Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.08.2020, Az. II R 23/18

2. Senat | REWIS RS 2020, 3372

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Gegenstand

Grunderwerbsteuerbefreiung bei Übergang von einer Gesamthand --Maßstäbe der Missbrauchsprüfung--


Leitsatz

1. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG bezweckt die Abwehr missbräuchlicher Gestaltungen durch Verbindung des grundsätzlich steuerfreien Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand mit der steuerfreien Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen. Die Vorschrift ist teleologisch zu reduzieren, soweit abstrakt keine Steuer zu vermeiden war. Auf einen konkreten Missbrauch im Einzelfall kommt es nicht an.

2. Abstraktes Missbrauchspotential fehlt, wenn der Wechsel im Gesellschafterbestand ausnahmsweise grunderwerbsteuerbar war. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ist insoweit nicht anzuwenden.

3. Es ist nicht maßgebend, ob die Grunderwerbsteuer festgesetzt und entrichtet wurde.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 08.05.2018 - 1 K 246/14, die Bescheide über Grunderwerbsteuer vom 04.07.2013, vom 13.09.2013, die Einspruchsentscheidung vom 09.10.2014 sowie der Bescheid vom 04.05.2018 aufgehoben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die … GmbH & Co. [[X.].] ([[X.].]) war seit 2006 Eigentümerin von in [[X.].] belegenem Grundvermögen. Persönlich haftende [[X.].]erin der [[X.].] war die … Beteiligungs GmbH (GmbH), die nicht am Vermögen der [[X.].] beteiligt war. Nach dem [[X.].]svertrag der [[X.].] schied ein [[X.].]er mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen aus der [[X.].] aus, worauf die verbleibenden [[X.].]er die [[X.].] fortführen sollten. [[X.].] nur ein [[X.].]er, so dass das [[X.].]usscheiden des [[X.].]ers die [[X.].]uflösung der [[X.].] zur Folge hätte, konnte dieser das Unternehmen unter der bisherigen Firma fortsetzen.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im Februar 2010 zunächst als Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) mit Sitz in [X.] gegründet und firmiert seit dem 19.11.2013 als GmbH. Einzeln vertretungsberechtigter Geschäftsführer war und ist der Insolvenzverwalter [X.] Durch notarielle Verträge vom [X.] erwarb die Klägerin sämtliche Kommanditanteile an der [[X.].] sowie sämtliche Geschäftsanteile an der [X.] Sie bestellte R zum einzeln vertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH und verlegte den Sitz nach [X.]. Beim Finanzamt [X.] gingen am [X.] die diesbezügliche Veräußerungsanzeige der Klägerin nach dem [X.] ([X.]), am 17.06.2010 die notariellen Verträge ein. [[X.].]uf Eigenantrag vom ….06.2010 eröffnete das [[X.].]mtsgericht [X.] ([[X.].]G [X.]) am 02.08.2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [[X.].] und ordnete Eigenverwaltung nach § 270 der Insolvenzordnung ([X.]) an. [[X.].]m 30.09.2010 eröffnete es das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Im Rahmen eines Insolvenzplans wurde die Kapitaldienstfähigkeit der [[X.].] wiederhergestellt. Mit Beschluss vom 26.04.2012 hob das [[X.].]G [X.] das Insolvenzverfahren auf.

3

Nachdem für den Kaufvertrag vom [X.] gesonderte Feststellungen nach § 17 [X.] und des [X.] ergangen waren, setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[[X.].]--) mit einem --nicht streitgegenständlichen-- Bescheid vom 24.09.2012 gegen die [[X.].] wegen des [[X.].]nteilserwerbs der Klägerin an der [[X.].] zum [X.] Grunderwerbsteuer fest. Diese Steuer wurde nicht mehr entrichtet. Die [[X.].] berief sich darauf, dass die [X.] nicht zur Insolvenztabelle angemeldet, der Insolvenzplan nicht angefochten worden sei und die Forderung gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht mehr geltend gemacht werden könne (§ 254 [[X.].]bs. 1 [X.]). [[X.].]m 01.02.2013 wurde das Erlöschen der [[X.].] im Handelsregister eingetragen.

