Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2022, Az. EnVR 16/20

Kartellsenat | REWIS RS 2022, 4700

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Tenor

Der Betroffenen wird nach der Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur und unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des 3. Kartellsenats des [X.] vom 18. Dezember 2019 aufgehoben.

Die Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 21. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Betroffene trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur.

Gründe

1

A. Mit Beschluss vom 21. Februar 2018 hat die [X.] den generellen sektoralen [X.] für Betreiber von [X.] gemäß § 9 Abs. 3 [X.] (nachfolgend: [X.]) für die dritte [X.] auf 0,49 % festgelegt.

2

Vor der Entscheidung holte die [X.] zur Ermittlung des [X.]s ein Gutachten ein, das die Anwendung zweier unterschiedlicher Methoden empfahl. Auf Grundlage dieses Gutachtens und nach Erhebung von Daten bei den Netzbetreibern aus der Gewinn- und Verlustrechnung, zum Sachanlagevermögen und zum Personalaufwand für die Jahre 2006 bis 2016 ermittelte die [X.] mithilfe eines [X.], der die Produktivität von Unternehmen als Verhältnis zwischen [X.] (Output) und den hierfür benötigten Produktionsfaktoren (Input) auf der Grundlage von Daten aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abbildet, einen [X.] von 0,49 %. Nach einem weiteren, als [X.] bezeichneten Verfahren, bei dem die Änderungen statischer Effizienzwerte von Unternehmen für unterschiedliche Perioden verglichen werden, ermittelte die [X.] anhand der Daten der für die ersten drei [X.] durchgeführten Effizienzvergleiche einen [X.] von 0,92 %. Da die [X.] keine der beiden Methoden als überlegen ansah, setzte sie zugunsten der Netzbetreiber den niedrigeren Wert fest.

3

Die Betroffene, die ein Gasversorgungsnetz betreibt, hat - wie auch zahlreiche weitere Netzbetreiber - die Festlegung mit der Beschwerde angegriffen.

4

Das sachverständig beratene Beschwerdegericht hat den Beschluss der [X.] aufgehoben und die [X.] zur Neubescheidung verpflichtet. Dagegen wenden sich die [X.] und die Betroffene mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die [X.] strebt die Zurückweisung der Beschwerde der Betroffenen an. Die Betroffene begehrt, die [X.] zur Neubescheidung unter Berücksichtigung weiterer, vom Beschwerdegericht abweichend beurteilter rechtlicher Gesichtspunkte zu verpflichten.

5

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der [X.] ist begründet, während die nach den dafür geltenden Maßstäben ([X.], Beschluss vom 9. Juli 2019 - [X.] 52/18, [X.], 456 Rn. 76 mwN - Eigenkapitalzinssatz II) zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen ohne Erfolg bleibt. Der Betroffenen war gemäß § 88 Abs. 5, § 85 Nr. 2 [X.], § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten und hat die versäumte Rechtshandlung rechtzeitig nachgeholt (vgl. auch [X.], Beschluss vom 12. April 2016 - [X.], [X.], 1073 Rn. 8 f.).

6

I. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die angefochtene Festlegung sei rechtswidrig, da die [X.] die Höhe des [X.]s rechtsfehlerhaft ermittelt habe.

7

Allerdings sei die von der [X.] zur Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung mithilfe des [X.] angewandte Residualbetrachtung mit § 9 Abs. 1 und 3 Satz 1 [X.] vereinbar. Die [X.] habe fehlerfrei den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt und die Änderung der gesamtwirtschaftlichen Einstandspreise durch den vom [X.] ermittelten Verbraucherpreisgesamtindex abgebildet. § 9 Abs. 1 [X.] verlange keine getrennte Ermittlung von vier Einzelwerten zum gesamtwirtschaftlichen und netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt sowie zur gesamtwirtschaftlichen und netzwirtschaftlichen [X.]. Der Verordnungsgeber gehe vielmehr davon aus, dass die Inflationsrate die Differenz zwischen der [X.] und der Produktivitätsentwicklung in der Gesamtwirtschaft ausdrücke.

