Bundessozialgericht, Urteil vom 19.11.2019, Az. B 1 KR 33/18 R

1. Senat | REWIS RS 2019, 1417

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Gegenstand

Krankenversicherung - Krankenhausvergütungsstreit - Nachreichen von Behandlungsunterlagen - Bewertung des Beweiswerts durch Tatsachengericht im Einzelfall


Leitsatz

1. Ein Krankenhaus ist im Vergütungsstreit nicht gehindert, erkennbar ergänzte Behandlungsunterlagen nachzureichen, wenn weder Gesetzes- noch Vertragsrecht entgegenstehen.

2. Das Tatsachengericht hat den Beweiswert von Behandlungsunterlagen jeweils im Einzelfall und insbesondere bei nachträglichen Änderungen ohne plausiblen Kontext kritisch zu bewerten.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 867,77 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

2

Die Klägerin, Trägerin eines nach § 108 [X.] zugelassenen Krankenhauses, behandelte die bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte [X.] (im Folgenden: Versicherte) vollstationär vom 6. bis 10.5.2012 und berechnete hierfür 3072,66 [X.] (23.5.2012; Diagnosis Related Group J21Z - Andere Hauttransplantation oder Debridement mit Lymphknotenexzision oder schweren [X.]). Die Beklagte beglich die Forderung zunächst vollständig, verrechnete jedoch einen Betrag von 867,77 [X.] aufgrund einer Stellungnahme des [X.] ([X.], 15.10.2012) mit unstreitigen Behandlungsfällen der Klägerin (11.10.2013): Der Behandlungsfall sei mit der [X.] zu vergüten (Eingriffe an der Haut der unteren Extremität außer bei Ulkus oder Infektion / Entzündung, Alter < 70 Jahre ohne [X.]). Eine lokale Lappenplastik ergebe sich nicht aus dem Operationsbericht. Auf die [X.]-Stellungnahme übersandte die Klägerin der Beklagten einen um die Wundrandmobilisation ergänzten Operationsbericht (30.4.2013). Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat auf die Berufung der Klägerin die Beklagte zur Zahlung von 867,77 [X.] nebst Zinsen verurteilt. Die Voraussetzungen des [X.]-903.5e seien erfüllt. Das habe die Klägerin durch den ergänzten Operationsbericht nachvollziehbar dargelegt (Urteil vom 30.1.2018).

3

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 109 Abs 4 Satz 3 und § 275 Abs 1 [X.] und Abs 1c Satz 1 und 2 [X.], § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz ([X.]) sowie des Beschleunigungsgrundsatzes und des Gebots der Wirtschaftlichkeit. Eine iS von § 301 [X.] formal korrekte Abrechnung könne nicht im Nachhinein nach Bewertung durch den [X.] ergänzt und angepasst werden.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 30. Januar 2018 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 20. Juni 2016 zurückzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten [X.] ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 2 [X.]). Das [X.] hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung des klageabweisenden [X.] zur Zahlung von 867,77 Euro nebst Zinsen verurteilt. Der klagenden [X.] steht der im [X.] zulässigerweise mit der (echten) Leistungsklage (stRspr, vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], RdNr 9; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]2) verfolgte Vergütungsanspruch aus der Behandlung anderer Versicherter zu (dazu 1.). Die Beklagte erfüllte diesen Vergütungsanspruch nicht in Höhe von 867,77 Euro dadurch, dass sie mit einem aus der Behandlung der Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch aufrechnete (dazu 2.).

8

1. Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlung anderer Versicherter der [X.] Anspruch auf die abgerechnete Vergütung von 867,77 Euro hatte; eine nähere Prüfung des erkennenden Senats erübrigt sich insoweit (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB BSG [X.]-2500 § 129 [X.] Rd[X.]0; BSG [X.]-2500 § 130 [X.] Rd[X.]; BSG [X.]-5562 § 9 [X.] Rd[X.]).

9

2. Die Beklagte erfüllte diesen Vergütungsanspruch nicht dadurch, dass sie mit einem aus der Behandlung der Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch aufrechnete. Die Beklagte zahlte der Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten auch den Vergütungsanteil von 867,77 Euro nebst Zinsen mit Rechtsgrund.

a) Die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf [X.] sind erfüllt. Die Beklagte ist - was sie auch nicht bestreitet - verpflichtet, die stationäre Krankenhausbehandlung ihrer Versicherten im Krankenhaus der Klägerin vom 6. bis 10.5.2012 zu vergüten. Die Zahlungsverpflichtung einer [X.] entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 [X.] erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr, vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]1; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]5; [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]; alle mwN). Diese Voraussetzungen waren nach den [X.], den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]) erfüllt.