4

Nach Eingang eines notariellen Grundbuchberichtigungsantrags wegen des Übergangs des [[X.].]svermögens der [[X.].] am 30.09.2010 auf die Klägerin nach § 738 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) setzte das F[[X.].] für diesen Vorgang mit Bescheid vom 04.07.2013 unter Berufung auf § 1 [[X.].]bs. 1 Nr. 3 [X.] im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der Klägerin Grunderwerbsteuer für eine auf den 01.02.2013, nach Einspruch mit Bescheid vom 13.09.2013 für eine auf den 30.09.2010 datierte [[X.].]nwachsung fest. Nach Untätigkeitsklage und darauffolgender Einspruchsentscheidung vom 09.10.2014 setzte das F[[X.].] infolge einer geänderten Feststellung des [X.], die die Klägerin mittels Einspruchs angefochten hat, schließlich mit Änderungsbescheid vom 04.05.2018 die Grunderwerbsteuer auf den 30.09.2010 mit … € fest.

5

Das Finanzgericht ([X.]) hat die Klage abgewiesen. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 30.09.2010 sei die GmbH aus der [[X.].] ausgeschieden. Dies habe zur sofortigen Vollbeendigung der [[X.].] und zur [[X.].]nwachsung ihres Vermögens auf die Klägerin als einzig verbliebener [[X.].]erin nach § 738 BGB geführt. Dieser Vorgang unterliege nach § 1 [[X.].]bs. 1 Nr. 3 [X.] der Grunderwerbsteuer.

6

Die Befreiung des § 6 [[X.].]bs. 2 Satz 1 [X.] finde wegen § 6 [[X.].]bs. 4 Satz 1 [X.] keine [[X.].]nwendung. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 [[X.].]bs. 4 Satz 1 [X.] lägen vor. Für eine teleologische Reduktion sei kein Raum, da die wortlautgemäße [[X.].]uslegung nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis führe. Die Vorschrift solle [X.] verhindern, die durch steuerfreie Übernahme von Grundstücken aus dem Vermögen einer [X.] innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit nach Veränderungen innerhalb der [X.] entstehen könnten. So verhalte es sich im Streitfall, da die Steuer für den nach § 1 [[X.].]bs. 2a [X.] steuerbaren [[X.].]nteilserwerb vom [X.] nicht mehr habe erhoben werden können.

7

Von einer [[X.].]ussetzung des Verfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) mit Rücksicht auf das noch offene Rechtsbehelfsverfahren gegen die Feststellung des [X.] hat das [X.] im Einverständnis mit den Beteiligten abgesehen, da über den Streit im Folgebescheidsverfahren unabhängig von dem Grundlagenbescheid entschieden werden könne und die Sache eilbedürftig sei. Nach Mitteilung der Klägerin hänge eine Darlehensprolongation von der Unbedenklichkeitsbescheinigung des F[[X.].] ab.

8

Das Urteil des [X.] ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1732 veröffentlicht.

9

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 6 [[X.].]bs. 4 Satz 1 [X.] i.V.m. § 1 [[X.].]bs. 2a [X.] sowie des Vorbehalts des Gesetzes. § 6 [[X.].]bs. 4 Satz 1 [X.] finde keine [[X.].]nwendung, da die durch den [X.] ([X.]) begründete teleologische Reduktion der Vorschrift nicht an die Erhebung, Festsetzung oder Zahlung von Grunderwerbsteuer, sondern an die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Grunderwerbsteuertatbestandes anknüpfe. Es liege keine konkrete Steuerumgehung vor, da das F[[X.].] von Mai 2010 bis [[X.].]nfang [[X.].]ugust 2010 die Möglichkeit gehabt habe, für den Erwerbsvorgang vom [X.] Grunderwerbsteuer festzusetzen und zu erheben. Es liege auch keine abstrakte Steuerumgehung vor, weil der [[X.].]erwechsel der Steuer unterlegen habe. Wenn das [X.] allein deshalb § 6 [[X.].]bs. 2 [X.] nicht anwende, weil der zeitlich vorangehende Erwerbsvorgang tatsächlich nicht zu einer Steuerzahlung geführt habe, verletze es den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung, die Bescheide über Grunderwerbsteuer vom 04.07.2013 und vom 13.09.2013, die Einspruchsentscheidung vom 09.10.2014 sowie den Bescheid vom 04.05.2018 aufzuheben.

