Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. V ZB 194/14

V. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5373

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V [X.]

vom

16. September 2015

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
nein
[X.] § 11 Abs. 1 Satz 3
a)
Das Fehlen der Befristungsentscheidung nach §
11 Abs.
1 Satz
3 [X.] steht der
Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht entgegen, wenn si-chergestellt ist, dass diese Entscheidung so rechtzeitig vor der beabsichtigten Ab-schiebung ergeht, dass der Betroffene noch im Inland eine gerichtliche [X.] der Entscheidung in die Wege leiten kann.
b)
Beruhen Ausreisepflicht oder Haftgrund dagegen auf einer wegen des Verstoßes gegen ein Einreiseverbot auf Grund einer früheren Ausweisung oder Abschiebung unerlaubten Einreise, darf die Haft zur Sicherung der Abschiebung erst angeord-net werden, nachdem die Wirkungen der früheren Ausweisung oder Abschiebung befristet worden sind.
[X.], Beschluss vom 16. September 2015 -
V [X.] -
LG Berlin

AG [X.]

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3
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Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 16. September 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen

Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch
und Weinland und die Richter Dr.
Kazele und Dr.
Göbel

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer
84 des [X.] vom 16. Oktober 2014 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000

Gründe:
I.
Der Betroffene,
ein [X.] Staatsangehöriger, reiste im März 2006 in die [X.] ein und beantragte mehrfach Asyl. Mit Bescheid vom 26.
Juni 2006 lehnte
das
zuständige Bundesamt
die
Durchfüh-rung eines Asylverfahrens ab und forderte den Betroffenen unter Androhung der Abschiebung in sein Heimatland [X.] oder einen anderen
Staat auf, die [X.] innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Der Bescheid wurde am 5.
Juli 2006 in der [X.], der der Betroffene zugewiesen worden war, überge-ben. Eine Aushändigung an ihn scheiterte daran, dass er die Einrichtung zu diesem Zeitpunkt mit unbekanntem Ziel verlassen und eine neue Anschrift nicht mitgeteilt hatte. Der Betroffene wurde im Dezember 2006 vorläufig [X.]
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men und befand sich bis April 2007 in Untersuchungshaft. Am 24.
April 2007 wurde er wegen Verstoßes gegen das [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Danach tauchte er unter. Ein Ausweisungsbescheid der beteiligten Be-hörde vom 25.
Februar 2008 wurde ihm am 11.
März 2008 öffentlich zugestellt. Einige Jahre später wurde der Betroffene in [X.] festgenommen und am 18.
September 2014 von [X.] in die [X.] [X.].
Die beteiligte Behörde hat, soweit hier von Interesse, die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach [X.] zum [X.] Termin im November 2014 beantragt und in dem Antrag angekündigt, unmittelbar nach erfolgter Rücküberstellung über die Befristung des Einreiseverbots zu entscheiden. Das Amtsgericht hat am 18.
September
2014 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Ab-schiebung bis zum 2.
Dezember 2014 angeordnet. Die beteiligte Behörde hat mit Bescheid vom
19.
September 2014 das Einreiseverbot für den Betroffenen auf fünf Jahre begrenzt und ihm diesen Bescheid noch am
selben Tage zuge-stellt. Das [X.] hat die Beschwerde des Betroffenen nach persönlicher Anhörung am 16.
Oktober 2014 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Be-troffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Abschiebung am 18.
November 2014 mit dem Antrag festzustellen, dass die angeordnete Haft ihn in dem Zeitraum vom 18.
September 2014 bis zum 16.
Oktober 2014 in sei-nen Rechten verletzt hat.

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II.
Nach Auffassung des [X.] liegen die Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft wegen Fluchtgefahr vor. Der Anord-nung der Haft stehe nicht entgegen, dass über die Befristung des Einreisever-bots nicht vor, sondern erst am Tag nach der Anordnung der [X.] entschieden worden ist. Nach der Rechtsprechung des [X.]
dür-fe [X.] wegen unerlaubter Einreise zwar nur angeordnet werden, wenn bei Anordnung über die Befristung des Einreiseverbots entschieden [X.] sei. Hier beruhe die Anordnung der Haft aber nicht auf unerlaubter Einrei-se, sondern auf Fluchtgefahr.
Dafür gelte diese Einschränkung nicht.

