Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2019, Az. IV ZR 182/17

4. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 11458

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Berufsunfähigkeitsversicherung in einer überbetrieblichen Pensionskasse: Bemessung der Berufsunfähigkeit bei Angestelltentätigkeit und weiterer selbständiger Freizeittätigkeit


Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 7. Juni 2017 gem. § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Streitwert: bis 65.000 €

Gründe

1

1. Der Kläger, Diplom-Ingenieur für Automatisierungstechnik, fordert Berufsunfähigkeitsrente aus einer beim beklagten Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, einer überbetrieblichen Pensionskasse, gehaltenen Rentenversicherung.

2

[X.] wurde der seinerzeit noch bei einer Bank angestellte Kläger von dieser beim Beklagten zur Versicherung angemeldet. In den vereinbarten "Versicherungsbedingungen [X.]" heißt es unter anderem:

"§ 15

1) Im Falle von Berufsunfähigkeit hat der Versicherte ohne Rücksicht auf das Lebensalter Anspruch auf Rente. Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.

..."

3

Neben seiner Tätigkeit als Angestellter gründete der Kläger im Juni 2007 das im [X.] seines Hauses betriebene Einzelunternehmen "M.      ", das sich mit Anlagenbau im Meerwasserbereich sowie dem Import und der Zucht von Korallen und anderen Lebewesen (insbesondere Anemonen) befasste. Schon etwa 15 Jahre zuvor hatte der Kläger damit begonnen, Korallen zu züchten. Er wollte ab dem Jahre 2017 nur noch sein Einzelunternehmen betreiben und seine Angestelltentätigkeit aufgeben.

4

Anlässlich eines zum 1. September 2009 vollzogenen Wechsels des [X.] in eine leitende Anstellung bei einem anderen Unternehmen wurde der vorgenannte Versicherungsvertrag von den Parteien als freiwillige Weiterversicherung mit der Maßgabe fortgeführt, dass der Kläger fortan Versicherungsnehmer war. 2011 betrug das Einkommen des [X.] aus seiner Angestelltentätigkeit 123.523 €. Daneben führte er sein Unternehmen "M.       " fort und erzielte damit im Jahre 2011 erstmals seit der Gründung einen Gewinn von 8.434 €.

5

Am 13. Januar 2012 zog sich der Kläger bei einem Sturz Beinverletzungen, insbesondere Verletzungen beider Knie unter anderem an Kniescheiben, Menisken und Bändern, zu. Auch nach zwei Operationen des rechten und einer [X.] verblieben Einschränkungen und Schmerzen. Der Kläger ist unter anderem beim Gehen eingeschränkt, kann nicht lange stehen oder sitzen und muss häufig seine Beinposition verändern, um Schwellungen und Schmerzen zu verhindern. Autofahren ist ihm nur bis zu einer Stunde lang schmerzfrei möglich. Da er sich verletzungsbedingt nicht um seine Korallen und Anemonen kümmern konnte und diese infolgedessen eingingen, stellte er das Unternehmen "M.        " ein.

6

Der Beklagte lehnt Versicherungsleistungen ab, weil der Kläger in seinem Beruf als Angestellter noch zu mehr als 50% berufsfähig sei und sein Beruf als selbständiger Korallenzüchter für die Frage der Berufsunfähigkeit ohne Bedeutung und mit Blick auf die Einkommensverhältnisse zu vernachlässigen sei.

7

Der Kläger hat unter anderem vorgetragen, vor seinem Sturz neben seiner Angestelltentätigkeit in seiner Freizeit und an Wochenenden im Durchschnitt täglich fünf Stunden und zehn Minuten für sein eigenes Unternehmen - überwiegend körperlich belastend - gearbeitet zu haben. Seinen Beruf als leitender Angestellter könne er nur eingeschränkt, seine unternehmerische Tätigkeit gar nicht mehr ausüben. Seine Angestelltentätigkeit habe er auf täglich sieben Stunden reduzieren müssen, was einer verbleibenden Berufsfähigkeit von 73% entspreche. Es müsse mittels einer Gesamtbetrachtung jedoch auch seine selbständige Tätigkeit berücksichtigt werden. Hier sei er zu 100% berufsunfähig. Nachdem sein Unternehmen 2011 erwartungsgemäß erstmals Gewinn erzielt habe, wären im Falle des Fortbestandes künftig höhere - sein Angestelltengehalt übersteigende - Einnahmen zu erwarten gewesen. Deshalb habe er auch beabsichtigt, seine Tätigkeit als Angestellter im Jahre 2017 aufzugeben.

