Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2017, Az. 4 StR 124/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8437

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:060717U4STR124.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR
124/17

vom
6. Juli 2017
in der Strafsache
gegen

wegen schweren Raubes u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 6. Juli
2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am [X.]
Sost-Scheible,

[X.]in
am [X.]
Roggenbuck,
[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
Dr. [X.]

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

-
in der Verhandlung -,
Staatsanwalt

-
bei der Verkündung -

als Vertreter des
Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -

als Verteidiger,

Justizangestellte

als
Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 21. November 2016 wird [X.].

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen,
gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung

zu einer Freiheit-strafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbrin-gung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und
bestimmt, dass vor der Maßregel zehn Monate der [X.] zu vollziehen sind.
Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte, ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] nicht vertreten wird, wendet sich allein gegen den [X.]. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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4
-
I.
1. Der auf einer Verständigung beruhenden Verurteilung liegt ein Raub-überfall auf ein Juweliergeschäft in O.

zu Grunde, bei dem der Ange-
klagte und seine beiden nicht revidierenden Mittäter
absprachegemäß unter Drohung mit einer Scheinwaffe sowie
unter Misshandlung und Fesselung der in dem Geschäft Beschäftigten, zum Teil nach Einschlagen einer Glasvitrine mit einem mitgebrachten Hammer,
Uhren, Schmuck und andere Wertgegenstände im Gesamtwert von über 400.000 Euro
erbeuteten und einen Sachschaden von etwa 13.000 Euro
verursachten. Der langjährig kokainabhängige Angeklagte hoffte,
mit seinem Beuteanteil
Schulden aus [X.] tilgen zu können.
In der Nacht und am Morgen vor der Tat
hatte
er
bis zu drei Gramm Kokain
konsumiert, war jedoch zum Zeitpunkt der Tatbegehung voll schuldfä-hig.

2. Soweit für die Maßregelfrage relevant, hat das [X.] im [X.] die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
a)
Der Angeklagte begann im Alter von 14 Jahren mit dem regelmäßigen Konsum von Marihuana und dem gelegentlichen Konsum von LSD. Von seinem 25.
Lebensjahr bis zur Inhaftierung in dieser Sache konsumierte er in erhebli-chem Umfang Kokain, zeitweise bis zu viermal täglich Einzelmengen von zwei Gramm. Während er als Jugendlicher zur Finanzierung seines Konsums
Straf-taten beging, verwendete er als Erwachsener dafür zunächst den überwiegen-den Teil seines Arbeitslohns;
nach konsumbedingtem Verlust seiner Arbeitsfä-higkeit im Jahr 2014 musste er sich bei seinen Betäubungsmittellieferanten [X.].
Der Empfehlung einer Suchtberatungsstelle, die er in seinem Heimat-land [X.] in den Jahren 2015 und 2016 mehrfach aufgesucht hatte, sich einer 3
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stationären Drogentherapie zu unterziehen, folgte er nicht, da er nicht für [X.] von seiner Familie getrennt sein wollte. Nunmehr ist er zu einer derarti-gen Therapie auch unter den Bedingungen des [X.] bereit. Der Angeklagte, der die [X.] fließend beherrscht, bemüht sich, in der Untersuchungshaft die [X.] zu erlernen.
b)
Das
[X.] hat, insoweit dem medizinischen Sachverständigen folgend, bei dem Angeklagten eine
Kokainabhängigkeit festgestellt
und einen Hang im Sinne des §
64 StGB sowie den [X.] der verfahrensge-genständlichen Tat bejaht.
Auch die nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche hinrei-chend konkrete Erfolgsaussicht einer Behandlung des Angeklagten im Maßre-gelvollzug
hat es als gegeben
angesehen.
Entgegen den insoweit erhobenen Bedenken des Sachverständigen sei, so die [X.], von einem ernsthaf-ten Therapiewillen des Angeklagten auszugehen. Er selbst habe
mehrfach
er-klärt, dass er eine derartige Behandlung
als
einzigen
Ausweg aus seiner Sucht ansehe. Seine intellektuellen Fähigkeiten zur Durchführung einer Therapie [X.] ausreichend, von seiner Familie sei er wegen der andauernden Inhaftierung ohnehin getrennt. Die fehlende Beherrschung der [X.] Sprache
stehe der Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht
nicht entgegen.
Der [X.] habe zwar seinen Lebensmittelpunkt nicht in [X.]. Auch seien Einrichtungen des [X.] mit Behandlungsmöglichkeiten in polni-scher Sprache im Gerichtsbezirk nicht vorhanden. Der Angeklagte sei aber be-reit und auch in der Lage, sich während der Dauer des [X.] ausrei-chende Kenntnisse der [X.] Sprache anzueignen. Seine Fremdspra-chenkompetenz habe er in der Vergangenheit durch problemloses Erlernen der [X.] im Ausland unter Beweis gestellt. Die Kommunikation mit dem Behandlungspersonal
könne,
wenn nötig,
zunächst in dieser Sprache er-6
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folgen. Dem ärztlichen Personal der für den Angeklagten zuständigen Einrich-tungen im Bezirk gehöre im Übrigen ein [X.] Muttersprachler an.
II.
Die
ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten eingelegte und auch nur zu seinen Gunsten wirkende (vgl. [X.], Urteile vom 21. März 1979

