Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.01.2011, Az. VI B 97/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 10557

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Gegenstand

Sachaufklärungspflicht des FG bei nicht aussagekräftigem ärztlichen Attest zur medizinischen Indikation von Besuchsfahrten - Kein konkludenter Rügeverzicht, wenn das Unterlassen der Rüge auf einem Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht beruht


Leitsatz

1. NV: Genügt dem FG ein ärztliches Attest als Nachweis der medizinischen Indikation von Aufwendungen deshalb nicht, weil die Ausführungen nicht hinreichend konkret sind, ist das FG verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären .

2. NV: Unterlässt ein nicht rechtskundig vertretener Kläger eine Rüge wegen mangelnder Sachverhaltsaufklärung, liegt darin kein konkludenter Rügeverzicht, wenn dem Kläger mangels richterlichen Hinweises nicht erkennbar war, dass sein bisheriger Sachvortrag unzureichend war .

Gründe

1

Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Das angefochtene finanzgerichtliche Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

2

1. Das Finanzgericht ([X.]) hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und damit gegen § 76 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]O verstoßen.

3

a) Im Klageverfahren hat das [X.] zur Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, also unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel, aufzuklären (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 15. Dezember 1999 [X.], [X.], 1097; [X.] vom 17. Oktober 2003 [X.]/02, [X.] 2004, 156).

4

Unabhängig von Beweisanträgen der Beteiligten muss das [X.] im Zweifel auch von sich aus Beweise erheben. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt jedenfalls dann vor, wenn das [X.] Tatsachen oder Beweismittel außer Acht lässt, deren Ermittlung sich ihm hätten aufdrängen müssen ([X.]-Urteil vom 25. Mai 2004 [X.], [X.] 2004, 1498).

5

b) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hätte das [X.] den Sachverhalt bezüglich der medizinischen Indikation der Besuchsfahrten weiter aufklären müssen. Dies war nach der Rechtsauffassung des [X.] entscheidungserheblich.

6

aa) Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen ([X.]-Urteil vom 10. Mai 2007 [X.], [X.]E 218, 136, [X.], 764). Zu den abziehbaren Krankheitskosten zählen solche Aufwendungen, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel geleistet werden, die Krankheit erträglich zu machen ([X.]-Urteile vom 22. August 1980 VI R 138/77, [X.]E 131, 381, [X.] 1981, 23, und vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, [X.]E 133, 545, [X.] 1981, 711). Keine außergewöhnliche Belastung wird dagegen durch die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten begründet ([X.]-Urteile vom 1. Dezember 1978 VI R 149/75, [X.]E 126, 302, [X.] 1979, 78, und vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79, [X.]E 135, 37, [X.] 1982, 297). Deshalb können Aufwendungen für Besuchsfahrten zu einem in einem Krankenhaus liegenden Ehegatten nur ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn die Besuche nicht lediglich einem privaten Bedürfnis entspringen, sondern unmittelbar der Heilung oder Linderung der Krankheit dienen. Die medizinische Indikation der Besuche muss nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass nach ärztlichem Urteil gerade die Besuche durch Ehegatten oder Kinder zur Heilung oder Linderung einer bestimmten Krankheit entscheidend beitragen müssen. Dies kann regelmäßig nur der behandelnde Arzt im Krankenhaus beurteilen (Senatsurteil vom 2. März 1984 VI R 158/80, [X.]E 140, 556, [X.] 1984, 484).

7

bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen, die das [X.] seiner Entscheidung zutreffend zu Grunde gelegt hat, kam es im Streitfall entscheidend darauf an, ob die Besuche der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sowie der Kinder beim Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) während seines stationären Klinikaufenthaltes medizinisch angezeigt und damit unmittelbare Krankheitskosten waren. Das [X.] hätte den Sachverhalt zur medizinischen Indikation der Besuchsfahrten weiter aufklären müssen. Ausweislich der Entscheidungsgründe genügte dem [X.] ein von den Klägern vorgelegtes Attest des behandelnden Arztes nicht, weil es nicht konkret genug sei. Damit aber hätte sich dem [X.] eine weitere Aufklärung zur Konkretisierung aufdrängen müssen. Wie die Kläger in der Beschwerdeschrift zutreffend vortragen, wäre sowohl eine weitere Stellungnahme des Arztes als auch dessen Vernehmung als Zeuge möglich gewesen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Arzt auf Nachfrage sämtliche Fahrten für medizinisch indiziert erklären würde, ist eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes auch notwendig.

8

c) Die Kläger haben nicht wirksam auf ihr [X.] gemäß § 155 [X.]O, § 295 der Zivilprozessordnung verzichtet. Mangels richterlichen Hinweises (§ 76 Abs. 2 [X.]O) durften sie davon ausgehen, dass ihr bisheriger [X.] umfassend war. Es musste sich ihnen daher gerade nicht aufdrängen, eigene Beweisanträge zu stellen oder in der mündlichen Verhandlung zu rügen, dass das [X.] nicht von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufgeklärt hat. Erst in den Entscheidungsgründen des Urteils war erkennbar, dass das vorgelegte Attest dem [X.] nicht aussagekräftig genug war. In einer solchen Konstellation führt der Verstoß des [X.] gegen seine Hinweispflicht dazu, dass die Kläger, die in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] zudem nicht rechtskundig vertreten waren, ihr [X.] nicht konkludent verloren haben.

9

2. Der Senat hält es für ermessensgerecht, im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren. Er hebt deshalb das Urteil der Vorinstanz auf und verweist die Sache an das [X.] zurück, damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

3. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2  2. Halbsatz [X.]O; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 59, m.w.N.).

Meta

VI B 97/10

12.01.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 19. Mai 2010, Az: 14 K 2851/08, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2002, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 155 FGO, § 295 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 96 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.01.2011, Az. VI B 97/10 (REWIS RS 2011, 10557)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10557

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