Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.02.2016, Az. 1 BvR 3514/14

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2016, 16324

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Rechtsweg für Klage auf Eingliederungshilfe zugunsten eines an einer seelischen Behinderung leidenden Minderjährigen - Verweisung der Sache vom SG an das VG verletzt Betroffenen nicht in Grundrechten - keine Verletzung des Diskriminierungsverbots des Art 3 Abs 3 S 2 GG - zudem keine unzulässige fachgerichtliche Rechtsfortbildung durch einschränkende Auslegung des § 17a Abs 4 GVG


Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Gründe

1

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der [X.]eschwerdeführer gegen die Verweisung eines Eilantrags durch das Sozialgericht an das Verwaltungsgericht und gegen die Entscheidung über die dagegen gerichtete [X.]eschwerde und die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das [X.].

2

1. Der minderjährige [X.]eschwerdeführer leidet am Asperger-Syndrom. Für den Schulbesuch bedarf er einer Förderung durch spezialisierte Fachkräfte. Im Zusammenhang mit einem Schulwechsel beantragte er eine Eingliederungshilfe, zuletzt konkretisiert als "Einzelfallhilfe gemäß §§ 53, 54 [X.]" durch Stellung eines Schulhelfers im Stundenumfang von 30 Stunden wöchentlich bis zum Einsatz eines Schulhelfers durch die Senatsverwaltung des [X.]. Nachdem über seinen Antrag zu [X.]eginn des Schuljahres auch aufgrund von Unklarheiten über die Zuständigkeit nicht entschieden worden war, stellte er bei dem Sozialgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3

Das Sozialgericht verwies das Verfahren nach Anhörung an das Verwaltungsgericht. [X.]ei der Eingliederungshilfe gäbe es mit §§ 53 ff. [X.] und § 35a [X.] zwei sich ausschließende Anspruchsgrundlagen. Hier sei § 35a [X.] vorrangig und daher das Verwaltungsgericht zuständig. Für die Frage, welche Anspruchsgrundlage Anwendung finde, sei die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des [X.] darstelle, entscheidend, also die beim [X.]eschwerdeführer vorliegende seelische [X.]ehinderung.

4

Eine hiergegen gerichtete [X.]eschwerde stützte der [X.]eschwerdeführer darauf, dass die Anspruchsgrundlagen nebeneinander bestünden. Das Vor- und [X.] wirke sich nur auf die [X.] der Leistungsträger untereinander aus. Das [X.] wies die [X.]eschwerde zurück. Die Leistungen nach dem [X.] gingen den Leistungen nach dem [X.] vor. Zwar gelte dies nach § 10 Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht für die Eingliederungshilfe für junge Menschen mit geistigen oder körperlichen [X.]ehinderungen, so dass diese neben und anstelle von Ansprüchen nach dem [X.] auch solche nach dem [X.] haben könnten. Lägen aber wie hier, weil der [X.]eschwerdeführer mit einer seelischen, nicht aber einer körperlichen oder geistigen [X.]ehinderung lebe, die Voraussetzungen für diese Ausnahme nicht vor, sei einzig und vorrangig der Träger nach dem [X.] zuständig. Nur wenn Leistungsverpflichtungen nach dem [X.] und dem [X.] in [X.]etracht kämen, könne ein mögliches Vor- und [X.] nicht zur Verneinung einer Angelegenheit der Sozialhilfe führen. Dieser [X.]eschluss sei nicht anfechtbar. Die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren [X.]eschwerde an das [X.] lägen nicht vor, denn in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren sei eine weitere [X.]eschwerde nach § 17a Abs. 4 [X.] nicht zulässig (Hinweis auf [X.]SG, [X.]eschluss vom 24. Januar 2008 - [X.] SF 1/08 R -, juris; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 8. August 2006 - [X.]VerwG 6 [X.] 65.06 -, juris). Das Eilbedürfnis und die entsprechende Ausgestaltung des einstweiligen [X.] bedingten, dass in dem hier betriebenen Zwischenverfahren kein weitergehender Instanzenzug eröffnet sei als in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren selbst.