2 StR 743/78, [X.]St 28, 327, 331
f.; vom 24. Juni 2003

1 StR 25/03, [X.], 111; vom 18. Dezember 2007

1 [X.], [X.], 138 und vom 5.
August 2010

3 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 11; Beschlüsse vom 10. November 2015

1 [X.], [X.], 113 und vom 2. Dezember 2010

4 [X.], [X.], 255) Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die [X.] beschränkt.
[X.] gegen die [X.] zwischen Strafhöhe und
[X.] be-stehen hier nicht. Zwar hat die [X.] die angeordnete Unterbringung bei Bemessung der Strafe berücksichtigt, jedoch nur strafmildernd. Ein darin lie-gendes [X.]shindernis kann sich hier aber nicht auswirken, da eine Strafschärfung schon wegen der zu Gunsten des Angeklagten eingelegten Re-vision nicht in Betracht kommt (§
358 Abs. 2 StPO).
III.
Die Anordnung der Maßregel hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Feststellungen tragen die Annahme des [X.]s, bei dem Angeklagten sei ein Hang gegeben, berauschende Mittel im Übermaß zu sich 7
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zu nehmen, und die abgeurteilte Tat habe [X.] für den Hang (§
64 Satz
1 StGB).
Insoweit wird die Unterbringungsanordnung von der Beschwerde-führerin, soweit ersichtlich, auch nicht angegriffen.
2. Es begegnet aber ferner weder unter dem Gesichtspunkt der Annah-me einer
hinreichend konkreten
Erfolgsaussicht
(§ 64 Satz 2 StGB)
noch hin-sichtlich der Ermessensausübung revisionsrechtlichen Bedenken, dass das [X.] in der fehlenden Beherrschung der [X.] Sprache keinen die Unterbringung des Angeklagten hindernden Umstand gesehen hat.
a) Ungeachtet von Unterschieden in der Beurteilung der Erfolgsaussich-ten
im
Einzelfall
besteht nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des [X.] dahin, dass es auch nach der Umgestaltung von
§ 64 StGB zur Soll-Vorschrift
durch die Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 ([X.] I 1327) im Grundsatz dabei verbleiben
soll, dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers nicht ohne Weiteres allein ein Grund für einen Verzicht auf seine Unterbringung sein kann (vgl. nur [X.], Beschluss vom 17. August 2011

5 [X.], [X.], 281, 282
und vom 12. März 2014

2 [X.], [X.], 545, jeweils unter Bezugnahme auf den Bericht und
die
Beschluss-empfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/5137, [X.]). Zwar muss nicht gegen jeden Sprachunkundigen, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm absehbar nur schwer möglich sein wird, eine Unterbringung nach §
64 StGB angeordnet werden ([X.], Beschlüsse vom 28.
Oktober 2008

5 [X.], [X.], 204, 205; vom 17.
August 2011

5 [X.], [X.], 281
und vom 12. März 2014

2 [X.], [X.], 545).
Vielmehr wird bei weitgehender Sprachunkundigkeit die Annahme fehlender Erfolgsaussicht nahe liegen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Januar 2013

3 [X.], [X.]R StGB §
64 Abs.
2 Erfolgsaussicht
1). Denn mit der 10
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Umgestaltung von §
64 StGB zu einer Soll-Vorschrift beabsichtigte der [X.] auch die Schonung der [X.], die bis dahin durch ei-ne nicht zu vernachlässigende Anzahl von in Anbetracht des Heilungszwecks weniger geeigneten Personen blockiert wurden (vgl.
[X.], Urteil vom 18. [X.]

