Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.03.2021, Az. 1 C 28/20

1. Senat | REWIS RS 2021, 7335

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Gegenstand

Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch langjährige Behandlung als Deutscher und Erstreckung auf Abkömmlinge


Leitsatz

1. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch langjährige Behandlung als deutscher Staatsangehöriger nach § 3 Abs. 2 Satz 1 StAG erstreckt sich gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 StAG kraft Gesetzes auf Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von dem Begünstigten ableiten, ohne dass es darauf ankommt, ob diese ihrerseits die Behandlung des Begünstigten als deutscher Staatsangehöriger zu vertreten haben.

2. Der Erstreckungserwerb der Abkömmlinge nach § 3 Abs. 2 Satz 4 StAG wirkt auf den Zeitpunkt ihrer Geburt zurück. Sein Fortbestand hängt nicht davon ab, dass der Abkömmling in dem Zeitraum, auf den sich die Rückwirkung bezieht, keinen staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlusttatbestand erfüllt hat.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen den Beschluss des [X.] für das [X.] vom 24. März 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren die Feststellung, dass sie [X.] Staatsangehörige sind, und die Ausstellung von [X.]n.

2

Der im April ... in [X.] ehelich geborene Kläger und seine nichteheliche Tochter, die im September 2011 in [X.] geborene Klägerin, sind (jedenfalls) [X.] Staatsangehörige. Beide sind in einer ununterbrochenen väterlichen Linie Nachfahren des im August 1832 in .../preußische [X.] geborenen [X.], der 1853 nach [X.] ausgewandert war ([X.] des [X.]). Der Kläger hat nach eigenen Angaben von 2000 bis 2001 in [X.] Militärdienst geleistet.

3

Am 3. April 2003 stellte das [X.] dem Kläger und seinem Vater, dem 1947 in [X.] geborenen [X.], bis zum 2. April 2013 gültige [X.] aus. Dabei nahm es an, der Kläger und sein Vater hätten die [X.] Staatsangehörigkeit jeweils mit ihrer ehelichen Geburt durch Abstammung väterlicherseits erworben.

4

Aus Anlass eines Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahrens der Schwester des Vaters des [X.] vermerkte das [X.] am 18. August 2009 in der Akte des [X.], der Staatsangehörigkeitsausweis sei rechtswidrig ausgestellt worden. Diesem Vermerk lag eine Änderung seiner Rechtsauffassung zum Fortbestehen der [X.]n Staatsangehörigkeit bei Nachfahren [X.]r Einwanderer in [X.] zugrunde. Sie beruhte auf der Feststellung des Berufungsgerichts in einem anderen Verfahren, wonach die im 19. Jahrhundert nach [X.] ausgewanderten [X.]n Reichsangehörigen während der Geltung des [X.] 1870 nur in sehr geringem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, einen Staatsangehörigkeitsverlust durch Eintragung in das Matrikelbuch eines Reichskonsulats in [X.] abzuwenden ([X.], Beschluss vom 9. Januar 2008 - 12 A 1842/06 - juris Rn. 6).

5

Im Dezember 2011 beantragte die Klägerin, vertreten durch den Kläger und ihre Mutter, beim [X.] die Ausstellung eines [X.]s. Das [X.] verstand diesen Antrag zugleich auch als Antrag des [X.] in eigenem Namen. Es teilte dem Generalkonsulat ... im April 2012 per E-Mail mit, dass es die Ausstellung der [X.] an den Kläger und seinen Vater im Jahr 2003 seit dem [X.] als rechtswidrig ansehe, und bat, "für die genannten Personen zunächst keine weiteren Pässe auszustellen". Bei einem erneuten Antrag sei zu prüfen, ob sie die [X.] Staatsangehörigkeit durch Ersitzung erworben hätten.

6

Mit Bescheid vom 23. Januar 2015, dem Kläger ausgehändigt im Honorarkonsulat [X.] am 14. März 2015, stellte das [X.] in Bezug auf beide Kläger fest, dass sie nicht [X.] Staatsangehörige seien.

7

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das [X.] zurück. Es führte aus, der 1853 ausgewanderte [X.] des [X.] habe seine Eigenschaft als [X.] nach § 15 Abs. 3 i.V.m. § 23 des Gesetzes vom 31. Dezember 1842 über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als [X.] Untertan sowie über den Eintritt in fremde [X.] durch zehnjährigen Aufenthalt im Ausland verloren. Eine dadurch etwa eintretende Staatenlosigkeit habe dieses Gesetz in Kauf genommen. Selbst wenn der [X.] aber bei Gründung des [X.]n Reiches 1871 noch im Besitz der [X.] Untertaneneigenschaft gewesen wäre, wäre ein Verlust sowohl bei diesem als auch bei dem 1877 geborenen Urgroßvater jedenfalls im Jahr 1881 nach § 21 [X.] 1870 durch zehnjährigen legitimationslosen Auslandsaufenthalt eingetreten. Ein Matrikelschein, mit dem der Verlust habe abgewendet werden können, sei nicht vorgelegt worden; ebenso fehle es an anderweitigen aussagekräftigen Indizien dafür, dass die die Staatsangehörigkeit erhaltenden Maßnahmen tatsächlich ergriffen worden seien.

8

Mit Urteil vom 21. November 2018 wies das [X.] die dagegen erhobene Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Kläger hätten die [X.] Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt erworben, weil ihre Vorfahren väterlicherseits, von denen sie ihre [X.] Staatsangehörigkeit ableiteten, bereits keine [X.] Staatsangehörigkeit (mehr) besessen hätten. Die Kläger hätten die [X.] Staatsangehörigkeit auch nicht durch Ersitzung erworben. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Vater des [X.] nach Ablauf seines bis 2. April 2013 gültig gewesenen [X.]s weiterhin als [X.]r Staatsangehöriger behandelt worden sei.

