Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.04.2005, Az. 5 StR 544/04

5. Strafsenat | REWIS RS 2005, 4175

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5 StR 544/04
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 7. April 2005 in der Strafsache gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes

- 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 7. [X.] 2005, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende [X.]in [X.],

[X.]in [X.], [X.] Dr. Raum, [X.] Dr. Brause, [X.] [X.]

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 - für Recht erkannt:

Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwalt-schaft wird das Urteil des [X.] vom 8. Ju-li 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.

[X.] Von Rechts wegen [X.]

G r ü n d e
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) in drei Fällen zu einer [X.] von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Mit ihrer zu [X.] des Angeklagten eingelegten Revision erhebt die Staatsanwaltschaft die Sachrüge, mit der sie in den Fällen 1 und 2 eine Verurteilung des Ange-klagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (§ 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F.) und eine höhere Gesamtstrafe erstrebt. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
[X.] Sachverhalt 1. Nach den Feststellungen des [X.] lebte der Angeklagte von August 2002 bis April 2003 als Untermieter in der Wohnung der Zeugin - 4 - [X.]. Mit ihrem Einverständnis schlief er mit deren im Juni 1991 geborenen Tochter, der später Geschädigten, jede Nacht gemeinsam im Doppelbett im Schlafzimmer. In den beiden ersten Fällen legte sich der An-geklagte im September 2002 und an einem weiteren, nicht näher feststellba-ren Tag zu der Geschädigten in das Bett. Er brachte sie dazu, sich mit nack-tem Unterkörper auf sein unbedecktes Glied zu setzen. Sodann berührte er mit seinem erigierten Penis den äußeren genitalen Bereich der Geschädigten in einer für diese unangenehmen Weise. Kurz vor dem Samenerguß veran-laßte er sie, von ihm herunterzugehen. Im dritten Fall faßte der Angeklagte Ende November 2003 der Geschädigten in Gegenwart ihrer zehn Jahre alten Freundin in die Hose und manipulierte mit einem Finger an ihrem Ge-schlechtsteil.
2. Der Angeklagte hat die sexuellen Handlungen bestritten. Das Land-gericht stützt sich bei seiner Überzeugungsbildung im wesentlichen auf die belastenden Bekundungen der Geschädigten. Zwar hat der von ihr zugezo-gene aussagepsychologische Sachverständige ausgeführt, die sog. —Null-hypothese" könne für die in der Aussagefähigkeit beeinträchtigte [X.] nicht schlüssig ausgeschlossen werden (vgl. [X.]St 45, 164, 167/168). Er hat Mängel der Aussagekompetenz der Geschädigten aufgezeigt, die insbe-sondere die Aussagegenauigkeit und im Besonderen Mängel der [X.] betreffen ([X.], 27). Das [X.] geht indessen dennoch von der Glaubhaftigkeit der Aussage aus und stellt dabei auf die [X.] zum Kerngeschehen und die sonstigen Ergebnisse der Beweisauf-nahme ab.
I[X.] Die Revision des Angeklagten 1. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis be-steht nicht. Die Anklage vom 6. Februar 2004 und der Eröffnungsbeschluß der [X.] vom 25. Mai 2004, durch den die Anklage hinsichtlich zehn - 5 - angeklagter Taten zur Hauptverhandlung zugelassen wurde, bilden eine wirksame Verfahrensgrundlage.
2. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Obgleich sie sehr ausführlich ist, begegnet sie durchgreifen-den rechtlichen Bedenken.
a) Die Verurteilung des Beschwerdeführers beruht in den beiden [X.] Fällen ausschließlich auf den Angaben der Geschädigten. Der [X.]. Steht Aussage gegen Aussage, so muß der Tatrichter die Aussage des Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprü-fung unterziehen. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festge-stellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen [X.] auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende [X.] ohne Erörterung hinweggeht, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie eine solche, die gewichtige Umstände nicht mit in Betracht zieht, welche die Überzeugung des Tatrichters von der Täterschaft des Angeklagten in Frage zu stellen geeignet sind. Will der [X.] in einem wesentlichen Punkt von der Aussage des einzigen unmittelbaren Belastungszeugen abweichen und ihm etwa in einem anderen Punkt folgen, so muß er in seinem Urteil in aller Regel darlegen, daß der Zeuge im Abweichungspunkt keine bewußt falschen Angaben gemacht hat (vgl. [X.]St 44, 256, 257; [X.]R StPO § [X.]). Dies gilt besonders, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr auf-rechterhält oder der anfänglichen Schilderung nicht gefolgt wird (vgl. [X.]St 44, 153, 159; [X.], 470).
b) Diesen Maßstäben wird die Würdigung der [X.] nicht vol-lends gerecht. Allerdings war die Beweissituation im vorliegenden Fall schwierig. Es stand nicht nur Aussage gegen Aussage. Der mit der Glaub-haftigkeitsbeurteilung beauftragte Sachverständige hat die Angaben der Ge-- 6 - schädigten nicht als zuverlässig bewertet. Mögliche Fehlerquelle sei ein —nicht ausschließbar [X.] und gesteigert [X.], durch welches die Geschädigte —unter Umständen Differenzierungsdefizite zu kompensieren versuchefi ([X.]). Die Geschädigte gebe deshalb beste-hende Erinnerungslücken nicht zu, sondern neige eher zum Fabulieren ([X.]).
