Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.06.2021, Az. V ZR 234/19

5. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 5060

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Gegenstand

Selbsthilferecht des Grundstücksnachbarn: Beseitigung eines Überhangs bei drohendem Absterben eines Baums oder Verlust seiner Standfestigkeit


Leitsatz

Das Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB ist - vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Beschränkungen eines Rückschnitts - nicht deshalb ausgeschlossen, weil durch die Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] - Zivilkammer 51 - vom 9. September 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in [X.]      . Auf dem Grundstück der Kläger steht unmittelbar an der gemeinsamen Grenze seit rund 40 Jahren eine inzwischen etwa 15 Meter hohe Schwarzkiefer. Ihre Äste, von denen Nadeln und Zapfen herabfallen, ragen seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten hinüber. Nachdem der Beklagte die Kläger erfolglos aufgefordert hatte, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, schnitt er überhängende Zweige selbst ab. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten, es zu unterlassen, von der Kiefer oberhalb von fünf Meter überhängende Zweige abzuschneiden.

2

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der von dem [X.] zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kläger beantragen, möchte der Beklagte weiterhin die Klageabweisung erreichen.

Entscheidungsgründe

I.

3

Nach Ansicht des Berufungsgerichts steht den Klägern der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 [X.] zu. Das Abschneiden der Zweige müssten sie weder nach § 910 [X.] noch nach § 906 [X.] dulden. Die Vorschrift des § 910 [X.] erfasse nur die unmittelbar von den überhängenden Ästen ausgehende Beeinträchtigung. Der Beklagte berufe sich hingegen auf den durch den Überwuchs verursachten erhöhten Nadel- und Zapfenbefall des Grundstücks. Bei solchen mittelbaren Folgen des Überwuchses gelte der Maßstab des § 906 [X.], der allgemein und abschließend die Zulässigkeit von Immissionen regele. Danach müsse, damit der Beklagte den Rückschnitt [X.]r Äste verlangen könne, der Laubabfall wesentlich und nicht ortsüblich sein. Jedenfalls an letzterem fehle es.

II.

4

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5

1. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Kläger gegen den Beklagten auf Unterlassen gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 [X.] nicht bejaht werden.

6

a) Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass der Beklagte als unmittelbarer Handlungsstörer das Eigentum der Kläger an ihrem Grundstück beeinträchtigt hat, indem er die auf sein Grundstück ragenden Zweige der Schwarzkiefer abgeschnitten hat; die Wiederholungsgefahr ist indiziert. Dagegen erhebt die Revision auch keine Einwände.

7

b) Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht aber eine Duldungspflicht der Kläger im Sinne von § 1004 Abs. 2 [X.], weil es § 910 [X.] für die Beeinträchtigung durch den Nadel- und Zapfenabfall für nicht anwendbar hält und stattdessen den Maßstab des § 906 [X.] heranzieht. Der [X.] hat kurz vor Verkündung des angefochtenen Urteils entschieden, dass § 910 [X.] für die Beseitigung des Überhangs eine spezialgesetzliche und abschließende Regelung darstellt, die nicht nur die unmittelbar durch den Überhang hervorgerufene Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung, sondern auch die mittelbare Beeinträchtigung durch das Abfallen von Laub, Nadeln und Ähnlichem erfasst; der Maßstab des § 906 [X.] gilt hierfür nicht (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juni 2019 - [X.], [X.] 2019, 851 Rn. 7 f.). Das [X.] ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die über das Nachbargrundstück hinausgewachsenen Äste auf dessen ortsüblicher Nutzung beruhen ([X.], Urteil vom 14. Juni 2019 - [X.], aaO Rn. 8).

8

2. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).

9

a) Das [X.] ist, anders als die Revisionserwiderung meint, nicht wegen des Ablaufs der in § 32 [X.] bestimmten Ausschlussfrist ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch gemäß § 31 [X.] auf Beseitigung von Anpflanzungen, die - wie hier - die vorgeschriebenen Mindestabstände zum Nachbargrundstück (vgl. § 27 [X.]) nicht einhalten, ausgeschlossen, wenn der Nachbar nicht bis zum Ablauf des fünften auf das Anpflanzen folgenden Kalenderjahres Klage auf Beseitigung erhoben hat. Eine solche landesgesetzliche Ausschlussfrist kann, wie Art. 124 EG[X.] zeigt, zwar das Grundstückseigentum (hier der Kläger) zu Gunsten des Nachbarn weitergehenden Beschränkungen unterwerfen, nicht aber umgekehrt dem Nachbarn (hier dem Beklagten) Rechte nehmen, die sich für ihn aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ergeben (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 2003 - [X.], [X.], 1035, 1037). Schon deshalb kann das Recht des Beklagten aus § 910 [X.] nicht durch das [X.]nachbarrecht eingeschränkt sein. Hinzu kommt, dass sich das [X.] des § 910 [X.] in seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundlegend von dem in § 31 [X.] geregelten Anspruch auf Beseitigung einer Anpflanzung unterscheidet. Zum einen setzt es einen Überhang, also ein Herüberwachsen der Zweige bzw. Äste des Baumes, und eine daraus folgende Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks voraus, während der Beseitigungsanspruch aus § 31 [X.] nur voraussetzt, dass der vorgeschriebene Mindestabstand zur Grundstücksgrenze nicht eingehalten ist. Zum anderen erschöpft sich die Rechtsfolge des § 910 [X.] darin, dem Nachbarn zu gestatten, die überhängenden Zweige abzuschneiden. Die Beseitigung des Baumes ist nicht Inhalt des [X.]s, auch wenn das Abschneiden der Zweige im Einzelfall mittelbar zum Absterben des Baumes führen kann.