8

2. Seine auf Zahlung rückständiger Renten, die Feststellung der Pflicht des Beklagten zur künftigen Rentenzahlung einschließlich vereinbarter [X.] sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage hat das [X.] abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des [X.] hat das [X.] zurückgewiesen, weil der Kläger nicht bedingungsgemäß um mehr als die Hälfte berufsunfähig sei.

9

Die hierfür allein maßgebliche Tätigkeit sei die Vollzeitbeschäftigung als Angestellter, die der Kläger auch nach seinem Unfall im Januar 2012 weiter ausgeübt habe, die auch jetzt jedenfalls zeitlich mehr als die Hälfte seiner ursprünglichen Tätigkeit ausmache und in der er weiter sein volles Gehalt beziehe. Dass er eine dauerhafte Reduzierung seiner Angestelltentätigkeit auf 73% behaupte, sei insoweit unerheblich.

Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, den Grad der Berufsunfähigkeit des [X.] anhand einer Gesamtbetrachtung seiner angestellten und selbständigen Tätigkeit zu ermitteln oder auch beide Tätigkeiten isoliert als zwei Berufe zu bewerten. Der maßgebliche Beruf müsse in der Berufsunfähigkeitsversicherung eigenständig und unabhängig von gewerbe-, finanz- oder sozialrechtlichen Definitionen bestimmt werden. Als Beruf im Sinne von § 172 Abs. 2 [X.] werde der in gesunden Tagen zuletzt ausgeübte Beruf angesehen. Das sei jede auf Dauer angelegte, der Schaffung oder der Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Tätigkeit, wobei nicht notwendigerweise Einkünfte erzielt werden müssten. Entscheidend sei vielmehr, wie die Erwerbstätigkeit des Versicherten konkret ausgestaltet gewesen sei. Dabei sei die Erwerbstätigkeit von Hobbies abzugrenzen.

Der Kläger habe seine Lebensgrundlage durch seine Tätigkeit als Angestellter geschaffen und erhalten. Unstreitig sei seine Korallenzucht zunächst nur ein Hobby gewesen. Daran habe sich aber auch durch die Anmeldung als selbständiges Unternehmen oder das etwaige Erreichen des sog. [X.] mit dem ersten Jahresgewinn im Jahre 2011 nichts geändert, wobei zwar allein die anfänglichen Verluste noch nicht gegen die Einordnung als Beruf sprächen. Maßgeblich sei aber, inwieweit ein Versicherter die konkrete Tätigkeit vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung zur Erhaltung der Lebensgrundlage eingesetzt habe.

Die selbständige Tätigkeit habe die Angestelltentätigkeit nach dem Vortrag des [X.] erst 2017 ablösen sollen und sei deshalb für den maßgeblichen Unfallzeitpunkt noch unerheblich, da Hoffnungen und Erwartungen auf einen künftigen Beruf nicht zu berücksichtigen seien.

Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger behaupteten Arbeitszeiten stellten seine Tätigkeiten nicht gemeinsam die versicherte Tätigkeit dar. Zwar könne sich ein Beruf aus Haupt- und Nebentätigkeiten zusammensetzen, auch könnten mehrere zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeübte Tätigkeiten als ein Berufsbild mit verschiedenen Bereichen anzusehen sein. Versicherungsnehmer seien in der modernen Arbeitswelt manchmal gehalten, zur Schaffung und Erhaltung ihrer Lebensgrundlage verschiedenen Tätigkeiten nachzugehen. Beim Kläger hätten sie aber gerade nicht kumulativ, sondern alternativ der Erhaltung der Lebensgrundlage dienen sollen; er habe lediglich für die Zukunft erwartet, zum Erhalt der Lebensgrundlage seine Angestelltentätigkeit durch seine selbständige Tätigkeit im Bereich der Korallenzucht abzulösen. Das sei aber lediglich eine nicht versicherte Hoffnung.

