6. Senat | REWIS RS 2011, 6757
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Aufwendungen für den Besuch einer Schule für Hochbegabte als außergewöhnliche Belastungen - Medizinische Indikation - Grundsatz der freien Beweiswürdigung - Belastungsmindernde Anrechnung erhaltener Jugendhilfeleistungen
1. Aufwendungen für den Besuch einer Schule für Hochbegabte können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein, wenn der Schulbesuch medizinisch angezeigt war .
2. Die erforderlichen Feststellungen hat das FG nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu treffen. An dem Erfordernis einer vorherigen amtsärztlichen oder vertrauensärztlichen Begutachtung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, hält der erkennende Senat nicht länger fest .
I. [[X.].]treitig ist, ob [X.]ufwendungen für den Besuch einer [[X.].] Internatsschule als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.
Der 1987 geborene [[X.].] ([[X.].]) der Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammen veranlagte Eheleute, bei dem ein Intelligenzquotient von 133 festgestellt worden ist, wechselte von der zweiten in die vierte Grundschulklasse und besuchte danach das [[X.].] in [X.]. [X.]usweislich eines [[X.].]chreibens des [X.]llgemeinen [[X.].]ozialdienstes der [[X.].] vom 17. [X.]ugust 1999 verweigerte [[X.].] die [[X.].]chule und verhielt sich Mitschülern gegenüber aggressiv. Der [[X.].] empfahl im Zusammenhang mit der Frage der Gewährung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a des [[X.].] VIII-- (Kinder- und Jugendhilfegesetz) einen Besuch der [[X.].] in [[X.].], um einer bereits entstehenden Fehlentwicklung des Kindes entgegenwirken zu können und bleibende seelische und [[X.].] [[X.].]chädigungen zu verhindern. [X.]usweislich eines ärztlichen Gutachtens der Hausärztin des [[X.].], Dr. med. [X.], vom 29. [[X.].]eptember 1999 leidet [[X.].] unter einer "minimal Brain Dysfunktion" im [[X.].]inne eines [X.]ufmerksamkeitsdefizitsyndroms, während seine verbal-akustischen und manuell-visuellen Fähigkeiten deutlich über den Fähigkeiten seiner [X.]ltersgruppe lägen. Dies führe zu einer Isolation von Klassenkameraden und intellektueller Unterforderung an [X.] allgemeinbildenden [[X.].]chulen. Die Unterbringung an einer [[X.].]chule für Hochbegabte sei notwendig, um einer nachhaltigen narzistischen Persönlichkeitsstörung mit reaktiver Depression bei anhaltender seelischer und mentaler Verarmung entgegenzuwirken. Eine solche [[X.].]chule sei für die [X.]ltersgruppe, in der sich [[X.].] in den [[X.].]treitjahren befunden habe, in [X.] nicht verfügbar gewesen. Ergänzend bestätigte der Nervenarzt Dr. med. [X.] am 19. Juli 1999, dass die Unterbringung des [[X.].] in einer Internatsschule in [[X.].] zum Wohl des Kindes und aus sozialpsychologischen und sozialmedizinischen Gründen therapeutisch notwendig sei. [X.]. Gutachten des [X.]mtsarztes der [[X.].] vom 20. Juni 2002 sind bei Hochbegabung auftretende [[X.].]törungen als Krankheit und als seelische Behinderung anzusehen. [[X.].] sei ausschließlich wegen einer Behinderung im Interesse einer angemessenen [X.]usbildung auf den Besuch einer Privatschule mit individueller Förderung angewiesen. Die [X.]ufwendungen für die auswärtige Unterbringung in einem Internat würden unmittelbare Krankheitskosten darstellen, da sie ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder zu dem Zweck erfolgten, die Krankheit erträglicher zu machen. Dabei erfolge die [[X.].]chulausbildung des [[X.].] anlässlich einer Heilbehandlung und nicht nur nebenbei und nachrangig.