III.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung
stand.
Entgegen der Ansicht des Betroffenen durfte die Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach [X.] schon vor der Befristung der Wirkungen der dieser Abschiebung zu-grunde liegenden Ausweisung vom 25. Februar 2008 angeordnet werden.
1.
Richtig ist allerdings, dass seit dem Urteil
des Gerichtshofs der Euro-päischen Union in der Rechtssache [X.] und Osmani
vom 19.
September 2013 ([X.]. [X.]/12, [X.]:[X.]:C:2013:569) eine Ausweisung
nur noch angeordnet werden darf, wenn gleichzeitig über die Befristung des Einreiseverbots ent-schieden wird
(BVerwG, [X.] 2013, 141 Rn. 11 f.; [X.], 277 Rn.
30). Es trifft auch zu, dass die Abschiebung eines Betroffenen seit dem Ur-teil des Gerichtshofs
nur erfolgen darf, wenn dem Betroffenen zuvor die [X.] über die Befristung des Einreiseverbots bekannt gemacht wird, und zwar so frühzeitig, dass er noch in [X.] Rechtsschutz dagegen organi-3
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sieren
kann
([X.], [X.], 159, 161; [X.], Beschluss vom 21. März 2014 -
OVG 12 S 113.13, juris Rn. 20 f.; [X.], [X.] 2015, 53, 55). Der Betroffene durfte deshalb auf Grund des Auswei-sungsbescheids
der beteiligten Behörde vom 25. Februar
2008 auch vor dem Inkrafttreten des §
11 Abs.
2 Satz
4 [X.] am 1.
August 2015 in sein Hei-matland [X.] nur abgeschoben
werden, wenn das Einreiseverbot, das die Abschiebung
auslösen würde, vorher nach Maßgabe des hier anzuwendenden §
11 Abs. 1 Sätze 3 bis 8 [X.] aF (= § 11 Abs. 2 bis 7 [X.]) befristet wurde. Die Befristung war ihm auch in einem zeitlichen Abstand vor der Ab-schiebung bekannt zu geben, die ihm
erlaubte, ihre gerichtliche Überprüfung noch im Inland in die Wege zu leiten.
2. Diese ausländerrechtlichen Vorgaben führen aber nicht dazu, dass Haft zur Sicherung der Abschiebung stets erst angeordnet werden dürfte, nach-dem
die
Wirkungen der Ausweisung (Einreise-
und Aufenthaltsverbot, Titelertei-lungsverbot, § 11 Abs. 1 Sätze 2 und 3 [X.]
aF)
= §
11 Abs. 1
[X.]
gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] aF (= § 11 Abs. 2 bis 7
[X.])
befristet worden sind.
Die Anordnung von [X.] ist viel-mehr,
von einer noch darzustellenden Ausnahme abgesehen, schon vorher möglich, wenn sichergestellt ist, dass diese
Befristung rechtzeitig vor der Ab-schiebung erfolgt.
a) Der Gesetzgeber behandelt die Entscheidung über die Ausweisung eines Ausländers und die Entscheidung über die [X.]
nicht als einen durch eine einheitliche Entscheidung abzuarbeitenden [X.]. Er trennt vielmehr zwischen der Entscheidung über die Ausweisung ei-nerseits und derjenigen
über die Befristung der [X.] ande-6
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rerseits. Dieses Konzept hat zur Folge, dass eine fehlerhafte [X.] nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbststän-dig angreifbar ist ([X.], 277 Rn. 32 mwN).
Das Fehlen der Befris-tungsentscheidung führt nicht dazu, dass die -
als solche rechtmäßige -
Aus-weisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Betroffene vor den [X.] zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befris-tung der Wirkungen der Ausweisung nach §
11 Abs. 1 Satz 3 [X.] aF
(= §
11 Abs.
2 [X.]) gerichtlich durchsetzen (BVerwG, [X.] 2013, 141 Rn. 12). Das Fehlen der Befristung stellt damit im Grundsatz weder die durch die Ausweisung begründete Ausreisepflicht noch den Haftgrund in Frage.
Anders ist es nur, wenn die Ausreisepflicht und/oder der Haftgrund dar-aus abgeleitet werden, dass der Betroffene wegen eines Verstoßes gegen ein auf einer früheren Ausweisung oder Abschiebung
beruhendem
Einreiseverbot unerlaubt eingereist ist. Dann nämlich lässt sich ohne die (nachträgliche) [X.] über die Wirkungen der früheren Ausweisung oder Abschiebung nicht beurteilen, ob Ausreisepflicht und Haftgrund bestehen. Die Haft darf in diesen Fällen erst angeordnet werden, nachdem
die Befristung nachgeholt worden ist (Senat, Beschluss vom 8. Januar 2014 -
V [X.], NVwZ 2014, 1111
Rn. 8, 13). Ist
die Einreise dagegen schon aus anderen Gründen -
