [X.], Urteil vom 13. Oktober 2011 - [X.]/10, Prism, [X.]. 2011, I - 9511 Rn. 33; vom 16. Juli 2015 - [X.]/13, [X.], [X.], 1848 Rn. 41 zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF mwN).

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die fehlende Übersetzung der Klageschrift sowie die auch im Übrigen unterbliebene Unterrichtung des Antragsgegners über das Verfahren rechtfertigte nur dann eine Versagung der Anerkennung nach Art. 34 Nr. 1 [X.], wenn sich dieser bei einer ordnungsgemäßen Beteiligung auch inhaltlich gegen die Entscheidung zur Wehr gesetzt hätte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.], dass Einwände gegen das anzuerkennende Urteil grundsätzlich im Rahmen des Rechtswegs geltend zu machen sind ([X.], Urteil vom 16. Juli 2015, aaO Rn. 64; vom 7. Juli 2016 - [X.]/15, [X.], [X.] 2016, 618 Rn. 48). Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsgegner noch gegen das [X.] Urteil eine Beschwerde gemäß Art. 321 [X.] ZPO einlegen könnte - gegebenenfalls unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Art. 148 [X.] ZPO - und ob die Obliegenheit zur Rechtswegerschöpfung aufgrund des Vorbehalts in Art. III Abs. 1 Satz 1 des Protokolls 1 zum [X.] Übereinkommen auch im Rahmen des Art. 34 Nr. 1 [X.] keine Geltung beanspruchen kann. Selbst wenn keinerlei Rechtsmittelobliegenheit bestünde, wäre der Antragsgegner im Anerkennungsverfahren gehalten gewesen, im [X.] vorzutragen, wie er sich gegen die Entscheidung verteidigt hätte, um auszuschließen, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs in keiner Weise ursächlich für das Entscheidungsergebnis sein, er sich allein aus formalen Gründen gegen die Anerkennung zur Wehr setzen kann (vgl. [X.] in Schlosser/[X.], [X.], 5. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 15).

Einer solchen Obliegenheit steht auch nicht der vom Antragsgegner erhobene Einwand des Verbots der Révision au fond entgegen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts im [X.] zu prüfen, ob der Einwand tatsächlich im nationalen Recht des [X.] Erfolg gehabt hätte. Vielmehr ist lediglich zu prüfen, ob aus Sicht der nationalen Rechtsordnung des [X.]es ein plausibler Einwand gegenüber dem Anspruch hätte geltend gemacht werden können. Ist dies nicht der Fall, kann nicht allein aufgrund eines formalen Verstoßes gegen die nationalen Regelungen des [X.] die Anerkennung versagt werden.

Grupp    

        

Lohmann    

        

Schultz

        

Selbmann    

        

Harms    

        

Meta

IX ZB 60/20

20.01.2022

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 1. Oktober 2020, Az: 26 W 25/19

Art 34 Nr 2 VollstrZustÜbk 2007, Art 267 Abs 1 Buchst b AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, Art 67 SchKG CHE, Art 69 SchKG CHE, Art 74 SchKG CHE, Art 79 SchKG CHE

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 20.01.2022, Az. IX ZB 60/20 (REWIS RS 2022, 2724)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2724 WM 2022, 1136 REWIS RS 2022, 2724

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 60/20 (Bundesgerichtshof)


I-3 W 373/03 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


XII ZR 182/00 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 42/06 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 315/13 (Bundesgerichtshof)

Internationale Zuständigkeit bei Ansprüchen gegen Organ einer schweizer Gesellschaft aus unerlaubter Handlung; Schweizer Nachlassverfahren als …


Referenzen
Wird zitiert von

IX ZB 60/20

Zitiert

IX ZB 60/20

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.