Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.01.2013, Az. 4 B 48/12

4. Senat | REWIS RS 2013, 9140

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zum Maß der nach § 15 Abs. 1 BauNVO gebotenen Rücksichtnahme


Gründe

1

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage sowohl als unzulässig als auch als unbegründet abgewiesen. In einem solchen Fall kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder [X.]egründung ein Revisionszulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt ([X.]eschluss vom 19. September 1991 - [X.]VerwG 2 [X.] 108.91 - juris Rn. 4). Vorliegend scheitert die [X.]eschwerde daran, dass es ihr nicht gelingt, hinsichtlich der Abweisung der Klage als unbegründet einen Grund für die Zulassung der Revision aufzuzeigen. Dazu im Einzelnen Folgendes:

3

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die Klägerin beimisst.

4

a) Die für den Fall der Funktionslosigkeit des [X.]ebauungsplans Nr. 71b [X.] Teil II der Antragsgegnerin gestellte Frage, ob ein gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch zumindest dann anerkannt werden muss, wenn das gebietsexterne Vorhaben ebenso wie das eigene Grundstück in einem faktischen [X.]augebiet gelegen ist, für das nach der [X.]aunutzungsverordnung dieselben Nutzungsarten (hier: eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte) ausgeschlossen sind, lässt sich mit dem Hinweis auf die vom Verwaltungsgerichtshof in [X.]ezug genommene Entscheidung des Senats vom 22. Dezember 2011 - [X.]VerwG 4 [X.] 32.11 - (Zf[X.]R 2012, 378) ohne weiteres verneinen. Danach kann sich ein Nachbar gegen eine gebietsfremde Nutzung nur zur Wehr setzen, wenn beide Grundstücke demselben faktischen [X.]augebiet angehören.

5

Die Frage ist nicht deshalb von grundsätzlicher [X.]edeutung, weil der Senat im [X.]eschluss vom 18. Dezember 2007 - [X.]VerwG 4 [X.] 55.07 - ([X.]ayV[X.]l 2008, 765) einem Nachbarn, dessen Grundstück nicht im Plangebiet liegt, einen von konkreten [X.]eeinträchtigungen unabhängigen Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen im angrenzenden Plangebiet nur im Grundsatz abgesprochen hat. Der Vorbehalt trägt dem Umstand Rechnung, dass der Senat einen Gebietserhaltungsanspruch zu Gunsten plangebietsexterner Grundeigentümer jenseits des [X.]undesrechts für gegeben hält, wenn, was in der Praxis der Ausnahmefall sein wird, Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung nach dem Willen des [X.] auch Grundeigentümern außerhalb des Plangebiets Drittschutz vermitteln sollen. Dieser Sonderfall ist in faktischen [X.]augebieten nicht denkbar. Es liegt in der Konsequenz dieser Erkenntnis, dass der Senat im [X.]eschluss vom 22. Dezember 2011 (a.a.[X.]) einen grenzüberschreitenden Gebietserhaltungsanspruch im Falle des § 34 Abs. 2 [X.]auG[X.] ausnahmslos ausgeschlossen hat.

6

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass sich der Nachbarschutz eines außerhalb der Grenzen des Plangebiets belegenen Grundstückseigentümers bundesrechtlich (nur) nach dem in § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.]auNVO enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme bestimmt und das Maß der gebotenen Rücksichtnahme von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt. [X.]eides entspricht, wie auch die Klägerin nicht verkennt, der Rechtsprechung des Senats (vgl. [X.]eschluss vom 18. Dezember 2007 a.a.[X.] und Urteil vom 25. Januar 2007 - [X.]VerwG 4 [X.] 1.06 - [X.]VerwGE 128, 118 Rn. 18). Sie möchte in einem Revisionsverfahren grundsätzlich geklärt wissen, ob die Ansiedlung einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte unmittelbar jenseits der Grenze eines reinen Wohngebiets im Hinblick auf die von ihr ausgehenden Störungen und [X.]elästigungen prinzipiell, d.h. ohne Nachweis einer konkreten [X.]eeinträchtigung unzumutbar im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.]auNVO ist.

7

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist zu verneinen, ohne dass es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Senats, dass das Maß der nach § 15 Abs. 1 [X.]auNVO gebotenen Rücksichtnahme, wie sich schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt, gerade von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt. Gegeneinander abzuwägen sind die Schutzwürdigkeit des [X.]etroffenen, die Intensität der [X.]eeinträchtigung, die Interessen des [X.]auherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist (Urteile vom 5. August 1983 - [X.]VerwG 4 [X.] 96.79 - [X.]VerwGE 67, 334 <339> und vom 6. Oktober 1989 - [X.]VerwG 4 [X.] 14.87 - Zf[X.]R 1990, 34 <35>; [X.]eschluss vom 3. März 1992 - [X.]VerwG 4 [X.] 70.91 - [X.]uchholz 406.12 § 3 [X.]auNVO Nr. 8 S. 6; Urteil vom 25. Januar 2007 a.a.[X.]). Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden [X.]eeinträchtigungen (Urteil vom 5. August 1983 a.a.[X.] S. 340).