8

Die [X.] habe den Index der durchschnittlichen Netzentgelte rechtmäßig als Deflator der Umsatzerlöse zur Ermittlung preisbereinigter [X.] ausgewählt. Die Bestimmung des [X.]s sei jedoch rechtswidrig, weil der von der [X.] ermittelte Wert nicht robust gegenüber Veränderungen des betrachteten historischen Zeitraums (Stützintervalls) sei. Die Einschätzung der [X.], der der Ermittlung des [X.]s bei Anwendung des [X.] zugrundeliegende Zeitraum von 2006 bis 2016 gewährleiste zuverlässige Ergebnisse, beruhe auf einem Ermittlungs- und Ermessensdefizit. Die [X.] habe fehlerhaft die Ursachen der starken Schwankungen der sich für verschiedene, von ihr in Betracht gezogene kürzere Stützintervalle ergebenden sektoralen [X.]en nicht untersucht. Für die Einbeziehung des Jahres 2006 in die Betrachtung fehle es an einer hinreichenden Begründung, da die [X.] dieses Jahr wegen einer unzuverlässigen Datenbasis zunächst nicht berücksichtigt habe. Die [X.] habe sich außerdem zu wenig mit den Auswirkungen des Jahres 2006 als erstem Jahr der [X.] und dem in diesem Jahr durch die Verschiebung von Investitionen durch Netzbetreiber in das Basisjahr aufgetretenen Sondereffekt (Basisjahreffekt) auseinandergesetzt. Sie habe schließlich nicht ausreichend begründet, weshalb sie bei der (später erfolgten) Festlegung des [X.]s für den Strombereich die Plausibilisierung abweichend vom [X.] vorgenommen habe.

9

Rechtswidrig sei es ferner, dass die [X.] bei der Berechnung der Abschreibungen als Bestandteil der Einstandsfaktoren handelsrecht-liche anstatt der in §§ 6, 6a [X.] vorgegebenen kalkulatorischen Grundsätze angewendet habe. Sie habe grundsätzlich keinen Entscheidungsspielraum, ob sie handelsrechtliche oder kalkulatorische Grundsätze heranziehe, sofern der Verordnungsgeber bei bestimmten Kostenanteilen wie den Abschreibungen mit §§ 6, 6a [X.] einen kalkulatorischen Ansatz vorgegeben habe; diese Vorgaben seien vielmehr nicht nur im Rahmen der Kostenprüfung, sondern auch bei der Berechnung des [X.]s maßgeblich.

Ferner sei die Ermittlung des [X.]s anhand des [X.] deshalb zu beanstanden, weil die [X.] einen jährlich aktualisierten Zins für das Fremdkapital herangezogen habe. Obwohl § 9 [X.] keine ausdrückliche Beschränkung auf kalkulatorische Werte vorsehe, [X.] die Ermittlung des [X.]s als Bestandteil der Regulierungsformel auf den einschlägigen Vorgaben der Anreizregulierungsverordnung und der [X.]. Daher bestünden zwar keine Bedenken, dass die [X.] für die Entwicklung des [X.] "Zinsen und ähnliche Aufwendungen" die in § 7 Abs. 7 [X.] aufgeführten Zinsreihen herangezogen habe. Fehlerhaft sei es aber, dass sie einen jährlichen Durchschnitt dieser Zinsreihen anstatt eines auf mehrere Kalenderjahre bezogenen Durchschnitts (rollierenden Mittelwerts) gebildet habe.

Bei der Berechnung des [X.], den die [X.] zur Plausibilisierung des durch den [X.] ermittelten Werts herangezogen habe, habe sie es ermessensfehlerhaft unterlassen, entsprechend § 12 Abs. 3 und 4a [X.] eine Bestabrechnung vorzunehmen. Das Prinzip der Bestabrechnung sei auf die Festlegung des [X.]s anzuwenden, um den berechtigten Interessen der Netzbetreiber an einer rechtssicheren und nachvollziehbaren Berechnung des Faktors zu entsprechen.