5

2. Mit seiner mit einem Prozesskostenhilfeantrag verbundenen Verfassungs-beschwerde rügt der [X.]eschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3, aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1, aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 sowie des Justizgewährungsanspruchs aus Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Weder kommt ihr grundsätzliche [X.]edeutung zu (§ 93a Abs. 2 [X.]uchstabe a [X.]VerfGG) noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.]VerfGG genannten Rechte des [X.]eschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 [X.]uchstabe b [X.]VerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

7

1. Dem Vortrag des [X.]eschwerdeführers ist nicht zu entnehmen, dass die Gerichte eine die [X.]edeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennende oder offensichtlich unhaltbare Auslegung von Zuständigkeitsnormen vorgenommen hätten. Das [X.] konnte nach § 10 Abs. 4 Satz 1 [X.] bereits aufgrund des Vorrangs kinder- und jugendhilferechtlicher Eingliederungshilfe bei seelischen [X.]ehinderungen, auf die sich auch die Verwaltung bezogen hatte, von der Eröffnung des [X.] ausgehen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Verweisung des Antrags auf vorläufigen Einsatz eines Schulhelfers an das Verwaltungsgericht das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Der [X.]eschwerdeführer trägt keine Tatsachen vor, die seine Sorge begründen würden, die Anspruchsgrundlagen der §§ 53, 54 [X.] würden vor dem Verwaltungsgericht nicht in verfassungsrechtlich hinreichender Weise geprüft. Insbesondere fehlt jede Auseinandersetzung mit § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.], wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs verpflichtet ist, den Rechtsstreit unter allen in [X.]etracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Diese Regelung erzwingt in [X.] eine Prüfung sowohl des § 35a [X.] als auch der §§ 53, 54 [X.] (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 2. August 2006 - 4 O[X.] 171/06 -, [X.] 2007, [X.] <184>; OVG Nordrhein-Westfalen, [X.]eschluss vom 2. Mai 2012 - 12 [X.] 438/12 -, juris, Rn. 17).

8

2. Die Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht verletzt den [X.]eschwerdeführer nicht in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. In der Verweisung auf den Verwaltungsrechtsweg ist jedenfalls keine [X.]enachteiligung zu erkennen (vgl. [X.]VerfGE 96, 288 <303>). [X.]ereits nach dem Vortrag des [X.]eschwerdeführers kann die Rechtswegzuweisung sowohl rechtlich vorteilhaft als auch nachteilig wirken.

9

3. Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das [X.] überschreitet nicht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Es setzt sich insbesondere nicht über den erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinweg (vgl. [X.]VerfGE 132, 99 <127 f. Rn. 75> m.w.N.). Das [X.] begründet seine einschränkende Auslegung der § 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 [X.] in Verbindung mit § 177 SGG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Zweck des Eilrechtsschutzes und der Erwägung, dass in einem Zwischenverfahren kein weitergehender Rechtsschutz als im Verfahren selbst eröffnet werde. Das orientiert sich am gesetzgeberischen [X.], denn das [X.] verweist auf einen [X.]eschluss des [X.]s, in dem dieses wiederum auf die Entstehungsgeschichte der Norm zurückgreift (vgl. [X.]SG, [X.]eschluss vom 24. Januar 2008 - [X.] SF 1/08 R -, juris). Die [X.]eschwerdemöglichkeit bei [X.] nach § 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 [X.] in Verbindung mit § 177 SGG solle nach der [X.]egründung des [X.] ([X.]TDrucks 11/7030, [X.] f.) die nun durch § 17a Abs. 5 [X.] ausgeschlossene revisionsgerichtliche Kontrolle der [X.] in der Hauptsache ersetzen; im einstweiligen Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren könne dieser Zweck jedoch von vornherein nicht eintreten, weil [X.]eschlüsse des [X.]s über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das [X.] nach § 177 SGG ohnehin nicht überprüft werden könnten. Damit ist nicht erkennbar, inwiefern das [X.] mit der Nichtzulassung der weiteren [X.]eschwerde Verfassungsrecht verkannt haben soll.

4. Von einer weiteren [X.]egründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]VerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 3514/14

14.02.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 28. November 2014, Az: L 23 SO 298/14 B ER, Beschluss

Art 3 Abs 3 S 2 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 17a Abs 4 S 4 GVG, § 17a Abs 4 S 5 GVG, § 17a Abs 4 S 6 GVG, § 17 Abs 2 S 1 GVG, §§ 53ff SGB 12, § 53 SGB 12, § 54 SGB 12, § 10 Abs 4 S 2 SGB 8, § 35a SGB 8, § 177 SGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.02.2016, Az. 1 BvR 3514/14 (REWIS RS 2016, 16324)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16324

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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B 3 SF 1/18 R

2 S 623/20

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