Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. 4 AZR 691/11

4. Senat | REWIS RS 2013, 6559

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Gegenstand

Entgeltansprüche nach dem TV Mindestlohn Briefdienstleistungen - Wirksamkeit der PostmindestlohnVO


Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Schluss-Urteil des [X.] vom 19. Januar 2011 - 4 [X.]/10 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.] des Klägers nach dem zwischen dem [X.] ([X.]) und der [X.] ([X.]) am 29. November 2007 geschlossenen Tarifvertrag über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen (TV Mindestlohn Briefdienstleistungen).

2

Die Beklagte, die nicht Mitglied des [X.] ist, betreibt einen Briefbeförderungs- und Kurierdienst. Der Kläger war vom 1. März 2007 bis zum 28. Februar 2008 bei ihr als Kurier mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 650,00 Euro beschäftigt.

3

Am 11. September 2007 beantragten der [X.] und die Gewerkschaft [X.] beim [X.] die Allgemeinverbindlicherklärung eines an diesem Tag geschlossenen Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne in der Branche Postdienste. Das [X.] leitete ein Verfahren zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen - Arbeitnehmer-Entsendegesetz (zuletzt in der Fassung vom 21. Dezember 2007, mit der die Branche der Briefdienstleistungen mit denjenigen Betrieben oder selbständigen [X.] in das Gesetz aufgenommen wurde, in denen überwiegend gewerbs- oder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördert werden; im Folgenden [X.]) ein. Im [X.] vom 8. November 2007 wurden der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages für die Branche Postdienste und der Entwurf einer Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Briefdienstleistungen - verbunden mit einer Stellungnahmefrist - bekannt gemacht. Der zugrundeliegende Tarifvertrag vom 11. September 2007 wurde dann von den Tarifvertragsparteien am 29. November 2007 unter Ausschluss der Nachwirkung aufgehoben. Sie schlossen am selben Tag den hier streitgegenständlichen TV Mindestlohn Briefdienstleistungen und beantragten beim [X.] erneut eine Allgemeinverbindlicherklärung. Den daraufhin angepassten Verordnungsentwurf leitete das [X.] nur denjenigen mit Gelegenheit zur Stellungnahme zu, die sich bereits zur Bekanntmachung vom 8. November 2007 geäußert hatten. Eine neue Bekanntmachung erfolgte nicht. Am 28. Dezember 2007 wurde die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen ([X.], BAnz. vom 29. Dezember 2007 Nr. 242 S. 8410) erlassen, in der die wesentlichen Rechtsnormen des [X.], ua. die [X.] für Briefzusteller in den alten Bundesländern in Höhe von 9,80 Euro pro Stunde, für alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in seinem Geltungsbereich für verbindlich erklärt wurden.

4

Der Kläger verlangte von der Beklagten für den Monat Januar 2008 unter Berücksichtigung des - zeitweisen - Bezugs von Krankengeld eine rechnerisch unstreitige Vergütungsdifferenz zwischen der ihm gezahlten Vergütung und dem sich aus der [X.] ergebenden Lohn in einer Gesamthöhe von 104,36 Euro brutto.

5

Nach einer vergeblichen Geltendmachung mit Schreiben vom 14. April 2008 hat der Kläger Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ihm stehe nach dem [X.] iVm. der [X.] der höhere Stundenlohn zu. Die [X.] sei unabhängig davon, ob bei ihrem Erlass Verfahrensfehler aufgetreten seien, nicht nichtig und bis zu ihrem Außerkrafttreten am 30. April 2010 mangels Aufhebung durch den Verordnungsgeber anzuwenden. Die Entscheidung des [X.] vom 28. Januar 2010, nach der die [X.] aufgrund eines Verfahrensfehlers den nicht am [X.] beteiligten und klagenden Arbeitgeberverband in seinem Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt habe, sei nicht präjudiziell für den vorliegenden Rechtsstreit. Das Verfahren zum Erlass der [X.] weise auch keine Verfahrensmängel auf. Selbst wenn ein Verstoß gegen die [X.] des § 1 Abs. 3a Satz 2 [X.] aF gegeben sei, führe dies nicht zu einer Nichtigkeit der Rechtsverordnung; es handele sich nicht um einen evidenten Verfahrensfehler.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 104,36 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Mai 2008 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und dies ua. darauf gestützt, dass das nach § 1 Abs. 3a Satz 2 [X.] aF vorgeschriebene Verfahren wegen fehlender Anhörung der unter den Geltungsbereich der [X.] fallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht eingehalten worden sei. Dies führe zur Nichtigkeit der Rechtsverordnung.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Berufung mit Ausnahme eines Betrages von 6,43 Euro, über den ein Teil-Anerkenntnisurteil ergangen ist, zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des [X.] hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zu Recht zurückgewiesen.