9

Im Berufungsverfahren haben die Kläger unter Vorlage entsprechender Kopien erstmals vorgetragen, dem Vater des [X.] ([X.]) sei noch im August 2014 vom Generalkonsulat ... ein bis August 2024 gültiger neuer Reisepass ausgestellt worden. Auch die Kläger hätten im Juni 2017 vom Generalkonsulat ... Reisepässe erhalten, gültig bis Juni 2027 (Kläger) bzw. bis Juni 2023 (Klägerin). Sie haben zudem eine im Juli 2014 vom Standesamt I in [X.] ausgestellte Geburtsurkunde der Klägerin in Kopie eingereicht.

Das Oberverwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 24. März 2020 die (Negativ-)Feststellung, dass die Kläger nicht [X.] Staatsangehörige seien, aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Klägern [X.] auszustellen. Die Kläger hätten die [X.] Staatsangehörigkeit am 4. April 2015 nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 4 [X.] dadurch erworben, dass das [X.] und das Generalkonsulat ... den Vater des [X.], der zuvor ausschließlich [X.]r Staatsangehöriger gewesen sei, seit dem 3. April 2003 - und damit zwölf Jahre lang - durchgängig als [X.]n Staatsangehörigen behandelt hätten. Ihm sei im April 2003 ein Staatsangehörigkeitsausweis und im August 2014 ein Reisepass ausgestellt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die amtliche Behandlung des Vaters des [X.] als [X.]r Staatsangehöriger nicht vor dem 4. April 2015 dadurch beendet worden, dass das Generalkonsulat dem Kläger am 14. März 2015 im Honorarkonsulat [X.] den ausschließlich an ihn selbst und die Klägerin gerichteten, hier streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Januar 2015 habe aushändigen lassen. Es sei schon nicht feststellbar, dass der Vater zwischen der Aushändigung an den Kläger am 14. März 2015 und dem Ablauf des [X.] am 3. April 2015 überhaupt Kenntnis vom Inhalt des Bescheides erlangt habe. Der Vater des [X.] habe diese Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger in der [X.] von April 2003 bis April 2015 nicht zu vertreten. Eine etwaige Obliegenheitsverletzung des [X.] sei seinem Vater als staatsangehörigkeitsrechtlich eigenständig handlungsfähiger Person nicht zuzurechnen. Der damit rückwirkend eingetretene Staatsangehörigkeitserwerb des Vaters des [X.] erstrecke sich nach § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] auch auf die Kläger als Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von dem Vater ableiteten. Dem Wortlaut und dem Zweck des Satzes 4 ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der dort geregelte Erstreckungserwerb des Abkömmlings ebenso wie der Vertrauensschutzerwerb des Stammberechtigten nach Satz 1 von dem ausschließlich dort erwähnten negativen Tatbestandsmerkmal des Nichtvertretenmüssens abhänge. Ebenso wenig stehe es dem gesetzlichen Erstreckungserwerb entgegen, wenn der Kläger in der [X.] bis zum 4. April 2015 - etwa mit dem Eintritt in die [X.] eines ausländischen Staates - Verlusttatbestände verwirklicht hätte, mit der Folge, dass eine mit Geburt erworbene [X.] Staatsangehörigkeit bei hypothetisch-rückschauender Betrachtung vor dem 4. April 2015 verloren gegangen wäre.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 3 [X.]. Die Auslegung dieser Vorschrift durch das Berufungsgericht unterlaufe das Gesetzesziel, Ersitzungstatbestände auf Gutglaubensfälle zu beschränken. Es fehle beim Vater des [X.] bereits an einer zwölfjährigen durchgängigen Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger. Der ihm erteilte Staatsangehörigkeitsausweis habe weder bindende noch über den 2. April 2013 hinausreichende Wirkung gehabt. Erst am 10. August 2014 sei dem Vater ein [X.]r Reisepass ausgestellt worden. Selbst wenn aber beim Vater des [X.] von einer Ersitzung der [X.]n Staatsangehörigkeit infolge einer durchgehenden "Deutschenbehandlung" auszugehen wäre, habe einer Erstreckung dieses Erwerbs auf die Kläger jedenfalls deren böser Glaube entgegengestanden. Dass dies den Erstreckungserwerb nicht hindere, entspreche weder der Intention des Gesetzgebers noch sei diese Auslegung aufgrund des Wortlauts der Norm geboten.

Die Kläger verteidigen den angegriffenen Beschluss.

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Rechtsauffassung der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung der gegenteiligen (Negativ-)Feststellung verpflichtet festzustellen, dass die Kläger [X.] Staatsangehörige sind, bzw. ihnen [X.] auszustellen. Seine Rechtsauffassung, die Kläger hätten die [X.] Staatsangehörigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] erworben, steht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

Die Klage ist - wie im Berufungsurteil ausgeführt - als kombinierte Verpflichtungs- und Anfechtungsklage statthaft. Sie ist primär auf die in § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] vorgesehene verbindliche behördliche Feststellung der [X.]n Staatsangehörigkeit gerichtet; zugleich begehren die Kläger zulässigerweise die Aufhebung der von Amts wegen möglichen (§ 30 Abs. 1 Satz 3 [X.]), hier vom [X.] ausdrücklich getroffenen, selbstständig belastenden Feststellung, dass sie nicht [X.] Staatsangehörige sind. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere fehlt dem Kläger nicht deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil ihm das [X.] bereits am 3. April 2003 einen für zehn Jahre gültigen Staatsangehörigkeitsausweis ausgestellt hatte. Denn dieser Staatsangehörigkeitsausweis hatte nach der seinerzeit geltenden Rechtslage nur den Charakter einer widerlegbaren Vermutung (vgl. [X.], Urteil vom 19. Februar 2015 - 1 C 17.14 - [X.]E 151, 245 Rn. 13 f.). Ein verbindliches behördliches Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren hat der Gesetzgeber erst mit § 30 [X.] in der Fassung von Art. 5 Nr. 19 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom 19. August 2007 ([X.] I S. 1970) geschaffen.