[X.]b [X.]ugust 1999 besuchte [[X.].] die [[X.].]. Dort bestand er im Mai 2003 das [X.]bitur. Für den [[X.].]chulbesuch erstritten die Kläger vor dem [X.] Jugendhilfe nach § 35a [[X.].]GB VIII in Höhe von 20.906,77 €. Darüber hinaus leistete [X.] im Wege des Vergleichs zur Erledigung eines weiteren Klageverfahrens wegen Jugendhilfe einen Betrag in Höhe von 40.000 € an die Kläger.
In ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2001 und 2002 machten die Kläger [[X.].]chul- und Internatskosten in Höhe von 51.616 DM (2001) und in Höhe von 23.457 € (2002) als außergewöhnliche Belastungen geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[X.]--) nicht zum [X.]bzug zuließ. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e 2008, 1453 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 33 [X.]bs. 1 und [X.]bs. 2 des Einkommensteuergesetzes (E[[X.].]tG).
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das Urteil des [X.] München vom 29. Mai 2008 15 K 3058/05 und die geänderten Einkommensteuerbescheide für 2001 und für 2002 in der Weise zu ändern, dass unter Berücksichtigung der zumutbaren Belastung im [X.] unter Wegfall des bisher gewährten [X.]usbildungsfreibetrags ein Betrag in Höhe von 22.664 DM und im Jahr 2002 ein Betrag in Höhe von 16.263 € zum [X.]bzug als außergewöhnliche Belastung zugelassen werden.
Das F[X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das F[X.] erließ zuletzt am 23. Februar 2010 einen nach § 164 [X.]bs. 2 der [X.]bgabenordnung ([[X.].]) geänderten Einkommensteuerbescheid für das [X.] und unter dem Datum des 28. Januar 2010 einen ebenfalls nach § 164 [X.]bs. 2 [[X.].] geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002.
II. Die Revision der Kläger ist begründet. [X.]ie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der [X.]ache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).
1. Die Revision führt bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Denn Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens waren der Einkommensteuerbescheid für das [X.] vom 14. Februar 2003 und der Einkommensteuerbescheid für das [X.] vom 25. März 2004, an deren [X.]telle während des Beschwerdeverfahrens die Änderungsbescheide vom 23. Februar 2010 und 28. Januar 2010 getreten sind. Damit liegen dem Urteil insoweit nicht mehr existierende Bescheide zu Grunde, so dass auch das Urteil des [X.] insoweit keinen Bestand haben kann (§ 127 [X.]O; vgl. z.B. [X.]enatsurteil vom 20. Mai 2010 [X.], [X.], 136, [X.], 1069, m.w.[X.]).
2. Die Vorentscheidung ist zudem aufzuheben, da das [X.] den Abzug der geltend gemachten Kosten als außergewöhnliche Belastungen im vorliegenden Fall zu Unrecht allein deshalb versagt hat, weil die Kläger die medizinische Notwendigkeit der Internatsunterbringung des [X.] nicht durch ein zuvor erstelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen haben.
a) Nach § 33 Abs. 1 E[X.]tG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem [X.]teuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der [X.]teuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem [X.]teuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG). Ziel des § 33 E[X.]tG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 E[X.]tG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 29. [X.]eptember 1989 III R 129/86, [X.], 380, B[X.]tBl II 1990, 418).
b) In ständiger Rechtsprechung geht der [X.] davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der [X.] dem [X.]teuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. [X.]ie sind auch dann zwangsläufig, wenn sie der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen, unter der ein unterhaltsberechtigtes minderjähriges Kind des [X.]teuerpflichtigen leidet ([X.]-Urteil vom 15. März 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1841).
c) Für die mitunter schwierige Trennung von echten Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits forderte der [X.] bislang regelmäßig die Vorlage eines zeitlich vor der Leistung von Aufwendungen erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw. eines Attestes eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei entnehmen lässt. Auch bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangte der [X.] diesen formalisierten Nachweis. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 E[X.]tG) gehören könnte, hält der erkennende [X.]enat jedoch seit dem [X.]enatsurteil vom 11. November 2010 [X.] ([X.]E 232, 40) nicht länger fest.
