Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.01.2012, Az. 2 B 72/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 10379

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Gegenstand

Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; Vorrang bestimmter Beweismittel


Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

Der [X.] bekleidet das Amt eines Postobersekretärs und war als Finanzdienstleistungsberater für Postbankprodukte bei der [X.] beschäftigt. Im Januar 2004 wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet. Nachdem im April 2006 das gegen ihn geführte Strafverfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden war, wurde das Disziplinarverfahren fortgeführt. Mit der im August 2007 erhobenen [X.] wurde dem [X.]n vorgeworfen, in 15 Fällen mit Hilfe von Falschbuchungen Auszahlungen fingiert zu haben und sich insgesamt etwa 4 500 € aus den Beständen der [X.] angeeignet zu haben. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n aus dem Dienst entfernt. Das Berufungsgericht hat das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf beschränkt, der [X.] habe am 15. November 2003 einen Betrag von 437,50 € aus der ihm anvertrauten Kasse entnommen und für sich behalten, und hat die Berufung des [X.]n zurückgewiesen.

3

Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler - Verletzung der Amtsaufklärungspflicht sowie Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - liegen nicht vor.

4

Der Grundsatz der Sachverhaltsermittlung von Amts wegen gemäß § 58 Abs. 1 [X.], § 3 [X.], § 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet das [X.], diejenigen Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, insbesondere Beweiserhebungen vorzunehmen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies ist der Fall, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung sehen muss, d.h. wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen eine Entscheidung noch nicht sicher tragen (Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 28.10 - DÖD 2011, 282, Rn. 25 m.w.N.). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung kann etwa dann geboten sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände erhebt. Denn in einem solchen Fall ist das Gericht gehindert, seine Entscheidung unter Übergehung der Einwände auf das angegriffene Beweisergebnis zu stützen. Hiervon unabhängig gebietet auch die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), dass das zur Amtsaufklärung verpflichtete Gericht sich nicht mit den von einem Beteiligten angebotenen Behauptungen oder Beweisen begnügt, sondern seine Entscheidung auf vollständiger und richtiger Tatsachengrundlage trifft.

5

Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht nicht gegen § 58 Abs. 1 [X.], § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen. Es hat seine Überzeugung, der [X.] habe einen Betrag von 437,50 € aus der Kasse für sich entnommen und dies durch eine Falschbuchung zu verschleiern versucht, auf die u.a. aus der Vernehmung von fünf Zeugen gewonnenen Feststellungen über den Ablauf von Zollerstattungen im Jahre 2003 sowie über den Geschehensablauf am Tattag gestützt. Danach sind Zollerstattungen der Art, wie sie der [X.] als Erklärung für die Entnahme der fraglichen Summe aus der Kasse angeführt hat, in Dienststellen ohne besondere Zuständigkeit für solche Erstattungen praktisch nicht vorgekommen, da derartige Rückzahlungen an die Empfänger von Sendungen aus dem Ausland regelmäßig nur schriftlich und durch die zuständigen Stellen der [X.] - zu denen die Dienststelle des [X.]n nicht gehört habe - abgewickelt wurden. Keiner der als Zeugen vernommenen Kollegen des [X.]n konnte sich zudem an Umstände erinnern, wie sie der [X.] als Geschehensablauf geschildert hatte; Belege für die vom [X.]n behauptete Erstattung waren nicht auffindbar. Zudem war die Auszahlungsart, unter der die Entnahme des Geldes aus der Kasse verbucht wurde, lediglich für den Umtausch verdorbener Postwertzeichen in einem Umfang von bis zu 50 € vorgesehen, nicht aber für Zollerstattungsvorgänge über deutlich höhere Summen. Schließlich hat es im Jahre 2003 einen Briefbogen der Art, wie ihn die Erstattungsempfängerin nach Schilderung des [X.]n vorgelegt hatte, im Bereich der [X.] und des Unternehmens [X.] nicht gegeben.

6

Demgegenüber beschränkt sich die Beschwerde auf die Behauptung, es habe derartige Briefbögen durchaus gegeben. Dies führe dazu, dass die Argumentationskette des Berufungsgerichts insgesamt fehlerhaft sei. Die Beweiserhebung habe allenfalls ergeben, dass die [X.] selbst solche Briefbögen nicht benutzt habe, nicht aber, dass dies auch auf das Unternehmen [X.] zutreffe. Die Beschwerde sieht einen Aufklärungsmangel darin, dass das Berufungsgericht zwar den [X.] als Mitarbeiter der [X.] gehört, aber darauf verzichtet habe, einen dem Unternehmen [X.] angehörenden Zeugen zu hören, der etwas über die Briefbögen dieses Unternehmens hätte aussagen können.