I. Die Revision des [X.] ist unzulässig, soweit sie sich auf einen über 97,93 [X.] hinausgehenden Zahlungsanspruch bezieht. Der Kläger ist durch das Berufungsurteil lediglich hinsichtlich dieses Anspruchs beschwert, da über den Betrag von 6,43 [X.] zu seinen Gunsten ein Teil-Anerkenntnisurteil des [X.]s ergangen ist.

II. Die Revision ist im Übrigen unzulässig, soweit sich der Kläger erstmals in der Revisionsinstanz auf die Sittenwidrigkeit des von der Beklagten gezahlten Stundenlohns in Höhe von 7,50 [X.] brutto nach § 138 BGB beruft. Dieses Vorbringen war bislang nicht Gegenstand des Verfahrens und der Entscheidungen der Vorinstanzen. Der Kläger hat damit einen neuen Streitgegenstand in den Rechtsstreit eingeführt. Gegenüber der Frage, ob die [X.] im Streitzeitraum auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden war, handelt es sich um einen anderen [X.] und damit um eine Klageerweiterung. [X.] sind in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig, da das Revisionsgericht an Tatsachenvorbringen und Feststellungen im Berufungsverfahren gebunden ist (§ 559 ZPO; vgl. [X.] 9. November 2005 - 5 [X.] - zu I 1 der Gründe, [X.] § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 196 = EzA [X.] § 4 Metallindustrie Nr. 132; 28. Oktober 2008 - 3 [X.] - Rn. 17, [X.] ZPO § 264 Nr. 9).

III. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie unbegründet. Dem Kläger steht der geforderte Differenzbetrag nicht zu. Er hat für den Monat Januar 2008 keinen Anspruch auf einen Stundenlohn in Höhe von 9,80 [X.] brutto nach § 3 Abs. 2 Buchst. [X.] Briefdienstleistungen. Zwar wird das Arbeitsverhältnis der Parteien vom Geltungsbereich des [X.] erfasst. Es fehlt zu dessen Geltung aber an der erforderlichen Tarifgebundenheit der Beklagten.

1. Der [X.] gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 [X.]). Die Beklagte ist nicht Mitglied im Arbeitgeberverband Postdienste.

2. Der [X.] gilt im Streitzeitraum nicht gemäß § 5 Abs. 4 [X.]. Er ist nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden.

3. Der [X.] gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht iVm. der [X.]. Die [X.] ist wegen Verletzung der gemäß § 1 Abs. 3a Satz 2 [X.] aF vorgegebenen Beteiligungsrechte unwirksam. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 26. September 2012 (- 4 [X.] - Rn. 13 bis 21) für einen nahezu identischen Fall, in dem auf [X.]eite dieselbe Kanzlei prozessbevollmächtigt war, entschieden und ausführlich begründet. Da im vorliegenden Fall keine abweichenden Umstände vorgetragen worden oder ersichtlich sind, wird auf die Senatsbegründung ausdrücklich Bezug genommen und zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

IV. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

        

    Eylert    

        

    Treber    

        

    Creutzfeldt    

        

        

        

    Kiefer    

        

    [X.]    

                 

Meta

4 AZR 691/11

17.04.2013

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Münster, 23. Februar 2010, Az: 3 Ca 992/08, Urteil

§ 3 Abs 1 TVG, § 4 Abs 1 TVG, § 5 Abs 4 TVG, Art 9 Abs 3 GG, § 1 Abs 3a S 2 AEntG vom 21.12.2007, BriefArbbV, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. 4 AZR 691/11 (REWIS RS 2013, 6559)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6559

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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