Danach sind besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen. Die [X.] hätte bei der Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtschau aller Beweisanzeichen auch diejenigen Umstände erkennbar in die Bewertung mit einbeziehen müssen, welche sie mit bewogen haben, in den beiden ersten Fällen den Angeklagten nicht wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, verbunden mit einem Eindringen in den Körper der Geschädigten, zu verurteilen.
Die [X.] erachtet die Aussage der Geschädigten als [X.]. Sie stützt sich dabei im wesentlichen auf das [X.] der [X.] in der Hauptverhandlung sowie auf die [X.] der Angaben der Geschädigten während des gesamten Verfahrens zum —Kerngeschehenfi, womit die [X.] ersichtlich nur den der Verurteilung zugrunde liegen-den Sachverhalt meint ([X.], 40 f.). Mit wesentlichen Umständen setzt sich das [X.] jedoch nicht genügend auseinander:
Die Geschädigte hat sowohl im Ermittlungsverfahren bei ihrer polizeili-chen Vernehmung ([X.] ff.) wie auch gegenüber dem sie begutachten-den Sachverständigen ([X.] f.) angegeben, sie habe wegen des teilwei-sen Eindringens des erigierten Gliedes in ihre Scheide Schmerzen verspürt und der Angeklagte habe versucht, sie zu —dehnenfi ([X.]). Diesen [X.] hat die Zeugin in der Hauptverhandlung nicht mehr erwähnt. Der [X.] würdigt dies wie folgt: —Die Geschädigte hat in der Hauptverhandlung zwar abweichend von ihren bisherigen Angaben gegenüber dem Sachver-ständigen und dem Kriminalbeamten nicht davon gesprochen, daß sie bei - 7 - den Handlungen des Angeklagten Schmerzen gehabt habe. Soweit die bis-herigen Aussagen anderweitig eingeführt wurden, sind diese wegen der [X.] insbesondere ihrer Beschreibung des Einführens des Penis in ihre Scheide bei dem Gespräch mit dem Sachverständigen [X.] nicht so weit gesichert, daß die Verurteilung ... hierauf gestützt werden könnte.fi Diese auch das Kerngeschehen berührenden Abweichungen in den jeweiligen Angaben hätten bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der [X.] der Geschädigten einer eingehenden Erörterung durch den Tatrichter bedurft. Die [X.] hätte Feststellungen dazu treffen müssen, weshalb die Geschädigte die erwähnten früheren Vorwürfe in der Hauptverhandlung nicht wiederholte, ob die Geschädigte insoweit früher bewußt [X.] oder auch unbewußt [X.] falsche Angaben machte oder ob dies jedenfalls nicht [X.] ist. Erst vor dem Hintergrund der dann gefundenen Antworten [X.] das [X.] tragfähig entscheiden können, ob die Verurteilung allein auf die Angaben der Geschädigten gestützt werden kann oder ob es hierzu weiterer Indizien außerhalb von deren Aussage bedurft hätte (vgl. [X.], 161; [X.] 2001, 1 ff.; [X.], 45 ff.). Bei der Beweiswürdigung zur Frage der Glaubwürdigkeit [X.] vor allem bei sehr jungen kindlichen Tatopfern [X.] dürfen nicht als erwiesen angesehene gewichtige wei-tere Beschuldigungen nicht so behandelt werden, als beträfen sie nur unbe-deutendes, die Glaubwürdigkeit im übrigen nicht berührendes [X.] ([X.]R StGB § 176 Serienstraftaten 7; [X.], 98; [X.] NStZ-RR 1999, 13, 14).
c) Der aufgezeigte Mangel ergreift auch den Schuldspruch im dritten Fall. Zwar hat sich das [X.] zum Kerngeschehen daneben auf die Aussage der Freundin der Geschädigten gestützt. Es ist aber nicht völlig auszuschließen, daß die Glaubwürdigkeit der Geschädigten hier anders zu beurteilen gewesen wäre.
- 8 - 3. Auf die weiteren mit der Sachrüge und den Verfahrensrügen erho-benen Beanstandungen kommt es deshalb nicht mehr an.
II[X.] Die Revision der Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrem auf die Fälle 1 und 2 der Urteils-gründe beschränkten Rechtsmittel, das vom [X.] vertreten wird und nach § 301 StPO zugleich zugunsten des Angeklagten wirkt, eben-falls Erfolg. Die Würdigung der Aussage der Geschädigten durch das Land-gericht, in deren Ergebnis es in den beiden ersten Fällen ein Eindringen des Angeklagten in den Körper der Geschädigten verneint, begegnet [X.].
Die Geschädigte hatte bei ihrer polizeilichen Vernehmung und bei ih-rer Begutachtung bekundet, der Angeklagte habe sein Geschlechtsteil einge-führt. Hiermit in Einklang steht der ärztliche Befund, nach dem Geschlechts-verkehr mit [X.] nicht auszuschließen ist ([X.]). Die Schlußfolgerung der [X.], sie habe entsprechende Feststellun-gen nicht treffen können, weil die Geschädigte in der Hauptverhandlung nicht davon gesprochen habe, daß sie Schmerzen bei den Handlungen verspürt habe ([X.] f.), ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Obwohl die [X.] —in der Hauptverhandlung ... über die festgestellten Handlungen ... zum Kern- und Randgeschehen aus dem Gedächtnis heraus detaillierte Angaben gemachtfi hat ([X.]), bleibt in den Urteilsgründen offen, ob und wie die Geschädigte ihre Angaben auf Nachfrage des Gerichts oder der [X.] zu diesem Teil des [X.] ergänzt hat.

- 9 - Vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß im Fall 3 der Urteilsgründe nur der Angeklagte Revision eingelegt hat und insoweit das Verschlechte-rungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) zu beachten ist.

[X.] Gerhardt Raum Brause [X.]

Meta

5 StR 544/04

07.04.2005

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.04.2005, Az. 5 StR 544/04 (REWIS RS 2005, 4175)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 4175

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