Die Klage ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Kläger am 4. April 2015 die [X.] Staatsangehörigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Satz 1 [X.] mit Rückwirkung auf den [X.]punkt ihrer Geburt dadurch erworben haben, dass [X.] Stellen den Vater des [X.] seit dem 3. April 2003 - und damit zwölf Jahre lang - als [X.]n Staatsangehörigen behandelt haben, ohne dass dieser seine Behandlung als [X.] zu vertreten hatte. Die Kläger haben die [X.] Staatsangehörigkeit nicht schon im Wege des (regulären) Abstammungserwerbs nach § 4 Abs. 1 [X.] bei Geburt erworben (dazu 1.). Der Vater des [X.], der zuvor ausschließlich [X.] Staatsangehöriger war, ist aber durch die langjährige irrtümliche Behandlung als [X.] nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 3 [X.] rückwirkend zum [X.]punkt seiner Geburt im Jahr 1947 [X.]r Staatsangehöriger geworden (dazu 2.). Dessen Staatsangehörigkeitserwerb erstreckt sich gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] kraft Gesetzes auf die Kläger als Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von ihm ableiten (dazu 3. und 4.).

Maßgeblich für die Prüfung des Anspruchs auf behördliche Feststellung der [X.]n Staatsangehörigkeit ist die gegenwärtige Rechtslage ([X.], Urteil vom 1. Juni 2017 - 1 C 16.16 - NVwZ 2017, 1312 Rn. 10). Die rechtliche Beurteilung richtet sich damit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz - [X.] - in der aktuell geltenden Fassung, zuletzt geändert durch Art. 4 der [X.] vom 19. Juni 2020 ([X.] I S. 1328), soweit sich aus dem anzuwendenden materiellen Recht nichts Abweichendes ergibt.

1. Einem Staatsangehörigkeitserwerb der Kläger durch Geburt nach § 4 Abs. 1 [X.] steht entgegen, dass schon der Vater des [X.] die [X.] Staatsangehörigkeit nicht im Wege des Abstammungserwerbs durch eheliche Geburt nach § 4 Abs. 1 [X.][X.] 1913 in der zum [X.]punkt seiner Geburt im August 1947 geltenden Fassung erworben hat. Nach dieser Vorschrift erwarb das eheliche Kind eines [X.] durch die Geburt die Staatsangehörigkeit des [X.]. Hiernach hat der Vater des [X.] die [X.] Staatsangehörigkeit nicht erworben, weil bereits der Großvater väterlicherseits des [X.], der 1910 in [X.] geborene [X.], die [X.] Staatsangehörigkeit (die als "Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate" gemäß § 1 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 - [X.] 1870 - die Bundeszugehörigkeit vermittelte), nicht mehr durch Geburt nach § 3 [X.] 1870 erwerben konnte. Auch nach dieser Regelung erwarben durch die Geburt, auch wenn diese im Ausland erfolgte, eheliche Kinder eines (Nord-)[X.] die Staatsangehörigkeit des [X.]. Der Großvater des [X.], [X.], konnte indes bei seiner Geburt im Jahr 1910 von seinem Vater, dem im März 1877 in B./[X.] geborenen [X.], die [X.] Staatsangehörigkeit nicht ableiten, weil dieser im Geburtszeitpunkt seines [X.] jedenfalls nicht mehr [X.]r Staatsangehöriger war.

Der Senat lässt mit dem Berufungsgericht offen, ob der 1853 ausgewanderte [X.] des [X.], H. [X.], seine Eigenschaft als "[X.]r Untertan" bereits nach § 23 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als [X.]r Untertan sowie über den Eintritt in fremde [X.] vom 31. Dezember 1842 infolge seines mehr als zehnjährigen Aufenthalts im Ausland verloren hatte, mit der Folge, dass sein 1877 geborener Sohn [X.] die [X.] Staatsangehörigkeit schon nicht durch Abstammung erworben hätte. Denn selbst wenn [X.] mit seiner Geburt im Jahr 1877 die [X.] Staatsangehörigkeit bzw. Bundeszugehörigkeit noch erworben haben sollte, so hätte er diese nach § 21 Abs. 2 [X.] 1870, jedenfalls aber nach § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] 1870 spätestens zehn Jahre nach Erreichen der Volljährigkeit mit damals noch 21 Jahren, also im März 1908 - und damit vor der Geburt seines [X.] F. im Jahr 1910 - verloren.

Nach § 21 Abs. 1 [X.] 1870 verloren "(Nord-)[X.], welche das [X.] verlassen und sich zehn Jahre lang ununterbrochen im Ausland aufhalten", dadurch ihre Staatsangehörigkeit. Die Frist wurde "von dem [X.]punkte des Austritts aus dem [X.]e oder, wenn der Austretende sich im Besitz eines Reisepapieres oder [X.] befindet, von dem [X.]punkte des Ablaufs dieser Papiere an gerechnet." Sie wurde unterbrochen durch die Eintragung in die Matrikel eines Bundeskonsulats. Bei Minderjährigen, die sich ohne ihre Eltern im Ausland aufhielten, wurde nach damaliger Praxis von einem Fristlauf erst ab erreichter Volljährigkeit ausgegangen (vgl. etwa Grill, [X.] über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit und über die Freizügigkeit, 2. Aufl. 1901, [X.]). Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass § 21 Abs. 1 [X.] 1870 auch auf im Ausland geborene Kinder von Auswanderern Anwendung fand (dazu näher [X.], Beschluss vom 6. Juni 2012 - 19 A 1170/11 - [X.] [X.], 93 ff. = juris Rn. 33-41). § 21 Abs. 2 [X.] 1870 bestimmte zudem, dass sich der nach Abs. 1 eingetretene Verlust der Staatsangehörigkeit zugleich auf die Ehefrau und auf diejenigen Kinder erstreckte, deren gesetzliche Vertretung dem [X.] kraft elterlicher Gewalt zustand, soweit sich die Ehefrau oder die Kinder bei dem [X.] befanden.