b) Die Klägerin erhielt zu Recht - neben den von der [X.] bereits anerkannten [X.] Euro - auch den weiteren Vergütungsanteil (dazu [X.]) in Höhe von 867,77 Euro. Die Klägerin kodierte für die durchgeführte Behandlung zutreffend [X.] 5-903.5e, sodass die [X.] angesteuert wird (dazu [X.]). Dies wird von der [X.] grundsätzlich auch nicht in Zweifel gezogen. Sie bezweifelt indes zu Unrecht die Berechtigung der Klägerin, die Voraussetzungen dieser Kodierung durch eine nachträgliche Ergänzung des [X.] darzulegen (dazu [X.]). Die Vergütungsforderung ist auch nicht verwirkt (dazu dd).

[X.]) Die Vergütung für Krankenhausbehandlung der Versicherten bemisst sich bei [X.] wie dem der Klägerin nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs 4 Satz 3 [X.] (idF durch Art 1 [X.] vom [X.], [X.]) iVm § 7 [X.]ntgG (idF durch Art 2 [X.] Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem [X.] vom [X.], [X.], mWv 25.3.2009) und § 17b [X.] (idF durch Art 6 [X.] des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, [X.] 2983 mWv 1.1.2012; vgl entsprechend [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]5 f; BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]5; BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]2; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]0). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch [X.] ([X.], [X.] - [X.]) konkretisiert. Der [X.] [X.]n und der [X.] gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]ntgG (idF durch Art 2 [X.] a KHRG vom [X.], [X.]) mit der [X.] ([X.]) als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 [X.]ntgG (idF durch Art 2 [X.]) einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit [X.] in den [X.] auf der Grundlage des § 9 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]ntgG (idF durch Art 19 [X.] Gesetz zur Stärkung des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung vom [X.], [X.] 378).

Welche [X.] abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (vgl § 1 Abs 6 Satz 1 [X.] 2012; zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.] ff). Zugelassen sind nur solche Programme, die von der [X.], einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs 2 Satz 1 [X.] und § 9 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]ntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind (vgl BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]). Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (zB die Zuordnung von [X.]-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren gehören die [X.] selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten ([X.]) in der jeweiligen vom [X.] ([X.]) im Auftrag des [X.] ([X.]) herausgegebenen [X.] Fassung (<[X.]-GM> hier in der Version 2012 idF der Bekanntmachung des [X.] gemäß §§ 295 und 301 [X.] zur Anwendung des [X.] vom 21.9.2011, BAnz [X.] vom 10.11.2011 [X.], in [X.] getreten am 1.1.2012) und die Klassifikation des vom [X.] im Auftrag des [X.] herausgegebenen [X.] (hier in der Version 2012 idF der Bekanntmachung des [X.] gemäß §§ 295 und 301 [X.] zur Anwendung des [X.] vom 21.9.2011, BAnz [X.] vom 21.11.2011 [X.] 3752, in [X.] getreten am 1.1.2012; zur Grundlage der Rechtsbindung vgl [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]4). Schließlich gehören zu den einbezogenen Regelungskomplexen die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den [X.] für das [X.] (Vereinbarung zu den [X.] Version 201 2 für das [X.] gem äß § 17b [X.]). Hierdurch erlangen die dem Groupierungsalgorithmus vorgelagerten [X.]-Regelungen über die Eingabe der in [X.]-GM und [X.] enthaltenen kodierfähigen Angaben in die [X.] jedes Jahr zwischen den Vertragspartnern erneut Geltung (vgl [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]; zu deren normativer Wirkung vgl [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]8, 24; vgl zum Ganzen BSG [X.]-5562 § 9 [X.]0).

Die Anwendung der normenvertraglichen [X.] ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die [X.] sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des [X.] innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten [X.] gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (stRspr, vgl zB BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] mwN; [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]7; BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] mwN; BSG [X.]-5562 § 2 [X.] Rd[X.]5; BSG [X.]-5562 § 9 [X.] Rd[X.]).

[X.]) Die von der Klägerin abgerechnete [X.] setzt nach diesen Grundsätzen die zulässige Kodierung von [X.] 5.903.5e voraus, dementsprechend eine "lokale Lappenplastik an Haut und Unterhaut" als "großflächige Dehnungsplastik" an "Oberschenkel und Knie". Nach den [X.] und den Senat daher bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]) erfüllte die von der Klägerin durchgeführte [X.] diese Anforderungen.