3. Hiergegen richtet sich die Revision des [X.], die das Berufungsgericht zugelassen hat, weil ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung der Frage bestehe, wie der [X.] in der Berufsunfähigkeitsversicherung auszulegen sei, wenn der Versicherungsnehmer parallel zur vormals ausgeübten Tätigkeit Vorbereitungen zu einem Wechsel der Tätigkeit treffe.

4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) liegen indes nicht vor, das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

a) Eine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, die das Berufungsgericht hier ersichtlich angenommen hat, setzt voraus, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ([X.], Beschluss vom 13. Mai 2009 - [X.], [X.], 1106 Rn. 2 m.w.N.), klärungsbedürftig und klärungsfähig ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. März 2003 - [X.], [X.]Z 154, 288, 291 [juris Rn. 5]; vom 1. Oktober 2002 - [X.], [X.]Z 152, 181, 190 f. [juris Rn. 25]). [X.] ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie vom [X.] bisher nicht entschieden ist und von einigen [X.]en unterschiedlich beantwortet wird oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen dazu vertreten werden (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1047 Rn. 3, jeweils m.w.N.).

b) Daran fehlt es hier.

aa) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass mit der in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen angesprochenen "bisherigen Tätigkeit" die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Berufstätigkeit gemeint und für die Bemessung der Berufsunfähigkeit maßgeblich ist. Danach setzt Berufsunfähigkeit voraus, dass der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge der in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ganz oder teilweise nicht mehr ausüben kann. Dass darüber in Rechtsprechung, Literatur oder den beteiligten Verkehrskreisen Streit bestünde, ist nicht ersichtlich.

Das gleiche gilt, soweit das Berufungsgericht im Weiteren davon ausgeht, dass sich der Versicherungsschutz allein wegen des in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen verwendeten [X.] "Tätigkeit" nicht notwendigerweise auf eine einzelne Berufstätigkeit beschränkt, sondern auch mehrere nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten erfassen kann (vgl. zu mehreren Tätigkeiten des Versicherungsnehmers auch [X.], 564 [juris Rn. 34]).

bb) Einer weitergehenden Klärung ist die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage, wie der [X.] auszulegen sei, wenn der Versicherungsnehmer parallel zur vormals ausgeübten Tätigkeit Vorbereitungen zu einem Wechsel der Tätigkeit treffe, nicht zugänglich. Vielmehr kann dies - wie es das Berufungsgericht getan hat - nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Deshalb ist auch für das Vorliegen weiterer Revisionszulassungsgründe im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nichts ersichtlich.

c) Die Entscheidung des [X.] hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler getroffen, weshalb die Revision auch keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 552a Satz 1 ZPO).

Es hat anhand der vom Kläger vorgetragenen Fallumstände angenommen, er habe seine selbständige Tätigkeit bis zu seinem Unfall als Hobby und noch nicht als Beruf neben seiner Angestelltentätigkeit ausgeübt.

Diese tatrichterliche Würdigung lässt auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler erkennen.

[X.]     

        

Felsch     

        

Harsdorf-Gebhardt

        

Prof. Dr. Karczewski     

        

Dr. Götz     

        

Meta

IV ZR 182/17

16.01.2019

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 7. Juni 2017, Az: 7 U 180/15

§ 172 Abs 2 VVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2019, Az. IV ZR 182/17 (REWIS RS 2019, 11458)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11458


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZR 182/17

Bundesgerichtshof, IV ZR 182/17, 19.03.2019.

Bundesgerichtshof, IV ZR 182/17, 16.01.2019.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZR 527/15 (Bundesgerichtshof)

Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Maßgebliche Tätigkeit für die Beurteilung einer Berufsunfähigkeit; Folgen der Beendigung einer leidensbedingt aufgenommenen Vergleichstätigkeit


IV ZR 91/16 (Bundesgerichtshof)

Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung: Wirksamkeit einer Klausel über den Begriff des versicherten Berufs


IV ZR 527/15 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 422/15 (Bundesgerichtshof)

Krankentagegeldversicherung: Bestimmung der Berufsunfähigkeit


IV ZR 11/16 (Bundesgerichtshof)

Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Zumutbarkeitsprüfung bei Verweisung eines Hufbeschlagschmieds auf eine Tätigkeit als Maschinenführer


Referenzen
Wird zitiert von

8 U 1646/23

Zitiert

II ZR 54/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.