Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.12.2010, Az. IX ZR 60/10

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 575

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung: Auszahlung der Einlage an den Anleger in einem Schneeballsystem


Leitsatz

Wird dem Anleger in einem Schneeballsystem neben Scheingewinnen auch die Einlage ausgezahlt, kann sich der anfechtende Insolvenzverwalter nicht darauf berufen, die Einlage sei durch Verluste und Verwaltungsgebühren teilweise aufgebraucht .

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 4. März 2010 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 1. Juli 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin bot ihren Kunden die Möglichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 vom Hundert und 14,07 vom Hundert. Die Beklagte erklärte am 25. März 1996 ihren Beitritt zu der [X.]. Tatsächlich erlitt die Schuldnerin im Zeitraum der Beteiligung der Beklagten Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den Anlegern Kontoauszüge zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Die Gelder der Anleger wurden nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht mehr in Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukunden verwendete die Schuldnerin in der Art eines "Schneeballsystems" für Aus- und Rückzahlungen an Altkunden. Die Beklagte leistete eine Einlage von umgerechnet 76.262,59 €. Sie erhielt von der Schuldnerin am 15. August 2003 eine Auszahlung in Höhe von 103.626,01 €.

2

Mit seiner auf Anfechtung gestützten Klage hat der Kläger zunächst die Rückgewähr der an die Beklagte geleisteten Auszahlung abzüglich der Einlage der Beklagten, somit [X.] sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.107,85 €, jeweils zuzüglich Zinsen verlangt. Das [X.] hat der Klage in Höhe von 18.227,78 € zuzüglich anteiliger Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben. Gestützt auf eine Neuberechnung des Kontostandes der Beklagten unter Berücksichtigung des "realen Handelsergebnisses", in welcher der Kläger Scheingewinne der Beklagten in Höhe von 39.686,04 € ausgewiesen hat, hat er die Klage im Berufungsverfahren auf diesen Betrag erweitert. Das Berufungsgericht hat der Klage in Höhe der ursprünglichen Klageforderung von [X.] zuzüglich entsprechender Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des [X.] hat keinen Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Insolvenzverwalter könne die Auszahlung der Schuldnerin in Höhe der Differenz zur ursprünglichen Einlage der [X.]n als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 [X.] anfechten. Dabei sei der Höhe nach auf die tatsächlich gezahlte Einlage abzustellen und nicht auf den vom Kläger im Rahmen der nachträglichen Berechnung ermittelten, nach der Verrechnung von Verlustzuweisungen und [X.] verbleibenden Restbetrag der Einlage. Die [X.] habe die Schuldnerin nicht verdient, weil sie die [X.] nicht vertragsgemäß verwaltet, sondern im Rahmen des "Schneeballsystems" an [X.] verteilt habe. Die "reale" Gewinn- und [X.] sei angesichts des von der [X.] gänzlich abweichenden Geschäftsmodells der Schuldnerin rein fiktiv.

II.

5

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

6

1. Bei der Beurteilung, in welchem Umfang der Kläger die Leistungen der Schuldnerin als unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 [X.] zurückverlangen kann, hat das Berufungsgericht den richtigen Ausgangspunkt gewählt. Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von in "Schneeballsystemen" erzielten [X.] durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 [X.] anfechten ([X.], Urteil vom 11. Dezember 2008 - [X.], [X.]Z 179, 137 Rn. 6; vom 22. April 2010 - [X.], [X.], 1253 Rn. 6; jeweils mwN). Auszahlungen, mit denen - etwa nach einer Kündigung der Mitgliedschaft in der [X.] - vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind, sind dagegen als entgeltliche Leistungen nicht anfechtbar ([X.], Urteil vom 22. April 2010 - [X.], [X.], 1455 Rn. 11).

7

2. Im Streitfall wurde innerhalb des [X.] (vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 134 Abs. 1 [X.]) das gesamte ausgewiesene Guthaben der [X.]n ausgezahlt und ihr Konto aufgelöst. Das Guthaben setzte sich aus der geleisteten Einlage und den der [X.]n zugeschriebenen fiktiven Gewinnanteilen zusammen. Die bei Teilauszahlungen zu beantwortende Frage, ob und in welchem Umfang von der Schuldnerin auf [X.] oder auf die Einlage gezahlt wurde, stellt sich hier nicht.

8

a) In dem über den Betrag der Einzahlung hinausgehenden Umfang handelte es sich um die Auszahlung von [X.], die als unentgeltliche Leistung der Anfechtung nach § 134 Abs. 1 [X.] unterliegt.