3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der [X.]enat kann jedoch nicht durcherkennen, da die [X.]ache nicht spruchreif ist.
a) Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob der Besuch der B-[X.]chool im [X.]treitfall wegen der Hochbegabung des [X.] medizinisch angezeigt war. In einem solchen Fall können die geltend gemachten Kosten unmittelbare Krankheitskosten sein. Dies gilt dann auch für Kosten einer auswärtigen der Krankheit geschuldeten Internatsunterbringung, selbst wenn diese zugleich der schulischen Ausbildung dient. § 10 Abs. 1 Nr. 9 E[X.]tG steht dem Abzug dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 E[X.]tG nicht entgegen ([X.]enatsurteil in [X.]E 232, 40, m.w.[X.]). Die Vorschrift erfasst nur Kosten, die zur schulischen Förderung des Kindes aus [X.], psychologischen oder pädagogischen Gründen aufgewendet werden ([X.]enatsurteil in [X.]E 232, 40, m.w.[X.]). Krankheitsbedingte [X.]chulkosten werden hingegen von § 10 Abs. 1 Nr. 9 E[X.]tG nicht erfasst.
Das [X.] hat sich weiter zu vergegenwärtigen, dass Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf, wenn die Maßnahmen medizinisch indiziert sind. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im [X.]inne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist ([X.], Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage, Indikation). Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen ([X.]enatsurteil in [X.]E 232, 40), es sei denn, es liegt ein für jedermann offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor ([X.]enatsurteil vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, [X.]E 133, 545, B[X.]tBl II 1981, 711, m.w.[X.]). In einem solchen Fall fehlt es dem Aufwand an der erforderlichen Angemessenheit (§ 33 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG).
b) Die erforderlichen Feststellungen hat das [X.] nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.]O) zu treffen. Es hat dabei zu berücksichtigen, dass ein von einem Beteiligten vorgelegtes [X.]achverständigengutachten im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln und damit als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist. Ein solches Gutachten kann daher nicht als Nachweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags gewertet werden ([X.]enatsurteil in [X.]E 232, 40, m.w.[X.]). Da weder das [X.] noch das [X.] die [X.]achkunde besitzen, um die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahme zu beurteilen, ist das [X.] aufgrund seiner Verpflichtung zur [X.]achaufklärung (§ 76 [X.]O) gehalten, gegebenenfalls von Amts wegen ein entsprechendes Gutachten zu erheben. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn sich dem bereits vorliegenden amtsärztlichen Gutachten aus dem [X.] nicht die medizinische Notwendigkeit der gesamten Dauer des [X.]chulbesuchs entnehmen lässt.
c) Der erkennende [X.]enat weist weiter darauf hin, dass außergewöhnliche Belastungen i.[X.]. des § 33 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG nur insoweit abziehbar sind, als der [X.]teuerpflichtige die Aufwendungen endgültig selbst getragen hat ([X.], Rückfluss von Aufwendungen im Einkommensteuerrecht, [X.]. 117 ff.; Kanzler in [X.]/[X.]/[X.], § 33 E[X.]tG [X.], 44; [X.], in: Kirchhof/[X.]öhn/[X.], E[X.]tG, § 33 Rz [X.]). Deshalb müssen sich die Kläger die [X.] der [X.]tadt A, die sie für den [X.]chulbesuch des [X.] erhalten haben, belastungsmindernd anrechnen lassen.
d) Ein zusätzlicher Ausbildungsfreibetrag wegen auswärtiger Unterbringung des [X.] steht den Klägern nicht zu. Der [X.]enat entnimmt dies der Regelung des § 33a Abs. 5 E[X.]tG, durch die eine doppelte [X.]teuerermäßigung, nach § 33 und § 33a E[X.]tG, vermieden werden soll ([X.]enatsurteil in [X.]E 232, 40, m.w.[X.]).
Meta
12.05.2011
Urteil
vorgehend FG München, 29. Mai 2008, Az: 15 K 3058/05, Urteil
§ 33 EStG 1997, § 96 FGO, § 33 EStG 2002, § 12 Nr 1 EStG 1997, § 12 Nr 1 EStG 2002
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.05.2011, Az. VI R 37/10 (REWIS RS 2011, 6757)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 6757
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