II. Diese Bewertung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde der Betroffenen, nicht aber denjenigen der Rechtsbeschwerde der [X.] stand. Der [X.] hat bereits entschieden, dass die angefochtene Festlegung der [X.] entgegen der Auffassung des [X.] nicht zu beanstanden ist ([X.], Beschlüsse vom 26. Januar 2021 - [X.] 7/20, [X.]Z 228, 286 Rn. 14 ff. - Genereller [X.] [X.] I; - [X.] 101/19, [X.] 2021, 392 Rn. 14 ff.; - [X.] 72/19, juris Rn. 14 ff.; vom 26. Oktober 2021 - [X.] 17/20, [X.], 119 Rn. 12 ff. - Genereller [X.] [X.] II; [X.] 12/20, juris Rn. 21 ff.). Das Vorbringen der Rechtsbeschwerde der Betroffenen führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

1. Nach § 21a Abs. 2 Satz 1 [X.] werden in der Anreizregulierung für eine [X.] unter Berücksichtigung von Effizienzvorgaben Obergrenzen für die Höhe der Netzzugangsentgelte oder die Gesamterlöse aus [X.] vorgegeben. Die Vorgaben für die Entwicklung oder Festlegung der Obergrenze innerhalb einer [X.] müssen nach § 21a Abs. 4 Satz 7 [X.] den Ausgleich der allgemeinen Geldentwertung unter Berücksichtigung eines [X.]s vorsehen. Dieser ist nach der auf der Grundlage von § 21a Abs. 6 [X.] von der Bundesregierung erlassenen Regulierungsformel in Anlage 1 zu § 7 [X.] ein Korrekturfaktor für den durch das [X.] veröffentlichten Verbraucherpreisgesamtindex. Durch ihn soll gewährleistet werden, dass bei der Bestimmung der [X.] berücksichtigt wird, ob und gegebenenfalls in welchem Maße sich die Produktivität der Netzbetreiber abweichend von der Gesamtwirtschaft entwickelt. Der [X.] wird gemäß § 9 Abs. 1 [X.] ermittelt aus der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts vom gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt und der gesamtwirtschaftlichen [X.] von der netzwirtschaftlichen [X.]. Die [X.] hat den [X.] gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 [X.] ab der dritten [X.] jeweils vor Beginn der [X.] für die gesamte [X.] nach Maßgabe von Methoden, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen, zu ermitteln. Die Ermittlung hat unter Einbeziehung der Daten von Netzbetreibern aus dem gesamten [X.] für einen Zeitraum von mindestens vier Jahren zu erfolgen (§ 9 Abs. 3 Satz 2 [X.]).

Diese Regelungen finden auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] (nachfolgend: [X.]) vom 2. September 2021 ([X.]/18, [X.], 534 Rn. 112 ff.) weiterhin Anwendung ([X.], [X.], 119 Rn. 13 ff. - Genereller [X.] [X.] II; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2019 - [X.] 58/18, [X.], 78 Rn. 60 ff., 70 ff. - [X.]). Das stellen weder die Betroffene noch die [X.] in Frage. Allerdings fordert das Unionsrecht eine Auslegung der Anreizregulierungsverordnung dahin, dass der Unabhängigkeit der [X.] soweit als möglich Geltung verschafft wird. Dem entspricht die Entscheidung des [X.]s vom 26. Januar 2021 ([X.]Z 228, 286 - Genereller [X.] [X.] I), dass die Festlegung des [X.]s auch unter Berücksichtigung der dazu in der Anreizregulierungsverordnung enthaltenen und nach dem Ausgeführten im Grundsatz weiterhin anwendbaren Regelungen inhaltlich nicht vollständig rechtlich determiniert ist. Eine von der [X.] bei der Wahl der Methode oder bei der Anwendung der gewählten Methode getroffene Auswahlentscheidung kann von Rechts wegen nur dann beanstandet werden, wenn sich feststellen lässt, dass der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm nach dem durch die Entscheidung der Regulierungsbehörde auszufüllenden gesetzlichen Rahmen zukommt, oder wenn ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände so deutlich überlegen ist, dass die getroffene Auswahlentscheidung nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann ([X.]Z 228, 286 Rn. 28 - Genereller [X.] [X.] I; vgl. auch [X.], Beschluss vom 3. März 2020 - [X.] 26/18, [X.] 2020, 234 Rn. 33, 36 bis 38 - Eigenkapitalzinssatz III mwN; [X.], Beschluss vom 29. Juli 2021 - 1 BvR 1588/20 ua, juris). An diesem Prüfungsmaßstab hält der [X.] unter Berücksichtigung des Vorbringens der Betroffenen auch im vorliegenden Verfahren fest (vgl. [X.], [X.], 119 Rn. 17 f. - Genereller [X.] [X.] II). Zusätzlich ist lediglich auf folgendes hinzuweisen:

a) Ohne Erfolg macht die Betroffene geltend, der [X.] verkenne die Maßstäbe, die für die gerichtliche Überprüfung gelten, insbesondere, dass auch bei Einräumung einer Letztentscheidungsbefugnis von den Gerichten zu prüfen sei, ob die Verwaltung den Gehalt der anzuwendenden Begriffe und den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich bewegen kann, erkannt hat, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die allgemein gültigen Beurteilungsmaßstäbe und die Regeln des inneren Entscheidungsverfahrens beachtet hat und sich nicht von sachfremden - gegen das Willkürverbot verstoßenden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. [X.]‚ Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 1 BvR 3151/07, [X.]K 16, 418 [juris Rn. 59]). Der [X.] hat festgestellt, dass die [X.] mit sachverständiger Unterstützung wissenschaftlich anerkannte Methoden zur Ermittlung von [X.] gewählt und in nicht zu beanstandender Weise angewendet hat ([X.]Z 228, 286 Rn. 32 ff; 45 ff.; 62 ff.; 70 ff.; 100 ff.; 107 ff.; 113 ff. - Genereller [X.] [X.] I). Entgegen der Behauptung der Betroffenen trifft es dabei nicht zu, dass der [X.] sich mit den vom Sachverständigen in der Beschwerdeinstanz geäußerten Zweifeln nicht befasst habe (ebenda Rn. 30 ff.). Die Betroffene lässt außer [X.], dass es bei der Anwendung der hier in Rede stehenden komplexen ökonometrischen Methoden nicht um eine Tatsachenfeststellung und auch nicht um die Frage geht, ob anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und Methoden (überhaupt) existieren (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14, [X.]E 149, 407 Rn. 13 mwN). Ein [X.] kann von vornherein nicht dahin überprüft werden, ob er "richtig" oder "falsch" ist ([X.]Z 228, 286 Rn. 18 f. - Genereller [X.] [X.] I). Je nach Wahl der verwendeten ökonometrischen Methode(n) und der im Rahmen ihrer Anwendung getroffenen zahlreichen weiteren Entscheidungen unter anderem über die betrachteten Zeiträume, die verwendeten Datengrundlagen und deren etwaige Bereinigung kann der [X.] methodisch einwandfrei unterschiedlich bestimmt werden und verschiedene Werte annehmen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Auswahl, Bewertung und Anwendung der Datengrundlagen eine methodische Frage, bei der der [X.] ein (weiter) Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht (vgl. [X.]Z 228, 286 Rn. 19 f. - Genereller [X.] [X.] I). Entgegen der Behauptung der Betroffenen trifft es daher nicht zu, dass die Frage, ob sich die Datengrundlage des Jahres 2006 für einen Zeitreihenvergleich eignet, mit "richtig" oder "falsch" beantwortet werden kann ([X.]Z 228, 286 Rn. 19, 58 ff. - Genereller [X.] [X.] I). Angesichts des Umstandes, dass sich das Gericht hier mehreren zulässigen Methoden gegenübersieht, kann nicht ermittelt werden, welche Methode objektiv überlegen ist (vgl. [X.]E 149, 407 Rn. 17 ff., 29).

b) Fehl geht die Rüge der Betroffenen, das Unionsrecht stehe den vom [X.] zugrunde gelegten Maßstäben entgegen. Dem liegt ein grundlegendes Fehlverständnis von der Stellung und den Aufgaben der [X.] bei der Netzentgeltregulierung zugrunde.