Nach diesen Regelungen hat der 1877 geborene Urgroßvater des [X.] [X.] eine bis dahin in der [X.] etwa erhalten gebliebene [X.] Staatsangehörigkeit bzw. Bundeszugehörigkeit wahrscheinlich schon gemäß § 21 Abs. 2 [X.] 1870 aufgrund Erstreckung eines bei seinem Vater, dem 1853 ausgewanderten H. [X.], nach § 21 Abs. 1 [X.] eingetretenen Verlusts verloren; spätestens wäre der Verlust aber zehn Jahre nach Erreichen der eigenen Volljährigkeit, also im März 1908 gemäß § 21 Abs. 1 [X.] 1870 eingetreten. Denn nach den Feststellungen des [X.] ist nicht davon auszugehen, dass namentlich der 1877 geborene [X.] von den Möglichkeiten zur Abwendung des Staatsangehörigkeitsverlusts Gebrauch gemacht hatte; insbesondere hat eine - nach § 21 Abs. 1 Satz 3 [X.] 1870 fristunterbrechende - Eintragung in die Matrikel eines Bundeskonsulats, für die die Kläger die Beweislast tragen, nicht festgestellt werden können (vgl. näher [X.] 11).

2. Der Vater des [X.] hat die [X.] Staatsangehörigkeit jedoch nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 3 [X.] dadurch erworben, dass [X.] Stellen ihn irrtümlich zwölf Jahre lang als [X.]n Staatsangehörigen behandelt haben (2.1.), ohne dass er dies zu vertreten hatte (2.2.). Er ist dadurch rückwirkend zum [X.]punkt seiner Geburt [X.]r Staatsangehöriger geworden (2.3.).

Diese Regelung, nach der die [X.] Staatsangehörigkeit gewissermaßen durch "Ersitzung" erworben werden kann, ist mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom 19. August 2007 ([X.] I S. 1970) in das Staatsangehörigkeitsgesetz aufgenommen worden. Sie dient dem Vertrauensschutz des Einzelnen und der Gewährleistung von Rechtssicherheit, vor allem in den Bereichen, in denen die [X.] Staatsangehörigkeit Voraussetzung weiterer Rechte ist, etwa beim Wahlrecht oder im Beamtenrecht (siehe auch [X.]. 16/5065, [X.]). Der Staatsangehörigkeitserwerb nach § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] setzt voraus, dass der Betroffene seit zwölf Jahren von [X.]n Stellen als [X.]r Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat. Er findet nur auf Personen Anwendung, die - wie der Vater des [X.] - nicht ohnehin bereits die [X.] Staatsangehörigkeit besitzen, die also zu Unrecht als [X.] Staatsangehörige behandelt werden. Nicht erforderlich ist, dass der Betroffene einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] hat; die Regelung kommt auch Auslands[X.]n zugute (vgl. etwa [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (Hrsg.), Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 3 Rn. 7).

2.1. Der Vater des [X.] ist zwölf Jahre lang von [X.]n Stellen als [X.]r Staatsangehöriger behandelt worden.

a) [X.] Stellen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] sind Verwaltungsbehörden oder Selbstverwaltungsorgane, die unmittelbar oder mittelbar mit der Prüfung der Staatsangehörigkeit des Betroffenen befasst sind. Dazu zählen neben den [X.] und den mit konsularischen Angelegenheiten befassten Stellen des [X.] vor allem die Pass-, Ausweis- und Meldebehörden und die Standesämter. Eine Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger liegt insbesondere in der Ausstellung eines [X.]s, Reisepasses oder Personalausweises (§ 3 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Die Behandlung als [X.] muss "seit zwölf Jahren" andauern. Sie darf demnach keine Unterbrechung aufweisen und muss bei Inkrafttreten der Norm am 28. August 2007 noch fortdauern (vgl. [X.]. 16/5065, [X.]; [X.], in: [X.], Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 39). Eine Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger endet, wenn dem Betroffenen von einer [X.]n Stelle im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] Zweifel am Bestehen seiner [X.]n Staatsangehörigkeit mitgeteilt werden. Das gilt insbesondere, wenn ihm ein Bescheid dieser Stellen bekannt gegeben wird, in dem vom Nichtbestehen der [X.]n Staatsangehörigkeit ausgegangen wird, aber auch schon dann, wenn ihm eine zuständige [X.] Stelle Umstände zur Kenntnis bringt, die zu einer anderweitigen staatsangehörigkeitsrechtlichen Bewertung führen (können) und/oder ein [X.] offenen Ausgangs eingeleitet wird (vgl. [X.], in: [X.], Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 38; [X.], Urteil vom 7. August 2017 - 10 K 5358/15 - juris Rn. 25). Die fortdauernde Gültigkeit eines der in § 3 Abs. 2 Satz 2 [X.] aufgeführten Dokumente steht der [X.] in derartigen Fällen jedenfalls dann nicht entgegen, wenn diesen nur Indizwirkung für das Bestehen der [X.]n Staatsangehörigkeit zukommt, wie dies bei Personalausweisen, Reisepässen und vor dem Inkrafttreten des § 30 [X.] in der Fassung von Art. 5 Nr. 19 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom 19. August 2007 ([X.] I S. 1970) ausgestellten [X.]n der Fall ist.