b) Entgegen der Ansicht der Kläger ist das [X.] des Beklagten aus § 910 Abs. 1 Satz 2 [X.] - das kein Anspruch ist und daher nicht der Verjährung unterliegt (vgl. [X.], Urteil vom 22. Februar 2019 - [X.], [X.], 608 Rn. 14; [X.]/[X.], [X.] [2020], § 910 Rn. 28) - auch nicht verwirkt. Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ist für die Annahme der Verwirkung eines Rechts neben dem reinen Zeitablauf erforderlich, dass der Berechtigte durch sein gesamtes Verhalten bei dem Verpflichteten das Vertrauen geschaffen hat, er werde sein Recht nicht mehr geltend machen und dass dieser sich darauf eingerichtet hat; der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden (vgl. [X.], Urteil vom 15. Dezember 2017 - [X.], [X.], 909 Rn. 22 mwN). Ein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger darauf, dass der Beklagte sein Recht aus § 910 [X.] nicht geltend machen werde, hat das Berufungsgericht bislang nicht festgestellt.

III.

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da er nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der [X.] auf Folgendes hin:

1. Das Berufungsgericht wird nach dem Maßstab des § 910 [X.] zu beurteilen haben, ob die Kläger das Abschneiden der auf das Grundstück des Beklagten [X.]n Äste gemäß § 1004 Abs. 2 [X.] zu dulden haben.

a) Nach § 910 Abs. 1 Satz 2 [X.] kann der Eigentümer eines Grundstücks [X.] Zweige abschneiden, wenn er dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt. So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Äste der Schwarzkiefer über die Grenze auf das Grundstück des Beklagten ragen und dieser mit Schreiben vom 17. Juli 2017 die Kläger vergeblich aufforderte, die Äste zurückzuschneiden.

b) Das [X.] des Beklagten wäre nach § 910 Abs. 2 [X.] nur ausgeschlossen, wenn der Überhang die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtigte.

aa) Nach § 910 Abs. 2 [X.] steht dem Grundstückseigentümer das [X.] nach Absatz 1 nicht zu, wenn die [X.]n Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. In welchen Fällen keine Beeinträchtigung vorliegt, entscheidet nicht das subjektive Empfinden des Grundstückseigentümers; maßgebend ist vielmehr die objektive Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung ([X.], Urteil vom 14. November 2003 - [X.], [X.], 33, 39; Urteil vom 14. Juni 2019 - [X.], [X.] 2019, 851 Rn. 7). So ist eine objektive Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung etwa zu verneinen bei einem in ca. 5 m Höhe ungefähr 0,4 m [X.]n Zweig (vgl. [X.], Urteil vom 14. November 2003 - [X.], aaO). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass von den [X.]n Ästen keine Beeinträchtigung ausgeht, trägt der Nachbar, auf dessen Grundstück der Baum steht (vgl. [X.], Urteil vom 14. November 2003 - [X.], aaO).

bb) Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob, was die Kläger darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hätten, die herüberhängenden Äste und Zweige die Nutzung des Grundstücks des Beklagten nicht beeinträchtigten. In diesem Zusammenhang obliegt es den Klägern insbesondere, den Vortrag des Beklagten zu widerlegen, wonach die Menge der ganzjährig herabfallenden Nadeln ein Wachstum anderer Pflanzen unterhalb der Schwarzkiefer unmöglich macht und die Nadeln den Boden säuern; zudem fielen sie bis auf die Terrasse und den Wintergarten, wo sie sich an schwer zugänglichen Stellen sammelten.