Das F[[X.].] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die nach § 1 [[X.].]bs. 1 Nr. 3 [X.] steuerbare [[X.].]nwachsung vom 30.09.2010 sei nicht nach § 6 [[X.].]bs. 2 [X.] von der Steuer befreit, da die Rückausnahme des § 6 [[X.].]bs. 4 Satz 1 [X.] eingreife. Die Vorschrift sei tatbestandlich anwendbar und nicht teleologisch zu reduzieren. Der [X.] habe teleologische Reduktionen nur im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall vorgenommen und keinen abstrakten Rechtssatz dahin aufgestellt, dass stets dann, wenn der vorgängige Erwerb der [[X.].]nteile einen steuerbaren Tatbestand erfüllt habe, § 6 [[X.].]bs. 4 Satz 1 [X.] einzuschränken sei. Im Übrigen könne eine Steuerumgehung auch stattfinden, wenn ein [[X.].]nspruch auf Grunderwerbsteuer entstanden sei. Während bei [X.], die auf einem Verpflichtungsgeschäft beruhten, das Erfordernis der Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 22 [X.] für die Umschreibung im Grundbuch regelmäßig die Steuerzahlung sicherstelle, fehle dieser Mechanismus bei einem steuerpflichtigen fiktiven Rechtsträgerwechsel wie im Falle des § 1 [[X.].]bs. 2a [X.].

Während des Revisionsverfahrens sind geänderte Feststellungsbescheide über den Grundbesitzwert ergangen, die das F[[X.].] noch nicht umgesetzt hat.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Der [X.] entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie sind aufzuheben, da der durch die [X.] vom 30.09.2010 bewirkte Erwerbsvorgang von der Grunderwerbsteuer befreit ist.

1. Nach dem Wortlaut des [X.] ist der Erwerbsvorgang am 30.09.2010 steuerbar und steuerpflichtig, was zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten ist.

a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 [X.] unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. der Übergang des Eigentums an einem inländischen Grundstück, wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist und es auch keiner Auflassung bedarf. Die durch die Insolvenz der GmbH bewirkte Auflösung der [X.] und die daraus folgende [X.] des Vermögens der [X.] auf die Klägerin als einzige Kommanditistin nach § 738 BGB stellten einen solchen Übergang des Eigentums dar.

b) Geht ein Grundstück von einer [X.] in das Alleineigentum einer an der [X.] beteiligten Person über, so wird die Steuer nach § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Erwerber am Vermögen der [X.] beteiligt ist. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] gilt dies entsprechend, wenn ein Grundstück bei der Auflösung der [X.] in das Alleineigentum eines Gesamthänders übergeht. Die [X.] im Streitfall begründet einen solchen Übergang. Der Anteil für die Nichterhebung der Steuer beträgt 100 %, denn allein die Klägerin als Kommanditistin, aber nicht die ausgeschiedene Komplementär-GmbH war am Vermögen der [X.] beteiligt.

c) Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] gelten die Vorschriften der Abs. 1 bis 3 insoweit nicht, als ein Gesamthänder innerhalb von fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der [X.] durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat. Die Klägerin hatte ihre Kommanditbeteiligung an der [X.], über die sie zu 100 % vermögensmäßig an der [X.] beteiligt wurde, am [X.] und damit innerhalb der [X.] erworben.