9

b) Soweit die Auszahlung auf die ungeschmälerte Einlage erfolgte, sind die Voraussetzungen einer Schenkungsanfechtung hingegen nicht gegeben. Auf eine teilweise Unentgeltlichkeit auch dieses Teils der Auszahlung kann sich der Kläger nicht berufen.

aa) Eine unentgeltliche Verfügung liegt vor, wenn der Schuldner einen Vermögenswert zugunsten einer anderen Person aufgibt, ohne dass ihm ein entsprechender Gegenwert zufließen soll. [X.] ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte ([X.], Urteil vom 29. November 1990 - [X.], [X.]Z 113, 98, 101 f; vom 18. März 2010 - [X.], Z[X.] 2010, 807 f Rn. 9). Erbringt der Schuldner eine Leistung im Rahmen eines entgeltlichen Vertrags, ist seine Leistung entgeltlich, soweit durch sie eine bestehende Verbindlichkeit erfüllt wird. Gegenleistung ist dann die vom Schuldner erlangte Befreiung von seiner Schuld (MünchKomm-[X.]/Kirchhof, 2. Aufl. § 134 Rn. 17a, 26; HK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 134 Rn. 11). Die Rückzahlung der Einlage der [X.]n war daher grundsätzlich nur insoweit entgeltlich, als die Schuldnerin nach den vertraglichen Vereinbarungen verpflichtet war, die Einlage an die [X.] zurückzuzahlen.

bb) Der Vertrag zwischen der Schuldnerin und der [X.]n war nicht nach § 138 BGB nichtig. [X.] war lediglich das von der Schuldnerin tatsächlich betriebene, nicht aber das mit der gutgläubigen [X.]n vereinbarte System der Kapitalanlage (vgl. [X.], Urteil vom 21. März 2005 - [X.], [X.], 753, 756; vom 23. November 2010 - [X.], z.[X.].; Bitter/Heim, [X.], 1569, 1570). Soweit der Senat in seinem Urteil vom 22. April 2010 ([X.], [X.], 1253 Rn. 8, 12) in nicht entscheidungserheblicher Weise eine andere Beurteilung anklingen ließ, wird daran nicht festgehalten.

cc) Die [X.] war von Anfang an berechtigt, den vertragsgemäß eingezahlten Betrag zurückzuverlangen (§ 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB). Nach den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin sollten allerdings Verluste aus den [X.] mit den Beiträgen des Anlegers verrechnet werden ([X.], 5.2, 5.3) und die Schuldnerin als Vergütung eine monatliche Verwaltungsgebühr von 0,5 v.H. vom jeweiligen Vermögensstand erhalten ([X.]). Diese Klauseln berücksichtigt die vom Kläger nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neuberechnung der Gebühren" in Verbindung mit der auf das Guthaben der [X.]n bezogenen "Realen Gewinn- und [X.]", in welcher der Kläger die Entwicklung des Kontos der [X.]n abweichend von den tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von in den Jahren 2000 bis 2003 eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen versucht.

dd) Entgegen der Ansicht der Revision kann sich der Kläger auf diese Nachberechnung nicht stützen. Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus den in geringem Umfang noch getätigten [X.] und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung der [X.]n verstößt unter den gegebenen Umständen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).

(1) Den Anspruch auf die Verwaltungsgebühr hat die Schuldnerin verwirkt. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein an sich begründeter Vergütungsanspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt sein, wenn ein Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise diese Treuepflicht verletzt und sich dadurch als seines Lohnes unwürdig erweist. Das ist der Fall, wenn die Treuepflicht vorsätzlich, wenn nicht gar arglistig, mindestens aber in einer grob leichtfertigen Weise verletzt wird, die dem Vorsatz nahekommt ([X.], Beschluss vom 6. Mai 2004 - [X.] 349/02, [X.]Z 159, 122, 131 f; Urteil vom 19. Mai 2005 - [X.], [X.], 1480, 1481; Beschluss vom 23. September 2009 - [X.], [X.], 820 Rn. 8 f, 15; jeweils mwN.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Unstreitig hat die Schuldnerin die schon in den Jahren vor dem Beitritt der [X.]n eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern versucht, indem sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbringende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Einzahlungen der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit überwiegend nicht mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die laufenden Kosten verwendete.

(2) Das dargestellte Vorgehen der Schuldnerin, die in betrügerischer Weise neue Anleger warb und ihre vertraglichen Verpflichtungen entsprechend ihrer vorgefassten Absicht grob verletzte, verbietet es auch, die [X.] in der Weise am Vertrag festzuhalten, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage um die Verluste aus den wenigen noch getätigten [X.] zu vermindern wäre.

Kayser                                 Gehrlein                                   Fischer

                   Grupp                                   Möhring

Meta

IX ZR 60/10

09.12.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 4. März 2010, Az: 4 U 133/08, Urteil

§ 134 Abs 1 InsO, § 143 Abs 1 S 1 InsO, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.12.2010, Az. IX ZR 60/10 (REWIS RS 2010, 575)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 575

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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