Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.09.2022, Az. VIa ZR 222/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 9571

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Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] - 12. Zivilsenat - vom 1. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] ([X.]) - 5. Zivilkammer - vom 25. August 2021 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung in einem Kraftfahrzeug in Anspruch.

2

Aufgrund eines Kaufvertrags vom 10. Juli 2014 erwarb die Klägerin von einem Händler ein von der [X.] hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug. Das Fahrzeug ist mit einem von der [X.] entwickelten und hergestellten Dieselmotor des [X.] ausgerüstet. Die zur Steuerung des [X.] eingesetzte Software sah die Erkennung des Betriebs im [X.] (NEFZ) sowie für diesen Fall einen besonderen, mit - im Vergleich zum gewöhnlichen Fahrbetrieb - geringeren Stickoxidemissionen verbundenen Modus vor. Nachdem das [X.] ([X.]) den Rückruf auch des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs angeordnet hatte, wurde im Februar 2017 auf Veranlassung der [X.] ein kostenloses, mit dem [X.] abgestimmtes Software-Update aufgespielt.

3

Die Klägerin hat von der [X.] im Wesentlichen Schadensersatz in Höhe des [X.] zwischen dem gezahlten Kaufpreis einerseits und dem Wert der gezogenen Nutzungen andererseits nebst [X.] um Zug gegen Übereignung und Herausgabe ihres Fahrzeugs und die Feststellung des Annahmeverzugs begehrt. Hilfsweise hat sie auf die Feststellung der Pflicht zur Herausgabe des [X.], äußerst hilfsweise auf Auskunft über den Umfang des [X.] angetragen. Schließlich hat sie den Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangt.

4

Das [X.] hat die im Dezember 2020 anhängig gemachte Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte unter Berücksichtigung des Werts der gezogenen Nutzungen zur Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verurteilt. Ferner hat es den Annahmeverzug der [X.] festgestellt und der Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zugesprochen. Das weitergehende Rechtsmittel der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die unbeschränkt zugelassene (vgl. auch [X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.], NJW 2022, 321 Rn. 17; Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], NJW 2022, 1311 Rn. 9 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 17) und auch im Übrigen zulässige Revision der [X.]n hat Erfolg.

6

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Der Klägerin stehe wegen der verwendeten Abschalteinrichtung ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die [X.] zu. Dieser Anspruch sei nicht vor Ablauf des Jahres 2020 verjährt. Entsprechend sei der Ablauf der Verjährungsfrist durch die im Dezember 2020 beim [X.] eingegangene Klage gehemmt worden (§ 167 ZPO). Die Klägerin sei bis in das [X.] von der [X.]n nicht von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten [X.] unterrichtet worden. Aus dem Umstand, dass sie eigene Nachforschungen unterlassen habe, erwachse der Klägerin auch nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Soweit die [X.] in einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 darauf hingewiesen habe, dass sie mit Hochdruck an der Beseitigung der Abweichungen zwischen den Emissionswerten im Prüfstandsbetrieb einerseits und im Fahrbetrieb andererseits arbeite und deshalb mit den zuständigen Behörden sowie dem [X.] in Kontakt stehe, habe die Klägerin auf eine Benachrichtigung der [X.]n, deren Zugang vor dem [X.] die [X.] nicht nachgewiesen habe, und auf die Durchführung der angekündigten technischen Maßnahmen vertrauen können. Auch für das [X.] habe die [X.] keine Umstände aufgezeigt, die die Annahme einer groben Fahrlässigkeit durch das Unterlassen von Nachforschungen rechtfertigen könnten.

8

II. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

9

1. Richtig und von der Revision nicht in Zweifel gezogen hat das Berufungsgericht allerdings die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB bejaht.

2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB seien für den im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB im Jahr 2014 entstandenen Anspruch nicht schon im [X.], sondern erst im [X.] erfüllt gewesen, ist dagegen von [X.] beeinflusst. Zutreffend hätte das Berufungsgericht entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung zur Verjährung eines anders als aus § 852 Satz 1 BGB hergeleiteten deliktischen Anspruchs (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juni 2022 - [X.], [X.], 1604 Rn. 26) gelangen müssen.

a) Dass die Klägerin aufgrund der Medienberichterstattung schon vor dem [X.] allgemeine Kenntnis vom sogenannten, die [X.] betreffenden [X.] hatte, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt und wird von der Revisionserwiderung nicht in Abrede gestellt.

b) [X.] ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht vor dem [X.] ohne grobe Fahrlässigkeit von der Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs Kenntnis erlangen müssen.

Zwar unterliegt die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu machen ist, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. [X.], Urteil vom 26. Februar 2013 - [X.], [X.]Z 196, 233 Rn. 32; Urteil vom 29. Juli 2021 - [X.], [X.]Z 231, 1 Rn. 13; Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], juris Rn. 25; Urteil vom 9. Mai 2022 - [X.], NJW 2022, 2028 Rn. 13). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten [X.] ist die Würdigung des Berufungsgerichts indessen rechtsfehlerhaft.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die [X.] schon im September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht, der sich jedenfalls im Zusammenhang mit der einschlägigen Medienberichterstattung Umstände entnehmen ließen, die eine Schadensersatzhaftung der [X.]n auch gegenüber der Klägerin und im Hinblick auf das seitens der Klägerin erworbene Fahrzeug zumindest möglich erscheinen ließen. Die Kenntnis der umfangreichen Medienberichterstattung über den sogenannten [X.] hat die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei ihrer persönlichen Anhörung eingeräumt. Aus den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des [X.]s ergibt sich außerdem, dass spätestens im [X.] ein Abfrageportal öffentlich zugänglich war, mit dem Fahrzeughalter die individuelle Betroffenheit ihres Fahrzeugs ohne weiteres in Erfahrung bringen konnten. Aufgrund dieser Umstände hatte die Klägerin nach den Grundsätzen, die der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils herausgearbeitet und näher dargelegt hat (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], juris Rn. 21 ff.; Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], juris Rn. 22 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 34 ff.), jedenfalls bis Ende des Jahres 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Dass die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 kein Anschreiben der [X.]n erhielt, begründete kein berechtigtes Vertrauen darauf, ihr Fahrzeug sei nicht betroffen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], aaO, Rn. 32; Urteil vom 9. Mai 2022 - [X.], NJW 2022, 2028 Rn. 14).

c) Der Klägerin, die Kenntnis vom sogenannten [X.] im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs ab dem [X.] grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im [X.] auch zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die [X.] aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], juris Rn. 36; Urteil vom 9. Mai 2022 - [X.], NJW 2022, 2028 Rn. 15).

III. Das Berufungsurteil ist im Umfang der Beschwer der [X.]n aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere kann die Klägerin, die das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Dritten gekauft hat, ihr Begehren auch nicht teilweise auf §§ 826, 852 Satz 1 BGB stützen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], [X.], 1444 Rn. 30). Da die Sache nach den vorstehenden Erwägungen zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und auf die Revision der [X.]n die Berufung der Klägerin insgesamt zurückweisen.

[X.]     

  

Krüger     

  

Götz

  

Rensen     

  

Wille     

  

Meta

VIa ZR 222/22

26.09.2022

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 1. Februar 2022, Az: 12 U 256/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.09.2022, Az. VIa ZR 222/22 (REWIS RS 2022, 9571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9571

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 692/21

VII ZR 679/21

VI ZR 1118/20

XI ZR 498/11

VII ZR 365/21

VII ZR 192/20

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