2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des [X.], dass § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] gegen den Wortlaut teleologisch zu reduzieren ist.

a) Es handelt sich um eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift, mit der [X.] durch die Kombination eines außerhalb von § 1 Abs. 2a [X.] nicht steuerbaren Wechsels im [X.]erbestand einer [X.] und der nachfolgenden nach § 6 [X.] begünstigten Übernahme von Grundstücken aus dem [X.]svermögen durch den "neuen" [X.]er verhindert werden sollen ([X.]-Beschluss vom 19.03.2003 - II B 96/02, [X.]/NV 2003, 1090, unter II.2.c; [X.] in [X.], [X.], 19. Aufl., § 6 Rz 90).

b) Nicht maßgebend ist, ob (subjektiv) im Einzelfall eine Steuerumgehung beabsichtigt war. Die Vorschrift greift ein, um objektiven [X.] vorzubeugen, die der --im [X.] steuerfreie Übergang von Anteilen an einer [X.] ermöglicht. Dies wird für Änderungen der Beteiligungsverhältnisse an der veräußernden [X.] innerhalb der [X.] typisierend unterstellt (vgl. [X.]-Urteile vom 14.06.1973 - II R 37/72, [X.]E 110, 142, [X.] 1973, 802, und vom 16.07.1997 - II R 27/95, [X.]E 183, 259, [X.] 1997, 663, unter II.3.).

c) Umgekehrt sind alle [X.] auszunehmen, bei denen nicht etwa nur für den konkreten Fall keine Steuerumgehung vorliegt, sondern schon abstrakt keine Steuer zu vermeiden war (so bereits grundlegend [X.]-Urteil vom 25.02.1969 - II 142/63, [X.]E 95, 292, [X.] 1969, 400). Die Finanzverwaltung nimmt ebenfalls an, dass eine teleologische Reduktion vorzunehmen ist, wenn die Steuerumgehung objektiv ausgeschlossen ist (Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 09.12.2015 betreffend Anwendung der §§ 5 und 6 [X.], [X.], 1029, [X.]. 7.6.).

aa) Ein abstrakter oder objektiver Maßstab bedeutet, dass es für die Reichweite der teleologischen Reduktion auf das abstrakte Missbrauchspotential derjenigen Gestaltung ankommt, auf die § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] zielt. Das ist die Kombination eines nicht steuerbaren Erwerbs einer Beteiligung an einer [X.] mit einer steuerbefreiten Grundstücksübernahme aus dem Vermögen der [X.]. Liegt eine solche missbrauchsgeneigte Gestaltung vor, kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall ein Missbrauch nachgewiesen oder nicht auszuschließen ist.

bb) § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] ist deshalb nur anzuwenden, wenn und soweit der das Grundstück von der [X.] erwerbende Gesamthänder seit dem Erwerb des Grundstücks durch die [X.] einen Anteil erlangt (oder nach Aufgabe wiedererlangt) hat, der über seinen Anteil im Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks durch die [X.] hinausreicht.

Dem Sinn und Zweck der Grunderwerbsteuer ist dadurch Rechnung getragen, dass schon der Erwerb des Grundstücks durch die [X.] unterlag und schon mit diesem Erwerb das Grundstück in den grunderwerbsteuerrechtlichen [X.] gelangt ist (so auch für die [X.] des § 5 Abs. 3 [X.] [X.]-Urteil vom [X.], [X.]/NV 2010, 680).

cc) Die Steuervergünstigung des § 6 Abs. 2 [X.] ist trotz § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] auch nicht schon deshalb zu versagen, weil die [X.] im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs noch keine fünf Jahre bestanden hatte ([X.]-Urteile in [X.]E 95, 292, [X.] 1969, 400, und vom [X.] 169/64, [X.]E 96, 370). Maßgebend ist, dass die Beteiligungsverhältnisse seit dem Erwerb des Grundstücks durch die veräußernde [X.] unverändert geblieben sind (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 95, 292, [X.] 1969, 400; in [X.]E 110, 142, [X.] 1973, 802; vom 18.05.1994 - II R 119/90, [X.]/NV 1995, 267; in [X.]E 183, 259, [X.] 1997, 663, unter II.3., und vom 04.04.2001 - II R 57/98, [X.]E 194, 458, [X.] 2001, 587, unter II.2.c).