b) Nach diesen Maßstäben ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Vater des [X.] am 4. April 2015 seit zwölf Jahren durchgehend irrtümlich von [X.]n Stellen als [X.]r Staatsangehöriger behandelt worden ist. Denn ihm ist nach den für das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts am 3. April 2003 vom [X.] ein bis 2. April 2013 gültiger Staatsangehörigkeitsausweis und am 10. August 2014 vom Generalkonsulat ... ein bis zum 9. August 2024 gültiger Reisepass ausgestellt worden. Beide Behörden sind zuständige [X.] Stellen im Sinne des Erwerbstatbestands, wie sich bereits aus § 3 Abs. 2 Satz 2 [X.] rückschließen lässt. Sie dürfen [X.] und Reisepässe nur [X.]n Staatsangehörigen ausstellen und haben das Bestehen der [X.]n Staatsangehörigkeit vor der Ausstellung derartiger Dokumente folglich in geeigneter Weise zu prüfen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es an einer durchgängigen Behandlung als [X.] nicht deshalb, weil der dem Vater des [X.] erteilte Staatsangehörigkeitsausweis im April 2013 seine Gültigkeit verloren hat und ihm erst im August 2014 ein Reisepass ausgestellt worden ist. Diese zeitliche Lücke begründet jedenfalls hier keine anspruchsschädliche Unterbrechung. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der Ausstellung des Reisepasses durch das Generalkonsulat ... im August 2014 erneut derselbe Rechtsirrtum zugrunde lag, auf dem bereits die Ausstellung des [X.]s beruhte. Mangels zwischenzeitlicher Änderung der staatsangehörigkeitsrechtlich relevanten Verhältnisse musste hiervon auch der Vater des [X.] ausgehen, auf dessen Sicht im Hinblick auf den Vertrauensschutzcharakter des § 3 Abs. 2 [X.] maßgeblich abzustellen ist. Fehlt es aber an tatsächlichen Umständen, die die Möglichkeit eines Staatsangehörigkeitserwerbs erst in der [X.] zwischen den beiden "Behandlungen" als [X.] begründen könnten, darf der Betroffene aus einer erneuten Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger schließen, dass ihn die zuständigen [X.]n Stellen auch weiterhin als [X.]n Staatsangehörigen betrachten. Damit wird eine zeitliche Lücke, in der sich dieser nicht im Besitz eines [X.] vorbehaltenen Dokuments befindet, jedenfalls geschlossen. Ob bereits die einmalige Ausstellung eines solchen Dokuments mit einer Gültigkeit von weniger als zwölf Jahren ausreichen kann, um nach Ablauf von zwölf Jahren den Erwerbstatbestand zu erfüllen (dagegen etwa [X.] [X.]/[X.], [X.]. 01.01.2021, § 3 [X.] Rn. 46a), bedarf hier keiner Entscheidung.

Im Einklang mit Bundesrecht steht auch die Würdigung des Berufungsgerichts, die Behandlung des [X.] des [X.] als [X.]r Staatsangehöriger sei nicht vor dem Ablauf von zwölf Jahren Anfang April 2015 dadurch beendet worden, dass das Generalkonsulat dem Kläger am 14. März 2015 im Honorarkonsulat C./[X.] den ausschließlich an die beiden Kläger gerichteten Bescheid vom 23. Januar 2015 hat zustellen lassen. Eine - vertrauensbegründende - Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger durch eine [X.] Stelle kann schon grundsätzlich nicht durch eine Amtshandlung beendet werden, die gegenüber einem Dritten ergeht, ohne dass die genannte Stelle (auch) den Betroffenen darüber in Kenntnis setzt. Dass die Beklagte auch den Vater des [X.] vom Inhalt des Bescheides informiert hätte, hat das Berufungsgericht indes weder festgestellt noch wird dies von der Beklagten geltend gemacht.

2.2. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Vater des [X.] seine zwölfjährige Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger nicht zu vertreten hat (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz [X.]). Diese Voraussetzung bezieht sich auf den Grund für die rechtsirrige Behandlung als [X.]. Dieser Grund darf - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt - nicht in unzutreffenden oder unvollständigen Angaben des Ausländers über tatsächliche Umstände aus seinem persönlichen Lebensbereich liegen, die Gegenstand seiner staatsangehörigkeitsrechtlichen Mitwirkungspflicht nach § 37 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind (vgl. auch [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 3 Rn. 8 sowie [X.]. 16/5065, [X.]).

Auf der Grundlage der im [X.] getroffenen, für das [X.] nach § 137 Abs. 2 VwGO grundsätzlich bindenden Tatsachenfeststellungen ist die Würdigung des Berufungsgerichts, der Vater des [X.] habe seine Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger nicht zu vertreten, nicht zu beanstanden. Danach ist der maßgebende Grund für dessen irrtümliche Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger die früher vertretene Rechtsauffassung der Beklagten gewesen, dass sich die Beweisnot vieler Nachfahren von [X.]n Einwanderern in [X.] (in Bezug auf die Vornahme einer Matrikeleintragung im Sinne von § 21 [X.] 1870) nicht zu deren Lasten auswirken dürfe. Diese - später revidierte - Rechtsauffassung hat der Vater des [X.] nicht veranlasst; sie ist ausschließlich der [X.] der Beklagten zuzurechnen, zumal vom betroffenen Ausländer regelmäßig keine besseren Kenntnisse des [X.]n Staatsangehörigkeitsrechts und der historischen Tatsachengrundlagen erwartet werden können als von den mit der Prüfung staatsangehörigkeitsrechtlicher Fragen befassten Behörden. Ob Bösgläubigkeit automatisch ein Vertretenmüssen begründet und insbesondere eine allgemeine Hinweisobliegenheit auch auf rechtserhebliche Umstände besteht, die den zuständigen staatlichen Stellen bereits verfügbar sind (verneinend [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 3 Rn. 8; [X.] [X.]/[X.], § 3 [X.] Rn. 55; [X.], Urteil vom 27. August 2009 - 1 A 560/09 -, [X.] 2010, 115 ff. = juris Rn. 29), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, es sei nicht feststellbar, dass der Vater des [X.] in dem kurzen [X.]raum vom 14. März 2015 (Zustellung des Bescheides vom 23. Januar 2015 an die Kläger) bis zum 3. April 2015 (Ablauf des [X.]) vom Inhalt des Bescheides Kenntnis erlangt hätte. An diese Feststellung, gegen die die Beklagte keine Verfahrensrüge erhoben hat, ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.