7

Dieser Einwand begründet indes angesichts der Umstände des Falles und im Hinblick auf die vom Berufungsgericht durchgeführte Beweiserhebung die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung aus mehreren Gründen nicht. Er stellt weder die für die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts maßgebenden Annahmen des Berufungsgerichts zur Unüblichkeit bzw. Unzulässigkeit des vom [X.]n geschilderten [X.] in Frage noch die Feststellungen zum Geschehensablauf am Tattag, zum Verschwinden des [X.] über die Auszahlung sowie zur Problematik der für Zollerstattungen unpassenden Auszahlungsart "Umtausch verdorbener Postwertzeichen". Bereits diese vom [X.]n mit seiner Verfahrensrüge nicht angegriffenen Feststellungen tragen den Disziplinarausspruch. Zudem erschüttert der Einwand des [X.]n die Annahme des Berufungsgerichts nicht, dass auch ein Mitarbeiter der [X.] über einen Briefkopf hätte informiert sein müssen, der neben dem Logo von [X.] auch dasjenige der [X.] aufweise. Schließlich bieten weder das im Verfahren vorgelegte Schreiben, das die Logos beider Unternehmen aufweist, noch der Hinweis der Beschwerde auf die gemeinsame Website beider Unternehmen ("[X.]") Anlass, der Frage nachzugehen, ob die vom [X.]n behauptete Zusammenarbeit von [X.] und [X.] bis in das maßgebliche [X.] zurückreicht. Vielmehr weist das vorgelegte Schreiben ein Datum von Dezember 2009 auf und lässt Rückschlüsse auf das [X.] damit nicht zu, und aus der vom [X.]n angeführten Website ergibt sich, dass der Konzern [X.] World Net erst seit 2009 unter dem Namen "[X.] [X.]" als Kooperation zwischen beiden Unternehmen auftritt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht als Überraschungsentscheidung dar, weil das Gericht die nach Auffassung der Beschwerde "allgegenwärtigen Zeugnisse" einer Zusammenarbeit von [X.] und [X.] in einer für die Verfahrensbeteiligten überraschenden und damit ihr rechtliches Gehör verletzenden Weise nicht beachtet oder fehlerhaft gewürdigt hätte. Vielmehr ist die Frage der Zusammenarbeit von [X.] und [X.] bereits in der ersten mündlichen Verhandlung am 29. September 2010 thematisiert worden, sodass der [X.] - zumal er das vorzitierte Schreiben mit den Logos beider Unternehmen selbst zu den Akten gereicht hatte - damit rechnen musste, dass das Berufungsgericht sich mit dieser Frage auseinandersetzen würde. Die Gelegenheit, hierzu vorzutragen oder Beweisanträge zu stellen, hat er nicht genutzt. Dass das Gericht die derzeit wahrnehmbaren Zeichen für eine Zusammenarbeit von [X.] und [X.] nicht besonders gewürdigt hat, kann im Hinblick darauf, dass es um Indizien für das Bestehen einer Zusammenarbeit im Jahre 2003 ging, nicht als überraschend angesehen werden. Der Umstand, dass das Berufungsgericht dabei zu anderen Ergebnissen gekommen ist als der [X.] sie für richtig hält, begründet den Vorwurf einer Überraschungsentscheidung ebenfalls nicht.

8

Die Rüge, das Berufungsgericht habe das festgestellte Beweisergebnis fehlerhaft gewertet, ist unzulässig. Die [X.] sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zugeordnet und infolgedessen grundsätzlich nicht geeignet, einen Zulassungsgrund i.S.d. § 132 Abs. 2 VwGO zu begründen. Dass die Voraussetzungen einer ausnahmsweise verfahrensfehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung erfüllt sind, legt die Beschwerde nicht dar. Insbesondere hat das Berufungsgericht mit seiner Annahme, einen Briefbogen mit den Logos sowohl der [X.] als auch der [X.] habe es im [X.] nicht gegeben, nicht gegen die Denkgesetze verstoßen. Ein solcher Verstoß liegt nicht schon dann vor, wenn das [X.] - nach Meinung der Beschwerde - unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.

9

Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme liegt nicht vor.

Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhebt das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass das Gericht seiner Entscheidung das in der jeweiligen prozessualen Situation geeignete und erforderliche Beweismittel zu Grunde legt, um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dem Gebot des fairen Verfahrens und insbesondere dem Recht der Verfahrensbeteiligten auf Beweisteilhabe gerecht zu werden. Die Sachaufklärung soll in einer Art und Weise durchgeführt werden, die zu einer vollständigen und zutreffenden tatsächlichen Entscheidungsgrundlage führt und es zugleich jedem Verfahrensbeteiligten ermöglicht, auf die Ermittlung des Sachverhalts Einfluss zu nehmen. Dagegen lässt sich dem Grundsatz der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach der Rechtsprechung nicht ein abstrakter Vorrang bestimmter - etwa unmittelbarer oder "sachnäherer" - Beweismittel vor anderen - mittelbaren oder weniger "sachnahen" - entnehmen. Ebenso wenig lässt sich der Vorschrift entnehmen, mit welcher Intensität und Detailschärfe das Gericht den Sachverhalt zu erforschen hat; diese Frage wird vielmehr von § 86 Abs. 1 VwGO beantwortet (Urteil vom 28. Juli 2011 a.a.[X.] Rn. 16 ff.).

Nach diesen Grundsätzen liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht vor. Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe die Vernehmung des Zeugen S., eines Mitarbeiters der [X.], versäumt und statt dessen seine gegenüber dem [X.] geäußerten Angaben über die Existenz eines gemeinsamen Briefbogens von [X.] und [X.] als unzulässige Zeugenaussage "vom [X.]" verwendet. Dies trifft nicht zu. Denn das Berufungsgericht hat die vom [X.] wiedergegebene Äußerung des [X.] nicht als - mittelbare - Aussage eines dritten Zeugen vom [X.] gewertet, sondern zutreffend lediglich angenommen, der Zeuge [X.] habe seine eigene Wahrnehmung über die Existenz eines gemeinsamen Briefbogens und seinen Versuch geschildert, die für seine Aussage erforderlichen Informationen einzuholen. Im Gegenteil war das Berufungsgericht - wie ausgeführt - der Auffassung, dass es einer zusätzlichen Zeugenaussage aus dem Bereich von [X.] nicht bedürfe, weil auch ein Mitarbeiter der [X.] über einen gemeinsamen Briefkopf der beiden Unternehmen informiert sein musste.

Meta

2 B 72/11

03.01.2012

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 20. Dezember 2010, Az: 3d A 1953/09.BDG, Urteil

§ 96 Abs 1 S 1 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 132 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.01.2012, Az. 2 B 72/11 (REWIS RS 2012, 10379)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10379

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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