dd) Aus denselben Gründen ist § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht anwendbar, wenn --ausnahmsweise-- bereits der Erwerb des Anteils an der [X.] nach § 1 Abs. 2a [X.] der Grunderwerbsteuer unterlag. In diesem Fall ist ebenfalls eine Steuerumgehung durch die Kombination eines nicht steuerbaren Wechsels im [X.]erbestand einer [X.] und der nachfolgenden, nach § 6 [X.] begünstigten Übernahme von Grundstücken von der [X.] objektiv nicht möglich ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2003, 1090, unter II.2.c, in Abgrenzung zu einer dennoch vorliegenden objektiven Steuerumgehungsmöglichkeit). Auch in dieser Konstellation war bereits die Überführung des Grundstücks in den grunderwerbsteuerrechtlichen [X.] steuerbar, § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] daher nicht anzuwenden (ebenso [X.] in [X.], a.a.[X.], § 6 Rz 91, 96; [X.] in [X.], [X.], § 6, Rz 110).

ee) Der [X.] hat stets darauf abgestellt, ob ein Vorgang der Grunderwerbsteuer "unterlag". Das bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, ob Grunderwerbsteuer tatsächlich festgesetzt und erhoben wurde, sondern nur darauf, ob der Vorgang grunderwerbsteuerbar war.

Das ergibt sich bereits aus der Formulierung selbst. Die Tatbestände des § 1 [X.] verwenden nahezu durchgängig die Wendung, dass bestimmte Vorgänge der Grunderwerbsteuer "unterliegen", d.h. steuerbar sind und vorbehaltlich von [X.] Grunderwerbsteuer festzusetzen ist. Gemeint ist damit nicht, dass Grunderwerbsteuer tatsächlich festgesetzt und entrichtet worden ist. Dies wäre bei einer Vorschrift des [X.] ein Widerspruch in sich.

Diese Sichtweise entspricht dem Zweck der Vorschrift. Eine objektive Steuerumgehungsmöglichkeit hängt nicht davon ab, ob es zu Schwierigkeiten bei der Erhebung der einen oder anderen Steuer gekommen ist. Das gilt erst recht, als der [X.] die Begünstigung des Erwerbs von der [X.] sogar dann für möglich erachtet hat, wenn der vorausgegangene Grunderwerb durch die [X.] noch nicht steuerpflichtig war ([X.]-Urteil vom [X.], [X.]E 133, 83, [X.] 1981, 484; ähnlich --für den steuerbefreiten Erwerb-- [X.] in [X.], a.a.[X.], § 6 Rz 95).

3. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung und insbesondere daran fest, dass allein das abstrakte Missbrauchspotential Maßstab für die Auslegung des § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] einschließlich der teleologischen Reduktion ist.

a) Die seit Jahrzehnten durch den [X.] vorgenommene und seitens der Finanzverwaltung grundsätzlich akzeptierte teleologische Reduktion des § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] hat die Grenzen zulässiger richterlicher Auslegung und Rechtsfortbildung nicht überschritten. Sie hat insbesondere kein eigenes Modell an die Stelle des gesetzgeberischen Konzepts gesetzt (vgl. dazu im Einzelnen Beschluss des [X.] vom 25.01.2011 - 1 BvR 918/10, [X.] 128, 193, Neue Juristische Wochenschrift 2011, 836), sondern verhilft lediglich dem Geltungsanspruch des Gesetzes als Missbrauchsverhinderungsvorschrift zur Geltung, um einen von diesem Zweck nicht gedeckten Begünstigungsausschluss zu vermeiden.

b) Da die Vorschrift selbst typisiert, ist es folgerichtig, auch teleologische Einschränkungen im Wege einer Typisierung durch abstrakt-generelle Rechtssätze vorzunehmen. Die Nichtanwendung einer Vorschrift unter den besonderen Umständen des Einzelfalls wäre keine einschränkende Auslegung mehr, sondern eine Einzelfallentscheidung im Billigkeitswege nach § 163 der Abgabenordnung [X.]) oder § 227 AO.