aa) Nach Art. 41 Abs. 1 Buchst. a GasRL ist die [X.] als nationale Regulierungsbehörde (§ 54 Abs. 1, 3 [X.]) dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife und die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen. Die Bestimmung der Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für den [X.] an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der anwendbaren Tarife, gehört zu den Zuständigkeiten, die der [X.] unmittelbar aufgrund der [X.] vorbehalten sind ([X.], [X.], 534 Rn. 103 ff.). Sie übt diese Zuständigkeiten gemäß Art. 39 Abs. 4 und 5 GasRL unabhängig aus, kann völlig frei handeln und ist vor jeglicher Weisung und Einflussnahme von außen geschützt. Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung bedeutet, dass die [X.] im Rahmen der genannten [X.] und -befugnisse ihre Entscheidungen selbständig und allein auf der Grundlage des öffentlichen Interesses trifft, um die Einhaltung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele zu gewährleisten, ohne externen Weisungen anderer öffentlicher und privater Stellen unterworfen zu sein. Die Unabhängigkeit der [X.] - auch gegenüber Trägern der exekutiven oder legislativen Gewalt - ist notwendig, um zu gewährleisten, dass die von ihr getroffenen Entscheidungen unparteiisch und nicht diskriminierend sind. Zudem gibt die vollständige Trennung von der politischen Macht der [X.] die Möglichkeit, bei ihrem Handeln eine langfristige Perspektive zu verfolgen, die erforderlich ist, um die Ziele der [X.] zu verwirklichen ([X.], [X.], 534 Rn. 107 ff.).

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die [X.] keine hinreichend genauen materiellen Vorgaben zur Ausgestaltung der Netzzugangs- und [X.] enthielte. Die [X.] beziehungsweise die entsprechenden Berechnungsmethoden sind gemäß Art. 41 Abs. 1 GasRL anhand transparenter Kriterien zu bestimmen, sowie gemäß Absatz 6 Buchst. a dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, dass die Lebensfähigkeit der Netze durch die notwendigen Investitionen zu gewährleisten ist. Nach Absatz 10 müssen die Tarife oder Methoden angemessen sein und in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Des Weiteren müssen nach Art. 41 Abs. 6 Buchst. [X.] die Ausgleichsleistungen möglichst wirtschaftlich sein und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von Gas auszugleichen; sie müssen auf faire und nichtdiskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt werden. Nach Absatz 8 der Vorschrift muss die [X.] bei der Festsetzung oder Genehmigung der Tarife oder Methoden und der Ausgleichsleistungen sicherstellen, dass für die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern und entsprechende Forschungsarbeiten zu unterstützen. Diese Kriterien werden durch die Verordnung Nr. 715/2009 des [X.] und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (Art. 13 [X.]) und die auf dieser Grundlage erlassene Verordnung ([X.]) 2017/460 der [X.] vom 16. März 2017 ([X.] TAR) ergänzt.

Den beschriebenen normativen Rahmen hat der Gerichtshof als derart detailliert angesehen, dass sich keine Notwendigkeit ergebe, Kriterien für die Berechnung der Tarife auf [X.] aufzustellen ([X.], [X.], 534 Rn. 123). Die gemäß Art. 41 Abs. 17 GasRL vorgesehene Kontrolle durch die zuständigen Gerichte hat anhand dieses normativen Rahmens stattzufinden, um dem in Art. 47 der [X.] verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu genügen ([X.], [X.], 119 Rn. 15, 49 f. - Genereller [X.] [X.] II).