Ob der Kläger selbst die zwölfjährige Behandlung seines [X.] als [X.] zu vertreten hat, kann an dieser Stelle offenbleiben, weil dies der Ersitzung der [X.]n Staatsangehörigkeit durch seinen Vater nicht entgegenstünde. Einer staatsangehörigkeitsrechtlich eigenständig handlungsfähigen Person (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 1 [X.]) kann das Verhalten eines nicht ausdrücklich zur Vertretung ermächtigten Familienangehörigen nicht zugerechnet werden. Dass der Kläger zur Vertretung seines [X.] ermächtigt gewesen wäre, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und macht die Beklagte auch nicht geltend.

2.3. Erfüllte der Vater des [X.] damit am 4. April 2015 die Voraussetzungen für eine Ersitzung der [X.]n Staatsangehörigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.], ist er damit rückwirkend auf den [X.]punkt seiner Geburt im Jahr 1947 [X.]r Staatsangehöriger geworden. Denn nach § 3 Abs. 2 Satz 3 [X.] wirkt der Erwerb der Staatsangehörigkeit auf den irrig angenommenen Erwerbszeitpunkt - hier also den [X.]punkt der Geburt des [X.] des [X.] - zurück.

3. Der Staatsangehörigkeitserwerb des [X.] des [X.] erstreckt sich gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] auf den Kläger als Abkömmling, der seither seine Staatsangehörigkeit von jenem ableitet. Auch bei dem Erstreckungserwerb handelt es sich um einen rückwirkenden Staatsangehörigkeitserwerb (3.1.). Dieser hängt nicht davon ab, dass der Abkömmling seinerseits die Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger nicht zu vertreten hat (3.2.). Der Staatsangehörigkeitserwerb aufgrund Erstreckung besteht in dem für die begehrte Feststellung in tatsächlicher Hinsicht maßgeblichen [X.]punkt der Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. [X.], Urteil vom 1. Juni 2017 - 1 C 16.16 - NVwZ 2017, 1312 Rn. 10) unabhängig davon fort, ob der Kläger vor dem Eintreten der Erstreckungswirkung im April 2015 durch einen freiwilligen Eintritt in die [X.] einen Verlusttatbestand verwirklicht hat (3.3.).

3.1. § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] stellt ausdrücklich klar, dass sich ein Staatsangehörigkeitserwerb nach § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] kraft Gesetzes auf Abkömmlinge erstreckt, die seither - also seit dem [X.]punkt, auf den der Erwerb der Staatsangehörigkeit zurückwirkt - ihre Staatsangehörigkeit von dem nach Satz 1 Begünstigten ableiten. Diese Regelung überlagert einen schon aufgrund der Rückwirkung des Ersitzungserwerbs des Stammberechtigten etwa eintretenden Abstammungserwerb der Staatsangehörigkeit durch die seither geborenen Abkömmlinge. Damit wird der nach Satz 1 Begünstigte auch hinsichtlich seiner Abkömmlinge zumindest so gestellt, wie er stünde, wenn die irrige Annahme der Behörden, er sei [X.]r Staatsangehöriger, von Beginn an zugetroffen hätte. Auch der Erstreckungserwerb der Abkömmlinge wirkt mithin auf den [X.]punkt von deren Geburt zurück. Nach verbreiteter Auffassung geht der Zweck des in § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] vorgesehenen [X.] noch darüber hinaus und sollen generell sämtliche Abkömmlinge, die nach dem [X.]punkt, auf den die Staatsangehörigkeit des [X.] zurückwirkt, geboren wurden, [X.] Staatsangehörige werden. Darauf, ob diese nach der allgemeinen Regelung des Abstammungserwerbs in der im Geburtszeitpunkt des Abkömmlings geltenden Fassung die Staatsangehörigkeit von jenem ableiten könnten, soll es nicht ankommen (vgl. etwa [X.], [X.], Stand: September 2020, § 3 Rn. 63-67; [X.], in: [X.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 3 [X.] Rn. 11; [X.] [X.]/[X.], [X.]. 01.01.2021, § 3 [X.] Rn. 59). Mit dieser - überkompensierenden - Auslegung soll die fortdauernde Anwendung gleichheitswidriger früherer Fassungen des heute in § 4 Abs. 1 [X.] geregelten Abstammungserwerbs vermieden werden. Anlässlich des [X.] bedarf keiner Entscheidung, inwieweit dem zu folgen ist (zur Problematik der "hypothetischen Betrachtung" auch in Anwendung gleichheitswidrigen Staatsangehörigkeitsrechts s. [X.], [X.] vom 20. Mai 2020 - 2 BvR 2628/18 -, [X.] 2020, 285). Denn als eheliches Kind von [X.], das bei Erfüllung der Erwerbsvoraussetzungen durch seinen Vater am 4. April 2015 bereits geboren war, ist der Kläger dessen Abkömmling und leitet seither seine Staatsangehörigkeit von seinem Vater ab, ohne dass es darauf ankommt, auf welche Fassung des § 4 Abs. 1 ([X.])[X.] für diese Frage abzustellen ist.