c) Eine mit dem Konzept des Gesetzes konforme einschränkende Auslegung muss sich demnach nach abstrakten Maßstäben an dem von § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] erfassten Missbrauchspotential orientieren. Sie bezieht sich auf solche Fälle, in denen aus dem Aufeinanderfolgen von [X.] und steuerbefreiter Grundstücksübernahme von der [X.] keine Missbrauchsmöglichkeit resultiert. Sie erfasst nicht sonstige Elemente der Steuergestaltung und Steuervermeidung, die mit dem in § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] erfassten abstrakten Missbrauchspotential nicht in Zusammenhang stehen.

d) Es entspricht diesen Grundsätzen, dass für die Steuerbefreiung des zweiten Erwerbs allein auf die Grunderwerbsteuerbarkeit des ersten Erwerbs abzustellen ist, nicht auf die Grunderwerbsteuerpflicht, die Festsetzung oder Erhebung der Grunderwerbsteuer.

aa) Das Ziel des § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] liegt nicht darin, dass wenigstens einmal Grunderwerbsteuer gezahlt wird, sondern die objektive Steuerumgehung zu vermeiden. Sollte der erste Erwerb aus Gründen steuerfrei sein, die nicht im Zusammenhang mit dem durch die Vorschrift erfassten Missbrauchspotential stehen, wird auch keine Grunderwerbsteuer gezahlt. Eine Einzelfallprüfung widerspräche nicht nur dem typisierenden Ansatz, sondern müsste sich ggf. auch auf die Frage erstrecken, welcher Beteiligte in welchem Umfange eine Nichtfestsetzung oder Nichterhebung der Steuer für den ersten Erwerb zu verantworten hat. Schließlich können Komplikationen auftreten, wenn zum Zeitpunkt des zweiten Erwerbs die tatsächliche Erhebung der Steuer für den ersten Erwerb noch nicht feststeht.

bb) Eine abweichende Sichtweise vermengte die Aufgaben der beiden Festsetzungsverfahren. Wenn der Verdacht besteht, dass die zeitnahe Festsetzung und Erhebung der Steuer für den ersten Erwerb mit unangemessenen Mitteln vereitelt wurde, ist die Lösung in dem Festsetzungsverfahren für den ersten Erwerb zu suchen, wofür in entsprechenden Fällen regelmäßig die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zur Verfügung stehen dürfte. Die Besteuerung des zweiten Erwerbs ist kein Ersatztatbestand für Schwierigkeiten im [X.] des ersten Erwerbs.

cc) Soweit das [X.] auf die Bedeutung der Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Sicherung der Steuerzahlung hinweist, ist dies zwar zutreffend, jedoch kein spezifisches Problem des § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.]. Es stellt sich beim fiktiven Rechtsträgerwechsel stets.

4. Nach diesen Maßstäben ist § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] infolge teleologischer Reduktion im Streitfall nicht anzuwenden. Die Klägerin hat am [X.] sämtliche Geschäftsanteile der [X.] erworben. Dieser Vorgang war nach § 1 Abs. 2a [X.] steuerbar. Das bedeutet, dass die Überführung der Grundstücke in den grunderwerbsteuerrechtlichen [X.] der Klägerin bereits der Grunderwerbsteuer unterlag. Schwierigkeiten bei Festsetzung und Erhebung dieser Grunderwerbsteuer sind für die Reichweite des § 6 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht von Bedeutung.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

6. Der Senat entscheidet nach § 121 Satz 1 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

Meta

II R 23/18

25.08.2020

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 8. Mai 2018, Az: 1 K 246/14, Urteil

§ 738 BGB, § 1 Abs 1 Nr 3 S 1 GrEStG 1997, § 6 Abs 2 S 1 GrEStG 1997, § 6 Abs 2 S 2 GrEStG 1997, § 6 Abs 4 S 1 GrEStG 1997

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.08.2020, Az. II R 23/18 (REWIS RS 2020, 3372)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3372

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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