2. Die Entfernung des Überhangs durch den Beklagten ist für die Kläger nicht deshalb unzumutbar, weil - wie sie geltend machen - bei Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht. Allerdings ist umstritten, ob solche Risiken das [X.] aus § 910 [X.] ausschließen oder jedenfalls einschränken.

a) Nach verbreiteter Ansicht soll das [X.] ausgeschlossen sein, wenn durch dessen Ausübung der Baum derart geschädigt wird, dass er seine Standfestigkeit verliert oder abzusterben droht. Dies wird unterschiedlich begründet.

aa) Teilweise wird davon ausgegangen, dass es an einer Beeinträchtigung i.S.v. § 910 Abs. 2 [X.] fehlt, wenn die Folgen, die die Beseitigung des Überhangs für den Baum hat, außer Verhältnis stehen zu den von dem Überhang ausgehenden Störungen, so dass die Beseitigung des Überhangs für den Nachbarn, auf dessen Grundstück der Baum steht, unzumutbar sei. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Beseitigung des Überhangs zu einem Absterben des Baumes oder zu einer erhöhten Risikolage führte, weil die Maßnahme dann auf eine verbotene Beseitigung des Baumes hinauslaufe (vgl. [X.], [X.], 927, 929; [X.], [X.] 2011, 246, 250; [X.] in [X.]/[X.]/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 3. Aufl., 2. Teil Rn. 388; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 910 Rn. 44; [X.]. ebenso [X.], [X.], 324, 326).

bb) Vereinzelt wird angenommen, dass landesrechtliche Vorschriften das zum Absterben des Baumes führende Abschneiden von Überhang ausschließen, wenn die dort - wie etwa in § 32 [X.] - vorgesehene Ausschlussfrist für den Anspruch des Nachbarn auf die Beseitigung des Baumes abgelaufen ist (vgl. [X.]/[X.], [X.] [2020], § 910 Rn. 35; anders allerdings [X.] Rn. 10 für Wurzeln).

cc) Schließlich wird der Ausschluss des [X.]s auf das nachbarliche [X.] gestützt (vgl. [X.], NJW 2018, 1975 Rn. 27; [X.] [1.5.2021], § 910 Rn. 10; [X.]/[X.], [X.] [2019], § 1004 Rn. 117).

b) Nach anderer Ansicht kann der beeinträchtigte Nachbar das [X.] - vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Verbote - auch dann ausüben, wenn die Beseitigung des Überhangs mit dem Risiko verbunden ist, dass der Baum abstirbt oder seine Standfestigkeit verliert (vgl. BeckOGK/Vollkommer, [X.] [15.2.2021], § 910 Rn. 17; RGRK/[X.], [X.], 12. Aufl., § 910 Rn. 11; [X.], Nachbarrecht [September 2013], B § 21 I 2, S. 6 f.).

c) Der [X.] hält die letztgenannte Ansicht für richtig. Das [X.] nach § 910 Abs. 1 [X.] ist - vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Beschränkungen eines Rückschnitts - nicht deshalb ausgeschlossen, weil durch die Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht.

aa) Das [X.] aus § 910 Abs. 1 [X.] besteht im Ausgangspunkt ohne Einschränkungen, wenn seine tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Beschränkt ist es allein dadurch, dass dem Eigentümer das Recht nach Abs. 2 nicht zusteht, wenn die Wurzeln oder Zweige die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtigen. Eine Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung, mit der der Ausschluss des [X.]s teilweise begründet wird (oben Rn. 19), ist gesetzlich nicht vorgesehen und widerspräche den Vorstellungen des Gesetzgebers. Dieser hat sich bewusst für eine einfache und allgemein verständliche Ausgestaltung des [X.]s entschieden, die eine rasche Erledigung etwaiger Zwistigkeiten zwischen den Nachbarn ermöglicht (vgl. [X.], Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, [X.]). Diesem Ziel liefe es zuwider, wenn der durch den Überhang beeinträchtigte Nachbar von dem [X.] nur unter der Voraussetzung Gebrauch machen dürfte, dass das Abschneiden der Wurzeln oder Zweige die Standfestigkeit des Baumes nicht gefährdet noch aus sonstigen Gründen zum Absterben des Baumes führen kann, was sich in vielen Fällen nicht ohne Hinzuziehung eines sachverständigen oder zumindest sachkundigen Dritten beurteilen lassen wird. Denn das [X.] soll einfach handhabbar und seine Ausübung nicht mit Haftungsrisiken belastet sein.