1 [X.], [X.], 138). Deshalb sollte nach der [X.] des Gesetzentwurfs ein Absehen von der [X.]
insbeson-dere bei ausreisepflichtigen Ausländern ermöglicht werden, bei denen infolge erheblicher sprachlicher Verständigungsprobleme eine erfolgversprechende Therapie kaum vorstellbar ist
(BT-Drucks. aaO). Hingegen genügt es regelmä-ßig für eine erfolgversprechende [X.], wenn der Betreffende zumindest über Grundkenntnisse der [X.] Sprache verfügt ([X.], [X.] vom 20.
Juni 2001

3 [X.], [X.], 7).
b) Die in eine Soll-Vorschrift umgestaltete Regelung
räumt dem Tatrich-ter zwar grundsätzlich die Möglichkeit ein, von einer Unterbringung
abzusehen; §
64 StGB ist damit aber keine Ermessensvorschrift im engeren Sinne gewor-den ([X.], Beschluss vom 29. Juni 2010

4 StR 241/10, [X.], 307; ebenso Beschluss vom 11. Dezember 2007

4 StR 576/07; [X.], StGB, 64.
Aufl.,
§ 64 Rn. 22). Das Absehen von einer [X.] kommt vielmehr nur in Ausnahmefällen in Betracht. Geben die Feststellungen jedoch Anlass, die [X.] der Unterbringung nach § 64 StGB etwa unter dem Gesichtspunkt der Sprachunkundigkeit des Betreffenden in Erwägung zu zie-hen, hat der Tatrichter die für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände
im Urteil
für das Revisionsgericht
nachprüfbar darzulegen
([X.], Beschlüsse
vom 28.
Oktober 2008

5 [X.], [X.]R StGB § 64 [X.] 2
und vom 12.
März 2014 aaO).
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3.
Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung gerecht.
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin bieten die Feststellun-gen des [X.]s keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Ausgangsbe-dingungen für eine Therapie des Angeklagten im Maßregelvollzug seien wegen der fehlenden Kenntnisse der [X.] Sprache sehr ungünstig und erforder-ten daher einen nicht zu leistenden Aufwand. Zum einen spricht der Angeklagte fließend [X.], also eine gängige Fremdsprache. Zum anderen erweist sich die Erwartung der [X.], der
Angeklagte sei nicht nur willens, sondern aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten auch in der Lage, zumindest grund-legende Kenntnisse der [X.] Sprache während der Dauer des Vorweg-vollzugs zu erwerben, vor dem Hintergrund seiner festgestellten Fremdspra-chenkompetenz als hinreichend tatsachenfundiert. Soweit die Beschwerdefüh-rerin die Erörterung weiterer Gesichtspunkte vermisst, die die organisatorische Ausgestaltung und praktische Durchführung der Maßregel betreffen, verkennt sie, dass derartige Umstände bei der Anordnung der Maßregel außer Betracht bleiben ([X.], Beschluss vom 26. November 1996

4 StR 538/96, [X.]R StGB §
64 Abs. 2 Aussichtslosigkeit 6). Es kommt hinzu, dass eine vollziehbare Aus-reisepflicht des Angeklagten nicht festgestellt ist; eine Aufklärungsrüge ist inso-weit nicht erhoben.
b) Es ist auch nicht zu besorgen, dass das [X.] das ihm einge-räumte Ermessen
verkannt hat. Zwar hat es den Umstand, dass der Angeklagte der [X.] Sprache nicht mächtig
ist, als [X.] Staatsangehöriger mit ständigem Wohnsitz im Ausland über keinerlei [X.] Bindungen in [X.] verfügt und lediglich kurzfristig mit dem ausschließlichen Ziel
nach
[X.] gereist ist, hier Eigentumsdelikte zu begehen, lediglich in die [X.] der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des §
64 Satz
2 StGB 13
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einfließen lassen. Der Senat entnimmt aber dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass sich die [X.]
dabei des ihr eröffneten einge-schränkten Ermessensspielraums gleichwohl bewusst war und diesen Spiel-raum auch ausgeschöpft hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die insoweit entscheidungserheblichen Gesichtspunkte

neben der Sprachunkundigkeit
des Angeklagten
auch dessen Lebensmittelpunkt im [X.]

im angefochte-nen Urteil getrennt von den übrigen, für die Erfolgsaussicht maßgeblichen Ge-sichtspunkten
erörtert werden. Das [X.] nimmt ferner ausdrücklich auf den Zweck der Gesetzesänderung aus dem Jahr 2007 Bezug
und sieht,
dass in Fällen ungünstiger Ausgangsbedingungen, etwa bei sprachunkundigen Auslän-dern,
zur Entlastung des [X.] ausnahmsweise von der Anordnung der Unterbringung Abstand genommen werden kann.
[X.][X.]

Quentin [X.]

Meta

4 StR 124/17

06.07.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2017, Az. 4 StR 124/17 (REWIS RS 2017, 8437)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8437

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 482/15

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