[X.]) Entgegen der Ansicht der [X.] ist der Abrechnung nicht ein vom tatsächlichen Behandlungsfall abweichender Sachverhalt zugrunde zu legen, weil sich die maßgebliche Tatsachengrundlage nicht bereits eindeutig aus dem ursprünglichen [X.] ergab. Das für den Rechtsstreit maßgebliche, zur [X.] der Versicherten geltende Vergütungsrecht für Krankenhäuser bezweckt, das tatsächlich vom Krankenhaus der [X.] Geleistete zu vergüten und Fehler, die dies verhindern, zu korrigieren. So zielt das zwingende Abrechnungssystem der Fallpauschalen mit dem hierauf abgestimmten Gebot an die Krankenhäuser, die [X.]n über die gesetzlich und normenvertraglich bestimmten Abrechnungsgrundlagen zu informieren, auf das - hier einschlägige - Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. [X.]n haben die Leistungen zu vergüten, die Krankenhäuser tatsächlich erbracht haben. Hierfür genügt es nicht, dass das Krankenhaus eine Leistung bloß abrechnet. Es muss sie tatsächlich bewirkt haben (stRspr, vgl zB [X.] 122, 87 = [X.]-2500 § 301 [X.], Rd[X.]6 mwN; nachfolgend [X.] Beschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 - juris = [X.], 12). Zwar sieht das [X.] bei Streit über [X.] vorprozess[X.]l kein Verwaltungsverfahren mit Amtsermittlung vor. Das vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 [X.]) geprägte gerichtliche Rechtsschutzverfahren des [X.] ermöglicht hingegen als folgerichtige Ergänzung eine umfassende Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (vgl zB [X.] 125, 91 = [X.]-1500 § 120 [X.], Rd[X.]; BSG Urteil vom 18.12.2018 - B 1 KR 40/17 R - juris Rd[X.]2, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Es dient dazu, den für die rechtliche Bewertung der gestellten Rechnung des Krankenhauses maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären und der rechtlichen Bewertung des erhobenen Vergütungsanspruchs zugrunde zu legen. Das Vorbringen des Krankenhauses und die von ihm vorgelegten Dokumentationen sind hierfür ebenso wenig alleine maßgeblich wie das Erheben substantiierter Einwendungen innerhalb bestimmter Fristen (vgl [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]6; BSG [X.]-2500 § 301 [X.] Rd[X.]). Während etwa § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 der zwischen dem [X.] und der [X.] geschlossenen, am [X.] in [X.] getretenen Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c [X.] ([X.] - PrüfvV 2014) aufgrund hinreichender Ermächtigung (vgl § 17c Abs 2 [X.]; rechtsähnlich zB BSG [X.]-2500 § 129 [X.] Rd[X.]5 ff mwN) mit der Vergütungsbegrenzung auf das Unstreitige eine wirksame, verhältnismäßige und spezielle materiell-rechtliche Ausschlussregelung enthält (zutreffend etwa [X.] Baden Württemberg Urteil vom 17.4.2018 - L 11 KR 936/17 - juris Rd[X.]3 = [X.] 2018/10), existiert für den betroffenen Behandlungsfall keine gesetzliche oder vertragliche Grundlage, nach der das Krankenhaus im Rechtsstreit über eine weder verjährte noch verwirkte Vergütungsforderung mit tatsächlichem Vorbringen nach Ablauf bestimmter Fristen ausgeschlossen wäre.

Folgerichtig gilt für Unterlagen, die das Krankenhaus im Rahmen vorprozess[X.]ler Korrespondenz über den Vergütungsanspruch vorlegt, bei Überprüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Abrechnung kein Verwertungsverbot (vgl BSG [X.]-2500 § 301 [X.] Rd[X.]). Die Verpflichtung der Krankenhäuser zu wahrheitsgemäßer und hinreichend vollständiger Information über das Behandlungsgeschehen (vgl hierzu BSG [X.]-2500 § 301 [X.] Rd[X.]1; [X.] 122, 87 = [X.]-2500 § 301 [X.], Rd[X.]5) dient gerade der Gewährleistung und Überprüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen. Ua dieser Zweck liegt auch der sozialrechtlichen Dokumentationspflicht zugrunde. Die Leistungserbringer wie Krankenhäuser sind verpflichtet, die [X.] für die Erfüllung der Aufgaben der [X.]n notwendigen Angaben, die aus [X.] der Erbringung von Versicherungsleistungen entstehen, aufzuzeichnen und gemäß den nachfolgenden Vorschriften [X.] den [X.]n mitzuteilen (vgl § 294 [X.]). Diese Angaben dienen der internen und externen Prüfung und Ausführung der Abrechnung, der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der Q[X.]litätssicherung.