bb) Der Se nat hat bei der Auslegung der zwar unionswidrigen, gleichwohl aber weiterhin anwendbaren Vorschrift des § 9 Abs. 3 [X.] den beschriebenen Aufgaben und der Stellung der [X.] soweit als möglich Rechnung zu tragen ([X.], [X.], 119 Rn. 15 mwN - Genereller [X.] [X.] II). Vor diesem Hintergrund kommt die von der Betroffenen für zutreffend gehaltene Auslegung des § 9 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht in Betracht, wonach die [X.] entgegen der Ansicht des [X.]s ([X.]Z 228, 286 Rn. 23 f. - Genereller [X.] [X.] I) tatsächliche Unsicherheiten bei der Prognosegrundlage keinesfalls hinnehmen dürfe, die Validität der Datengrundlagen vollständig nachprüfen müsse, vor der Entscheidung für eine bestimmte Methode alle möglicherweise geeigneten, in der Wissenschaft diskutierten Verfahren und Modelle umfassend aufzuarbeiten und in allen Einzelheiten auf ihre Anwendbarkeit, die konkrete Modellierbarkeit, die Verlässlichkeit und die Robustheit danach zu gewinnender Erkenntnisse zu überprüfen und dabei sämtliche auch nicht mehr weiterverfolgten Ansätze umfassend zu dokumentieren habe. Eine solche Auslegung würde - wie das vorliegende Verfahren eindrücklich zeigt - angesichts des in der Wissenschaft herrschenden Streits in Bezug auf die anzuwendenden ökonometrischen Methoden und ihre methodengerechte Anwendung im Einzelfall und die damit verbundenen niemals vollständig zu vermeidenden tatsächlichen Unsicherheiten die bis zu dem in § 9 Abs. 3 Satz 1 [X.] genannten Zeitpunkt vorzunehmende regulatorische Aufgabe angesichts des dafür erforderlichen Ermittlungs- und Begründungsaufwands verfehlen. Das wäre unionsrechtswidrig. Dadurch würde die Unabhängigkeit der [X.] zusätzlich beschnitten und die [X.] daran gehindert, in einem komplexen Akt wertender Erkenntnis auf der Grundlage des Standes der Wissenschaft die nach ihrer Ansicht angemessenen Tarife vor Beginn der [X.] festzulegen.

cc) Die von der Betroffenen für richtig gehaltene Auslegung des § 9 Abs. 3 [X.] ist auch durch Art. 12 Abs. 1 GG im Lichte von Art. 16 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 27. April 2021 - 2 BvR 206/14, [X.]E 158, 1 Rn. 46, 56 ff., 81) nicht geboten. Es kann dabei unterstellt werden, dass ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, mithin die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln, vorliegt ([X.], Beschlüsse vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 2738/08, [X.]K 16, 449 [juris Rn. 21]; vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1932/08, [X.]K 19, 229 [juris Rn. 45]. Dieser Eingriff ist aber gerechtfertigt. Die Regulierung des Erdgasbinnenmarkts verfolgt mit den Zielen der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten [X.] bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von [X.] gewichtige Gemeinwohlziele (§ 1 Abs. 2 [X.]). Diesen Zielen dient, wie oben dargelegt, auch die unabhängige Stellung der [X.]. Kann sie im Hinblick auf die Grenzen der rechtlichen Determinierung und Determinierbarkeit der Aufklärung und Bewertung komplexer ökonomischer Zusammenhänge ihre regulatorischen Aufgaben nicht erfüllen, werden die regulatorischen Ziele verfehlt. Die Betroffene zeigt nicht auf, dass die von der [X.] für die dritte [X.] Gas (2018 bis 2022) festgelegten [X.] dazu führen, dass ihre Entgelte hinter einem gemäß Art. 41 GasRL, § 21 Abs. 2 [X.] angemessenen Netzentgelt zurückbleiben oder sie notwendige Investitionen in die Netze nicht mehr vornehmen kann.

dd) Entgegen der Ansicht der Betroffenen ist eine Vorlage an den [X.] nicht veranlasst ([X.], [X.], 119 Rn. 49 f. - Genereller [X.] [X.] II).

