Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2005, Az. 4 StR 33/05

4. Strafsenat | REWIS RS 2005, 3920

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[X.]/05

vom 21. April 2005 in der Strafsache gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 21. April 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Oktober 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer als Jugendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs ei-nes Kindes in 15 Fällen und wegen sexuellen Mißbrauchs einer widerstandsun-fähigen Person in zwei Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es einer Erörterung der Verfahrensrügen nicht bedarf. 1. Der Angeklagte war von 1984 bis 1992 mit [X.]. , der Mutter des am 28. Oktober 1980 geborenen [X.] , verheiratet. Im Juni 1997 hei-ratete er [X.]. Diese Ehe wurde im November 2003 geschieden. - 3 - a) Zu den Taten des Angeklagten zum Nachteil seines [X.] in der [X.] von 1986 bis 1990 (Fälle II. 1 bis 15 der Urteilsgründe) hat das Land-gericht festgestellt ([X.]): —Im Tatzeitraum legte er sich häufiger abends – zu dem [X.] im Kinderzimmer ins Bett und übernachtete dort, weil er Probleme mit seiner damaligen Ehefrau, der Zeugin [X.]. hatte. In mindestens 15 Fällen missbrauchte er den Zeugen, indem er ihn anal penetrierte. Hierzu benutzte er entweder seinen Penis, einen Finger oder Gegenstände. Der Zeuge [X.] verspürte dabei [X.]merzen.fi Der Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs einer widerstandsunfähi-gen Person (Fälle [X.] und 17 der Urteilsgründe) liegen folgende Feststellun-gen zugrunde ([X.]): "[X.] nutzte der Angeklagte die Gelegenheit, daß seine damals von ihm bereits getrennt lebende Ehefrau, die Zeugin [X.], anlässlich eines Besuches in ihrer Wohnung ... eingeschlafen war, sich an der Zeugin in der Weise zu ver-gehen, daß er an ihrer [X.]eide leckte. Anlässlich eines Besuches der Zeugin beim Angeklagten im [X.] 2001 nutzte er ihren [X.]laf dazu aus, im [X.]eidenbe-reich der Zeugin zu manipulieren. In beiden Fällen war dem Angeklagten bekannt, daß die Zeu-gin keinen sexuellen Kontakt zu ihm wünschte." Am 5. September 2002 wurde [X.] wegen gemeinschaftlicher räu-berischer Erpressung verurteilt. In der Hauptverhandlung hatte er zum [X.] öffentlich erklärt, daß der Angeklagte ihn in seiner Kindheit sexuell miß-- 4 - braucht habe. Etwa ein halbes Jahr zuvor hatte [X.] seiner Mutter [X.]. , ohne nähere Einzelheiten zu schildern, von sexuellen Mißbrauchshand-lungen des Angeklagten berichtet. Diese erstattete am 12. September 2002 gegen den Angeklagten Strafanzeige. b) Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten bestritten und sich dahin eingelassen, sein Stiefsohn wolle mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen seinen Frust an ihm auslassen. Seine frühere Ehefrau [X.] wolle sich an ihm rächen, weil sie die Ehejahre mit ihm wohl als verloren anse-he, da er ihr den erwarteten und geforderten Lebensstandard nicht habe bieten können. Das [X.] ist in den Fällen II. 1 bis 15 der Urteilsgründe der Aus-sage des Geschädigten [X.] zu dem Tatgeschehen gefolgt. Es hält die Tatschil-derung, ebenso wie der Sachverständige, der in seinem psychologischen Gut-achten die Unwahrheitshypothese ausgeschlossen und der Erlebnishypothese "den vergleichsweise höchsten Wahrscheinlichkeitsgrad" zugemessen hat ([X.]), für —uneingeschränkt [X.] ([X.]). In den Fällen [X.], 17 der Urteilsgründe hat das [X.] die Verur-teilung auf die Aussage der Geschädigten [X.]