etwa wegen fehlender Einreisedokumente -
unerlaubt, scheitert
die Anordnung von Abschiebungshaft nicht von vornherein an dem Fehlen der [X.]
(Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2014 -
V [X.], [X.] 2015, 60 Rn. 12). Das gilt erst recht, wenn die Ausreisepflicht nicht kraft Geset-zes aus einer unerlaubten Einreise, sondern aus einer Ausweisung folgt und wenn die Haft auf einen anderen Haftgrund gestützt wird.
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b) Das Fehlen der Befristungsentscheidung kann aber Auswirkungen auf die von dem Haftrichter nach § 62 Abs. 3 Satz 4 [X.] anzustellende [X.] haben. Bei dieser Prognose sind nämlich mögliche
Hindernisse zu be-rücksichtigen, die dazu führen, dass die durch die Haft sicherzustellende Ab-schiebung nicht innerhalb des beantragten Zeitraums durchgeführt werden kann. Zu solchen Hindernissen kann der Antrag des Betroffenen auf Gewäh-rung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebung gehören, dessen Behandlung durch die Verwaltungsgerichte der Haftrichter deshalb bei seiner Prognose zu berücksichtigen hat (dazu Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011
-
V [X.], juris Rn. 19 f.). Entsprechendes gilt für das Fehlen der Befris-tungsentscheidung. Wird diese Entscheidung nicht so rechtzeitig vor der [X.] Abschiebung erlassen, dass der Betroffene noch in [X.] ihre gerichtliche Überprüfung veranlassen kann, muss die Abschiebung [X.] werden (vgl. oben 1.). Das wiederum kann zu der Prognose führen, dass die Abschiebung im beantragten Zeitraum nicht gelingen wird und deshalb Haft zu ihrer Sicherung nicht angeordnet werden darf. Der Haftrichter muss daher nach § 26 FamFG von Amts wegen aufklären, ob der rechtzeitige Erlass der Befristungsentscheidung bei dem von der beteiligten Behörde geplanten [X.] sichergestellt ist. Rechtfertigen die Feststellungen diese Annahme, steht das Fehlen der Befristung der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entge-gen.
Sie wäre allerdings nach § 426 FamFG wieder aufzuheben, wenn sich die Erwartung einer rechtzeitigen Befristung im Nachhinein als unzutreffend erwei-sen sollte.
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3. Daran gemessen stand das Fehlen der Befristungsentscheidung der Anordnung von Abschiebungshaft gegen den Betroffenen nicht entgegen. Die beteiligte Behörde hatte in ihrem Antrag angekündigt, über die Befristung
der Wirkungen der durch die Ausreise nach [X.] noch nicht erledigten Ausweisung des Betroffenen vom 25. Februar 2008 (vgl. § 50 Abs. 3 [X.]) unmittelbar nach der Rückkehr des Betroffenen nach [X.] zu entschei-den. Die Abschiebung sollte nach den Angaben der beteiligten Behörde in dem Haftantrag im [X.] an den nächstanstehenden Prüftermin nach Art. 6 des deutsch-vietnamesischen [X.]
(vom 21. Juli 1995, [X.] [X.] 743 nebst Protokoll vom gleichen Tag, [X.] [X.] 746, dazu Senat, [X.] vom 19. Juni 2013 -
V [X.], juris Rn. 11) im November 2014 erfol-gen. Danach war der rechtzeitige Erlass der [X.]. Diese Erwartung ist durch den weiteren Ablauf bestätigt worden; die [X.] Behörde hat die Befristungsentscheidung am Tag nach der [X.] erlassen. Der Betroffene ist im November 2014 nach [X.] abgescho-ben worden und hatte ausreichend Zeit, eine gerichtliche Überprüfung der Be-fristungsentscheidung in die Wege zu leiten.

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IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
84 FamFG. Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf §
38 GNotKG.

Stresemann

Schmidt-Räntsch

Weinland

Kazele

Göbel
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 18.09.2014 -
383 [X.]/14 B -

LG Berlin, Entscheidung vom 16.10.2014 -
84 [X.]/14 B -

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Meta

V ZB 194/14

16.09.2015

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. V ZB 194/14 (REWIS RS 2015, 5373)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5373

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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