Die sozialrechtliche Dokumentationspflicht der Krankenhäuser steht nicht in Widerspruch zur Dokumentationspflicht aus oder entsprechend den Grundsätzen des [X.], verfolgt aber eigene Zwecke. Die Dokumentationspflicht folgt im Verhältnis zum Patienten aus oder entsprechend dem Behandlungsvertrag (vgl [X.], 391, 397 = NJW 1987, 1482, 1483; [X.], 132, 137 f = NJW 1978, 2337, 2338 f und nunmehr § 630f BGB). Sie dient vor allem der Therapiesicherung, zudem aber auch der Beweissicherung (vgl zB Glanzmann in [X.]/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Aufl 2018, § 630f BGB Rd[X.] f; Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl 2018, § 630f BGB Rd[X.]). Die Patientenakte ist zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung zu führen (vgl § 630f Abs 1 Satz 1 BGB). Die nachträgliche Änderung und Ergänzung einer Dokumentation - etwa, wie hier, eines [X.]sberichts - ist nicht generell ausgeschlossen, muss aber den ursprünglichen Inhalt und den Änderungszeitpunkt erkennen lassen (vgl § 630f Abs 1 Satz 2 BGB). Eine ähnliche Verpflichtung zur Dokumentation enthält das ärztliche Berufsrecht (vgl zum aktuellen Recht etwa § 10 der Musterberufsordnung für die in [X.] tätigen Ärztinnen und Ärzte idF der Beschlüsse des 121. [X.] 2018 in [X.] sowie des Beschlusses des Vorstandes der [X.] vom 14.12.2018, [X.], A 230).

Die Dokumentation des Krankenhauses darf in Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit in die Feststellung des Sachverhalts im Wege der Amtsermittlung einfließen (vgl zB [X.] 125, 91 = [X.]-1500 § 120 [X.], Rd[X.]; BSG Urteil vom 18.12.2018 - B 1 KR 40/17 R - juris Rd[X.]2, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Ihr Beweiswert ist hierbei jeweils im Einzelfall tatrichterlich zu bewerten, eine kritische Sicht liegt insbesondere bei nachträglichen Änderungen oder Ergänzungen ohne plausiblen Kontext nahe. Hat das [X.] bei vorgelegter Dokumentation Zweifel an Rechtserheblichem, muss es den Sachverhalt ergänzend aufklären, etwa durch Vernehmung der behandelnden Ärzte und der behandelten Versicherten. Lässt sich nach Ausschöpfen der gebotenen Aufklärung nicht feststellen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der abgerechneten Fallpauschale erfüllt gewesen sind, trägt das Krankenhaus die objektive Beweislast für das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl dazu zB [X.] 117, 82 = [X.]-2500 § 109 [X.]0, Rd[X.]8; [X.], [X.], Stand März 2019, Vor § 103 Anm 3 mwN).

dd) Die von der [X.] geleistete Vergütung war auch nicht in Höhe von 867,77 Euro verwirkt (vgl zB zur Zulässigkeit von Nachforderungen BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] ff mwN). Die Beklagte leistete zeitnah. Die Beteiligten streiten zudem seit der [X.] über die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Kodierung von [X.] 5-903.5e. Ein Vertrauen der [X.], dass die Klägerin im Rahmen dieses Streits keine weiteren Tatsachen mehr vortragen werde, konnte nicht entstehen.

3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs 1 Satz 3 [X.] iVm §§ 291, 288 Abs 1 Satz 2 BGB und § 13 Abs 7 des Vertrags nach § 112 [X.] zwischen der [X.] und den [X.]. Danach beträgt die Zahlungsfrist für [X.] 21 Tage. Ab Überschreitung der Zahlungsfrist sind Verzugszinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.] iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.] iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

Meta

B 1 KR 33/18 R

19.11.2019

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 20. Juni 2016, Az: S 62 KR 38/15, Urteil

§ 103 SGG, § 109 Abs 4 S 3 SGB 5, § 112 SGB 5, § 275 Abs 1c SGB 5, § 294 SGB 5, § 301 SGB 5, § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG vom 17.03.2009, § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG vom 17.03.2009, § 9 Abs 1 S 1 Nr 3 KHEntgG vom 26.03.2007, § 17b Abs 2 S 1 KHG vom 26.03.2007, § 17c Abs 2 KHG, § 7 Abs 2 S 3 PrüfvVbg vom 18.07.2014, § 7 Abs 2 S 4 PrüfvVbg vom 18.07.2014, Anl 1 Teil a Nr J21Z FPVBG 2012, Anl 1 Teil a Nr J04B FPVBG 2012, ICD-10-GM 2012, Nr 5.903.5e OPS 2012, DKR 2012, § 630f Abs 1 S 1 BGB, § 630f Abs 1 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.11.2019, Az. B 1 KR 33/18 R (REWIS RS 2019, 1417)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1417

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