Zudem weist § 910 [X.] die Verantwortung dafür, dass Baumwurzeln oder Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, dem Eigentümer des Grundstücks zu, auf dem der Baum steht; er ist hierzu im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks gehalten (vgl. [X.], Urteil vom 20. September 2019 - [X.], [X.], 155 Rn. 19 mwN). Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach und lässt er die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, dann kann er später nicht unter Verweis darauf, dass der Baum (nunmehr) droht, durch das Abschneiden der Zweige an der Grundstücksgrenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben, von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung des Grundstücks hinzunehmen.

bb) Eine Einschränkung des [X.]s in diesen Fällen lässt sich auch nicht damit begründen, dass anderenfalls eine bereits abgelaufene Ausschlussfrist für einen etwaigen landesrechtlichen Anspruch auf Beseitigung des Baumes umgangen werden könnte. Derartige Vorschriften in den [X.] regeln nicht ein [X.] des beeinträchtigten Nachbarn in Bezug auf überhängende Zweige oder eingedrungene Wurzeln, und sie könnten das im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 910 gewährte [X.] zudem mangels Gesetzgebungskompetenz des [X.] nicht einschränken (siehe oben Rn. 9).

cc) Auch aus dem nachbarlichen [X.] lässt sich eine Einschränkung des Rechts des beeinträchtigten Nachbarn, überhängende Zweige abzuschneiden, nicht herleiten. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s haben die Rechte und Pflichten von [X.] insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. [X.] und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Daneben kommt eine allgemeine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus dem Gesichtspunkt des nachbarlichen [X.]ses nur dann zum Tragen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint ([X.], Urteil vom 20. September 2019 - [X.], [X.], 155 Rn. 21 mwN). Dies ist, wenn der Grundstückseigentümer einen auf seinem Grundstück stehenden Baum nicht - wie geboten - regelmäßig beschneidet oder beschneiden lässt, mit der Folge, dass Äste und Zweige auf das Nachbargrundstück [X.], nicht der Fall. Denn er ist selbst für das Risiko verantwortlich, welches das Abschneiden der über die Grundstücksgrenze [X.]n Äste für die Standfestigkeit seines Baumes hat (siehe oben Rn. 25).

3. Eine Beschränkung der Befugnis des Beklagten, die auf sein Grundstück überhängenden Zweige abzuschneiden, kann sich allerdings aus naturschutzrechtlichen Regelungen ergeben. Insoweit wird das Berufungsgericht gegebenenfalls weitere Feststellungen zu treffen haben.

a) Das öffentliche Naturschutzrecht, auch [X.]- und Gemeinderecht, kann dazu führen, dass die Ausübung des [X.]s aus § 910 Abs. 1 Satz 2 [X.] gehindert ist; insbesondere sind die Verbote wirksamer Baumschutzsatzungen auch von dem Nachbarn zu beachten. Keinen Einschränkungen unterliegt die Befugnis zur Ausübung des [X.]s des § 910 [X.] hingegen, wenn der beeinträchtigte Grundstückseigentümer mit Erfolg eine Ausnahmegenehmigung für die Beseitigung der [X.] beantragen kann. Ob das der Fall ist, müssen die Zivilgerichte, ebenso wie das Bestehen des Verbots, selbständig prüfen (vgl. zum Ganzen [X.], Urteil vom 14. Juni 2019 - [X.], [X.] 2019, 851 Rn. 14 f. mwN).

b) Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob der auf dem Grundstück der Kläger stehende Baum nach den einschlägigen naturschutzrechtlichen Vorschriften, namentlich nach der Verordnung zum Schutze des Baumbestandes in [X.] ([X.] - GVBl. 1982, 250; zuletzt geändert durch Verordnung vom 8. Mai 2019, GVBl. [X.]) geschützt ist. Zu diesem Punkt, der bislang aus Sicht des Berufungsgerichts keine Rolle gespielt hat, wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben sein. Ergibt die anschließende Prüfung, dass das Abschneiden der Zweige nach der [X.] grundsätzlich verboten ist und eine Befreiungsmöglichkeit von dem Verbot nicht besteht, ist das [X.] des Beklagten aus § 910 Abs. 1 Satz 2 [X.] ausgeschlossen. Wird die Befreiungsmöglichkeit dagegen bejaht, hätten die Kläger das Abschneiden der Zweige unter der Voraussetzung zu dulden, dass eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, was in dem Tenor zum Ausdruck kommen müsste. Der Beklagte wäre dann befugt, selbst eine Ausnahme von dem baumschutzrechtlichen Verbot zu beantragen und im Streit darüber den Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten (vgl. zum Ganzen [X.], Urteil vom 14. Juni 2019 - [X.], [X.] 2019, 851 Rn. 15 mwN).

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Brückner

      

Haberkamp     

      

[X.]     

      

Meta

V ZR 234/19

11.06.2021

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Berlin, 9. September 2019, Az: 51 S 17/18

§ 910 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.06.2021, Az. V ZR 234/19 (REWIS RS 2021, 5060)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 928-929 NJW 2021, 2882 REWIS RS 2021, 5060

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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