Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.01.2022, Az. B 9 BL 3/21 B

9. Senat | REWIS RS 2022, 1617

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Landesblindengeld - Zweckverfehlungseinwand bei zerebral schwerstbehinderten Menschen - Stützung des LSG auf die Rechtsprechung des BSG - Divergenz - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 22. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. In der Hauptsache erstrebt die Klägerin die Gewährung von Blindengeld nach dem [X.] ([X.]). Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] einen Anspruch der schwerstbehinderten Klägerin verneint. Zwar sei sie blind iS des [X.]. Ein Anspruch auf Blindengeld bestehe aber dennoch nicht, weil der [X.] erfolgreich den Einwand der [X.] erhoben habe. Der Mangel an Sehvermögen der Klägerin könne krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden. Bei der schweren Mehrfachschädigung der Klägerin sei ein blindheitsbedingter Mehraufwand nicht gegeben, auch wenn das Krankheitsbild keine dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma darstelle. Ein Ausgleich des fehlenden Sehvermögens mithilfe von Blindengeld im Sinne einer wesentlichen Verbesserung von Lebenssituationen und Teilhabemöglichkeiten sei nicht möglich.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin beim [X.] Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie keinen der von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 S[X.]).

4

1. Anders als rechtlich geboten hat die Klägerin bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des [X.] zugrunde liegt, nicht hinreichend mitgeteilt. Ihren Schilderungen in der Beschwerdebegründung können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung oder Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des [X.], sich im Rahmen des [X.]s die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] [X.] 3/20 B - juris Rd[X.]; [X.] Beschluss vom [X.] - B 9 V 14/19 B - juris Rd[X.]; [X.] Beschluss vom 16.4.2018 - [X.] - juris Rd[X.]).

5

Ohne Sachverhaltswiedergabe kann das [X.] nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder ob eine Abweichung zu einer Entscheidung des [X.], des [X.] ([X.]) oder des [X.] besteht, auf der die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtene vorinstanzliche Entscheidung beruht. Dies gilt umso mehr, wenn es sich - wie hier - um einen umfangreichen Lebenssachverhalt handelt. In einer solchen Konstellation ist vom Beschwerdeführer zu erwarten, dass die Tatsachenfeststellungen, die für das [X.] und aus Sicht der Beschwerde entscheidungserheblich sind, in einer geordneten Abhandlung und nicht - wie hier erfolgt - im Rahmen der Begründung bruchstückhaft dargelegt werden (vgl [X.] Beschluss vom [X.] [X.] 3/20 B - juris Rd[X.] 5 mwN).

6

2. Auch im Übrigen hat die Klägerin weder den geltend gemachten [X.] der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) hinreichend dargelegt (dazu unter a) noch den der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] S[X.]) ordnungsgemäß bezeichnet (dazu unter b).

7

a) Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.]), wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 26.10.2020 - B 9 [X.] 2/20 B - juris Rd[X.] mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

8

Die Klägerin hält folgende Fragen für Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:
"Ist der grundsätzliche Ausschluss zerebral schwerstbehinderter Menschen von der Förderung durch Blindengeld gerechtfertigt? Ist eine Ungleichbehandlung behinderter zerebral blinder Menschen gegenüber Menschen mit Blindheit aufgrund Störung der Sehorgane gerechtfertigt?"

9

Es ist schon nicht klar, ob die Blindengeld nach dem [X.] beanspruchende Klägerin damit insgesamt entscheidungserhebliche Fragen des revisiblen Rechts (§ 162 S[X.]) aufwirft, die in einem späteren Revisionsverfahren der Klärung zugänglich wären. Denn nach § 162 S[X.] kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des [X.] geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des [X.] hinaus erstreckt (vgl [X.] Beschluss vom 6.10.2014 - B 9 [X.] 1/14 B - juris Rd[X.] 5 mwN). Hierzu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.

Unabhängig davon hat die Klägerin auch die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihr bezeichneten Fragestellungen in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht dargestellt. Das [X.] hat den [X.] der grundsätzlichen Bedeutung auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanzen zu beurteilen, deren tatsächlichen Feststellungen es nach § 163 S[X.] binden. Nur auf dieser Grundlage kann das [X.] darüber befinden, ob eine Rechtsfrage überhaupt entscheidungserheblich und damit klärungsfähig ist (vgl [X.] Beschluss vom 6.4.2020 - B 10 [X.] B - juris Rd[X.] 6 mwN). Dies hat die Klägerin jedoch nicht aufgezeigt. Sie legt nicht dar, aufgrund welcher für den Senat bindenden Feststellungen das [X.] entschieden hat, dass der [X.] den anspruchsvernichtenden Einwand der [X.] wirksam erhoben hat. Sie teilt schon nicht mit, welches konkrete Krankheitsbild der Klägerin mit welchen Funktionsstörungen das [X.] diesbezüglich seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.