gestützt, weil [X.], warum diese den Angeklagten zu Unrecht belasten solle, nicht ersicht-lich seien. Die Zeugin habe während der Hauptverhandlung "offenbar sehr [X.] Angst vor dem Angeklagten gehabt", denn sie habe gezittert und sei kaum in der Lage gewesen, ihre Personalien verständlich zu Protokoll zu geben. Das [X.] ist deshalb davon überzeugt, daß die Zeugin die Vorwürfe gegen den Angeklagten mit der für sie belastenden Folge, in der Hauptverhandlung - 5 - erscheinen zu müssen, nicht erhoben hätte, wenn sie nicht der Wahrheit ent-sprächen. 2. Die der Verurteilung zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtli-cher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, weil die Beweiswürdigung in erster Linie Sa-che des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdi-gung setzt aber voraus, daß sich die Urteilsgründe mit widersprüchlichen, un-genauen oder aus sonstigen Gründen nicht ohne weiteres glaubhaften [X.] in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise auseinan-dersetzen (vgl. [X.], 555 m.w.N.). Demgemäß müssen die Urteils-gründe in einem Fall, in dem - wie hier - "Aussage gegen Aussage" steht und die Entscheidung allein davon abhängt, wem das Gericht Glauben schenkt, erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung be-einflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. [X.]St 44, 153, 159; 256, 257; [X.], 496, 497; [X.]R StPO § 261 Beweiswür-digung 23). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung angesichts der [X.] der gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe und der Aussageentstehung nicht gerecht. Das [X.] hat die Aussage des Zeugen [X.] , obwohl die "[X.]ilderung der Taten aus aussagepsychologischer Sicht im ersten Moment einfach und schematisch" erscheine, dem Gutachten des Sachverständigen - 6 - folgend für glaubhaft gehalten, weil der Zeuge im Rahmen der Exploration und der Vernehmung in der Hauptverhandlung zahlreiche —Einbettungenfi geschil-dert habe, die —in so hohem Maße logisch konsistent, originell und stimmig" seien, daß die Aussage insgesamt mit der Annahme einer vorsätzlichen Falschbelastung nicht in Einklang zu bringen sei ([X.]). Ein Vergleich der Angaben des Zeugen, der bei der polizeilichen Vernehmung, bei der [X.] sowie in der Hauptverhandlung "von sehr komplexen, originellen und indivi-duellen Vorgängen berichtet" habe, erbringe ein "hohes Maß an [X.]" ([X.]). Dies ist jedoch nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehba-ren Weise mit Tatsachen belegt. Hierzu hätte es einer substantiierten Wieder-gabe der Angaben des Zeugen bedurft, die das [X.] als [X.]ilderung von —Einbettungenfi und von originellen und individuellen Vorgängen im Zu-sammenhang mit dem Tatgeschehen gewertet hat. Das [X.] hätte zudem für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen müssen, aus welchen Gründen es trotz der nur pauschalen Tatschil-derung die Überzeugung gerade von der Mindestzahl von fünfzehn Straftaten zum Nachteil des Zeugen [X.] gewonnen hat (vgl. [X.]R StGB § 176 [X.]; [X.], Beschluß vom 7. April 2005 [X.] 4 StR 82/05). Daran fehlt es, zumal sich dem Urteil nicht entnehmen lässt, woran der Zeuge die Häufigkeit der sexuellen Übergriffe festgemacht hat. Sowohl die Würdigung der Aussage des Zeugen [X.] als auch die Wür-digung der Aussagen der Zeugin [X.]. und der Zeugin [X.] begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken auch deshalb, weil die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, ob das [X.] alle Umstände, die für eine Falsch-- 7 - belastung des Angeklagten durch diese Zeugen sprechen könnten, in seine Überlegungen einbezogen hat. Daß der Zeuge [X.] den Angeklagten zu Unrecht des sexuellen [X.] beschuldigt hat, um das Gericht in dem gegen ihn gerichteten Strafver-fahren zur Verhängung einer milden Strafe zu bewegen, hat das [X.] mit der Erwägung ausgeschlossen, der Zeuge habe seiner Mutter [X.]. bereits im Frühjahr 2002 von [X.] berichtet. Die strafrechtli-chen Konsequenzen der von ihm begangenen Straftat habe der Zeuge aber erst nach seiner unerwarteten Festnahme im Juni 2002 erkennen können. Nach Auffassung des [X.] läßt sich auch die Hypothese, daß der [X.] [X.] , der nach seinen und den Angaben seiner Mutter von dem Angeklagten —jahrelang verprügeltfi wurde, —als Kind von dem Angeklagten zwar schwer misshandelt aber nicht sexuell missbraucht worden sei, und sich nun mit die-sen Vorwürfen rächen [X.] nicht mit der Entstehungsgeschichte der Aussage vereinbaren. Danach deute nichts auf einen Komplott zwischen den Zeugen [X.] und [X.]. ([X.]). Die Erwägung des Sachverständigen, —ohne eng verzahnte Absprachen sei ein vorsätzlich inszenierter Rachefeldzug nicht [X.] ([X.]), ist jedoch im Hinblick auf die nach den bisherigen Feststellungen einfach strukturierte pauschale [X.]ilderung der Taten durch den Zeugen [X.] nicht ohne weiteres tragfähig. Dies gilt auch für die Erwägung, gegen einen Komplott spreche das Vorgehen der Zeugin [X.]. , die in ihrer Strafanzeige vom 12. September 2002 —gleich für drei Personen - einschließlich des Zeugen [X.] - den Vorwurf sexueller Misshandlungen gegenüber dem Angeklagten er-hoben habe" ([X.]). - 8 - Insoweit hätte es der Mitteilung aller mit dieser Strafanzeige gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe und einer Gesamtwürdigung der den [X.]n belastenden Zeugenaussagen unter Einbeziehung auch der Entste-hungsgeschichte der Aussage der Zeugin [X.] und der Aussage der Zeugin [X.]. bedurft, die in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, der [X.] habe —sie mehrfach vergewaltigt, wenn sie geschlafen habefi ([X.]). Eine die Umstände der Anzeigeerstattung durch die Zeugin [X.]. umfassen-de Gesamtwürdigung der Aussagen war insbesondere deshalb geboten, weil nach den bisherigen Feststellungen nicht nur der Zeuge [X.] , sondern auch die von dem Angeklagten seit 1992 geschiedene Zeugin [X.]. und die zum [X.]-punkt der Anzeigeerstattung von dem Angeklagten getrennt lebende Zeugin [X.] - wie der Angeklagte geltend gemacht hat, wegen der verlorenen [X.] - ein Motiv für eine Falschbelastung gehabt haben könnten. Die Sache muß daher insgesamt neu verhandelt und entschieden wer-den. Maatz

Kuckein Athing

Ernemann

Sost-[X.]eible

Meta

4 StR 33/05

21.04.2005

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2005, Az. 4 StR 33/05 (REWIS RS 2005, 3920)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 3920

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