3.2. Im Einklang mit Bundesrecht steht auch die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Erstreckung des Staatsangehörigkeitserwerbs auf Abkömmlinge nach § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] hänge nicht von der zusätzlichen Voraussetzung ab, dass (auch) der Abkömmling die Behandlung (des Vorfahren) als [X.]r Staatsangehöriger nicht zu vertreten hat. Der Einwand der Revision, die "Bösgläubigkeit" des [X.] im [X.]punkt des Ersitzungserwerbs seines [X.] stehe der Erstreckung dieses Erwerbs auf ihn selbst entgegen, greift daher schon aus diesem Grund nicht durch.

Für die Unerheblichkeit eines Vertretenmüssens des Abkömmlings streitet mit erheblichem Gewicht schon der Wortlaut der Vorschrift. Danach "erstreckt sich" der Staatsangehörigkeitserwerb "auf Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von dem nach Satz 1 Begünstigten ableiten." Dies legt nahe, dass der Erstreckungserwerb von keinen weiteren Voraussetzungen abhängig sein soll. Die systematische Auslegung bestätigt diesen Befund. Zum einen ist das Tatbestandsmerkmal des "Nichtvertretenmüssens" ausdrücklich nur in § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] als den Ersitzungserwerb hindernd erwähnt und hat der Gesetzgeber von einer solchen Voraussetzung bei der in § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] geregelten Erstreckung auf Abkömmlinge gerade abgesehen. Zum anderen meint "Erstreckung" des Staatsangehörigkeitserwerbs auf Abkömmlinge auch in anderen Vorschriften deren automatischen Staatsangehörigkeitserwerb, ohne dass auch in ihrer Person die Voraussetzungen für den Staatsangehörigkeitserwerb des Stammberechtigten ganz oder teilweise vorliegen müssten (vgl. etwa § 6 Satz 2 [X.]; siehe auch [X.], Urteil vom 6. April 2006 - 5 C 21.05 - [X.] 130.0 [X.]StAÄndG Nr. 5 Rn. 16 mit weiteren Beispielen).

Weder die Begründung des Gesetzentwurfs noch die teleologische Auslegung führen mit hinreichender Klarheit zu einem anderen Ergebnis. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung: "Soweit jemand jedoch wissentlich auf die Umstände eingewirkt hat, die [X.] Stellen dazu veranlasst haben, ihn bisher als [X.]n Staatsangehörigen zu behandeln, ist der Erwerb nach § 3 Abs. 2 ausgeschlossen" (vgl. [X.]. 16/5065, [X.]). Daraus ergibt sich - auch unter Berücksichtigung der unmittelbar zuvor erwähnten Erstreckung auf Abkömmlinge - indes nicht eindeutig, dass der Gesetzgeber diesen Satz trotz Fehlens eines entsprechenden Hinweises im Gesetzestext auch auf die Abkömmlinge bezogen wissen wollte. Da die Formulierung auf eine eigene Behandlung als [X.]r Staatsangehöriger abhebt, erfasst sie ausdrücklich nur den "Betroffenen", also denjenigen, der die Staatsangehörigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] durch langjährige Behandlung als [X.] erwirbt. Die Erstreckung des Erwerbs auf Abkömmlinge setzt nach Wortlaut und Zweck des § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] nicht voraus, dass der Abkömmling jemals selbst als [X.]r Staatsangehöriger behandelt worden ist. Der Sinn und Zweck des [X.] ist mangels anderweitiger klarer Angaben in der Gesetzesbegründung darin zu sehen, durch ausdrückliche Anordnung sicherzustellen, dass sich der rückwirkende Staatsangehörigkeitserwerb des [X.] auch bei den Abkömmlingen im Wesentlichen so fortsetzt, wie dies der Fall gewesen wäre, wenn die der Behandlung als [X.] zugrundeliegenden irrtümlichen Annahmen von vornherein zugetroffen hätten. Dann aber kann ohne ausdrückliche Anordnung im Gesetz nicht davon ausgegangen werden, dass die Erstreckung auf Abkömmlinge weiteren ungeschriebenen Einschränkungen unterliegt. Der vorliegende Fall gibt dabei keinen Anlass zu erörtern, ob der Erstreckungserwerb auch gegen den zuvor erklärten Willen des Abkömmlings erfolgt oder hierauf in entsprechender Anwendung des § 26 [X.] bereits für den Erwerbszeitpunkt verzichtet werden kann.

3.3. Dem Fortbestand des rückwirkenden Staatsangehörigkeitserwerbs des [X.] bis zum maßgeblichen [X.]punkt steht auch nicht entgegen, dass dieser nach eigenen Angaben von 2000 bis 2001 in [X.] Militärdienst geleistet hat. Ob er damit den [X.] des § 17 Nr. 5 i.V.m. § 28 [X.] (freiwilliger Eintritt in fremde Streitkräfte) verwirklicht hat, ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen nicht zu beurteilen. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob es sich bei der Militärdienstleistung des [X.] um einen freiwilligen Eintritt in die [X.] gehandelt hat oder er nur einer Wehrpflicht nachgekommen ist. Dies bedarf aber auch keiner weiteren Klärung. Denn das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Verwirklichung eines derartigen [X.]es in dem [X.]raum, in dem der Abkömmling infolge der Erstreckung lediglich rückwirkend in den Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit gelangt, deren weiteren Fortbestand nicht hindert. Zwar liegt darin eine gewisse "Überkompensation", weil der Abkömmling bessergestellt wird, als er stünde, wenn der Stammberechtigte die [X.] Staatsangehörigkeit bereits auf der Grundlage des irrig angenommenen Erwerbstatbestandes tatsächlich erworben hätte. Gegen die Anwendbarkeit von [X.] in einem [X.]raum, in dem der Abkömmling erst nachträglich rückwirkend [X.]r Staatsangehöriger wird, dies aber während des tatsächlichen Erlebens dieses [X.]raums noch nicht war, bestehen hier aber durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken.