Darüber hinaus hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Fragestellungen nicht aufgezeigt. Sie selbst weist auf die Rechtsprechung des [X.] zur Frage der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und des Einwands der [X.] hin ([X.] Urteil vom [X.] - B 9 [X.] 1/17 R - [X.]E 126, 63 = [X.]-5921 Art 1 [X.], Rd[X.] 17 ff). Gegen diese Rechtsprechung erhebt sie aber keine substantiierten Einwendungen. Vielmehr stellt sie lediglich die Schlussfolgerungen des [X.] aus der genannten Entscheidung des [X.] bezogen auf ihren Einzelfall infrage. Damit wendet sie sich jedoch gegen eine aus ihrer Sicht fehlerhafte Rechtsanwendung des [X.]. Hierauf kann eine Grundsatzrüge nicht gestützt werden (vgl [X.] Beschluss vom 26.10.2020 - B 9 [X.] 2/20 B - juris Rd[X.] 8; [X.] Beschluss vom 5.6.2020 - B 9 SB 87/19 B - juris Rd[X.] 9).

Sofern die Klägerin mit ihren Fragestellungen sinngemäß eine Verletzung von Art 3 Abs 1 und 3 Satz 2 [X.] rügen wollte, legt sie auch insoweit einen Verstoß nicht hinreichend dar. Denn wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Grundrechte beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfachgesetzlichen Norm aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelungen des [X.] dargelegt werden (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 26.10.2020 - B 9 [X.] 2/20 B - juris Rd[X.] 9 mwN). Solche Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung nicht.

b) Eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] S[X.] liegt dann vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das [X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des [X.], des [X.] oder des [X.] aufgestellt hat.

Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des [X.] nicht den Kriterien entspricht, die das [X.] aufgestellt hat, sondern erst, wenn das [X.] diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] [X.] 3/20 B - juris Rd[X.] 9 mwN).

Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss daher entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des [X.] einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des [X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und inwieweit das [X.] von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen ist (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] - B 9 V 48/16 B - juris Rd[X.]3 mwN ). Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 [X.] S[X.] setzt daher die Darlegung voraus, dass das [X.] die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Dafür genügt es nicht, wenn das [X.] eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt oder einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 6.3.2020 - B 9 SB 86/19 B - juris Rd[X.] 10 mwN).

An diesen notwendigen Darlegungen einer [X.] fehlt es vorliegend.

Die Klägerin sieht eine Abweichung zur [X.]-Rechtsprechung darin, dass das [X.] statuiere, "Mehraufwendungen (…) sind bei dem schweren Krankheitsbild der Klägerin nicht vorstellbar", und überdies verlange, dass durch das Blindengeld eine "wesentliche Verbesserung von Lebenssituationen und Teilhabemöglichkeiten" entstehen müsse, weil anderenfalls eine [X.] vorliege.

Damit hat die Klägerin jedoch keinen von den von ihr in Bezug genommenen [X.]-Entscheidungen (Urteil vom [X.] - B 9 [X.] 1/17 R - [X.]E 126, 63 = [X.]-5921 Art 1 [X.]; Urteil vom 11.8.2015 - B 9 [X.] 1/14 R - [X.]E 119, 224 = [X.]-5921 Art 1 [X.] 3) divergierenden abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen [X.]-Urteil bezeichnet. Sie legt auch nicht dar, dass das [X.] die Rechtsprechung des [X.] zur Frage der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und des Einwands der [X.] infrage gestellt hat. Vielmehr hat es sich in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auf diese [X.]-Rechtsprechung gestützt, worauf der [X.] in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist. Im [X.] ihres Vorbringens wendet sich die Klägerin unter Darstellung ihrer eigenen Rechtsansicht daher gegen die Subsumtion und Rechtsanwendung des [X.] in ihrem Einzelfall. Damit geht ihr Vortrag jedoch nicht über eine im [X.] unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus (vgl [X.] Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris Rd[X.] 6; [X.] Beschluss vom [X.]/16 B - juris Rd[X.] 11, jeweils mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 S[X.]).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 S[X.]).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 S[X.].

                Kaltenstein                [X.]

Meta

B 9 BL 3/21 B

31.01.2022

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BL

vorgehend SG Leipzig, 26. Juni 2020, Az: S 25 BL 6/17, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 162 SGG, § 163 SGG, § 1 Abs 1 BliGG SN 2001, § 1 Abs 2 Nr 2 BliGG SN 2001

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.01.2022, Az. B 9 BL 3/21 B (REWIS RS 2022, 1617)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1617

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 BL 1/17 R (Bundessozialgericht)

(Bayerisches Landesblindengeld - Blindheit nach Art 1 BlindG BY - gleich zu achtende Beeinträchtigung der …


B 9 BL 3/20 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Schwerbehindertenrecht - Blindengeld - Wachkoma oder wachkomaähnlicher Zustand - blindheitsbedingte Mehraufwendungen - Zweckverfehlungseinwand …


B 9 BL 2/20 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Landesblindengeld - anspruchsvernichtender Einwand der Zweckverfehlung …


B 9 BL 1/20 R (Bundessozialgericht)

Sächsisches Landesblindengeld - Wohnsitz im EU-Ausland - in Österreich lebende deutsche Rentnerin - europäisches Koordinierungsrecht …


B 9 V 30/22 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Gehörsverstoß - Fragerecht gegenüber dem Sachverständigen - Obliegenheit …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.