Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2013, Az. 2 StR 271/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2428

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Gegenstand

Persönliche Unterzeichnung des Strafurteils durch die mitwirkenden Richter: Anforderungen an die Verhinderung eines Richters wegen Überlastung mit anderen Dienstgeschäften


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen zweifachen erpresserischen Menschenraubs jeweils in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Zu Recht rügt der Beschwerdeführer den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 [X.], weil die gesetzliche Frist, in der das vollständige Urteil zu den Akten gebracht werden muss, nicht eingehalten worden ist (§ 275 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

I.

2

Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

3

An der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor der [X.] des [X.]s Erfurt nahmen als berufsrichterliche Mitglieder Vorsitzender [X.] am [X.] sowie [X.] am [X.] als beisitzender [X.] und Berichterstatter teil. Das ausweislich des [X.] vom 5. April 2013 am 13. Dezember 2012 nach sieben Hauptverhandlungstagen verkündete Urteil ist zwar am 30. Januar 2013 und damit vor der am 31. Januar 2013 ablaufenden siebenwöchigen Urteilsabsetzungsfrist bei der Geschäftsstelle eingegangen. Es war jedoch nicht vollständig, weil es nur von [X.] am [X.]   unterzeichnet worden ist. Die Unterschrift des Vorsitzenden hat [X.] am [X.] durch den Vermerk ersetzt: „Vorsitzender [X.] am [X.] wurde zum Vorsitzenden [X.] am [X.] in [X.] ernannt. Auf telefonische Nachfrage am 29. Januar 2013 teilte er mit, dass er aufgrund der Arbeitsbelastung im Senat unabkömmlich und zeitlich nicht in der Lage ist, das hiesige Urteil noch vor Fristablauf zu unterzeichnen.“

4

[X.] am [X.]     hat in seiner dienstlichen Erklärung vom 6. März 2013 angegeben, dass er dem vorsitzendem [X.] am [X.]      einen vollständigen [X.] nach [X.] per E-Mail übersandt habe. Am 24. Januar 2013 habe der Vorsitzende daraufhin mit ihm Änderungswünsche besprochen. Diese habe er danach eingearbeitet und am 29. Januar 2013 den vorsitzenden [X.] am [X.]      in [X.] angerufen und gefragt, ob er das Urteil nochmals lesen und unterschreiben wolle. Der Vorsitzende habe ihm darauf wie aus dem aus der [X.] ersichtlichen Verhinderungsvermerk geantwortet. In seiner dienstlichen Erklärung vom 14. März 2013 hat Vorsitzender [X.] am [X.]      unter Bezugnahme auf die dienstliche Erklärung von [X.] am [X.]       ausgeführt, dass ungeachtet der dienstlich begründeten Ortsabwesenheit die hohe Belastung im Strafsenat in [X.] - u.a. mit einem überdurchschnittlichen Anfall von [X.] und [X.] - keinen Raum für eine rechtzeitige Lektüre und Unterzeichnung des nochmals überarbeiteten schriftlichen Originalurteils gelassen habe.

II.

5

Danach ist das Urteil nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist vollständig im Sinne von § 275 Absatz 1 Satz 1 [X.] zu den Akten gelangt. Vollständig zu den Akten gelangt ist ein Urteil grundsätzlich nur dann, wenn es von [X.] an der Entscheidung mitwirkenden [X.]n unterzeichnet ist (vgl. § 275 Abs. 2 Satz 1 [X.]; BGHSt 26, 247, 248) bzw. eine etwaige Verhinderung unter dem Urteil ordnungsgemäß vermerkt ist (§ 275 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Die Annahme von [X.] am [X.]    , dass Vorsitzender [X.] am [X.]    verhindert war, seine Unterschrift beizufügen, unterliegt hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Ausweislich der dienstlichen Erklärung hielt [X.] am [X.]      den vorsitzenden [X.] am [X.]     aus tatsächlichen Gründen an der Unterschriftsleistung gehindert. Dies war hier auch in Anbetracht des insoweit bestehenden Beurteilungsspielraums ([X.], [X.], 56. Aufl., 2013 § 338 Rn. 57) rechtsfehlerhaft:

6

Die Unterzeichnung eines Strafurteils ist ein dringliches unaufschiebbares Dienstgeschäft (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 2 StR 331/10, [X.], 358), dessen Vornahme nur ausnahmsweise wegen anderer Dienstgeschäfte zurückzustehen hat. Mit ihrer Unterschrift beurkunden die mitwirkenden [X.], dass der [X.] die von ihnen verantworteten Gründe der Entscheidung dokumentiert. Die von [X.] [X.]n getragenen Gründe sollen dem [X.] eine sachgemäße Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels ermöglichen. Für das Rechtsmittelgericht, namentlich das Revisionsgericht, bilden sie die Grundlage der rechtlichen Überprüfung des Urteils. Dieser Bedeutung der schriftlichen Urteilsgründe sowie der Unterschrift der an der Entscheidung mitwirkenden [X.] trägt die gesetzliche Regelung Rechnung. § 275 Absatz 2 Satz 1 postuliert den Grundsatz, dass das schriftliche Urteil von [X.] beteiligten Berufsrichtern zu unterzeichnen ist, während der nach § 275 Absatz 2 Satz 2 [X.] mögliche Verhinderungsvermerk eine Ausnahme von dieser Regel normiert. Eine nach § 275 Abs. 2 Satz 2 [X.] beurkundete Verhinderung genügt daher nur dann den rechtlichen Anforderungen, wenn sie diesem [X.] und der Bedeutung der persönlichen Unterschriftsleistung der mitwirkenden [X.] Rechnung trägt.

7

Legt man dies zugrunde, ist vorliegend nicht hinreichend dargetan, dass es dem Vorsitzenden [X.] am [X.]    nicht möglich gewesen sein soll, die Urteilsgründe zu lesen und zu unterzeichnen. Zwar kann die Versetzung an ein anderes Gericht - wie hier die Versetzung an das [X.] - im Einzelfall der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 2 StR 331/10, [X.], 358 mwN). Auch kann die Überlastung mit anderen Dienstgeschäften grundsätzlich einen Verhinderungsgrund darstellen ([X.], [X.], 56. Aufl., 2013 § 275 Rn. 22 mwN). Jedoch hatte das Urteil hier mit 27 Seiten einen überschaubaren Umfang. Einen [X.] hatte der versetzte [X.] bereits mit dem Berichterstatter durchgesprochen, sodass eine erneute Prüfung der Urteilsgründe nur einen begrenzten Umfang haben konnte. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine Übermittlung des fertiggestellten Urteils und seine Unterzeichnung nach Durchsicht nicht auf anderem Wege hätte durchgeführt werden können. Vor allem aber ist der Verhinderungsgrund nicht hinreichend dargelegt. Dass der Vermerk von [X.] am [X.]       auf der [X.] aus Gründen der Praktikabilität notwendigerweise allgemein gehalten ist, ist an sich rechtlich nicht zu beanstanden. Da die Revision jedoch ausdrücklich geltend macht, dass die vermerkte Verhinderung auf willkürlichen, sachfremden Erwägungen beruht, hätte es näherer Darlegung in der dienstlichen Erklärung von Vorsitzendem [X.] am [X.]        bedurft, auf welchen Umständen die geltend gemachte Überlastung mit anderweitigen Dienstgeschäften beruht (vgl. BGHSt 31, 212). Insoweit ist die allgemein auf einen überdurchschnittlichen Anfall mit [X.] gestützte Erklärung nicht hinreichend substantiiert, um dem Senat eine Überprüfung zu ermöglichen, ob bei der Annahme der Verhinderung dem nach der gesetzlichen Regelung in § 275 Abs. 2 Satz 1 [X.] erforderlichen Gewicht der persönlichen Unterschriftsleistung ausreichend Rechnung getragen wurde.

Fischer                  Schmitt                    Krehl

                Ott                       Zeng

Meta

2 StR 271/13

26.09.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Erfurt, 13. Dezember 2012, Az: 802 Js 10596/12 - 2 KLs

§ 275 Abs 2 S 1 StPO, § 275 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2013, Az. 2 StR 271/13 (REWIS RS 2013, 2428)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2428

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 495/20

Zitiert

2 StR 331/10

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