Der nach Art. 16 Abs. 1 GG aufgrund eines Gesetzes mögliche Verlust der [X.]n Staatsangehörigkeit setzt voraus, dass der [X.] Staatsangehörige den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge in zumutbarer Weise beeinflussen kann (vgl. [X.], Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - [X.]E 116, 24 <44>). Daraus hat das [X.] für den Verlusttatbestand des § 25 ([X.])[X.] gefolgert, dieser sei einschränkend dahin auszulegen, dass bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag die [X.] Staatsangehörigkeit nur verloren geht, wenn der Erwerber seine [X.] Staatsangehörigkeit kannte oder sie hätte kennen müssen. Denn nur dann hat dieser objektiv Anlass, von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen und bis zu deren Erhalt auf den Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit zu verzichten oder seinen Schritt noch einmal zu überdenken (vgl. [X.], Urteile vom 29. April 2010 - 5 C 5.09 - NVwZ-RR 2010, 658 und - 5 C 4.09 - juris Rn. 9, sowie Urteil vom 29. September 2010 - 5 C 20.09 - [X.] 130 § 25 [X.] Nr. 15 = juris Rn. 14 f.). Diese Erwägungen sind auf den [X.] des § 28 [X.] übertragbar. Auch hier hat nur Anlass, bei seiner Entscheidung über den Eintritt in fremde Streitkräfte seine [X.] Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen und sich gegebenenfalls um eine die Verlustfolge abwendende Zustimmung des [X.] zu bemühen, wer um seine [X.] Staatsangehörigkeit weiß. Diese Voraussetzung kann aber nicht erfüllt sein, wenn der Betroffene - wie hier - im [X.]punkt seines den Verlusttatbestand erfüllenden Verhaltens noch nicht einmal objektiv [X.]r Staatsangehöriger ist.

Unabhängig davon bedürfte die Berücksichtigung von [X.] während einer nur rückwirkenden Besitzzeit der [X.]n Staatsangehörigkeit zumindest einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung. Eine solche wäre aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, denen im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen [X.] erhebliche Bedeutung zukommt (vgl. zuletzt [X.], [X.] vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 - [X.] 2019, 390 Rn. 33; ebenso [X.], Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - [X.]E 116, 24 <45>), erforderlich. Eine derartige Regelung, wie sie etwa in § 3 Abs. 4 des [X.] von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 17. Mai 1956 ([X.] I S. 431) - 2. [X.] - vorgesehen war, enthält § 3 Abs. 2 [X.] aber nicht.

4. Auch die Klägerin hat als Abkömmling ihres Großvaters nach § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] rückwirkend auf den [X.]punkt ihrer Geburt die [X.] Staatsangehörigkeit erworben.

Der Begriff der "Abkömmlinge" erfasst auch die Kindeskinder (vgl. etwa zu Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG [X.], Urteil vom 11. Januar 1994 - 1 C 35.93 - [X.]E 95, 36 = juris Rn. 10 ff.). Die Klägerin ist damit Abkömmling ihres Großvaters; sie leitet auch seither ihre Staatsangehörigkeit - über das vermittelnde Glied ihres [X.] - von diesem ab, ohne dass es darauf ankommt, welche Fassung des § 4 Abs. 1 ([X.])[X.] dafür gegebenenfalls jeweils heranzuziehen ist. Mit Blick auf ihre nichteheliche Geburt bedarf es allerdings zur Geltendmachung des Staatsangehörigkeitserwerbs einer nach den [X.]n Gesetzen wirksamen Anerkennung oder Feststellung der [X.]chaft (§ 4 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Die Inbezugnahme der "[X.]n Gesetze" umfasst hierbei auch das Kollisionsrecht. Nach [X.]m internationalen Privatrecht richtet sich die Abstammung primär nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB; vgl. näher [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 4 Rn. 10). Nach dem damit primär maßgeblichen [X.] Recht ist die Klägerin Tochter des [X.]. Dies hat das Berufungsgericht zwar nicht ausdrücklich festgestellt. Nach Aktenlage ist dies aber hinreichend belegt und wird, wie sich auch aus der Revisionsbegründung der Beklagten und ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ergibt, von dieser nicht bezweifelt.

Der in § 4 Abs. 4 [X.] vorgesehene "Generationenschnitt" bei im Ausland geborenen Kindern steht der Ableitung der Staatsangehörigkeit der Klägerin von ihrem Vater hier schon deshalb nicht entgegen, weil dieser vor dem 31. Dezember 1999 geboren worden ist. Damit kann dahinstehen, ob diese Norm im Rahmen von § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] überhaupt anwendbar ist.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

1 C 28/20

30.03.2021

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 24. März 2020, Az: 19 A 169/19, Beschluss

Art 16 Abs 1 GG, § 21 RuStAG 1870, § 28 RuStAG, § 3 Abs 2 RuStAG, § 30 RuStAG, § 37 RuStAG, § 4 Abs 4 RuStAG, § 4 Abs 1 RuStAG, § 137 Abs 2 VwGO, § 137 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.03.2021, Az. 1 C 28/20 (REWIS RS 2021, 7335)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7335

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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