2. Nach den danach anzuwendenden Maßstäben hält die Beurteilung des [X.] rechtlicher Nachprüfung nicht stand, der von der [X.] anhand eines [X.] festgesetzte [X.] in Höhe von 0,49 % sei nach einem grundsätzlich rechtmäßigen Verfahren bestimmt, im Ergebnis jedoch rechtswidrig, weil das zugrunde liegende Stützintervall (der für die Prognose betrachtete Zeitraum der Jahre 2006 bis 2016) zu wenig robust sei, die [X.] die Ursachen der Schwankungen im Vergleich zu anderen möglichen Stützintervallen nicht untersucht habe und das [X.] auf der gegebenen Grundlage nicht hätte in die Betrachtung einbezogen werden dürfen, ([X.]Z 228, 286 Rn. 30 ff. - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 19 ff. - Genereller [X.] [X.] II). Auf die Begründung dieser Entscheidungen wird verwiesen (zur als unzureichend gerügten Begründung: [X.]Z 228, 286 Rn. 62 bis 67 - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 30 f. - Genereller [X.] [X.] II; zur Rüge der nicht fristgerechten Festlegung: [X.], [X.], 119 Rn. 52 bis 55 - Genereller [X.] [X.] II; zur Residualbetrachtung: [X.]Z 228, 286 Rn. 33 bis 38 - Genereller [X.] [X.] I; zum Stützintervall 2006 bis 2016: [X.]Z 228, 286 Rn. 68 bis 91 - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 32 bis 41 - Genereller [X.] [X.] II; zum Deflator: [X.]Z 228, 286 Rn. 23 ff., 53 ff. - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 12 bis 15 - Genereller [X.] [X.] II; zu den Abschreibungen: [X.]Z 228, 286 Rn. 92 ff. - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 42 - Genereller [X.] [X.] II; zum Zinssatz für Fremdkapital: [X.]Z 228, 286 Rn. 104 ff. - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 43 bis 46 - Genereller [X.] [X.] II); zur [X.]: [X.]Z 228, 286 Rn. 112 ff. - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 47, 56 bis 59 - Genereller [X.] [X.] II).

Soweit die Betroffene in ihrem Schriftsatz vom 14. Juni 2022 in Bezug auf den Deflator unter Verwendung des Schaubilds "Indizdarstellung der Preisentwicklung" auf die starke Streuung der [X.] hinweist, liegt das schon deshalb neben der Sache, weil es insoweit um die konstanten Verbrauchsanteile der Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden, nicht aber um die Preisentwicklung geht ([X.]Z 228, 286 Rn. 53 ff. - Genereller [X.] [X.] I; [X.], [X.], 119 Rn. 21 ff. - Genereller [X.] [X.] II). Auch im vorliegenden Verfahren zeigt die Betroffene nicht auf, dass sie sich um eine - grundsätzlich mögliche - Einsicht in die Plausibilisierungsakten bemüht oder erstinstanzlich Vortrag gehalten hat, der nach den insoweit anwendbaren Maßstäben des [X.]s eine Verpflichtung zu weiteren Ermittlungen begründen könnte ([X.], [X.], 119 Rn. 37 bis 41 - Genereller [X.] [X.] II). Soweit sie nunmehr im Schriftsatz vom 14. Juni 2022 (erstmals) behauptet, es bleibe unklar, wie die [X.] die Daten überhaupt habe plausibilisieren können angesichts des Umstandes, dass die [X.] nur einen kleinen Teil der Gasnetzbetreiber selbst reguliert habe und für das [X.] nach Kenntnis der Betroffenen detaillierte Jahresabschlüsse im [X.] in der Regel nicht veröffentlicht worden seien, ist dies im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen. Die Betroffene zeigt nicht auf, dass sie es erstinstanzlich geltend gemacht habe (§ 88 Abs. 2, 4 [X.]; vgl. [X.], [X.], 119 Rn. 25 - Genereller [X.] [X.] II). Der Vortrag schließt zudem nicht aus, dass die [X.] über die zur Plausibilisierung erforderlichen Daten verfügt hat und ist daher nicht geeignet, die Begründung der [X.] für die von ihr bejahte Validität der herangezogenen Daten zu erschüttern (vgl. [X.] f., Festlegung S.14 f.; [X.]Z 228, 286 Rn. 68 - Genereller [X.] [X.] I).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 [X.].

[X.]     

      

[X.]     

      

Picker

      

Rombach     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

EnVR 16/20

28.06.2022

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 18. Dezember 2019, Az: VI-3 Kart 672/18 (V)

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2022, Az. EnVR 16/20 (REWIS RS 2022, 4700)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4700

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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VIII ZA 6/20

2 BvR 2821/14

6 C 1/16

VI ZB 7/15

2 BvR 206/14

1 BvR 1932/08

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