Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.05.2000, Az. 1 StR 156/00

1. Strafsenat | REWIS RS 2000, 2165

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[X.]/00vom23. Mai 2000in der Strafsachegegenwegensexuellen Mißbrauchs von Kindern- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 23. Mai 2000 gemäß § 349Abs.4 [X.] beschlossen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. September 1999 mit den Feststellungenaufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammerdes [X.] zurückverwiesen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs ei-nes Kindes zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt,deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Revision des Ange-klagten hat mit der Sachrüge Erfolg.I.1. Nach den Feststellungen des [X.] hat der Angeklagte imSommer 1996 in zwei Fällen sexuelle Handlungen an seiner zur Tatzeit 13 [X.] alten Nichte [X.]vorgenommen. Der erste Vorfall spielte sich in [X.] aufgestellten Zelt ab. Dort übernachteten [X.]und die zweiJahre jüngere Tochter des Angeklagten [X.]. Die Kinder entdeckten eineSpinne und riefen ängstlich den Angeklagten herbei, der die Spinne beseitigte.Da die Kinder weiter Angst hatten, blieb der Angeklagte über Nacht bei ihnen- 3 -im Zelt; er legte sich zwischen die Mädchen. In der Folgezeit faßte er [X.] mit der Hand unter dem Schlafanzug an die Scheide. Der zweite Vorfallereignete sich einige Tage später im Schlafzimmer des Angeklagten, wo [X.] bekleidet mit einer kurzen Hose und einem T-Shirt [X.] auf dem Bett liegendfernsah. [X.]und [X.] kamen hinzu und legten sich links und rechtsneben den Angeklagten aufs Bett. Nach einiger Zeit schickte der Angeklagte[X.] weg; sie sollte Zigaretten holen. Als der Angeklagte mit [X.] die miteiner Unterhose und einem T-Shirt bekleidet war [X.] allein war, zog er das [X.] auf sich und bewegte es mehrfach mit beischlafähnlichen Bewegungenauf und ab.2. Der Angeklagte hat die sexuellen Handlungen bestritten. Das [X.] stützt sich bei seiner Überzeugungsbildung im wesentlichen auf die bela-stenden Bekundungen [X.] Es hält [X.] in Übereinstimmung mit der Glaubwür-digkeitsgutachterin [X.] die Aussage der Zeugin für glaubhaft.[X.]habe zwar das Tatgeschehen nur knapp geschildert; das sei aberauf das in sich gekehrte und ängstliche Wesen der Zeugin zurückzuführen. [X.] zuverlässige Aussageanalyse liege gleichwohl ein hinreichend guterquantitativer Detailreichtum vor. Auch seien die Aussagen der Zeugin seit ihrerErstaussage gegenüber dem [X.], einem weiteren Onkel [X.], konstant geblieben.Bei der [X.] sei das ängstliche Wesen der Zeugin zubedenken. So erkläre sich auch, warum sie die Vorfälle für eine lange Zeit [X.] für sich behalten habe. Erst der Aufruhr, welcher durch den von [X.] verübten Diebstahl der Geldbeutel der Töchter des Angeklagten [X.] 4 -standen sei, habe ihr Anlaß und Gelegenheit gegeben, sich über die [X.] zu offenbaren. Den Diebstahl habe sie verübt, um zu erreichen,daß sich ihre Familie und die des Angeklagten entzweien; so habe sie zukünf-tige Begegnungen mit dem Angeklagten verhindern wollen. Die Aufdeckungdes Diebstahls scheide mithin als Motiv für eine Falschbelastung aus. Die se-xuellen Handlungen habe die Zeugin nicht deshalb offenbart, um den Diebstahlzu rechtfertigen.Eine Beeinflussung der Zeugin durch Verwandte schließt die Kammeraus. Dies gelte insbesondere für ihre Tante E. , die ihrerseitsdem Angeklagten vorwarf, er habe sich vor über 20 Jahren an ihr sexuell ver-gangen. Auch die Aussagesituation [X.] die starke emotionale Beteiligung [X.] in der Hauptverhandlung [X.] spreche für ihre Glaubwürdigkeit. [X.] sei die Zeugin hinreichend aussagetüchtig, und es sei höchst unwahr-scheinlich, daß sie derartige Angaben erfinden könne.Der Entlastungsaussage von [X.] glaubt das [X.] nicht. [X.] hatte bekundet, der Angeklagte habe in beiden Fällen nicht in der Mitte,sondern neben ihr gelegen. Von sexuellen Handlungen habe sie nichts [X.], auch sei sie nicht aus dem Schlafzimmer zum [X.]. Zwar habe [X.] auch [X.]gegenüber, der sie auf die Über-nachtungen angesprochen hatte, die Vorgänge so geschildert. [X.] führe indes nicht zur Glaubhaftigkeit ihrer Aussage, denn[X.] habe sich schon vor der ersten Befragung durch [X.]mit [X.] auseinandersetzen können. Aufgrund einer Frage [X.]s an sie nachder Übernachtung im Zelt, was es mit der Berührung der Scheide auf sich ha-be, hätte [X.] geahnt, was in jener Nacht vor sich gegangen sein [X.] 5 -II.1. Anklage und Eröffnungsbeschluß sind wirksam; insoweit wird auf diezutreffenden Ausführungen des [X.] in der [X.] genommen.2. Das angefochtene Urteil enthält durchgreifende Beweiswürdigungs-fehler. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entschei-dung im wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt,müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände,die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungeneinbezogen hat (st. Rspr., vgl. nur [X.], 108).a) So ist es in Fällen der vorliegenden Art in aller Regel erforderlich, [X.] und Entwicklung der Aussage aufzuklären ([X.], Urteil vom17. August 1999 [X.] 1 StR 293/99 [X.]; [X.]St 45, 164; [X.] NStZ 1995, 558; NStZ1996, 295; [X.], 250; [X.], 307; NStZ-RR 1999, 108). Das gilt vorallem dann, wenn ein Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungennicht von vornherein auszuschließen ist ([X.] NStZ 1999, 45). Wenn zudem [X.]was hier ersichtlich der Fall ist [X.] vor Beginn der strafrechtlichen Ermittlungenflprivate Befragungenfl zu den Tatvorwürfen erfolgt sind, so ist der [X.] Angaben [X.] insbesondere vor dem Hintergrund familiärer Ausein-andersetzungen und bei dem Kind möglicherweise geweckter [X.] Inhalt seiner Aussage [X.] besonders kritisch zu prüfen. Zur erforderlichenGesamtwürdigung aller Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen [X.] sind, sind die Erkenntnisquellen zur [X.] auszuschöpfen- 6 -(vgl. [X.] NStZ 1995, 558). In solchen Fällen ist auch die Aussagemotivationkritisch zu prüfen (vgl. [X.]St 45, 164).b) Diesen erhöhten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nichtgerecht.aa) Die [X.] ist nur sehr knapp geschildert, wenn esheißt, erst der Aufruhr, welcher durch das Verschwinden der Geldbeutel ent-standen war, habe [X.] Anlaß und Gelegenheit gegeben, sich zu offenbaren.Der Zeitpunkt des [X.] und die Umstände der Strafanzeige werden nichtmitgeteilt. Eher beiläufig erfährt man, daß die Zeugin die [X.] gegen-über ihrem [X.]gemacht hat. Wie es zu der Erstaussage [X.] vorallem im Zusammenhang mit dem Anlaß [X.] innerhalb der Fa-miliefl [X.] gekommen ist, wird pauschal damit wiedergegeben, daß [X.]den Hintergrund der ersten Äußerungen beschrieben habe ([X.]. Der In-halt jener Erstaussage [X.] auf deren [X.] mit späteren Aussagen das Land-gericht abhebt [X.] wird nicht einmal im [X.] wiedergegeben.Das [X.] begründet nicht näher, warum die Schilderung [X.] glaubhaft sei, sie habe mittels des Diebstahls die Familien entzweienund dadurch weitere sexuelle Übergriffe verhindern wollen. Die Revision bean-standet zu Recht, daß das Zwietrachtmotiv schon deshalb nicht ohne [X.] ist, weil die Zeugin den Diebstahl ersichtlich erst nach demflAufruhrfl zwischen den Familien offenbart hat. Schon deshalb konnte der [X.] des [X.] für den [X.] mit der Persönlichkeit der Zeugin begründet werden.- 7 -bb) Da der wesentliche Inhalt der [X.] hier entscheidungserheblichen [X.] [X.] nicht mitgeteilt wird, ist auch die Begründung der Glaubhaftigkeit mitder Aussagekonstanz (im [X.]geschehen, vgl. [X.] NStZ 2000, 217) einerrevisionsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Zudem waren die rechts-fehlerfrei festgestellten (siehe unten) Bekundungen der Zeugin zum [X.]ge-schehen offenbar nicht so detailliert, daß die angenommene [X.] ([X.]) hinreichend aussagekräftig ist. In diesem Zusammenhang wärezudem zu erörtern gewesen, inwieweit die Aussage der Zeugin zum [X.] [X.] durch intensive flprivate Befragungenfl im [X.] die [X.] der Zeugin durch nachfolgende Informationenflüberschriebenfl wurde.cc) In diesem Fall wäre auch eine Aussageanalyse anhand von Reali-tätskriterien wenig aussagekräftig ([X.]St 45, 164). Hinzu kommt, daß [X.] das (sexuelle) [X.]geschehen [X.] jedenfalls nach der Darstellung imUrteil [X.] keineswegs signifikant detailreich geschildert hat. Die Erwähnung [X.] ist zwar ein außerordentlich originelles Detail, auch im [X.] dem Anlaß für das Übernachten des Angeklagten, allerdings ist es nichtuntrennbar mit dem sexuellen [X.]geschehen verflochten. Dem Urteil lassensich als einzige tatbezogene Glaubwürdigkeitskriterien fleigene psychischeVorgängefl und flvermutete psychische Vorgänge des Angeklagten während [X.] entnehmen; diese werden aber nicht näher beschrieben. [X.] geschilderte Gespräch zwischen der Zeugin und [X.] nach der [X.] ([X.]) [X.] ein signifikantes Gesprächskennzeichen [X.] tatsächlich undauch mit diesem Inhalt stattgefunden hat , wird keiner Beweiswürdigung unter-zogen ([X.] einerseits und [X.] andererseits).- 8 -dd) Da schon diese [X.] zur Aufhe-bung des Urteils führen müssen, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Bean-standung der Revision zutrifft [X.] was auch der [X.] an-nimmt [X.], bei der Würdigung der Aussage [X.] s im Zusammenhang mit [X.] liege ein Zirkelschluß vor.[X.]Granderath Nack Boetticher Schluckebier

Meta

1 StR 156/00

23.05.2000

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.05.2000, Az. 1 StR 156/00 (REWIS RS 2000, 2165)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 2165

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