8

Das [X.]eschwerdevorbringen gibt keinen Anlass, die bisherige Rechtsprechung einer Überprüfung in einem Revisionsverfahren zu unterziehen. Es trifft nicht zu, dass die Rechtsprechung dem Wohnungseigentümer in einem reinen Wohngebiet keinerlei Schutz gegen Spielhallen gewährt, die sich unmittelbar hinter der Grenze des Wohngebiets ansiedeln. Je nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls kann die Prüfung des § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.]auNVO auch zu Gunsten des Wohnungseigentümers ausfallen. Die Ansicht der Klägerin, dass nach einer - hier zu befürchtenden - Häufung von Spielhallen weitere Spielhallen mit Hilfe des § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.]auNVO auch dann nicht mehr verhindert werden könnten, wenn sie mit unzumutbaren [X.]eeinträchtigungen der Nachbarschaft verbunden seien, trifft nicht zu. Das Urteil des Senats vom 15. Dezember 1994 - [X.]VerwG 4 [X.] 13.93 - ([X.]RS 56 Nr. 61) stützt ihre Ansicht nicht, weil es sich zum [X.] nicht verhält.

9

c) Die von der Klägerin als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, ob der sog. trading-down-Effekt auf den Qualitätsverlust von Einkaufsstraßen und [X.] beschränkt ist oder auch eine negative [X.]etroffenheit von reinen Wohngebieten kennzeichnet, führt nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision, weil es sich bei ihr nicht um eine Rechtsfrage handelt. Der (sozioökonomische) [X.]egriff des [X.] kennzeichnet eine Entwicklung, die auf der [X.]eobachtung wirtschaftlicher Aktivitäten und ihrer Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse beruht. Ihre Erfassung und [X.]ewertung ist [X.] der Sachverhaltsermittlung zuzuordnen und obliegt den [X.]. Auf die weitere Frage, ob ein trading-down-Effekt auch dann zu bejahen ist, wenn er baugebietsübergreifend eintritt oder einzutreten droht, kommt es nicht mehr an.

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

a) Die Klägerin hält dem Verwaltungsgerichtshof vor, zu Unrecht auf die Einholung eines Gutachtens über die mögliche Wertminderung ihres Wohneigentums durch die Ansiedlung einer Spielhalle in unmittelbarer Umgebung verzichtet zu haben, und sieht darin der Sache nach einen Verstoß gegen die Pflicht zur Klärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO). Die Kritik verhilft der Verfahrensrüge nicht zum Erfolg. Der [X.]ereich der Tatsachenfeststellung ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt rechtlich verfehlt sein sollte (Urteil vom 25. März 1987 - [X.]VerwG 6 [X.] 10.84 - [X.]uchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183; stRspr). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Einholung des von der Klägerin vermissten [X.] nur für den Fall für erforderlich gehalten, dass das Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist ([X.] Rn. 23). Da er diesen Fall verneint hat - ob zu Recht oder zu Unrecht, ist unerheblich -, hatte er keinen Anlass, die für möglich gehaltene Wertminderung durch einen Sachverständigen ermitteln zu lassen.

b) Die Klägerin rügt ferner einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und damit gleichzeitig eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Der Verwaltungsgerichtshof habe in der mündlichen Verhandlung gestellte [X.]eweisanträge abschlägig beschieden, weil er die unter [X.]eweis gestellten [X.]ehauptungen als wahr unterstellt habe, ihr, der Klägerin, im Urteil aber ohne vorherigen Hinweis auf die Ergänzungsbedürftigkeit ihres Vortrags vorgehalten habe, der bisherige Vortrag sei nicht substanziiert.

Auch diese Verfahrensrüge führt nicht zur Zulassung der Revision. [X.]ei den [X.]ehauptungen, die der Verwaltungsgerichtshof als wahr unterstellt hat, handelt es sich um andere als diejenigen, die er für nicht substanziiert hält. Die von der Klägerin unter [X.]eweis gestellten und vom Verwaltungsgerichtshof als wahr unterstellten [X.]ehauptungen zu den Auswirkungen von Spielhallen auf die Umgebung sind nach der vorinstanzlichen Einschätzung allgemeiner Natur ([X.] Rn. 22). Sie seien hinzunehmen ([X.] Rn. 22 a.E.). Einen Abwehranspruch gibt es nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofs nur bei einer konkreten [X.]eeinträchtigung, die den Grad der Unzumutbarkeit erreicht haben muss. Dafür sei weder etwas ersichtlich noch substanziiert vorgetragen. Auf die mangelnde Substanziierung des Vorbringens zu einer konkreten [X.]eeinträchtigung ihres Wohneigentums musste der Verwaltungsgerichtshof die Klägerin nicht aufmerksam machen. Eine allgemeine Pflicht der Gerichte, die [X.]eteiligten auf die gerichtliche Rechtsauffassung und die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen, besteht nicht (vgl. [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 10. April 1987 - 1 [X.]vR 883/86 - D[X.] 1987, 2287 <2288>).

Meta

4 B 48/12

10.01.2013

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 12. Juli 2012, Az: 2 B 12.1211, Urteil

§ 15 Abs 1 BauNVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.01.2013, Az. 4 B 48/12 (REWIS RS 2013, 9140)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 9140

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

AN 9 K 14.01543 (VG Ansbach)

Verpflichtungsklage, Baugenehmigung, Wettbüro, Vergnügungsstätte, faktisches Mischgebiet, Gebietsprägung, Wohnnutzung, Anfechtungsklage, Nutzungsuntersagung, Rücksichtnahmegebot, Trading-Down-Effekt, Bebauungszusammenhang


M 8 K 15.1211 (VG München)

Nutzungsänderung eines Ladens in ein Wettbüro


AN 9 K 13.02100 (VG Ansbach)

Verpflichtungsklage, Baurecht, Baugenehmigung, Nutzungsänderung, Bankfiliale, Wettbüro, Vergnügungsstätte, beachtliche Fehler, Abwägungsvorgang, Vorhaben


AN 3 K 17.00971 (VG Ansbach)

Trading-Down-Effekt bei Zulassung eines Wettbüros


AN 9 K 13.02100 (VG Ansbach)

Nutzungsänderung von Bankfiliale in Wettbüro


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.